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Die Inschriften des Bundeslandes Kärnten

Politischer Bezirk St. Veit an der Glan

712 Gurk, Pfk. u. ehem. Domkirche
Mariae Himmelfahrt
nach 1637

Holztafeln unter den Hemma-Reliefs; schwarzer Untergrund mit weißer Schrift. Ursprünglich im Kreuzgang, um 1637/38 in die Vorhalle des Doms übertragen, kamen die Hemma-Tafeln 1886 an den heutigen Aufstellungsort. Heute im nördlichen und südlichen Chorseitenschiff aufgehängt, dabei erklärende Beschriftungen zur Hemma-Legende. Die Bildtafeln zeigen im nordseitigen Chorseitenschiff die Ermordung der Söhne Hemmas (I), Hemmas Abschied von ihrem Gemahl Graf Wilhelm II. von Friesach (II) und Hemma beim Kirchenbau (III), im südseitigen Chorseitenschiff den Einzug der Nonnen und Chorherren (IV), die Hilfesuchenden am Grabe (V) und den Augensegen (VI). Die rektangulären Schrifttafeln tragen zweizeilige (I, II, VI) bzw. dreizeilige Iss. (III, IV, V).

H. 15, 5 cm, L. 145 cm, Bu. 2,2 (3,5) cm. – Minuskelantiqua mit Frakturelementen.


Textedition
			

I. Beata Hemma Comitissa de Pöllenstain, neptis S(ancti) Heinrici Imperatoris, Conthoralis Beati Wilhelmi Comitis de Celtschach, duobus filijs male interemptis, Christum Regem pro sobole suscipiens ipsum super / cuncta bona ha͜eredem instituit. O clarissima et uenerabilis uirtus huius sacra͜e mulieris, q(uae) devotionis mota desiderio, ad effundendas lachrimas e(st) p(ro)mpta, ad Verbum Dei recipie(n)du(m) festinaa) ad depreca(n)dv(m) altissimv(m) facvnda. II. Beatus Wilhelmus ex tunc spretis bla(n)dime(n)torum Gaudijs, relicta castrorum altitudine, ad humilia se declinans pra͜ecepto D(omi)nico se subiiciens, ut quicu(m)queb) reliquerit domum uel f(rat)res aut uxore(m), / centuplum accipiet; et sic in Dei nomine omnia reliquit, et ad limina san(c)toru(m), in amore eius sine reditu progressus. Nemo sanctus nisi Dei dilectio operetur in eo. III. Beata quoq(ue) Hemma ad gloriam Dei Omnipotentis, eiusque Beatissima͜ e Virginis MARIA͜Ec) in quadam ualle sylvestri, qu(a)e Gurckhoven, nunc / uero Gurca uocatur, Ecclesiam a͜edificare co͜epit, et qua͜e semel subditis imperauerat, mox sine omni contradictione adimplere voluit; quod / autem corde gerebat, hoc operibus plene patefactum, latere non potuit. IV. Beata igitur Hemma ex concessione Reuerend(issi)mid) P(at)ris D(omi)ni Waldwini Saltzburg(ensis) Eccl(esi)ae Archipastoris, chorv(m) septuaginta duarvm sub Religio(n)is habitu p(er)petuo instituit, in qua se ipsam primitus in pra(e)sentiae) / pra͜edicti Patris Waldwini Monialem profitebatur; et sic relictis possessionibus et bonis ha͜ereditarijs, tanquam columba pvllos alienos cum suis nutriens, erogabat: Et quasi arbor frondosa atque fructifera / cuius folia non defluunt, et fructus non putrescunt; sic illa continue bonorum operum merita p(ro)creabat: fuit namq(ue) ad se confvgientibvs p(ro)tectio(n)is, securitatisq(u)e refugium, quasi castrorum petra solidatum. V. Insuper pluribus Eccl(es)iarum locis â se late dista(n)tib(us) larga donauit munera; Nam Salzburg(ensi) Eccl(es)ia͜e, in qua se tumulari deputauerat, copiose praedia tribuebat, Bambergensi Eccl(es)ia͜e, Admontensiq(ue) Monasterio Religi(o)/sisq(ue) fratrib(us) in Seitz quam plurimos redditus p(er)petuo possidendos assignauit, et in sibi uicinos quotidianis Eleemosynarum largitionib(us) insistens, cuncta Deo placida cum discretione peragebat. Post aliquod / autem temporis numerus Monialium partim in Canonicos Regul(ares) Or(dinis) S(ancti) Aug(ustini) p(er) R(everend)umd) in Christo P(at)rem et D(omi)n(u)m Gedehardum Archipraesulem Saltzburgensem est amutatus. VI. Compleuit autem cunctos labores suos B(eata) Hem(m)a A(nno) D(omi)ni 1045. in festo Ap(osto)lorum Petri et Pauli tradens Domino sp(i)r(itu)m, qui sanctificauerat illum. Corp(us) uero in ualle et Ecclesia Gurcensi / sepultum est. Vbi postmodum multis app(ro)batis Prodigijs claruit, sicut in eius hystoria lucubratissime compilatur, qua͜e et adhuc nostris temporibus corruscant.

Anmerkungen
a) das a ist hochgestellt.
b) Über dem ursprünglichen o korrigierend ein i gesetzt.
c) vergrößerter Anfangsbuchstabe.
d) Endung hochgestellt.
e) Kürzungszeichen fehlt.

Die selige Hemma, Gräfin von Peilstein, Nichte des heiligen Kaisers Heinrich und Ehegattin des seligen Wilhelm, Grafen von Zeltschach, nahm, nachdem ein böses Geschick ihr beide Söhne genommen hatte, Christus, den König, als Nachkommen an und setzte ihn selbst zum Erben über alle ihre Güter ein. O reinste und verehrungswürdige Tugend dieser heiligen Frau, die von ihrem Eifer für die Verehrung gedrängt, rasch zum Tränenvergießen geneigt, eilig zur Aufnahme von Gottes Wort bereit und unablässig mit dem Gebet zum Allerhöchsten beschäftigt ist (I).

Der selige Wilhelm, der von da an allen Tand und Freuden verschmähte, verließ seine hohe Burg, beugte sich in Demut und unterwarf sich dem Gebote des Herrn, wonach jeder, der sein Haus, seine Brüder und seine Frau verläßt, hundertfachen Lohn erhält. So verließ auch er alles in Gottes Namen, und brach aus Liebe zu ihm zu den Stätten der Heiligen auf, ohne wiederzukehren. Niemand gelangt zum Heil, wenn nicht die Liebe Gottes in ihm wirksam ist (II).

Die selige Hemma begann auch, zum Ruhme Gottes, des Allmächtigen, und seiner seligsten Jungfrau Maria in einem bewaldeten Tal, welches Gurkhofen (hieß), jetzt aber Gurk genannt wird, eine Kirche zu bauen. Und was sie einmal ihren Untergebenen aufgetragen hatte, wollte sie sogleich ohne allen Widerspruch vollenden. Das, was sie in ihrem Herzen hegte, konnte, durch ihre Werke offenbar, nicht verborgen bleiben (III).

Also richtete die selige Hemma mit Erlaubnis des hochwürdigsten Vaters, des Herrn Waldwin1), des Erzhirten des Bistums Salzburg, für alle Zeiten einen Konvent von 72 Frauen in geistlicher Tracht ein, in welchen sie selbst als erste in Gegenwart des vorgenannten Vaters Waldwin als Nonne eintrat. Und so verausgabte sie sich, nachdem sie ihre Besitzungen und Erbgüter aufgegeben hatte, wie eine Taube, die fremde Jungen mit ihren eigenen großzieht, und wie ein belaubter und fruchttragender Baum, dessen Blätter nicht abfallen und dessen Früchte nicht faulen. So schuf sie sich durch beständige Tätigkeit Verdienste, denn sie war denen, die bei ihr Zuflucht suchten, ein Ort des Schutzes und der Sicherheit, wie die Steine der Wehranlagen von Burgen (IV).

Außerdem stiftete sie mehreren von ihr weit entfernten Kirchen reichliche Gaben. So teilte sie der Salzburger Kirche, in der sie bestattet zu werden angeordnet hatte, umfangreiche Güter zu, der Kirche von Bamberg, dem Kloster Admont und den Ordensbrüdern in Seitz2) bestimmte sie möglichst zahlreiche Einkünfte zu dauerndem Besitz, und verrichtete, während sie auf täglichen Almosen für die ihr Nahestehenden beharrte, alles Gott Wohlgefällige in Bescheidenheit. Nach einiger Zeit aber wurde eine Anzahl von Nonnen zum Teil zu Regularkanonikern des Ordens des hl. Augustinus durch den in Christus hochwürdigen Vater und Herrn Gebhard3), Erzbischof von Salzburg, umgewandelt (V).

Die selige Hemma beendete aber all ihre Mühen im Jahre des Herrn 1045 am Fest der Apostel Petrus und Paulus indem sie ihren Geist dem Herrn zurückgab, der ihn geheiligt hatte. Ihr Leib aber wurde im Tal und in der Kirche von Gurk bestattet. Dort wurde sie späterhin durch viele bestätigte Wunder berühmt, so wie es in ihrer Lebensgeschichte aufs glanzvollste dargestellt wird, welche auch noch bis in unsere Zeiten erglänzen (VI).


Kommentar

Die sechs geschnitzten und polychromierten Hemma-Reliefs4) mit Szenen aus der „Hemma-Histori“ 5) sind von Dompropst Wilhelm Welzer von Eberstein (1487–1518) für den Gurker Kreuzgang in Auftrag gegeben worden. Möglicherweise geht diese Stiftung auf eine Anregung des damaligen Gurker Bischofs Matthäus Lang von Wellenburg6) (1505–1522) zurück7). Gesichert ist der Aufstellungsort dieser sechs Tafeln im Gurker Kreuzgang8). Nicht kritiklos sind die in der Literatur9) überlieferten Angaben zu übernehmen: Danach wären die Schnitzwerke um 1515 entstanden, als Meister gilt der St. Veiter Maler und Schnitzer Leonhard Pampstell (Lienhard Pambstl). Mit Recht stellt E. Reichmann-Endres10) diese Zuordnung in Frage und gibt als wahrscheinliche Datierung das erste Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts an. Mit der Abtragung des Kreuzganges um 1637/38 im Zuge des Neubaues des Kapitelgebäudes wurden die Hemma-Tafeln in die Vorhalle des Domes übertragen. Hier und zu dieser Zeit dürften die Texte zur „Hemma-Histori“ entstanden sein11), da den Besuchern am neuen Aufstellungsort nun jeglicher Zusammenhang mit der Legende der hl. Hemma fehlte. Eine Zuordnung der Schrifttafeln in die Zeit bald nach 1637 erscheint daher als wahrscheinlich, vom Schriftbild ist eine Datierung noch in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts durchaus möglich. Zum Leben der hl. Hemma – Legende und Wirklichkeit12) – siehe Einleitung S. XVII.

1) EB Baldwin von Salzburg (1041–1060). Vgl. MC I 19.
2) Seitz, d.i. die Kartause von Seiz bzw. Seitz/ Žiče (Slowenien).
3) EB Gebhard von Salzburg (1060–1088).
4) Reichmann-Endres, Reliefs 247. – Zustimmend äußerte sich Demus, Spätgotische Altäre 31f. (Anm. 1): Hier findet sich auch die wichtigste weiterführende Lit. zu den Hemma-Reliefs.
5) KA Klagenfurt, Lade 102, Fasz. 1: Aufschreibbuch des Dompropstes Wilhelm Welzer von Eberstein aus der Zeit von 1488–1513.
6) Obersteiner, Bischöfe 272f.
7) Reichmann-Endres, Reliefs 247f.
8) Löw, Meisternamen 70: „Sand Hema Hystori Im kreuzgankh“. – Ders., Domführer 30f., 54f.
9) Demus, Denkmalpflegerische Arbeiten II 112. – Ginhart, Spätgotische Kreuzgruppe 492, 493f. – Hartwagner, Hemma-Reliefs 7f. – Hartwagner, Dom zu Gurk 33f., Bilderläuterungen 162–173. – Cevc, Poznogotska plastika 106f. – Posch W., Hemma-Reliefs 1f.
10) Reichmann-Endres, Reliefs 248f.
11) Vgl. zu den lat. Texten auch KA Klagenfurt, Liber memorabilium Capituli Gurcensis 120–122.
12) Dopsch, Hemma von Gurk 11–23.
Literatur

KA Klagenfurt, Liber memorabilium Capituli Gurcensis p. 120–122. – Schnerich, Dom zu Gurk 82f., 85. – Löw, Meisternamen 70. – Ginhart/Grimschitz, Gurk 118, Abb. 120–125. – Demus, Denkmalpflegerische Arbeiten 112. – Ginhart, Spätgotische Kreuzgruppe 492, 493f. – Hartwagner, Hemma-Reliefs 1964, 7f. – Ders., Dom zu Gurk 33f., Bilderläuterungen 162–173. – Cevc, Poznogotska plastika 106f. – Steindl, Lateinische Inschriften Kärnten 165f. – Fritz, Großes Hemma-Buch 42f. – Dopsch, Hemma von Gurk 11–23. – Reichmann- Endres, Reliefs 247–256. – Demus, Spätgotische Altäre 31f. – Posch W., Dom zu Gurk 22, 27. – Ders., Hemma-Reliefs 1f. – Fritz, Hemma-Buch 1992, 70f. – Dehio Kärnten 2001, 261.



Friedrich Wilhelm Leitner

Zitierregel:
Die Inschriften des Politischen Bezirks St. Veit an der Glan, ges. u. bearb. v. Friedrich Wilhelm Leitner
(Die Deutschen Inschriften 65. Band, Wiener Reihe 2. Band, Teil 2) Wien 2008, Kat. Nr. 712,
URL: hw.oeaw.ac.at/inschriften/kaernten-2/teil4/kaernten-2-obj712.xml

Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
65. Band, Wiener Reihe 2. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Kärnten - Teil 2
Die Inschriften des Politischen Bezirks St. Veit an der Glan

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
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Abb. 241: Beischriften der
Hemma-Reliefs (nach 1637)
©  Landesmuseum Kärnten (Friedrich W. Leitner)