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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich

Politischer Bezirk Krems

3. Der Personenkreis und seine soziale Gliederung

Als Auftraggeber von Inschriften aller Art begegnet zunächst vorwiegend der Adel der Region. Zwar liefert die älteste Inskription, die Weiheinschrift der ehemaligen Margaretenkapelle in Mautern (Kat.-Nr. 1), einen gewichtigen Hinweis auf die zentrale Bedeutung der hochmittelalterlichen Kirchenorganisation im bayerischen, im engeren Sinn passauischen Osten, an der Bischof Altmann nicht zuletzt auch durch die Gründung des Klosters Göttweig bedeutenden Anteil hat. Doch schon die erste namentlich bezeichnete Grabplatte erinnert an einen in Spitz sitzenden Niederadeligen (Kat.-Nr. 4), und die meisten Grabdenkmäler des früheren 14. Jahrhunderts dürften Adeligen angehören (Kat.-Nr. 8, 11, 16, 25). Als bedeutendste Grundherren und Herrschaftsträger, ja als größter mit unmittelbarer Handlungsfähigkeit ausgestatteter Machtfaktor erscheinen in der Wachau im 13. und in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts die Dürnsteiner Kuenringer (vgl. zum bedeutendsten Angehörigen des Geschlechts, Leutold [I.], Kat.-Nr. 12), die als eine der mit Abstand begütertsten und politisch einflußreichsten Landherren­familien Österreichs den gesamten Niederadel der Region in tragfähige Klientelverhältnisse zu ziehen verstanden. Diese weitverzweigte Personengruppe bildete in der Folge ein durch Konnubium bzw. Frauentausch im engen Kreis, Kollegialität in den zahlreichen, regelmäßig (meist im Zweijahres­rhythmus) ihre Inhaber wechselnden kuenringischen Ämtern (Burggrafen, Pfleger und Richter) und permanente wirtschaftliche Interaktion extrem dichtes Netzwerk. Diesem gehörten selbst die in den geistlichen Stand getretenen und anderswo mit Pfarrpfründen ausgestatteten Familienangehörigen an. Der dem Niederadel des Bearbeitungsgebiets entstammende und in Verbindung zu den Kuenringern stehende Staatzer Pfarrer Georg von Wachau ließ sich so in der mutmaßlichen Grablege seiner Familie in St. Michael bestatten (Kat.-Nr. 26).

Das Aussterben der Dürnsteiner Kuenringer ließ die bis dahin in deren Schatten stehenden Maissauer als Haupterben in deren Fußstapfen treten. Erst der Abgang auch dieses Geschlechts 1440 eröffnete dem regionalen und lokalen Ritteradel (vgl. zu dessen Angehörigen etwa Kat.-Nr. 32, 44, 45, 46, 49, 67 und 68) günstigere Entwicklungsmöglichkeiten, da ihre ehemals kuenringischen, dann Maissauer Lehen nun von den österreichischen Landesfürsten ausgegeben wurden, die an einer realen Einmischung in die Mikrostrukturen des Wachauer Herrschaftsgefüges kaum interessiert waren. Die neuen Lehens- und Dienstbeziehungen (vormals kuenringische und Maissauer Pflegerämter bzw. das Richteramt in der Wachau und das Gföhler Forstmeisteramt waren zu Funktionen im herzoglichen bzw. königlichen Dienst geworden) eröffneten dem gegenüber dem alten, teils vormals ministerialischen und nun im sich entwickelnden Herrenstand aufgehenden Hochadel wirtschaftlich flexibleren Ritteradel einen Aufstieg zu ökonomischen und politischen Spitzenpositionen im Land. Zu den Eliten dieser Aufsteiger der ersten Jahrhunderthälfte zählten neben den aus Steyr stammenden ritteradeligen Scheck von Wald (vgl. Kat.-Nr. 65) die ritterlichen Neidegger, die aufgrund günstiger Erbgänge und dank planmäßigem Wirtschaften mit mehreren Herrschaftssitzen im Bearbeitungsgebiet von einer soliden Basis an Grundbesitz ausgehen konnten und in landesfürstlichen Verwaltungsämtern bedeutendes weiteres Barkapital und Sozial­prestige lukrierten. In den unter ihrem Patronat stehenden und ihren Herrschaftssitzen benachbarten bzw. mit jenen unmittelbar baulich verbundenen Pfarrkirchen, etwa in Albrechtsberg a. d. Gr. Krems, richteten sie Erbgrablegen ein, deren Grabdenkmäler zum Teil noch erhalten geblieben sind (Kat.-Nr. 31 und 62). Den Höhepunkt des Zuwachses an Macht und symbolischem Kapital markierte jedoch die 1414 erfolgte Stiftung eines als Erbgrablege des Rannaer Zweigs der Familie fungierenden Paulinerklosters in Unterranna (s. Kat.-Nr. 50†, 66†, 80, 161, 256).

Zahlreiche Niederadelige mit schwacher ökonomischer Ausstattung traten dagegen besonders im 16. Jahrhundert als Pfleger oder Inhaber anderer Ämter in die finanziell abgesicherten und fallweise auch einen Prestigegewinn bedeutenden Dienste Hochadeliger und landfremder Grundherren. Für diese beamtete Personengruppe ist eine gewisse funktionsbedingte und auch vom Fehlen eines eigenen bedeutenderen Adels- oder Herrschaftssitzes abhängige Mobilität und mangelnde Traditionsbildung in der Wahl der Bestattungsorte zu konstatieren (vgl. etwa Kat.-Nr. 279 und 282).

Die gegenteilige Entwicklung, den Ausbau zentraler Herrschaftssitze und die Ergänzung dieser durch prestigeträchtige und als Beisetzungsorte innerhalb des Geschlechts möglichst verbindlicher Erbgrab­legen, verfolgten im bearbeiteten Bestand am konsequentesten die Freiherren von Kuefstein, die eine Umgestaltung des Schlosses Zeißing mit der Einrichtung einer neuen Gruftanlage in der nahen Pfarrkirche Maria Laach verbanden (vgl. Kat.-Nr. 359, 360†, 368, 369†, 377, 386, 395, 408, 421 und 449).

Große und im Unterschied zu den Pfarrkirchen überlokale und überregionale Bedeutung als Begräbnisstätten besaßen die Klöster des Untersuchungsraums. Das junge Augustiner-Chorherrenkloster Dürnstein zog in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens offenbar mehrere Familiaren an, also Personen, die oft gegen eine entsprechende Stiftung bzw. Schenkung auf den Sterbfall lebenslanges Wohnrecht im Kloster und Anspruch auf den Genuß einer „Herrenpfründe“ hatten. Unter den dem Kloster so Vergesellschafteten befanden sich Weltpriester ebenso wie Laien, die auch den Ort ihrer Beisetzung im Kloster wählten. Auf diesem Weg könnten ein Kaplan aus Ravelsbach, (Kat.-Nr. 57†), ein Wiener Universitätsangehöriger (Kat.-Nr. 58†) und ein Salzburger Pfarrer (Kat.-Nr. 60) ihre Gräber im Kloster gefunden haben.

In Göttweig ließen sich in der Frühen Neuzeit einzelne Adelige aus der Umgebung des Klosters (s. etwa Kat.-Nr. 370†), vor allem aber nicht wenige Verwandte der jeweils regierenden Äbte bestatten, die ihrer im Laienstand verbliebenen „Freundschaft“ bedeutende Positionen in der Klosterverwaltung verschafften (s. etwa Kat.-Nr. 355, 415†, 416†, 420†, 478 und 498). Ein Dürnsteiner Propst geriet wegen dieses verbreiteten Nepotismus jedoch in Bedrängnis (Kat.-Nr. 447 und 448).

Im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert entstanden zahlreiche malerische Ausstattungen von Kirchenräumen, deren Auftraggeber nicht greifbar sind und ebensogut unter den die Seelsorge vor Ort verrichtenden Geistlichen wie unter den die Vogtei wahrnehmenden Adeligen zu suchen sein können (Kat.-Nr. 14, 15, 16, 21, 22). Wahrscheinlich von einem adeligen Auftraggeber bestimmt sind die besonders auf die detaillierte Darstellung wappentragender Ritter Wert legenden Wandmalereien aus dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts in der Filialkirche St. Lorenz (Kat.-Nr. 5). Die Ausstattung des Chors der Drosser Burgkapelle mit Wandmalereien (vor 1316?) dürfte dagegen in einer naheliegenden Kooperation von Priester und Burgherr erfolgt sein (Kat.-Nr. 15).

Inhomogen stellt sich die Zusammensetzung des Klerus der Region dar. Der im Dürnsteiner Klarissenkloster residierende Steiner Minorit Michael von Wiener Neustadt erhielt 1306 ein gemaltes Epitaph im Mönchschor der Klarissenkirche (Kat.-Nr. 13). Mehrere Grabdenkmäler für Kleriker in ranghohen bzw. gut bepfründeten Positionen stammen aus dem letzten Drittel des 14. und dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts (Kat.-Nr. 27, 28, 36† und 40). Benefizien und Kaplanstellen wurden dagegen meist mit Angehörigen der lokalen Bürgerschaft besetzt (s. Kat.-Nr. 38†). Die Abbatiate des Klosters Göttweig hatten bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts gleichermaßen Söhne überwiegend einheimischer adeliger wie bürgerlicher Familien inne (Kat.-Nr. 28, 55, 59, 138, 204, 208 und 252), danach glich das Kloster ebenso wie schon zuvor die Dürnsteiner Chorherren seine Reihen mit Österreichern im modernen geographischen Sinn (Kat.-Nr. 328, 448 und 468) bzw. mit Südwestdeutschen oder Schlesiern bürgerlicher Abstammung aus (vgl. Kat.-Nr. 388 und 481).

Der Dürnsteiner Klarissenkonvent rekrutierte sich dagegen im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts nach Ausweis einer Gedenkinschrift (Kat.-Nr. 173†) fast ausschließlich aus dem landständischen Adel.

Eine Grabplatte aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts in Unterloiben (Kat.-Nr. 20) scheint den ersten Beleg für das Grabdenkmal eines jedoch offenbar landfremden Bürgers darzustellen. Nicht wenige Bürger auswärtiger Städte fanden im Verlauf des gesamten Untersuchungszeitraums im Bezirk Krems ihre letzte Ruhestätte (Kat.-Nr. 51, 99, 172, 213, 385).

Der Errichter einer durch eine verlorene Inschrift belegten Kerzenstiftung und Auftraggeber eines Bildfensters in der Filialkirche St. Johann im Mauerthale (Kat.-Nr. 18† und 19†) dürfte ebenso wie der verstorbene Salzburger Hofmeister von Arnsdorf, der 1381 unter einer Wappengrabplatte (Kat.-Nr. 30) bestattet wurde, nicht dem Adel angehört haben. Unklar ist die standesmäßige Einordnung der im Rahmen einer Wandmalerei in Droß bzw. eines Ölbergreliefs in Unterloiben abgebildeten Stifterfiguren (Kat.-Nr. 53 und 75).

Prestigeträchtige, mit Kunstgegenständen verknüpfte Stiftungen des Bürgertums der Region sind auch aus dem 15. Jahrhundert belegt. Der Langenloiser Bürger Hans Drosendorfer ließ 1415 eine Schmerzensmannskulptur an der Außenseite der Pfarrkirche aufstellen, die mit einem vierzigtägigen Ablaß des Passauer Bischofs begabt wurde (Kat.-Nr. 42). Dagegen gehört der Stifter eines Bildfensters mit den Figuren der Heiligen Petrus und Paulus in Langenlois aus dem dritten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts (Kat.-Nr. 54) einer in der Region sitzenden Niederadelsfamilie an.

Eine konzertierte Aktion der Bürgerschaft des Marktes Arnsdorf und seines Salzburger Pflegers war um 1605/10 die Ausstattung der Pfarrkirche Hofarnsdorf mit Wandmalereien samt Stifterinschriften (Kat.-Nr. 372, 412 und 413).

Eine Art Zwischenschicht oder besser Bindeglied zwischen Adel und Nicht-Adel bildeten die im späteren 16. Jahrhundert vielfach aus alteingesessenen Ratsfamilien der größeren landesfürstlichen Städte und Märkte hervorgegangenen Nobilitierten (vgl. Kat.-Nr. 399 und 442), die durch den Erwerb rittermäßiger Güter zwar für die Zugehörigkeit zum landständischen Adel qualifizierenden Besitz vorweisen konnten, aber von den in Reaktion auf ihre zunehmende politische Marginalisierung starke Abschließungstendenzen nach unten aufweisenden Ständen nicht sofort aufgenommen wurden. Viele wohlhabende Bürger benützten die neuen Adelssitze und Freihöfe (s. Kat.-Nr. 303) eher als Vorwand, um ihre alten Funktionen in der Stadtverwaltung und im Rat in aufgrund des Konfessionenstreits schwieriger Zeit aufzugeben und innerhalb der Stadt die Privilegien des Adels geltend machen zu können (Kat.-Nr. 338).

Hinweise auf bäuerliches Leben sind in den Inschriften nicht überliefert. Ein Sühnekreuz (?) von 1489 (Kat.-Nr. 94) berichtet immerhin offenbar von einem Totschlag zwischen zwei Bewohnern einer ländlichen Siedlung.

Der Personenkreis, der zum Aufschwung der Wallfahrt in Maria Langegg beitrug, überschritt die Grenzen sozialer Differenzierung: der eigentliche Initiator war ein aus Tirol eingewanderter Salzburger Pfleger (s. Kat.-Nr. 371) gewesen, die aufgrund des zunehmenden Pilgerstroms notwendigen Baumaßnahmen fanden rasch Unterstützung durch die Äbte und Pröpste der umliegenden Ordensgemeinschaften und als Stifter und Einbringer von Votivgaben traten schließlich Bürgersfrau und Abt nebeneinander (Kat.-Nr. 495, 496†, 511).


Andreas Zajic

Zitierregel:
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems, ges. u. bearb. v. Andreas Zajic
(Die Deutschen Inschriften 72. Band, Wiener Reihe 3. Band, Teil 3) Wien 2008, 3. Der Personenkreis und seine soziale Gliederung,
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