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Die Inschriften des Bundeslandes Kärnten

Politischer Bezirk St. Veit an der Glan

432 St. Walburgen (Eberstein), Pfk. hl. Walburga 1559

Glocke im Turm, oben am Hals zwischen Doppelleisten eine umlaufende Is. (I). Eine weitere Is. (II) findet sich am Mantel zwischen je einer zweifachen Zierleiste, eine dritte Is. (III) am Wolm. Das Meisterzeichen ist am Mantel unter der Is. II beigefügt (IV), weiters finden sich hier in kleinen Medaillons mehrere Tiersymbole wie Greif mit Schlange, Eidechsen und Adler, weiters Reliefdarstellungen der hl. Margaretha, des hl. Stephan, der Madonna mit dem Kind, weiters eine Plakette mit antiken Figuren, ein lautespielender Engel, eine Plakette mit Engel sowie eine Plakette mit drei nackten Figuren. Die sechs Glockenhenkel sind mit stilisierten Blattmusterornamenten verziert, dazwischen radiale Gußrippen, die flache Haube geht mit einer Hohlkehle über in die gewölbte Platte, die mit einem Zierreifen dekoriert ist.

H. 82 cm, D. 102 cm, Gw. 600 kg, Bu. I. u. II. 3 cm, III. 2 cm. – Gotische Minuskel (I, II), Frühhumanistische Kapitalis (III).


Textedition
			

I. essaias + septimo + ecce + virgo + erit + pregnans + et pariet + filium + et + vocabunt + nomen + eius + emanvell + 1 + 5 · 5 9 · II. psalmus + 3 + ich + hab + mit + meiner + stim + zu + dem + hern + geschrieren + und + er + hat + mich + erhert + von + seinem + heiligen + perg + III. SALOMON + 8 + PENES + ME + CONSILIVM + ED + SVCCESSVS + EST + EGO + INTELLIGENTIA SVM + PENES + ME + EST + POTENTIA + PER + ME + REGES + REGNANT + ET + PRINCIPES + CONSTITVVNT + IVSTA + PER + ME + DOMINI + DOMINANTVR + REGNANT + OMNES + IVDICES + TERRE + IV. W(olfgang) // F(iering)

Anmerkungen

Jesaja 7: Siehe, eine Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären und sie werden ihn mit seinem Namen Emanuel nennen (I).
Salomon 8: Bei mir ist Rat und Hilfe. Ich bin die Einsicht, bei mir ist die Macht. Durch mich herrschen die Könige und sprechen die Fürsten Recht. Durch mich haben die Herren ihre Herrschaft und üben alle Richter der Erde ihr Amt aus (III).

Nach Is 7,14 (I); Ps 3,5 (II); nach Prv 8,14–16 (III).


Marke: Anhang Nr. 5.


Kommentar

Die lateinische Bibelstellen wurden schon von Johannes B. Bauer1) kritisch bearbeitet. Bauer stellte sich ebenfalls die Frage, woher der Text stammt, wenn nicht aus einer in dieser Zeit üblichen Vulgata-Ausgabe. Bemerkenswert sind dabei auch das Wort PENES, das für apud steht und in der Vulgata nur sechsmal vorkommt, gegenüber dem viel häufigeren apud (108 mal)2). Mit dem Wort SVCCESSVS wird auch eine textkritische Bearbeitung der Is. schwierig, wenn die Textvorlage wie hier von Weißenbäck/Pfundner3) ein Problem bei der Lesung hat und nur SUCC.... wiedergeben hat. Ein Großteil der Texte der Glocken inschriften entsprechen bei Weißenbäck/ Pfundner nicht den inschriftpaläographischen Kriterien und eignen sich daher nur bedingt für textkritische Untersuchungen nach dem Motto „Von den Tücken der Inschriften“. Das Wort SVCCESSVS führte Bauer zu hebräischen Vorlagen für die neuzeitlichen lateinischen Übersetzungen, im Besonderen zu Philipp Melanchthon und seiner 1525 erschienenen Solomonis sententiae versae ad Hebraicam Veritatem4). Bauer hat diese Stelle bei Erasmus von Rotterdam gefunden, in dem 1516 in Basel erschienen Novum instrumentum, einer lateinischen Übersetzung, die er seiner griechischen Edition des Neuen Testamentes beigefügt hat: „Ecce virgo erit praegnans et pariet filium et vocabunt nomen ejus Emmanuel“5). Es stellt sich die Frage, wie ein Kärntner Glockengießer aus Völkermarkt 1559 an diese frühen lateinischen Texte eines Melanchthon und Erasmus gekommen ist, warum er nicht der verbreiteten Version der Vulgata gefolgt ist. War es der Kärntner Landeshauptmann Georg II. Khevenhüller, der auf Hochosterwitz den gelehrten Pastor Michael Gotthard Christalnigg als Prediger hielt6), war es ein gelehrter Priester aus der Umgebung des Gurker Fürstbischofs Urban Sagstetter (1556–1573), in dessen Bibliothek wohl vermutlich beide oben zitierten Werke vorhanden waren7)? Dass auch gebildete Bürger in Kärnten eigene Hausbibliotheken besaßen, bezeugt u. a. auch der Villacher Arzt und Protestant Eberhard Hedenegg8) und der Bleiberger Gewerke Christoph Reisenauer9). Auch die Pfarrkirche von St. Walburgen war im 16. Jahrhundert von der Reformation nicht unbeeinflußt geblieben, so hat um 1595 Leonhard Welzer als Vogt der Kirche beabsichtigt, einen evangelischen Prädikanten hier anzustellen10). Wer die Textvorlage geliefert hat, wird sich wohl nicht mehr klären lassen, die Gl. selbst ist jedenfalls in Völkermarkt entstanden.

Wolfgang Fiering gehört zu der bekannten Völkermarkter Zinn- und Glockengießerfamilie, die über hundert Jahre (1514–1619) dieses Gewerbe in Kärnten ausgeübt hat11). Von Wolfgang Fiering hat sich nur diese eine Gl. erhalten. Sie ist ein gutes Beispiel für die Werkstättentradition, vor allem auch, was die Schriftformen betrifft. In diesen Familienbetrieben haben sich die Gußvorlagen über Generationen erhalten und wurden oft, auch entgegen dem Zeittrend, in retardierender Weise verwendet. So finden wir hier Bu. einer gotischen Minuskel, die noch in das 15. Jahrhundert gehören, andererseits aber auch schon eine Renaissanceschrift in Form der um 1559 nicht mehr gebräuchlichen frühhumanistischen Kapitalis: so etwa bei der gotischen Majuskelform des A, beim E, das aus zwei Bögen zusammengestellt ist, beim N, dessen Schrägschaft gebaucht ist.

1) Bauer J., Tücken der Inschriften 34.
2) Ebenda.
3) Weißenbäck/Pfundner, Tönendes Erz 305. – Nur dem geübten Kenner und ausgezeichneten Fachmann für Patristik werden derartige Lesefehler keine Mühe bereiten (sic!).
4) Hagenau 1525.
5) Basel 1535.
6) Neumann, Christalnick 18. – Fräss-Ehrfeld, Geschichte Kärntens Bd. 2 540.
7) Mairold, Bibliothek 286, 288, Nr. 95: die Bibliothek Urban Sagstetters kam zum Teil an die UB Graz, wo heute noch ein NT des Erasmus (gr. u. lat.), Basel 1541, vorhanden ist.
8) Neumann, Beginn 41.
9) Mairold, Protestantische Schriften 52f.
10) Erläuterungen Kirchen- und Grafschaftskarte 165.
11) Weißenbäck/Pfundner, Tönendes Erz 201.
Literatur

LMK, Tab. camp. St. Walburgen Nr. I/1. – Jungwirth, Glockenkunde 163. – Weißenbäck/Pfundner, Tönendes Erz 305.



Friedrich Wilhelm Leitner

Zitierregel:
Die Inschriften des Politischen Bezirks St. Veit an der Glan, ges. u. bearb. v. Friedrich Wilhelm Leitner
(Die Deutschen Inschriften 65. Band, Wiener Reihe 2. Band, Teil 2) Wien 2008, Kat. Nr. 432,
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Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
65. Band, Wiener Reihe 2. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Kärnten - Teil 2
Die Inschriften des Politischen Bezirks St. Veit an der Glan

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
Schlagworte
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Abbildungen

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Abb. 181: Glocke (1559)
©  Landesmuseum Kärnten (Friedrich W. Leitner)