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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich

Politischer Bezirk Krems

5. Die Schriftformen149

5.1. Romanische und Gotische Majuskel (vgl. die abgebildeten Nachzeichnungen)

Belege Romanischer Majuskel sind im vorliegenden Material dünn gesät und weisen jeweils beträchtliche zeitliche Distanz zueinander auf, Umstände, die den Entwurf einer überblicksweisen Schriftentwicklung kaum erlauben. Zudem sind gerade die ältesten Inschriften hinsichtlich der den jeweils unterschiedlichen Medien entsprechenden Ausführungstechnik kaum vergleichbar.

Die mittels mäßig breitem Pinsel in rotbrauner Farbe aufgemalte Weiheinschrift der ehemaligen Mauterner Margaretenkapelle von 1078 (Kat.-Nr. 1) weist einen rein kapitalen Buchstabenkanon auf, dessen monumentalen Eindruck ein leichtes Schwanken des Duktus, teils unregelmäßige Buchstaben­proportionen und eine stellenweise weniger sorgfältige Spationierung etwas beeinträchtigen. Die von wenigen breiten Einzelformen und den fetten Schatten­linien in ihrem Gesamteindruck bestimmte Inschrift weist eine hohe Zahl an Nexus litterarum auf. Freie Schaft und Bogenenden werden entweder keil- oder spachtelförmig ausgeführt bzw. an Ober- und Unterlinie stumpf abgeschnitten und mit oft feinen, aber breiten Deck- und Abschlußstrichen versehen.

Die geringen Buchstabenreste der Namensbeischrift zu einer Wandmalerei aus dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts (Kat.-Nr. 2) zeigen trotz überwiegend einheitlich fetter Striche Ansätze zu einer Differenzierung: unziales E wird mit kräftiger Bogeninnenschwellung versehen und mit leicht durch­gebogenem Haarstrich geschlossen, die durchgebogene Cauda des offenbar mit A in Nexus litterarum befindlichen R kräftig geschwellt. A ist trapezförmig und weist breite Deck und Basisstriche auf, G zeigt eingerollte Form, T mit breitem Basisstrich hat stark ausgezogene serifenartige Balkenenden.

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A und T auf einer Scheibenkreuzgrabplatte der ersten Hälfte des 13. Jahr­hunderts (Kat.-Nr. 3) sind ziemlich linear ausgeführt, besitzen aber breite, leicht dreieckig ausgeführte Deck- und Basisstriche bzw. Sporen an den Balkenenden.

Die Grabinschrift des Konrad von Praitenloh aus dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts (Kat.-Nr. 4) ist vom kapitalen Kanon der Mauterner Weiheinschrift bereits merklich entfernt und zeigt in der Schriftgestaltung für die Entwicklung hin zur Gotischen Majuskel trotz an sich noch sehr linearer Bildung der Buchstaben produktive Merkmale wie etwa eine durch kräftige dreieckige Sporen bzw. ansatzweise gegabelte Schaftenden angedeutete optische Ein­schnürung der Schaftmitten. Dem konservativen trapezförmigen A mit beider­seits weit überstehenden Deckstrich, den kapitalen N, T und V stehen das mittels geradem Strich geschlossene unziale E mit angedeuteter Bogenschwellung (diese auch an P zu beobachten) und unziales H mit stark geschwungenem und leicht einwärts gekrümmten Bogen sowie C mit beginnender Schließung der Bogenlinie durch weit ausgezogene Sporen gegenüber.

Der als Beischrift zu einer Wandmalerei desselben Zeitraums ausgeführte Heiligenname (Kat.-Nr. 5) bedeutet einen weiteren Entwicklungsschritt, den schwungvoller Auftrag und ausgeprägte Flächigkeit des Pinselstrichs begünstigen. Fast alle Buchstaben zeigen nun kräftige Bogenschwellungen und Schaft­verstärkungen, freie Schaft- und Bogenenden werden mit leicht durch­gebogenen, breiten Haarstrichen besetzt, nur S weist kräftige dreieckige Serifen auf. C ist mit leicht durchgebogenem Haarstrich geschlossen, der Haarstrich am Balken von L zieht dagegen noch nicht gegen die Buchstabenmitte. A erscheint hier erstmals in pseudounzialer Form mit mächtiger Bogenschwellung des linken Schräg­schafts und zeigt einen mit Bogenschwellung versehenen beidseitig überstehenden Deckbalken.

Der Schrifttyp der aufgemalten Evangelistennamen auf den Schlußsteinen im Langhaus der ehemaligen Imbacher Klosterkirche (Ende 13. Jahrhundert, Kat.-Nr. 6) ist erstmals als Gotische Majuskel anzusprechen. Alle Buchstaben besitzen durchwegs relativ fette Bogenschwellungen, A begegnet in pseudounzialer Ausprägung mit annähernd senkrecht gestelltem linken Schrägschaft. Während unziales M links geschlossen ist, weist S zwar fette und andeutungs­weise gegabelte Sporen, jedoch keine Tendenz zur Schließung der Bögen auf. Die wohl ebenfalls an das Jahrhundertende zu setzende, mit breitem Pinsel rasch ausgeführte Namensinschrift eines Priesters Johannes (Kat.-Nr. 7) ist wenig stilisiert und in manchen Einzelformen recht konservativ, aber aufgrund der Doppelformen für A und des ersten Belegs für unziales D bemerkenswert.

Eine vermutlich um 1300 ausgeführte Grabinschrift in Stein (Kat.-Nr. 8) zeigt sich dagegen in der überwiegend linearen Ausführung noch eher den Gestaltungsprinzipien und mit den fast ausschließlich kapitalen Formen dem Kanon der späten Romanischen Majuskel von Kat.-Nr. 4 verhaftet. Ein schriftgestalterisches Detail bei R unterstreicht angesichts niederöster­reichischen Vergleichsmaterials ebenfalls eher konservative Tendenzen.

Für die weitere Entwicklung der Gotischen Majuskel in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ist an der Mehrzahl des Materials die Verschiebung der Buchstaben­proportionen von überwiegend eher quadratischen hin zu tendenziell hochrechteckigen Grundformen einschreibbaren Buchstaben zu konstatieren. Bogenschwellungen werden bei häufig gerader Innenkontur verstärkt und die Schließung von offenen Buchstaben­bestandteilen mit zunächst meist feinen Haarstrichen oder durch Verlängerung und Einrollen von freien Bogenenden fortgesetzt, besonders oft findet sich so etwa rundes, rechts fast vollständig geschlossenes T. Regelmäßig werden variantenreiche Doppel­formen („runde“ bzw. unziale und „eckige“ bzw. kapitale Ausprägungen) mehrerer Buchstaben eingesetzt. Vor allem, aber nicht nur bei gemalten Inschriften äußert sich das Bemühen um dekorative Zierelemente mitunter in der Ausführung kräftiger (Halb-)Nodi in halber Höhe des Schriftbands bzw. von Zierpunkten an den Scheiteln der Bogeninnen­kontur (vgl. etwa Kat.-Nr. 14 und 22) oder im Einstellen von senkrechten bzw. die Bogenlinie begleitenden Haarstrichen in den Buchstabenbinnenraum. Freie Schaft-, Balken- und Bogenenden werden keilförmig verbreitert oder mit Dreiecken versehen, vereinzelt auch ansatzweise gegabelt, bzw. als Haarstriche ausgeführt und am Ende tropfenförmig verbreitert. Überstehende feine Schlußstriche (etwa an C und E) werden gegen die Jahrhundertmitte zu oft eingerollt, teilweise auch mit kleinen angesetzten Dreiecken versehen. Nach der Mitte des 14. Jahrhunderts werden keine neuen Wege der Schriftgestaltung in Gotischer Majuskel mehr beschritten. Zwei offenbar aus derselben Werkstatt stammende Grabplatten (Kat.-Nr. 27 und 28) zeigen eine charakteristische spitze oder dreieckige Außenkontur der Bogenschwellung (v. a. an C und E).

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Der Übergang zur Gotischen Minuskel als alleiniger Schrift für die Haupttexte eines Inschriftenträgers erfolgt übergangslos um 1370/80. An der Schwelle des Umbruchs stehen die Grabplatten des Priesters Engelhard von 1363 und des Göttweiger Abtes Ulrich Totzenbacher von 1370 (Kat.-Nr. 27 und 28), bei denen einerseits innerhalb der Umschrift in Gotischer Majuskel eine wenig auffällige verkleinert hochgestellte gekürzte Kasusendung im Rahmen der Jahresangabe in Gotischer Minuskel bzw. andererseits die Umschrift mit dem Sterbevermerk noch in Gotischer Majuskel, der Geschlechtsname des Verstorbenen auf dem Spruchband über dem Kopf der Figur als unepigraphischem und genuin buchschriftlichem Schriftträger jedoch schon in Gotischer Minuskel ausgeführt sind.

In einzelnen Anwendungsbereichen lebt die Gotische Majuskel jedoch auch noch in der Frühen Neuzeit weiter. Der Kreuzestitulus einer ansonsten in Gotischer Minuskel beschrifteten Glocke von 1504 (Kat.-Nr. 132) ist in dieser Schriftart gestaltet, eine große Glocke von 1515 (Kat.-Nr. 153) gibt zwei längere Texte in Gotischer Majuskel wieder. Noch eine Tischglocke von 1544 (Kat.-Nr. 220†) kombinierte Frühhumanistische Kapitalis und eine allerdings durch sehr lineare Ausführung trotz Perlsporen als Zierelemente leblos und starr wirkende Gotische Majuskel für zwei unabhängige Texte.

5.2. Gotische Minuskel (vgl. die abgebildeten Nachzeichnungen)

Von den Erstbelegen in sehr spezifischen Anwendungszusammenhängen von 1363 und 1370 (Kat.-Nr. 27 und 28, s. auch oben) bzw. dem ersten Einsatz für einen längeren Text, die Grabinschrift des Peter Echinger von 1381 (Kat.-Nr. 30), an stellt die Gotische Minuskel für etwa eineinhalb Jahrhunderte die einzige quantitativ relevante epigraphische Schriftart des bearbeiteten Bestands dar.

Eine konsequente Entwicklung innerhalb dieses Zeitraums nachzuzeichnen fällt schwer. Die jeweilige Ausformung des Grundkanons scheint weniger von wechselnden Moden der Schriftgestaltung abhängig als vielmehr dem Vermögen der Ausführenden geschuldet, die im Grunde feststehenden Stilisierungsprinzipien der vorbildhaften buchschriftlichen Textura höchsten Anspruchs konsequent und mit entsprechendem epigraphisch-kalligraphischem Niveau umzusetzen. Immerhin lassen sich gewisse grobe Tendenzen, die an der Mehrzahl des Materials abzulesen sind, wie folgt zusammenfassen.

Vom letzten Viertel des 14. bis etwa ins erste Viertel des 15. Jahrhunderts sind Inschriften in Gotischer Minuskel überwiegend relativ breit proportioniert und eher locker gesetzt. Der Abstand zwischen zwei nebeneinanderstehenden Schäften ist in der Regel deutlich größer als die Schaftstärke bemessen. Die Höhenausdehnung der Gemeinen ist tendenziell oder vollständig auf das Mittelband beschränkt, wodurch bei jenen Buchstaben, die Unterlängen besitzen, die eigentlich im Mittelband des Vierlinienschemas stehenden Bestandteile auf die oberen zwei Drittel desselben reduziert werden müssen (vgl. besonders g und p in Kat.-Nr. 30), auch der Balken von f und t kann aus diesem Grund gegen die Mittellinie zu nach unten rutschen. Die Hervorhebung des Mittelbands wird auch durch eine meist sehr geringe Zahl an Versalien – mitunter nur das der Gotischen Majuskel entnommene A eines einleitenden Anno domini – gefördert. Über das breite Formenrepertoire bei der Gestaltung der Versalien zu Inschriften in Gotischer Minuskel geben die Nachzeichnungen besseren Aufschluß als eine verbale Beschreibung.

Vereinzelt bevorzugen Inschriften dieses Zeitabschnitts und bis etwa zur Mitte des 15. Jahrhunderts v gegenüber u auch im Wortinneren und für den vokalischen Lautwert. Haarzierstriche etwa am oberen Bogen des a, an e, am Balken von t und dem Bogen des r sind mit Ausnahme gemalter Inschriften eher selten, i wird kaum mit Punkt oder Quadrangel über dem Schaft markiert. Bogenverbindungen (etwa bei p͜p, d͜e u. a.) sind häufiger als in späteren Inschriften zu beobachten.

Zu Beobachtungen über mutmaßliche Werkstattzusammenhänge einzelner Grabdenkmäler und anderer Inschriftenträger dieses Zeitraums vgl. anhand inschriftenpaläographischer und stilistischer Detailmerkmale ausführlich Kat.-Nr. 40, 41, 43, 44, 46, 49, 55 und 59, wonach offenbar zwei verschiedene Werkstätten – eine davon vielleicht mit Sitz in Göttweig – im Bearbeitungsgebiet besonders produktiv waren.

Ab dem zweiten Drittel und besonders der Mitte des 15. Jahrhunderts lassen sich häufiger Tendenzen erkennen, Schaftstärken und Schaftabstände einander anzunähern, wodurch ein vergleichsweise dichteres, einförmigeres, gitterartiges Schriftbild mit überwiegend schlankeren, schmäleren Proportionen entsteht. Gleichzeitig nützen nun fast immer die Gemeinen Ober- und Unterlängenbereich mehr aus, wodurch etwa der Bogen des g nicht nur das Mittelband durchbricht, sondern im Unterlängenbereich auch nicht selten nach rechts ausholt, die Zahl der zunehmend komplizierter aufgebauten und zierlicheren Versalien wird größer und tritt ebenso wie die reichere Verwendung von oft tropfenförmig auslaufenden Haarzierstrichen einem monotoner werdenden Schriftcharakter entgegen.

Zu den Arbeiten einer um die Mitte des 15. Jahrhunderts vor allem in Oberösterreich außerordentlich produktiven Werkstatt gehören im Bearbeitungsgebiet die Grabplatte des Hans Sulzperger (Kat.-Nr. 63) und die Wappengrabplatte des Hans (VI.) und der Anna von Neidegg (Kat.-Nr. 80). Die dort angedeuteten gestalterischen Charakteristika der Wappendarstellungen (wobei die Konturen des vertieften Wappenfelds oft in unregelmäßigem Verlauf dem Umriß des Vollwappens folgen) bzw. weit überwiegend übereinstimmende Schriftformen einschließlich der charakteristischen Versalien (A, E, G, H, O, S u. a.) zeigen neben zahlreichen anderen u. a. die Wappengrabplatte des Wolfgang und der Elisabeth von Ahaim (1450) in der Pfk. Alkoven150, die beschädigte Wappengrabplatte eines Angehörigen der Jörger (um 1450) an der Pfk. St. Georgen bei Grieskirchen, die Wappengrabplatten der Marichstain in der Pfk. Lorch und des Hans Hohenfelder von Aistersheim in der Pfk. Aistersheim (beide um 1450), die Wappengrabplatte des Jörg Perkheimer (um 1450) in der Fk. Schöndorf, zwei Fragmente der Priestergrabplatten des Lambert Werktag (gest. 1456) und des NN . (gest. 1454) bzw. das Fragment der Wappengrabplatte des Stephan Hutstock, seiner Frauen Elisabeth und Katharina und eines Sohnes Andreas in der Pfk. Lorch, die Wappengrabplatten des Kaspar Albrechtsheimer (gest. 1457) in Waldkirchen am Wesen und des Valentin Perkhaimer (gest. 1457) in der Heiligkreuzkirche in Burghausen151, die Wappengrabplatten des Ennser Stadtrichters Matthäus Seidenschwanz (gest. 1458) im Museum Lauriacum Enns152 und des Kaspar und des Balthasar Schallenberger (1457) in der Pfk. Niederwaldkirchen153. Alle Charakteristika der genannten Arbeiten dieser Werkstatt zeigen die Wappengrabplatten des Friedrich Egker (gest. 1388) an der Eferdinger Stadtpfarrkirche und der Elisabeth von Starhemberg (gest. 1418) in der Pfk. Hellmonsödt, die demnach erst in den 1440er oder 1450er Jahren entstanden sein dürften154. Auch die jüngeren Wappengrabplatten des Pankraz Cziner (gest. 1460) in der Klosterkirche Engelszell, des Ulrich Prandstetter (gest. 1461) in der Pfk. Pischelsdorf am Engelbach und des Erasmus und des Ulrich U(e)tzinger (1464) in der Nord- bzw. Heiliggrab- oder Grundemannkapelle in Wilhering weisen ebenso wie die undatierte Wappengrabplatte für die Mühlwanger in der Pfk. Altmünster noch alle charakteristischen Merkmale der Werkstatt auf155. Übereinstimmende Schriftformen zeigen die Grabplatte des Ulrich Seidenschwanz (gest. 1444) und die fragmentierte Grabplatte der Elisabeth Choian (gest. 1449) in der Pfk. Lorch, die Priestergrabplatte des Hermann Poll (um 1450) in der Klosterkirche Pulgarn156, die Wappengrabplatte der Tattenbacher (um 1450) im Kreuzgang von Raitenhaslach157, die Wappengrabplatte der Elisabeth Stetheimer (gest. 1453) in der Pfk. Arbing, die Priestergrabplatte des Pfarrers Markward (gest. 1454) in der ehem. Pfarr-, jetzt Friedhofskirche Puchenau, die Wappengrabplatte des Simon Rieder von Scharfenfeld (gest. 1454) in Baumgartenberg158, die beschädigte Wappengrabplatte des Martin Steinberger (um 1450) aus der Pfk. Pergkirchen, heute in der Schloßkapelle Auhof, und die stark abgetretene Grabplatte des Thomas Leroch in der Klosterkirche Lambach159. Ebenfalls zu dieser Gruppe gehört angesichts der Charakteristika der Wappengestaltung die stark abgetretene Grabplatte eines Angehörigen der Stetheimer an der Eferdinger Stadtpfk. Eine teilweise unter einem Altarsockel verborgene Wappengrabplatte in Baumgartenberg trägt die für einen späteren Nachtrag vorgesehene unvollständige Jahresangabe 1430, muß jedoch nach dem zeitlichen Ansatz der oben genannten Denkmäler später entstanden sein.

Eine Gruppe von drei weitgehend einheitlich gestalteten Priestergrabplatten aus der Mitte des 15. Jahrhunderts in Stift Ardagger, die Denkmäler des Kanonikers Peter von Steinakirchen (M. 15. Jh.), des Pfarrers von Behamberg, Paul Weiß (gest. 1452), und des Dekans von Ardagger und Pfarrers von Wartberg, Thomas Strabhofer (gest. 1453), weist auch in der Schriftgestaltung ebenso wie die am selben Standort befindliche Wappengrabplatte des Thomas und der Martha Erhart (1457) verbindende Merkmale auf, die denen der genannten Arbeiten entsprechen160. Die Grabplatte des Eferdinger Priesters Stephan Kropf (gest. 1450)161 zeigt in der Inschrift zwar lediglich den einleitenden Versal R mit Zackenleiste, das auf dem Wappenschild unterhalb des Kelchs dargestellte S in Gotischer Majuskel entspricht aber in der stark linksschräg geneigten Längsachse des Buchstabens eindeutig der signifikanten Usance der Werkstatt.

Die Priestergrabplatte des Eferdinger Pfarrers Ulrich Deinsdorfer (gest. 1465)162 benützt unverkennbar die gewohnten Grundformen der Versalien A, G und H, an deren spezifischer Ausprägung aber bereits kleine Veränderungen abzulesen sind. Konservativer sind dagegen die Inschriften der Wappengrabplatten des Raitenhaslacher Klosterrichters Erasmus Wiels von Rainding (gest. 1466) im Kreuzgang von Raitenhaslach163 und des Kirchberger Vikars Stephan Loser (um 1460) in Mining. Einzelne deutlich spätere Denkmäler wie die Wappengrabplatten des Jörg (d. Ä.) von Seisenegg (1470?) in Baumgartenberg164, des Stephan Handschuster (gest. 1471) in der Pfk. Stein165 und des Wolfgang Chlötzl (gest. 1478) in der Stadtpfk. Braunau a. I. zeigen in der Gestaltung des Wappenfelds noch spürbare Anklänge an die Usancen der älteren Werkstatt.

Die bislang einzigen dem Verfasser bekannten figürlichen Grabplatten aus dieser Werkstatt sind das Denkmal der Zaunrüd im Raitenhaslacher Kreuzgang (um 1450)166 und die stark abgetretene Grabplatte des Abtes Stephan von Dornach (gest. 1454) in Baumgartenberg mit der graphisch- linear eingehauenen Figur des Verstorbenen in Pontifikalgewändern167. Die jeweiligen Umschriften weisen in ihren Schriftformen sämtliche Merkmale der vorgenannten Steine auf. Ob die figürliche Tumbendeckplatte vom Memoriengrab des Otto von Machland in Baumgartenberg168 angesichts mehrerer Parallelen in der Schriftgestaltung möglicherweise ebenfalls aus demselben Werkstattverband stammt, ist noch zu klären.

Auffällig ist der etwa die Hälfte ausmachende Anteil an Denkmälern dieser Werkstatt, die entgegen dem ansonsten noch überwiegenden Usus der Jahrhundertmitte eine zeilenweise Beschriftung aufweisen. Nicht selten finden sich unterhalb eines größeren Vollwappens zwei oder mehr kleinere, oft aneinandergelehnte Beiwappen. Beiwappen, Bilddevisen von Ritterorden und Spruchbänder füllen mitunter auch die Zwickel am Oberrand eines Wappenfelds aus. Eine Gruppe von vier fragmentierten Grabplatten und einer Wappengrabplatte aus Eferding (Stephan Schuthauptl und Ehefrauen, 1460, Erhard Schneider, 1460, Hans Prantner und Ursula Paidler)169 zeigt nicht nur untereinander klare Übereinstimmungen im inschriftlichen Formenbestand, sondern auch deutliche Nähe zu den Schriftformen der beschriebenen Werkstätte. Auffällig ist jedoch das von allen vorgenannten Steinen (Rotmarmor) abweichende Material, hier ein offenbar lokal gewonnenes grobkörniges und relativ stark sandendes Gestein.

149 Die Benennung der Schriftarten entspricht der in den Bänden der DI übereinstimmend angewendeten Terminologie; vgl. auch Deutsche Inschriften passim.
150 Vgl. in Zukunft den von Roland Forster für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften des PB Eferding.
151 S. Dorner, Inschriften 1, 25f. (Kat.-Nr. 17) und 171 (Abb. 11).
152 S. Koppensteiner, Grabdenkmale 93 (Nr. 2).
153 S. Dehio Mühlviertel 513 und vgl. in Zukunft den von Rainer Schraml für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften der PB Rohrbach und Urfahr-Umgebung.
154 Vgl. in Zukunft die von Roland Forster bzw. Rainer Schraml für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Bände mit den Inschriften des PB Eferding bzw. der PB Rohrbach und Urfahr-Umgebung.
155 S. Schraml, Stift 5, 21f. und 42 (Bild 12), Dehio Mühlviertel 626 und vgl. in Zukunft den von Rainer Schraml für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften der PB Rohrbach und Urfahr-Umgebung.
156 Vgl. in Zukunft den von Rainer Schraml für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften der PB Rohrbach und Urfahr-Umgebung.
157 S. Dorner, Inschriften 2, 44f. (Kat.-Nr. 56) und 164 (Abb. 30).
158 S. Dehio Mühlviertel 88.
159 S. Dehio Mühlviertel 36 und 588 und vgl. in Zukunft den von Rainer Schraml für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften der PB Rohrbach und Urfahr-Umgebung.
160 S. DI 10, Kat.-Nr. 17–20.
161 Vgl. in Zukunft den von Roland Forster für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften des PB Eferding.
162 Vgl. in Zukunft den von Roland Forster für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften des PB Eferding.
163 S. Dorner, Inschriften 2, 33f. (Kat.-Nr. 39) und 154 (Abb. 19).
164 S. Dehio Mühlviertel 88.
165 Vgl. in Zukunft den vom Bearbeiter vorbereiteten Band mit den Inschriften der Statutarstadt Krems a. d. Donau.
166 S. Dorner, Inschriften 2, 43 (Kat.-Nr. 54) und 162 (Abb. 28).
167 S. Dehio Mühlviertel 88 (fälschlich 1451).
168 S. Mühlviertel Kat.-Nr. 11.02 (Siegfried Haider; Abb.) und Dehio Mühlviertel 88.
169 Vgl. in Zukunft den von Roland Forster für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften des PB Eferding.

Auch die Gruftplatte (?) des Albrecht Puschinger (Kat.-Nr. 67) und die Wappengrabplatten Christophs (d. J.) von Hohenfeld (Kat.-Nr. 97) und des Achaz Vindinger (Kat.-Nr. 145) konnten jeweils aufgrund ihrer Schrift- und Wappenformen in einen größeren Werkstattzusammenhang gestellt werden.

Eine bescheiden stilisierte Gotische Minuskel von 1489 (Kat.-Nr. 94) ahmt offenbar eine Bandminuskel nach, die früheste erhaben gearbeitete Inschrift stammt von 1495 und trägt einigen schriftgestalterischen Anspruch vor (Kat.-Nr. 99). Da aus technischen Gründen bei erhaben ausgeführten Inschriften die Schaftstärken üblicherweise größer bemessen sind als bei eingehauenen, rücken die Quadrangeln benachbarter Schaftenden so eng zusammen, daß sie eine besonders an der Basislinie auffallende, durchlaufende sägezahnartige Linie ausbilden (vgl. auch Kat.-Nr. 181).

Um bzw. nach 1500 werden die zuletzt referierten grundlegenden Gestaltungsprinzipien bei allerdings wieder etwas breiteren Buchstabenproportionen und weniger gedrängter Spationierung meist weitergeführt, als zusätzliche Ziermöglichkeiten wird die Einkerbung und Gabelung freier Schaftenden und das Einrollen von Haarzierstrichen öfter angewendet (vgl. etwa Kat.-Nr. 105). Noch deutlicher als früher überwiegt bei Betrachtung der Einzelformen nun ein a, bei dem der obere gebrochene Bogen gegenüber dem unteren stark verkleinert ist, Kasten-a bleibt zwar selten, der Anteil der Belege am Gesamtbestand nimmt jedoch zu. Bogenverbindungen sind mittlerweile praktisch völlig verschwunden. Die große Mehrzahl der Versalien ist nun vorbildhaften Gestaltungen buchschriftlicher Anwendungs­gebiete (Cadellen) entlehnt, vergrößerte Minuskelformen oder Buchstaben der Gotischen Majuskel treten nicht völlig, aber weitgehend in den Hintergrund, soferne sie nicht mit Haarzierlinien entsprechend adaptiert werden. Neu treten jedoch Buchstaben aus dem Kapitalis-Alphabet in geringer Zahl als Versalien hinzu.

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Die Tätigkeit spezialisierter und für den überregionalen Bedarf produzierender leistungsfähiger Werkstätten läßt sich durch Kombination stilistischer und inschriftenpaläo­graphischer Merkmale besonders für die rotmarmornen Grabplatten des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts mehrfach nachweisen (vgl. etwa Kat.-Nr. 128 und 145). Unter den spätgotischen Grabdenkmälern des Bearbeitungsgebiets ragt im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts eine Gruppe von mehreren Objekten (Kat.-Nr. 128, 144, 158, 161, 165, 169, 170, 181, 184, 201) heraus, die durch die meist sehr offensichtlichen Parallelen im inschriftlichen Formenbestand, für den u. a. eine Reihe von „kanonisierten“ Versalien (s. die umseitigen Nachzeichnungen) kennzeichnend ist, und analoge Gestaltungsmerkmale im Bereich der Vollwappen bzw. der Figurenzeichnung und ornamentaler Details als Arbeiten einer gemeinsamen, überaus produktiven Werkstatt erscheinen. Arbeiten dieses Betriebs finden sich nach dem derzeitigen Kenntnisstand in weiten Teilen Niederösterreichs, vor allem aber in Oberösterreich. Karl Friedrich Leonhardt, der den Leiter der Werkstatt mit dem angeblichen Burghausener Steinmetzen bzw. Bildhauer Sigmund Rueder identifizierte, erschloß den Namen des Künstlers jedoch anhand eines Grabdenkmals im Bearbeitungsgebiet, nämlich der figürlichen Grabplatte des Fr. Viktor Lauser in Spitz (Kat.-Nr. 181), bei der Leonhardt das unmittelbar neben die kleine Figur des Hundes zufüßen des dargestellten Geistlichen gesetzte fec(it) als „chiffrierte“ Künstlersignatur Rueders (Rüde!) deutete. Aus stilistischen Analogien zu diesem niederösterreichischen Denkmal entwickelte Leonhardt dann eine Reihe von Denkmälern170, die er Rueder zuzuschreiben können glaubte und schlug vor, in Rueder einen ehemaligen Gesellen der Burghausener Werkstatt Franz Sickingers zu sehen171, was Ähnlichkeiten in der Wappengestaltung der älteren Sickinger- und der jüngeren Rueder-Steine durchaus auch stilistisch nahelegen. Ob der Leiter dieser extrem produktiven Werkstatt tatsächlich Sigmund Rueder hieß, woran sich berechtigte Zweifel knüpfen, ist unerheblich. Seine Name wird hier in der Folge, da in der Literatur eingeführt, vorerst benützt, jedoch lediglich unter Anführungszeichen und im Bewußtsein, daß es sich um nicht wesentlich mehr als einen (durchaus willkürlichen) Notnamen handelt172.

Signifikant für die Kontinuität in der angesprochenen feststehenden Versalienverwendung der „Rueder“-Werkstatt ist die Überlieferung von Zweitformen neben den ganz klar zahlenmäßig überwiegenden „Leitformen“. Neben dem „genuinen“ Versal A mit zwei Schrägbalken findet sich etwa ebenso nur wenig variiert ein aus der Verfremdung des Gotischen Minuskel-a geschaffener Versal. In Österreich lassen sich außerhalb des Bearbeitungsgebiets jeweils anhand der Schriftformen (v. a. der charakteristischen Versalien), signifikanter ornamentaler Details (etwa das Trauben­ornament und der Astwerkbogen), der Wappengestaltung und der Figurenzeichnung – ohne Anspruch auf Vollständig­keit – folgende Denkmäler mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit der „Rueder“-Werkstatt zuweisen: die undatierte Wappengrabplatte des Braunauer Zöllners Ruprecht Tenngkh und seiner Frau Elisabeth an der Stadtpfk. Braunau a. Inn, die Wappengrabplatte des Wolfgang Winter (gest. 1479) in der Pfk. Gmunden, die Priestergrabplatte des Erhard Stettner (gest. 1503) in der Stadtpfk. Braunau a. Inn, die figürliche Grab- (oder Tumbendeck-)Platte des Hans und der Elisabeth von Starhemberg (nach 1494), das Epitaph der Hedwig von Starhemberg (geb. von Rosenberg, gest. 1520) und die figürliche Grabplatte des Bartholomäus und der Magdalena von Starhemberg (vor 1531) an bzw. in der Pfk. Hellmonsödt173, das Epitaph des Blasius Rosenstingl (gest. 1504?) in der ehem. Kloster-, jetzt Pfk. Ranshofen, das Epitaph des Vikars Gregor Reiter (gest. 1519) in der Pfk. Ried i. Innkreis, die mit dem Relief eines Transi gestalteten Tumbendeckplatten des Bernhard von Polheim (gest. 1504) in der Welser Stadtpfk.174 bzw. des Bernhard von Scherffenberg (gest. 1513) in der Pfk. Lorch175, das ebenfalls mit Relief eines Transi (und einer Kreuzigungsgruppe) gestaltete epitaphartige Denkmal des Benefiziaten Johannes Gletvischer in der Pfk. Lorch (um 1521?) und die fragmentierte Wappengrabplatte der Barbara Reitwalder (gest. 1526) im Museum Lauriacum Enns176, die Wappen­grabplatte des Kanonikers Johannes Vreisenschnech (Vreisenschuech?, gest. 1508) an bzw. in der ehem. Kollegiatstifts-, jetzt Pfk. Mattighofen177, die zentrale Relieftafel eines wohl ursprünglich gerahmten und mit Sterbeinschriften des unterhalb einer Dornenkrönung dargestellten anonymen Stifterehepaars versehenen Epitaphs aus Braunau (?) im Hof des Linzer Schloßmuseums (1510)178, das undatierte Epitaph des Schneiders Jörg Pärt (?) in der Pfk. Uttendorf, das Epitaph des Ulrich Kainacher und seiner beiden Frauen Barbara und Walpurga (1518) in der Liebfrauenkirche in Freistadt179 und die unter Verwendung des oben genannten Bildvorwurfs (Kreuzigungsgruppe und liegender Transi) gestalteten Epitaphien des Abtes Heinrich (II.) Kern in Baumgartenberg (1528) und des Benefiziaten Wolfgang Kreuzer in der Pfk. Münzbach180, die Wappengrabplatte des Christoph und der Magdalena Greisenecker (nach 1519) in der Nord- bzw. Heiliggrab- oder Grundemannkapelle in Wilhering und die Wappengrabplatten des Christoph und der Apollonia Steinpeck (1505) bzw. der Margarete Kirchberger (gest. 1509) sowie die figürliche Grabplatte des Sebastian Kirchberger (gest. 1511) im Kreuzgang von Wilhering181, die Wappengrabplatte des Ulrich und der Barbara von Pessnitz (1521) in der Pfk. Aspach und die Wappengrabplatte des Hans und der Amalia Eggenfelder (vor 1532) in der Pfk. Mauthausen, die figürliche Grabplatte des Gregor von Starhemberg (gest. 1522) und eine wohl etwa gleichzeitige Gruftplatte mit Relief eines Transi sowie die ursprünglich in der unmittelbaren Umgebung aufgestellten gleichzeitigen Kreuzwegtafeln in der Fk. Steinbruch182, die Wappengrabplatte des Wolfgang und der Apollonia Spiegel (gest. 1512) in der Pfk. Traismauer, der epitaphartige „Pestgedenkstein“ des Pfarrers Johannes Hertting am Pfarrhof Hartkirchen (zwischen 1522 und 1527)183, die Wappengrabplatte der Margarete Aspan zu Lichtenhag (vor 1519), die Priestergrabplatte des Gregor Zändl (gest. 1519), die Wappengrabplatte der Ehrentraud Tegernseer, geb. Dörfl (gest. 1521) und ein Relief Anna Selbdritt des Sebastian Reintaler (undat.) an bzw. in der Stadtpfk. Eferding184, die Wappengrabplatte des Stephan und der Magdalena Peck (gest. 1521) in der Pfk. Grieskirchen, die Priestergrabplatte des Kooperators Martin Veldpacher in Pischelsdorf a. Engelbach (gest. 1521), die Teile von der Tumba des Wolfgang und der Johanna von Polheim (gest. 1509 bzw. 1512) in der Pfk. Oberthalheim, die figürliche Grabplatte der Vorster zu Hehenberg von 1519 in der Pfk. Vöcklamarkt, die figürlichen Grabplatten des Andreas (Krabat) von Lappitz (vor 1506) an der Stadtpfarrkirche Amstetten, des Wolfgang Meilersdorfer (um 1500?) in der Pfk. Wolfsbach und des Dekans Anton Engeygl (vor 1511) in der ehem. Kollegiatstifts-, jetzt Pfarrkirche Ardagger, die Wappengrabplatte des Chorherren Hans Rambperger (vor 1534) am selben Standort, das Epitaph der Schrott von Streitwiesen (1523) in der Pfk. Wieselburg185, die figürlichen Grabplatten des Pfarrers Paul Hackl (vor 1519) in der Pfk. Gottsdorf186, des Schönauer Pfarrers Johannes Lichtenberger (1528?) in der Pfk. Münzbach und des Vikars Hans Grünwald (gest. 1510) in St. Laurenz bei Altheim, das Epitaph des Benefiziaten Peter Engelberger (vor 1532) in der Pfk. Aspach und die Priestergrabplatte des Benefiziaten Wolfgang Fabri in der Pfk. Ried i. Innkreis (vor 1536). In der Klosterkirche Frauenchiemsee befindet sich mit der Wappengrabplatte der Dechantin Ursula Hintzenhauser (nach 1500) ein Stein mit den charakteristischen Schriftformen der Werkstatt, dem die Wappengrabplatte der Konventualin Katharina Trauner (gest. 1521) im Klosterkreuzgang verwandt ist187. Das Epitaph des Hans Herzheimer (gest. 1532) in der Klosterkirche188 bietet in den knappen Wappenbeischriften wenig signifikante Vergleichsmöglichkeiten, ähnelt aber in der Gestaltung einer halbfigurigen Maria mit Kind bzw. der des im Gebet knienden gerüsteten Verstorbenen und den Details der Helmdecken dem überwiegenden Teil der Ruederschen Produktion. Den charakteristischen Schnitt der Helmdecken und einzelne der gewohnten Versalien (etwa M) zeigt noch die Wappengrabplatte des Heinrich Wydmann (gest. 1531) auf dem Salzburger St. Petersfriedhof189, einzelne signifikante Versalien und der ältere Figurenstil begegnen auch noch auf den figürlichen Grabplatten des Alexander Schifer von Freiling (gest. 1530) in der Eferdinger Spitalskirche und des Wilboldt (Willibald) von Pirching (gest. 1536) an der Stadtpfk. Eferding190 sowie des Vikars Wolfgang Hochh(...) (gest. 1503) in Pischelsdorf a. Engelbach. Die charakteristischen Versalien der „Rueder“-Werkstatt zeigen die Priestergrabplatte des Stephan Aunpacher (gest. 1521), das Fragment der Grabplatte des Balthasar Winzerer (gest. 1521) und die Grabplatte der Margarete Hertting (gest. 1499) in der Stadtpfk. Eferding191. Die Inschrift des Grabplattenfragments der Kunigunde Moshamer und der Margarete Span in der Fk. Altenburg ist aus dem typischen Formenkanon der Werkstatt zusammengesetzt192.

Die figürliche Grabplatte (vor 1522) des Priesters Ambros Mittermayr in Annaberg193 trägt in der Gestaltung der Figur die typischen Züge eines Teils der Grabdenkmäler der „Rueder“-Werkstatt, die Schriftformen zeigen jedoch fast keine Berührungspunkte. Starke Anklänge an die Mehrzahl der Wappengrabplatten der „Rueder“-Werkstatt zeigt die Wappengrabplatte des Georg Aspan zu Haag (vor 1515) in Annaberg194 in der Gestaltung des Wappenfelds, die Schriftformen weisen jedoch eine größere Distanz auf. Dagegen erinnern die Schriftformen der Wappengrabplatte des Wolfgang Mauerkircher (gest. 1511) in der Stadtpfk. Braunau a. I. und die der Wappengrabplatte des Wolfgang von Elriching (gest. 1521) in Mining stark an die der „Rueder“-Werkstatt, während die Gestaltung des Wappenfelds keine engeren Parallelen zeigt. Die in derselben Kirche angebrachte figürliche Grabplatte des Wolfgang von Elriching entspricht dagegen auch in der Figurenzeichnung dem gewohnten Kanon. Die Schriftformen, besonders mehrere Versalienformen, aber auch Merkmale der Helmdecke der Vollwappen bzw. der Figurenzeichnung der qualitätvollen Epitaphien des Wolfgang Pischelsdorfer (gest. 1520) in Braunau, des Kanonikers Thomas Obeneiner (vor 1512) in der ehem. Kollegiatkirche Mattighofen bzw. des Wolfgang Tenk (gest. 1507) an der Stadtpfk. Braunau a. Inn, des epitaphartigen Denkmals des Höglwörther Propstes Christoph von Trenbach (vor 1522), der Wappengrabplatten des Tittmoninger Pfarrers Wiguleius Fürst (nach 1520), des Nonnberger Kaplans Leonhard Nagwein (gest. 1526) und der Äbtissin Ursula Trauner (gest. 1539) sowie der figürlichen Grabplatte der Äbtissin N. Pfeffinger (gest. 1517) am Salzburger Nonnberg verweisen auf die „Rueder“-Werkstatt, ohne jedoch alle gestalterischen Merkmale des weit überwiegenden Teils der Denkmäler aufzuweisen.

In den Schriftformen der Grabbezeugung, einer Gotischen Minuskel samt charakteristischer Gestaltung der „kanonisierten“ Versalien, verweist das qualitätvolle, ungewöhnlich viele Versatzstücke von Renaissance-Ornamentik aufnehmende, sekundär (?) polychromierte Rotmarmor-Epitaph des Pfarrvikars Wolfgang Mairhofer in der Pfk. Hohenzell (vor 1533?) ebenfalls eindeutig auf die „Rueder“-Werkstatt. Die oberen zwei Drittel der Platte nimmt jedoch eine in den vorgenannten „Rueder“-Arbeiten beispiellose, sehr plastisch ausgeführte Darstellung des vor einer thronenden Madonna mit Kind knienden Verstorbenen ein, die in eine von Pilastern mit Akanthusdekor an den Kapitellen aufgespannte Rundbogennische mit Muschelsegmentbogen eingestellt ist. Die mit vegetabilem Ornament gefüllten Zwickel zeigen links einen Wappenschild mit dem verschränkten Monogramm des Verstorbenen, rechts ein Buch. Der Rundbogen über der Madonna weist die Fürbittheische MARIA VIRGO VIRGINVM ORA PRO NOBIS in einer bis auf einzelne verfremdete Formen, die der Frühhumanistischen Kapitalis entlehnt sind (A mit senkrecht gestelltem rechten Schägschaft und links überstehendem Deckbalken und N mit Siculus am Schrägschaft), als erhaben gearbeitete Renaissance-Kapitalis, wenn auch mit schmalen Proportionen, anzusprechende Schriftart auf, die ebenfalls ohne Parallele in den sonstigen Arbeiten der Werkstätte bleibt. Die Kapitalis der Wappenbeischriften auf dem Denkmal für Wilbolt (Willibald) von Pirching zeigt dagegen breitere Proportionen und abweichende Einzelformen (etwa R). Ebenfalls aus der „Rueder“-Werkstatt stammt zweifellos das Tympanon der ehem. Klosterkirche Baumgartenberg mit Gedenkinschrift auf Otto von Machland, heute im OÖ Landesmuseum195.

Deutlich seltener finden sich Arbeiten der Werkstatt außerhalb der donauösterreichischen Länder. Immerhin sind in der Steiermark die Wappengrabplatte (bzw. das Epitaph) des Ernst von Trauttmansdorff (gest. 1517) in Trautmannsdorf und ein Kreuzigungsrelief (um 1510) in Gnas sowie das äußerst qualitätvolle figürliche Grabdenkmal des Achaz von Magknitz (gest. 1526) in Metnitz zu nennen. Vereinzelt lassen sich entsprechende Arbeiten auch in Südböhmen nachweisen, wie etwa die vor 1520 entstandene Wappengrabplatte des Kaspar Gobmhapp von Suche (?) im ehem. Dominikanerkloster Budweis.

Gegen Ende des ersten Viertels des 16. Jahrhunderts lassen sich in den Inschriften des Bearbeitungsgebiets vereinzelt Auflösungserscheinungen in Bezug auf die strengen Stilisierungs­merkmale der Gotischen Minuskel feststellen, wie ein Zug zur Durchbiegung von Schäften, zur Umsetzung von Bögen als Schwellzüge und zu einer runderen Auflösung gebrochener Bögen (vgl. Kat.-Nr. 171, 177 und 204). Der Schaft des t ragt nun mitunter deutlich in den Oberlängenbereich, das Setzen von i-Punkten stellt den Normalfall, das von Häkchen über u keine Seltenheit dar.

Den Zeitpunkt, an dem die Gotische Minuskel wenigstens von anspruchsvollen Auftraggebern für konservativ bis veraltet und als jedenfalls einer lateinischen Bildungssprache (pseudo-)humanistischen Zuschnitts nicht mehr adäquat erachtet wurde, markiert das 1532 entstandene Epitaph des Göttweiger Abtes Matthias von Znaim (Kat.-Nr. 204). Der deutschsprachige Sterbevermerk wurde zwar noch in Gotischer Minuskel eingehauen, der versifizierte lateinische Text steht jedoch bereits in Renaissance-Kapitalis. Mit Ausnahme zweier Nachzügler von 1553 und 1559 – vielleicht nicht nur zufällig, sondern in bewußtem schriftgestalterischen Konservativismus die Grabinschriften auf die letzten Angehörigen ihrer adeligen Geschlechter bzw. Familienzweige (Kat.-Nr. 247 und 256) – stellt dieses Denkmal den letzten Beleg der langlebigsten epigraphischen Schriftart des Bestands dar, die ebenso unvermittelt von der inschriftenpaläographischen Bildfläche verschwand, wie sie auf ihr erschienen war.

170 Vgl. auch die richtige Zuordnung mehrerer Denkmäler des Bearbeitungsgebiets zu einer gemeinsamen „Rueder“-Werkstatt bei Adamek, Grabdenkmäler (1968) 19–28, bzw. Dems., Grabdenkmäler (1969) 42–47. Adamek übersah jedoch die übergroße Zahl erhaltener Arbeiten des Betriebs in Oberösterreich und nahm fälschlich an, daß die Werkstatt nach 1520 an Kirchenbauten in der Wachau tätig gewesen sei und die Grabdenkmäler des Gebiets vor Ort angefertigt habe.
171 S. Leonhardt, Grabdenkmäler 90–110.
172 Die Zuschreibung einer richtig zusammengestellten Gruppe von Denkmälern aus der oben skizzierten Werkstatt an einen in Enns urkundlich nachweisbaren und mutmaßlich in der Werkstatt Hans Valkenauers geschulten Steinmetzmeister Andreas Kärling ist ebenso willkürlich und nicht abgesichert, s. Schmidl, Kärling passim.
173 S. Dehio Mühlviertel 285f. und vgl. in Zukunft den von Rainer Schraml für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften der PB Rohrbach und Urfahr-Umgebung.
174 S. Aspernig u. a., Inschriften 52f. (Abb.) und vgl. in Zukunft den von Walter Aspernig für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften der Statutarstadt Wels und des PB Wels.
175 S. Ortmayr, „Allhernach“ 19f. und Schmidl, Kärling 33 und 35 (Abb. 2).
176 S. Koppensteiner, Grabdenkmale 90 (Nr. 40 und 42) und Schmidl, Kärling 33 und 36 (Abb. 4).
177 S. Dehio OÖ 194 (der Oben[e]iner-Stein hier als Arbeit der Burghausener Werkstatt Franz Sickingers gewertet).
178 S. Ulm, Grabsteine 190. Die Tafel, deren kniende männliche Beterfigur allergrößte Ähnlichkeit mit der Figur des Niklas Zallinger (Kat.-Nr. 201) aufweist, trägt kurioserweise auf dem gefältelten Spruchband über den Köpfen des Stifterpaars einen auf den Tag genau datierten Fertigstellungsvermerk: A(nn)o 1510 · an // sant // Apolonia // tag // ist volent dise // figur.
179 S. Dehio Mühlviertel 147 (hier fälschlich Andreas Kärling zugeschrieben) und Schmidl, Kärling 33 und 36 (Abb. 3).
180 S. Ortmayr, „Allhernach“ 18f. (Abb.) Schmidl, Kärling 33 und 38 (Abb. 7 und 8).
181 S. Leonhardt, Grabdenkmäler 90f. (Abb. 57), Schraml, Stift 7, 23, 25 und 43 (Bild 16) sowie Titelbild (Bild 14).
182 S. Dehio Mühlviertel 484 (alle genannten Steine hier dem Umkreis des Andreas Kärling zugeordnet), Aspernig u. a., Inschriften 18f. (Abb.), Schmidl, Kärling 33 und 37 (Abb. 5) und vgl. in Zukunft den von Rainer Schraml für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften der PB Rohrbach und Urfahr-Umgebung.
183 S. Forster, Grabdenkmäler, Kat.-Nr. 14, Aspernig u. a., Inschriften 8f. (Abb.) und vgl. in Zukunft den von Roland Forster für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften des PB Eferding.
184 Vgl. in Zukunft den von Roland Forster für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften des PB Eferding.
185 S. DI 10, Kat.-Nr. 3 (Abb. 4), 25f. (Abb. 11f.), 284 (Abb. 100) und 468 (Abb. 147).
186 S. Zajic, Aeternae Memoriae Sacrum, Kat.-Nr. 54.
187 S. Düll, Grabmalplastik 212 (Abb. 105f.) und 233.
188 S. Düll, Grabmalplastik 222 (Abb. 125) und 240f. mit Verweis auf andere stilistische Bezüge.
189 S. Walz, Grabdenkmäler 3, Nr. 147 (fälschlich Hanns Wydmann).
190 Vgl. in Zukunft den von Roland Forster für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften des PB Eferding.
191 Vgl. in Zukunft den von Roland Forster für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften des PB Eferding.
192 S. Dehio Mühlviertel 973.
193 Vgl. in Zukunft den von Roland Forster für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften des PB Eferding.
194 Vgl. in Zukunft den von Roland Forster für die Deutschen Inschriften vorbereiteten Band mit den Inschriften des PB Eferding
195 Inv.-Nr. 820–1-S 558, vgl. Gotik Schätze Oberösterreich, Kat.-Nr. I/14/18 (Lothar Schultes, Abb.).

5.3. Frühhumanistische Kapitalis und von ihr abgeleitete Majuskelmischschriften
(vgl. die abgebildeten Nachzeichnungen)

Neben einer schlecht datierbaren Verwendung für das Jesugramm auf einer museal aufbewahrten Altarpredella (Kat.-Nr. 109) bietet der Flügelaltar von Maria Laach a. Jauerling aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts (Kat.-Nr. 110) den ersten leidlich gut zeitlich einzuordnenden Beleg für die Frühhumanistische Kapitalis im vorliegenden Bestand. Schon dieses erste Auftauchen weist auf jene „Sonder“-Anwendungsbereiche hin, in denen der offensichtlich als dekorativ, vielleicht aber auch als letztlich artifiziell und unorganisch empfundene Schrifttyp gegen Ende des 15. und im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts als Modeschrift überwiegend zum Einsatz kam: kurze Inschriften auf gewissermaßen peripheren zu beschriftenden Objekten bzw. Schriftfeldern, oft in einem in weiterem Sinn kunsthandwerklichen Kontext und aufgemalt, kaum aber für längere Texte herangezogen und in Stein gehauen.

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Auf dem Maria Laacher Altar tritt sie, vielleicht als Produkt einer Passauer Werkstatt, einerseits auf dem Gewandsaum Christi mit einen stärker linearen Eindruck auf: Haar- und Schattenlinien sind kaum differenziert, freie Schaft-, Balken- und Bogenenden stumpf abgeschnitten. Das verwendete Alphabet ist mit Ausnahme einiger weniger Buchstaben (A mit beidseitig überstehendem Deckbalken, epsilonförmiges E, retrogrades N) und abgesehen von den spärlichen für den Schrifttyp charakteristischen Zierlelementen (etwa der Siculus am Balken von H) jenes der Kapitalis. Deutlicher gehören die schmalen Proportionen und die fast gelängt wirkenden Buchstaben zum Schriftbild der Frühhumanistischen Kapitalis. Andererseits begegnet eine deutlich abweichende Ausprägung auf dem Armausschnitt im Gewand eines Schergen und in den Namensbeischriften der weiblichen Heiligen auf der Predella. Deren Einzelformen sind weniger schmal und zeigen Gestaltungsmerkmale, die den Rahmen reiner Kapitalis sprengen: trapezförmiges A mit beidseitig überstehendem Deck- und teilweise gebrochenem Mittelbalken sowie unziales D. Freie Schaftund Bogenenden sind hier nicht selten dreieckig gestaltet, mitunter eingekerbt, gegabelt oder gespalten.

Die gedrängt angeordneten, sehr dünnstrichigen Buchstaben der Bauinschrift des steinernen Kanzelkorbs vom Ende des 15. Jahrhunderts in Hofarnsdorf (Kat.-Nr. 112) sind fast durchwegs schmal und schlank proportioniert. Freie Schaft-, Balken- und Bogenenden tragen kleine Dreiecke oder erhalten Einkerbungen. A zeigt beiderseits überstehenden Deckstrich und gebrochenen Balken, das unziale D hat ebenso wie O einen moderat spitzovalen Bogen, E ist epsilonförmig. Am Balken von H sitzt ein nach unten geöffneter Siculus, ein nach rechts geöffneter befindet sich in der Schaftmitte von I. Der sehr kleine Bogen des R ist am oberen Berührungspunkt mit dem Schaft etwas eingedrückt, auf der geraden Cauda sitzt unterhalb der Mittellinie ein stachelartiger Sporn.

Gewisse charakteristische Formbildungen Frühhumanistischer Kapitalis, etwa die spitzovale Form des O und der Nodus am Schaft des I waren um 1500 offenbar soweit epigraphisches Gemeingut, daß sie auf die formal entsprechenden Ziffern übertragen werden konnten (Kat.-Nr. 126).

Auf dem Haitzendorfer Epitaph von 1511 steht der Kreuzestitulus in durchaus typischer Frühhumanistischer Kapitalis (Kat.-Nr. 144). Eine Glocke von 1521 (Kat.-Nr. 174) weist die charakteristischen Einzelformen von A mit kräftigem Deckstrich, aus Nodus am Berührungspunkt der beiden Schrägschäfte und nach beiden Seiten ausgehenden kurzen dreieckigen Balken zusammengesetzt, und „byzantinisches“ M auf, Nodi in den Schaftmitten und kräftige Perlsporen an freien Schaftenden ergänzen das Bild. Retrogrades N und schmale, lineare Buchstaben zeigt eine möglicherweise zu 1526 zu datierende kurze an die Wand gemalte Inschrift in Göttweig (Kat.-Nr. 195). Die in Kombination mit Gotischer Majuskel für einen zweiten Text auf einer Tischglocke von 1544 (Kat.-Nr. 220†) angebrachte Inschrift in Frühhumanistischer Kapitalis verwendet A mit beidseitig überstehendem Deck- und gebrochenem Mittelbalken und epsilonförmiges E.

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Elemente der Frühhumanistischen Kapitalis haben bedeutenden Anteil an der aus unterschiedlichen Schrift­traditionen amalgamierten Majuskelmischschrift einer Beckenschlägerschüssel in Göttweig, die wohl am Beginn des 16. Jahrhunderts in Nürnberg hergestellt wurde (Kat.-Nr. 121). Substrat der Frühhumanistischen Kapitalis bildet die wichtigste Zutat einer in zahlreichen Varianten bis etwa in die späten 1540er Jahre und teilweise noch länger im Bearbeitungsgebiet und darüber hinaus im niederöster­reichischen Waldviertel in Verwendung stehenden Majus­kelmischschrift auf im wesentlichen kapitaler Grundlage mit einzelnen markanten und dekorativen oder zahlreicheren, den Gesamteindruck bestimmenden Verfremdungen (vgl. Kat.-Nr. 152, 228 und 274).

Die schlanken Proportionen und einzelne Leitbuch­staben der Frühhumanistischen Kapitalis übernehmen auch die Kapitalis-Inschriften der Kacheln eines aus der Mitte des 16. Jahrhunderts stammenden Objekts (Kat.-Nr. 240).

5.4. Gotico-Antiqua (vgl. die
abgebildeten Nachzeichnungen)

Dieser Schrifttyp ist im Bezirk Krems lediglich durch fünf Inschriftenträger vertreten, für die eine Anfertigung durch auswärtige Kräfte angenommen oder wenigstens nicht ausgeschlossen werden kann. Bezeichnenderweise scheint in vier Fällen mehr oder weniger direkt faßbarer Einfluß aus Passau, offenbar dem eigentlichen Kerngebiet der inschrift­lichen Gotico-Antiqua in Süddeutschland196, vorzuliegen. Der wohl noch gegen Ende des 15. Jahrhunderts mit dem Namen des Bauherren bzw. Besitzers Erhard Kobolt beschriftete Konsolstein vom Erker eines Hauses in der bischöflich-passauischen Stadt Mautern (Kat.-Nr. 113) zeigt eine sehr dünnstrichig ausgeführte Gotico-Antiqua. Reminiszenen an Gotische Minuskel sind vielleicht noch an der Einzelform eines t mit sehr kurzem Schaft feststellbar, Brechungen sind nicht mehr vorhanden. An der Basislinie werden die freien Schaftenden nach rechts, im Oberlängen­bereich nach links umgebogen oder rechtsschräg abgeschnitten. Die Wappengrabplatte des Jörg Heidelberger von Heinrichschlag von 1502 (Kat.-Nr. 127) und die nach 1506 entstandene figürliche Grabplatte seines Brudes Wolfgang (Kat.-Nr. 137) wurden bereits früher als Arbeiten aus der Passauer Werkstatt Jörg Gartners identifiziert. Zur ausführlichen Schriftbeschreibung beider Steine vgl. den Katalog an der zuletzt genannten Stelle.

Die dem von Ramona Epp sogenannten „Derrertyp“197 einer Passauer Werkstatt entsprechende Inschrift auf der Grabplatte des 1540 in Unterloiben verstorbenen und beigesetzten Passauer Bürgers Wolfgang Rothofer (Kat.-Nr. 213) weist im Formenbestand und den Stilisierungs­merkmalen starke Residuen der Gotischen Minuskel auf, die einzelnen für die Gotico-Antiqua charakteristischeren Buchstaben und der allgemeinen Neigung zu spitzovalen Bögen gegenüberstehen. Freie Schaftenden mehrschaftiger Buch­staben werden an der Basislinie stumpf abgeschnitten. Die Gestaltung eines P-Versals verrät zudem Beeinflussung durch zeitgleiche Fraktur.

Die Gotico-Antiqua einer singulären gemalten Weiheinschrift (Kat.-Nr. 184a), wohl aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts, erinnert in Duktus und bestimmten Einzelformen (etwa a) an Traditionen der Gotico-Antiqua des Buchdrucks bzw. an deren mittelbares handschriftliches Vorbild, die italienische Rotunda des mittleren 15. Jahrhunderts.

196 S. allgemein Epp, Minuskel und DI 67, XLV–LI.
197 S. Epp, Minuskel 194f. und DI 67, LI.

5.5. Kapitalis

Nach einem mutmaßlich 1511 mit dem Kreuzestitulus beschrifteten Schlußstein in der Pfarrkirche Engabrunn (Kat.-Nr. 147), zu dem jedoch aufgrund von dessen Anbringungshöhe und wegen einer sekundären Polychromierung keine inschriftenpaläographischen Angaben gemacht werden können, überliefert erst das Epitaph des Göttweiger Abtes Matthias von Znaim von 1532 (Kat.-Nr. 204) den ersten sicheren Nachweis einer (Renaissance-)Kapitalis im Bestand. Die Schrift, von einer Werkstatt ausgeführt, die auf demselben Stein auch eine Gotische Minuskel ansprechender, aber nicht überdurchschnittlicher Qualität angebracht hat, ist bereits bei ihrem ersten Auftreten voll entwickelt und wurde mit zwar gutem Niveau der Schriftgestaltung, aber mangelhaftem Layout ausgeführt. Die Buchstaben sind überwiegend relativ schmal ausgefallen, der Wechsel von Haar- und Schattenstrichen ist bei kräftigem Strich nur schwach ausgeprägt, an freien Schaft-, Balken- und Bogenenden sitzen dreieckige Sporen. Das spitze Zusammentreffen zweier Schrägschäfte bzw. von Schaft und Schrägschaft an Ober- und Basislinie bereitet Schwierigkeiten, sodaß etwa A einen kräftigen dreieeckigen Sporn an der Oberlinie zeigt. B zeigt zwei gleich große Bögen, das schmale C läuft am oberen Bogenende spitz aus, das untere Ende ist mit rechtsschräg abgeschnittenem Sporn versehen, die drei Balken des E sind gleich lang, G hat eine kurze senkrechte Cauda, I einen Dreispitz als i-Punkt. Der Mittelteil des konischen M reicht tendenziell bis zur Basislinie, O hat schmale, teils beinahe spitzovale Form, R und Q haben stachelförmige Cauden, V weist ein redundantes Häkchen als diakritisches Zeichen auf.

Die zeitlich nächste Kapitalis-Inschrift wurde von der Werkstatt des Wiener Bildhauers Konrad Osterer auf dem figürlichen Grabdenkmal des Göttweiger Abtes Bartholomäus Schönleben (Kat.-Nr. 208) 1537 mit hohem Anspruch eingehauen, doch sind Mängel der nicht immer ganz geglückten Spationierung zu konstatieren. Die Einzelformen sind hier überwiegend relativ breit, der Wechsel von Haar- und Schattenstrichen, fast durchwegs unter Betonung der Senkrechten und der Linksschrägen, ist moderat ausgeprägt. Freie Schaft-, Balken- und Bogenenden sind mit meist sorgfältig ausgeführten Serifen versehen. Am Berührungspunkt der beiden Schrägschäfte des A entsteht wieder eine spornartige Abflachung, B zeigt dagegen nun einen erheblich größeren unteren Bogen, oberes und unteres Bogenende von C enden meist auf gleicher Höhe. E besitzt einen verkürzten mittleren Balken, G eine bis zur Mittellinie reichende senkrechte Cauda. Das M folgt dem konischen Typ, wobei der Mittelteil nur etwa ein Drittel der Höhe des Schriftbands ausmacht, die abwechselnd gerade bzw. stachelförmige R-Cauda verläuft steil und nahe am Schaft.

Die Kapitalis setzt sich sehr rasch für Inschriften aller Art sowohl in lateinischer wie in deutscher Sprache ohne erkennbare Schrifthierarchie und ohne erkennbaren Einfluß sozialer Differenzierungen der Auftraggeber (vgl. als erste deutschsprachige Grabinschrift in Kapitalis für adelige Verstorbene Kat.-Nr. 210 von 1539) durch und verdrängt damit schneller als die Fraktur die Gotische Minuskel. Eine kontinuierliche Schriftentwicklung innerhalb des Bestands vermochte der Bearbeiter nicht zu beobachten. Kernpunkt der Bewertung ist die jeweilige Nähe oder Distanz einzelner Inschriften zu den letztlich im Grunde vorbildhaften klassischen Schriftformen und Gestaltungsprinzipien. Wohl läßt sich für die Mehrzahl der Kapitalis-Inschriften des gesamten Katalogs ohne zeitliche Schwerpunkte eine mäßig breite Proportionierung, ein wenig ausgeprägter Wechsel von Haar- und Schattenstrichen (die Schattenachse ungewöhnlicherweise in den Rechtsschrägen bei Kat.-Nr. 352), eine Bevorzugung des B mit ungleich großen Bögen, E mit kürzerem Mittelbalken (seltener auch mit verlängertem unteren Balken, s. etwa Kat.-Nr. 328), G mit senkrechter Cauda (rechtwinkelig geknickt noch häufiger im 16. Jahrhundert, vgl. Kat.-Nr. 218 und 223, seltener im 17. Jahrhundert: Kat.-Nr. 395) und eher gerades als konisches M mit meist nicht ganz bis zur Basislinie reichendem Mittelteil beobachten. Versuche, in Adaption klassischer Vorbilder den Bogen von P (mitunter auch die von B und den von R) nicht ganz bis zum Schaft zu schließen, sind selten (vgl. Kat.-Nr. 288, 299 und 323) und noch seltener geglückt. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts und noch geraume Zeit danach lassen sich noch A mit einoder beidseitig überstehendem Deckstrich und gebrochenem Balken (vgl. etwa Kat.-Nr. 223, 224, 274, 377 und 386) und H mit Siculus oder Nodus am Balken (Kat.-Nr. 252 und 272) feststellen. Bei C werden oberes und unteres Bogenende im 16. Jahrhundert noch häufig auf gleicher Höhe abgeschnitten und mit Serifen oder kleinen Dreiecken versehen, später überwiegt C mit spitz zulaufendem unteren Bogenende. Ein oben offenes D von 1574 bleibt singulär (Kat.-Nr. 283), aus zwei aneinandergeschobenen VV gebildetes W taucht nur einmal auf (vgl. die allerdings in lateinischer Sprache abgefaßte Inschrift in Kat.-Nr. 481), zweistöckiges Z fand in reinen Kapitalisinschriften ebenso nur einmal Verwendung (Kat.-Nr. 289). Freie Schaft-, Balken- und Bogenenden werden im 16. Jahrhundert noch mitunter dreieckig gestaltet, nach 1600 erscheinen fast ausnahmslos Serifen bzw. rechtsschräge Balkensporen. Im 17. Jahrhundert überwiegt auch R mit geschwungener Cauda die Gestaltung mit gerader Cauda noch deutlicher, als dies zuvor zu beobachten war. Stachelförmige Cauden sind nur in überdurchschnittlich gelungenen Inschriften zu finden (vgl. etwa die Glockeninschriften Kat.-Nr. 221 und 382). Das Graphem Y wird in einer Inschrift von 1560 (Kat.-Nr. 257) noch von der Kombination IJ vertreten, über beiden Schäften sitzt je ein Quadrangel als diakritisches Zeichen. Z trägt nach einem Erstbeleg von 1547 (Kat.-Nr. 223) erst nach der Jahrhundertwende häufiger einen meist geschwungenen Mittelbalken. U ist – im Wort JESU – erstmals 1616 belegt (Kat.-Nr. 411), wobei die Verwendung für die Beschriftung eines Buchdeckels in einem Porträt Zweifel am genuin epigraphischen Charakter des Belegs aufkommen läßt. Der nächste Nachweis stammt erst aus dem Jahr 1637 (Kat.-Nr. 478).

Die Vergrößerung von Anfangsbuchstaben ist erstmals 1539 (Kat.-Nr. 210), allerdings ungewöhn­licherweise in den Zeilenzwischenraum nach unten, belegt. Einzelne vergrößerte Anfangsbuchstaben sind in weiterer Folge ab 1551 (Kat.-Nr. 243) zu finden, häufiger werden die Nachweise ansonsten erst nach 1600.

Zu den Kapitalis-Schriftformen der unten im Abschnitt zur Fraktur näher zu besprechenden Kremser Werkstatt des Kilian Fuchs vgl. die Schriftbeschreibung bei Kat.-Nr. 414 und die im folgenden Abschnitt gebotenen Nachzeichnungen.

5.6. Fraktur

Auch die inschriftliche Fraktur erscheint zum Zeitpunkt ihrer ersten Verwendung im Bearbeitungsgebiet bereits fertig ausgebildet. Den möglicherweise frühesten Beleg stellen die erläuternden Beischriften zu einer in Sgraffitotechnik ausgeführten Fassadendekoration aus der Mitte des 16. Jahrhunderts in Langenlois dar (Kat.-Nr. 241). Wiederholte Restaurierungsmaßnahmen haben den originalen Schriftcharakter beeinträchtigt, doch ermöglichen neben den Einzelformen die überwiegend spitzovalen Bögen von b und d und einzelne noch feststellbare Schwellzüge trotz mehrerer stärker gebrochener Buchstaben eine Einordnung der Schrift als Fraktur.

Die erste datierte Frakturinschrift bietet das Epitaph des Wolf Rueber von Pixendorf von 1555 in Grafenegg (Kat.-Nr. 249). Der Einsatz der ausschließlich für deutschsprachige Inschriften verwendeten Fraktur erfolgte damit um etwa zwei Jahrzehnte nach dem der Kapitalis.

Die Bögen von b, d und o werden auf dem Grafenegger Denkmal entweder spitzoval wiedergegeben oder an der Oberlinie einfach gebrochen, wobei bei Verbindungsbögen mehrschaftiger Buchstaben der linke Teil als Anstrich am vorhergehenden Schaft ansetzt. Spitz in den Unterlängenbereich auslaufende Schwellschäfte sind ebenso wie Schwellzüge deutlich ausgeprägt. Schaftüberwölbungen in Zeilen­zwischenraum wirken ebenso wie die mit Haarzierlinien dekorativ gestalteten Versalien auflockernd.

Das gesamte Repertoire der frakturtypischen Zierelemente benützt die erhaben geätzte Inschrift eines nach 1571 entstandenen Epitaphs in Maria Laach a. Jauerling (Kat.-Nr. 282). Freie obere Schaftenden werden im Zeilenzwischenraum schlingenartig über den Schaft zurückgebogen. Das spitz zulaufende obere Schaftende des t wird von einem geschwungenen Haarstrich überschnitten, der mit einer Schaftüberwölbung nach links zurückbiegt. Die Bögen an der Oberlinie des Mittelbands werden zu dünnen, mit Hornansätzen ausgestatteten Anstrichen samt angesetzten Schwellzügen umgeformt. Das u trägt weit überwiegend ein geschwungenes diakritisches Zeichen, ein kommaartiges bzw. aus einem Quadrangel mit zwei kurzen Rechtsschrägstrichen zusammengesetztes Zeichen bildet den i-Punkt.

Die Umschrift des Epitaphs der Judith von Friedesheim von 1588 (Kat.-Nr. 313) ist in ihrer zwar abschnittweise unterschiedlich gedrängten, aber insgesamt recht niveauvollen Ausführung die epigraphische Umsetzung der schreibschriftlichen Fraktur, wie sie als Kanzlei-Auszeichnungsschrift gegen Ende des Jahrhunderts verwendet wurde. Zwar werden viele Bögen im Mittelband gebrochen, die senkrechten Teile werden aber nicht schaftartig streng gerade und parallel angeordnet, sondern bewahren jeweils einen leichten Schwung. Zahlreiche Bögen sind überhaupt in feine Anstriche an der Oberlinie des Mittelbands und anschließende Schwellzüge aufgelöst. Feine umgebogene Haarzierlinien, in die die Bögen etwa von g und h im Unterlängenbereich und zahlreiche Schwellschäfte im Oberlängenbereich auslaufen, verschlungene oder verschnürte Zierstriche und Überwölbungen von Schäften im Oberlängenbereich und Doppelformen bei a und g (neben der regulären Form mit moderat durchgebogenem Bogen auch eine Ausprägung mit durch Schwellzügen optisch eingeschnürtem Bogen) verleihen der Inschrift bewegten und dekorativen Charakter. Besonders reich sind die Versalien mit Haarlinien ausgestattet, Bogenverbindungen sind bei den Gemeinen nicht selten.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts zeigen manche Frakturinschriften bereits einen Verlust des spannungsreichen Schwungs, der den Schrifttyp seit seinem ersten Auftreten ausgezeichnet hatte (s. Kat.-Nr. 320). Zierelemente wie Hornansätze, Schaftüberwölbungen und „Elefantenrüssel“ bleiben zwar erhalten, doch nimmt das Mittelband unter Aufgabe ausgerundeter Bögen tendenziell den steifen Gittercharakter der Gotischen Minuskel an. Auch Einzelformen der älteren Minuskelschrift wie zweistöckiges bzw. Kasten-a dringen nun vereinzelt in weniger niveauvolle Frakturinschriften ein (s. Kat.-Nr. 336). Selbst qualitativ höherstehende Frakturinschriften weisen starke Ansätze zur Auflösung aller runden Buchstabenbestandteile in lange, das Mittelband dominierende parallele Schäfte mit (Pseudo-)Brechungen an der Basislinie auf (s. Kat.-Nr. 344). Vorerst entziehen sich jedoch ausgezeichnete gemalte und geätzte Frakturinschriften (Kat.-Nr. 359, 371 und 381) noch diesen das Schriftbild im 17. Jahrhundert bestimmenden Entwicklungen.

In den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts scheint im Bearbeitungsgebiet eine leistungsfähige Werkstatt existiert zu haben, die überwiegend für Auftraggeber aus dem Adel der Region und das Kloster Göttweig, aber offenbar auch für wohlhabende Bürger gearbeitet hat. Zu den überwiegend durchaus qualitätvollen Werken dieses Betriebs zählen alle Formen von Grabdenkmälern in Stein und Holz ebenso wie Altäre, hölzerne Kirchenausstattungen und Bildstöcke. Eine beachtliche Anzahl an erhaltenen Werken, viele davon im Bearbeitungsgebiet, läßt sich nach gestalterischen und stilistischen Kriterien bzw. durch eine inschriftenpaläographische Analyse unterschiedlich eng an einige wenige Werke anschließen, die mit einem konkreten Künstlernamen verknüpft sind.

Gerald Fischer-Colbrie publizierte 1976 an wenig prominenter Stelle Nachrichten zum Künstler des Epitaphs der Anna Kirchberger in Maria Laach a. Jauerling (Kat.-Nr. 408)198. Das monumentale Epitaph, aus unzureichend argumentierten stilistischen Gründen früher oft gemeinsam mit dem Freigrab Hans Georgs (III.) von Kuefstein (Kat.-Nr. 377) in den Umkreis der Werkstatt Alexander Colins eingeordnet, stammt nach archivalischen Belegen aus der Werkstatt des Kremser Bildhauers Kilian Fuchs, der von den Söhnen der Toten, vor allem Hans Ludwig von Kuefstein, am 5. September 1617 mit der Planung und Ausführung des Denkmals um eine zunächst vereinbarte Summe von 250 fl. beauftragt wurde. Fertiggestellt war das Epitaph erst am 10. Februar 1619199.

An dieser Stelle ist kein Platz, eine ausführliche Beschreibung der für die Fuchs-Werkstatt typischen Gestaltungsmerkmale, von Fragen der Gesamtkonzeption und des architektonischen Aufbaus der Epitaphien und Altäre bis hin zu stilistischen Charakteristika der Figurenzeichnung und Details der Ornamentik und des Dekors zu bieten. Das Formenrepertoire der Werkstatt war groß, und zwischen den sehr unterschiedlichen Formgelegenheiten wie monumentalen Grabdenkmälern und Bildstöcken sind oft nur schwer taugliche Vergleichsmöglichkeiten zu finden. Zudem zeigen fast alle Arbeiten der Werkstatt auch qualitativ schwächere Teile, sodaß stets von der Beteiligung mehrerer Hände ausgegangen werden muß. 1617/18 beschäftigte Fuchs nachweislich mindestens zwei Gesellen, von denen einer, Kaspar Hoffmann, auch namentlich bekannt ist.

Während der kunsthistorischen Bewertung der möglichen Werke Fuchs’ eine eigene Arbeit gewidmet sein müßte, soll hier nur auf die Inschriften an diesen Objekten eingegangen werden. Besonders schmerzlich ist in diesem Zusammenhang der Verlust zweier weiterer archivalisch gesicherter Werke Fuchs’, Kat.-Nr. 415† und 416†. Die Inschrift des Epitaphs der Anna Kirchberger (Kat.-Nr. 408) hat deshalb bei der Zuschreibung anderer Werke an die Fuchs-Werkstatt, die neben Fraktur für deutschsprachige regelmäßig Kapitalis für lateinische (und deutschsprachige) Texte verwendete, größte Bedeutung. Allerdings handelt es sich beim Epitaph der Anna Kirchberger innerhalb der zu erschließenden Reihe von Arbeiten der Fuchs-Werkstatt, deren Leiter 1621 starb, um ein spätes Werk. Mit den mutmaßlichen früheren Arbeiten des Betriebs lassen sich am besten die in relativ konstanter Form eingesetzten Versalien (s. die umseitigen Nachzeichnungen) vergleichen, während der Gesamteindruck der hier dicht gesetzten und sehr starr wirkenden Gemeinen vom früher und besonders in den gemalten Inschriften viel bewegteren Schreiben abweicht.

Erstaunlicherweise zeigt der Kanon der Versalien in hohem Ausmaß Parallelen zu einer zusammengehörigen Gruppe von drei bzw. vier in Fraktur beschrifteten qualitätvollen Grabdenkmälern der Jahre 1574 und 1578 in Wiener Neustadt200. Ob Fuchs zu der für jene und wohl auch das Epitaph des Kaspar von Hohberg (Kat.-Nr. 306) verantwortlichen Werkstatt Beziehungen unterhielt, vielleicht sogar seine Ausbildung in jener erfahren hatte, bleibt freilich völlig unklar.

198 Fischer-Colbrie, Fuchs passim.
199 S. Fischer-Colbrie, Fuchs passim mit allen verfügbaren biographischen Nachrichten zu Fuchs und dem Nachweis einiger Werke, dessen Ergebnisse zum Kirchberger-Epitaph zuletzt knapp referiert bei Zajic, „Zu ewiger gedächtnis aufgericht“ 159 und 231. 1611 arbeitete Fuchs zusammen mit dem Maler Hans Kobl am Hochaltar der Göttweiger Fk. St. Blasien in Kleinwien, s. Fischer, Atlas 119 (Abb.). Die früher auch am Beispiel des Epitaphs der Anna Kirchberger postulierte Klassifizierung von qualitätvoller Skulptur des 16. Jahrhunderts eo ipso als Werk landfremder Künstler ist damit generell zu überdenken. Hans Tietze stellte etwa das Epitaph der Anna Kirchberger als Bindeglied zwischen gesicherten Arbeiten Alexander Colins und dem Hoch- und Freigrab Hans Georgs (III.) von Kuefstein dar, zog es sogar als stilistischen „Beleg“ für die Zugehörigkeit des letztgenannten Denkmals zur Colin-Werkstatt heran und betonte die Ausnahmestellung beider Grabdenkmäler im Rahmen der einheimischen Kunst, „die in ihren provinziellen Erzeugnissen den Zusammenhang mit der Gotik doch niemals verliert“, s. ÖKT 1, 37. Bezeichnenderweise galt ihm auch ein um die Mitte des 16. Jahrhunderts datiertes vollrundes Relief Jüngstes Gericht aus Solnhofer Stein, möglicherweise aus Pyhra und ursprünglich zweifellos vom Aufsatz eines verlorenen Epitaphs stammend, als niederrheinisch/niederländische Arbeit, eine Zuschreibung, gegen die auch in jüngerer Zeit kein Widerspruch erhoben wurde, s. ÖKT 1, 38 und 517 und 519 (Fig. 417) und vgl. 900 Jahre Stift Göttweig, Kat.-Nr. 1319 (Gregor M. Lechner).
200 Es handelt sich um die figürlichen Grabdenkmäler des Wolf Conrad von Pösnitz und des Wolf Kellner bzw. die Epitaphien der Ursula Inprucker und des Wolf und der Katharina Kellner, s. DI 48, LI und Kat.-Nr. 198–200 und 203. Das figürliche Grabdenkmal Kellners (Kat.-Nr. 203) weicht zwar im Gesamteindruck der Inschrift und einem Teil des Kanons von den drei anderen Arbeiten ab, zeigt aber zum figürlichen Grabdenkmal Pösnitz’ (Kat.-Nr. 198) so deutliche Parallelen in Gesamtauffassung und Figurendarstellung, daß die Annahme einer gemeinsamen Werkstatt, wohl jene des damals bereits verstorbenen Hans Saphoy (vgl. Kat.-Nr. 306), zwingend erscheint. In Gesamtaufbau und Formenrepertoire mit den beiden genannten Epitaphien eng verwandt ist das in Kapitalis beschriftete Epitaph des Hans Dörr von Wildungsmauer (gest. 1572) in der Badener Stadtpfarrkirche, s. Dehio Süd 155.

5.7. Minuskelantiqua

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Die Minuskelantiqua (Humanistische Minuskel) besitzt als epigraphische Schriftart, zumal für längere Texte, im Bestand nur sehr untergeordnete Bedeutung. Gut erhaltene Originale sind zudem selten, was einen Überblick über die Schriftentwicklung unmöglich macht. Gewissenhafte kopiale Überlieferung deutet für die lateinische Grab­inschrift eines 1541 frühverstorbenen Kindes aus dem slowakisch-ungarischen Adelsgeschlecht der Thurzó in der Nachzeichnung glaubwürdig auf eine originale Ausführung in Minuskelantiqua hin (Kat.-Nr. 215†). Die in Minuskel­antiqua gehaltene lateinische Namensbeischrift auf dem fragmentierten Epitaph des Göttweiger Abtes Michael Herrlich (Kat.-Nr. 304) von 1582 stammt mit größter Wahrscheinlichkeit erst aus dem 18. Jahrhundert. Die Verwendung dieser Schriftart für erklärende lateinische Beischriften zu einer verlorenen Bilderserie vom Ende des 16. Jahrhunderts aus Göttweig ist fraglich (Kat.-Nr. 362†, 363†, 364†).

In sehr spezifischen Anwendungszusammenhängen erscheint Minuskelantiqua innerhalb der Inschriften auf der Rückseite einer spätmittelalterlichen Johannesschüssel (Kat.-Nr. 401). Die 1612 aufgemalte deutschsprachige Restaurierungsinschrift überliefert den Umstand der Erneuerung und den Namen der Auftragerin in Fraktur, wobei das ihr beigegebene Attribut uxor im Sinne einer Auszeichnungsschrift für den fremdsprachigen Einschub in Minuskelantiqua steht. Der Name des ausführenden Malergesellen ist dagegen vollständig diesem Schrifttyp zuzuordnen. In „unepigraphischer“ Verwendung steht die Minuskelantiqua auf dem 1616 (?) entstandenen Porträt des Göttweiger Abtes Georg Falb (Kat.-Nr. 411). Die ent­sprechenden Vorbildern aus dem zeitgenössischen Buch­druck nachgeahmte Schrift gibt die lateinische Beschriftung eines Buchvorderdeckels wieder. Auszeichnungsfunktion für einzelne Wörter des Texts nimmt hier die Kapitalis wahr.

Die eingravierten durchwegs deutschsprachigen Inschriften einer Sargtafel von 1623 (Kat-Nr. 434) bevorzugen für die ausführliche Sterbeinschrift eine zeittypische Kapitalis und beschränken den Einsatz einer schrägliegenden Minuskelantiqua mit starken Anregungen schreibschriftlicher Cancelleresca auf die gereimte Beischrift einer emblemartig gestalteten Darstellung sowie auf die Wappenbeischriften der Ahnenprobe. Lediglich die Stellenangabe des Bibelzitats auf einer verlorenen Sargtafel von 1618 (Kat.-Nr. 421a†) dürfte in einer sehr ähnlichen schrägliegenden Minuskelantiqua ausgeführt gewesen sein.

Die kurze Namensinschrift (?) auf einem Totenschild von 1628 in Maria Laach a. Jauerling (Kat.-Nr. 449) erlaubt keine zeitliche Einordnung.

Ein Gemälde mit der Ansicht der Klosters Göttweig unter dem Schutz der Gottesmutter, 1630 Abt Georg Falb als Geburtstagsgeschenk überreicht (Kat.-Nr.459), setzte Minuskelantiqua innerhalb der in Kapitalis umgesetzten lateinischen Inschrift neben einzelnen eher zufällig in Minuskel ausgeführten ganzen Wörtern offenbar regelmäßig für die verkleinert hochgestellten Kasusendungen abgekürzter Wörter ein. Da die originale Beschriftung des Gemäldes heute durch Restaurierungsmaßnahmen verfälscht und teilweise entstellt ist, muß sich der geschilderte Befund auf die Nachzeichnung allerdings äußerst sorgfältiger kopialer Überlieferung des 18. Jahrhunderts stützen.

Das von derselben Quelle tradierte Göttweiger Gemälde mit der Nachricht eines ungewöhnlichen Fischfangs aus dem Jahr 1647 (Kat.-Nr. 505†) brachte den eigentlichen Informationsgehalt in mehreren Kapitalis-Zeilen unter und schloß einen einzeiligen Gebetsspruch in schrägliegender Minuskelantiqua an.

Unter restauratorischen Eingriffen in die ursprüngliche Substanz leidet die lateinische Inschrift eines Votivbilds in Maria Langegg, das der Lilienfelder Abt Cornelius Strauch testamentarisch 1650 verfügt hatte (Kat.-Nr. 511). Neben einer einzelnen Zeile in Kapitalis stehen ein versifiziertes Chronogramm oder Chronodistichon, das auf die bildliche Darstellung Bezug nimmt, und die eigentliche Votivinschrift in Minuskelantiqua. Die Zahlzeichen des Chronogramms und zwei Wörter mit Auszeichungsfunktion sind in Kapitalis ausgeführt.

Die Aufgabe einer Auszeichnungsschrift erfüllt eine überwiegend leicht schrägliegende Minuskelantiqua für die Inschriften eines umfangreichen religös-didaktischen typologischen Bildprogramms im Chor der Spitzer Pfarrkirche aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Kat.-Nr. 514). In Minuskelantiqua sind die Stellenangaben zu den bildlich dargestellten Bibeltexten sowohl innerhalb der deutschsprachigen Frakturinschriften als auch der lateinischen Texte (in Kapitalis) abgefaßt.

5.8. Mischschriften und nicht-epigraphische (schreibschriftliche) Schriftarten

Zu den wenigen Majuskelmischschriften des Bestands vgl. die Anmerkungen bzw. Verweise unter Abschnitt 5.3. Für den Nachweis der unterschiedlichen schreibschriftlichen Alphabeten, etwa spätgotischen Kursiven unterschiedlichen Stilisierungsgrads, entstammenden Formen einzelner Minuskelmischschriften bzw. die Verwendung von nicht-epigraphischen Schreibschriften vgl. die jeweiligen Stellen im Katalog (Kat.-Nr. 71, 81, 185†, 187, 188, 190, 231, 237, 254, 340).


Andreas Zajic

Zitierregel:
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems, ges. u. bearb. v. Andreas Zajic
(Die Deutschen Inschriften 72. Band, Wiener Reihe 3. Band, Teil 3) Wien 2008, 5. Die Schriftformen,
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Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
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72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems

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Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich  •  Politischer Bezirk Krems  •   Die Schriftformen  •   Romanische und Gotische Majuskel (vgl die abgebildeten Nachzeichnungen)  •   Gotische Minuskel (vgl die abgebildeten Nachzeichnungen)  •   Frühhumanistische Kapitalis und von ihr abgeleitete Majuskelmischschriften (vgl die abgebildeten Nachzeichnungen)  •   Gotico-Antiqua (vgl die abgebildeten Nachzeichnungen)  •   Kapitalis  •   Fraktur  •   Minuskelantiqua  •   Mischschriften und nicht-epigraphische (schreibschriftliche) Schriftarten  •  Andreas Zajic  •  

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Gotische Majuskel - Kat.-Nr.
6, 7, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 20, 21, 23, 24†, 25, 27, 28

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Gotische Minuskel, Versalien
Kat.-Nr. 30, 31, 32, 40, 41, 43, 45, 46, 51, 53, 54, 55, 59, 60, 62, 63

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Gotische Minuskel, Versalien
Kat.-Nr. 64, 65, 67, 71, 73, 74, 82, 83, 94, 97, 99, 102, 105, 111, 130, 138

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Gotische Minuskel, Versalien
Kat.-Nr. 141, 145, 149, 171, 172, 176, 177, 186, 199, 200, 204, 256, 303