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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich

Politischer Bezirk Krems

13 Dürnstein, ehem. Klarissenkirche 1206/(1306?)

Epitaph des Michael von Wiener Neustadt, Wandmalerei, in einer seit 1950/52 ausgesparten Nische an der nördlichen Leibung des ansonsten seit etwa 1720 vermauerten Triumphbogens. Hochrechteckiges, in verblaßter Farbe gerahmtes Bildfeld: zu Füßen des schlanken und zartgliedrigen, mit steil ausgestreckten Armen Gekreuzigten am hohen, schmalen, hell türkisfarbenen Kreuz kniet ein größer dargestellter bärtiger Minorit in ockerfarbener bis rotbrauner Kukulle, die Wundmale auf den Füßen Christi mit Kopf und Händen berührend. Auf dem naturfarbenen hellen Putzhintergrund am oberen Bildrand schwarz aufgemalter Kreuzestitulus (I) beiderseits des Kreuzesstamms über dem Balken, beiderseits der Figuren zehnzeilige schwarz aufgemalte Inschrift (II). Diese im linken oberen Viertel bis auf sehr geringe Reste völlig verloren, sonst teilweise stark verblaßt, der ursprüngliche Bestand z. T. durch Dunkelfärbung der Putzschicht schwach erkennbar. Anläßlich der Aufdeckung und Restaurierung 1950/1952 (Prof. Fritz Weninger) mehrere Buchstaben schwarz nachgezogen.

H. 94,5 cm, B. 50 cm, Bu. 3,5–4 cm. – Gotische Majuskel.


Textedition
			

I. [·] I·N//[·]R·I [·]a) II. – – – MI]//CHA/[HEL]b) // DEc) / [NOVA]d) // [C]IVI/[T]A[T]Ee) · // [O(BIIT) ·]f) VIII / [K(A)L(ENDAS)]g) JV//NIIh) [+] / A͜NNO // DO(MIN)Ii) · M / CCoj) // VIok) · JN / T[(RAN)S]//LACIO(N)El) / S(AN)C[(T)I]m) // FRA͜NC[I]/SC//In) ·

Anmerkungen
a) Wort von Kreuzesstamm unterbrochen; Trennzeichen punktförmig, tlw. nur schwach sichtbar
b) Name durch die Figur des Gekreuzigten unterbrochen; Inschrift links des Oberkörpers des Gekreuzigten verloren und aus dem Zusammenhang erschlossen, von A noch der senkrecht gestellte rechte Schaft sichtbar, linker Schrägschaft und Balken kaum mehr erkennbar; HEL in Z. 2 schwach erkennbar.
c) unziales E nur schwach sichtbar; es folgt schwach sichtbar eine bei der Restaurierung nachgezogene rechts weit offene, gekrümmte Bogenlinie, an dieser Stelle jedoch vermutlich ursprünglich nur vollrundes Füllzeichen.
d) Wort aus dem Zusammenhang ergänzt.
e) C und I schwach erkennbar, ebenso schwach sichtbar rundes und eckiges T der nächsten Z.; das abschließende unziale E bei der Restaurierung zu gedrücktem eingerollten G verändert.
f) O, von steil rechtsschrägem Schaft mit mächtigen Sporen überkreuzt, schwach sichtbar.
g) K(A)L(ENDAS) kaum erkennbar, aus der doppelten Tagesdatierung nach dem Heiligenfest erschlossen; ein am Beginn der Z. sichtbarer Deckstrich gehörte wohl zum oberen Schaftende des K.
h) folgt ein schwach sichtbares breites lateinisches Kreuz als Füllzeichen.
i) I klein über O gestellt.
j) je ein O klein über beiden C.
k) Kasusendung verkleinert, nach Restaurierung punktförmig, über I.
l) S kaum erkennbar, I klein über O gestellt, bei E Balken völlig verblaßt, bei Restaurierung der Abschlußstrich am unteren Bogenende überbetont.
m) von C nur mehr Rest des linken Bogenabschnitts erhalten.
n) letztes I zwischen Mönchsfigur und Kreuzesstamm; alle Trennzeichen punktförmig.

...) Michael von Neustadt starb am achten Tag vor den Kalenden des Juni im Jahr des Herren 1206, (am Tag der) Translation des Hl. Franziskus.


Datum: 1206 Mai 25.


Kommentar

Michael von Wiener Neustadt dürfte nicht zuletzt dem Anbringungsort des Epitaphs im Chor an der Triumphbogennordseite zufolge – dieser Raumteil der Klosterkirche diente als Mönchschor des nordöstlich des Frauenklosters zu lokalisierenden Männerkonvents – ein Angehöriger der wohl schon seit der Gründung des Frauenklosters in Dürnstein angesiedelten kleinen Minoritengemeinschaft gewesen sein, die sich vermutlich aus Minderbrüdern des Steiner Konvents zusammensetzte. Für die Jahre zwischen 1302 und 1306 hat sich jedoch keine Urkunde des ehemaligen Klarissenklosters erhalten, die den Namen Michaels nennt.

Da die Inschrift den Sterbevermerk Michaels enthält, sollte die Jahresangabe korrekt zweifellos auf 1306 lauten. Wahrscheinlich wurde bei Anfertigung der Inschrift das Fehlen der dritten Hunderterstelle infolge der Unterbrechung durch die bildliche Darstellung nicht sofort erkannt. Möglicherweise setzte die Inschrift ursprünglich mit dem – wie der freie Raum annehmen läßt – gekürzten Wort F(RATE)R ein.

Gemalte Epitaphien scheinen, wie sich in jüngster Zeit deutlicher abzeichnet, im frühen 14. Jahrhundert in Niederösterreich gerade für verstorbene Kleriker nicht selten angefertigt worden zu sein, wie etwas jüngere Parallelbeispiele aus dem ehemaligen Kollegiatstift Ardagger (1327) oder der Pfarrkirche Gmünd (1351) zeigen1). Die Darstellung des nach Art der italienischen Tafelkreuze (croci dipinte) zu Füßen des Kruzifixus knienden Minoriten im vorliegenden Fresko wurde bislang in Unkenntnis der Funktion der Wandmalerei als Epitaph als Abbildung des Hl. Franziskus verstanden und als eines der frühesten erhaltenen Beispiele eines Bildtypus, der die franziskanische Versenkung in die Leiden Christi veranschaulicht, gewertet2). Wahrscheinlich stellt die ohne Nimbus und ohne Stigmata wiedergegebene Mönchsfigur jedoch – analog zu den oben genannten jüngeren Priesterepitaphien – den Verstorbenen selbst dar. Die wiederholt später, zuletzt auf die Zeit gegen 13303) datierte Wandmalerei gehört demnach in engem zeitlichen Zusammenhang mit der an der Chorsüdwand angebrachten Inschrift samt Wappendarstellung und der Datierung 1304 (Kat.-Nr. 12) indirekt zur malerischen Ausstattung des erweiterten Chors durch die Stifterfamilie der Kuenringer und den Klarissenkonvent kurz nach 1300. Auf diese Zeitstellung verweist auch die mäßig diszipliniert ausgeführte Inschrift. Weder Zeilenverlauf, Buchstabengröße oder Duktus wurden auch nur einigermaßen einheitlich gehalten, obwohl die in den besser erhaltenen Partien erkennbare dekorative Gestaltung der Buchstaben mit fetten Grundbe­standteilen und diese begleitenden Haarlinien auf einen gewissen Anspruch hindeutet. In den erhaltenen Abschnitten zeigt sich der Formenkanon wenig variationsfreudig, N taucht nur in runder Form, V nur in kapitaler Gestalt auf. Neben dem überwiegenden runden T scheint einmal kapitales T (II, Z. 4) Anwendung gefunden zu haben. A dürfte stets breit trapezförmig mit beidseitig überstehendem, leicht durchgebogenen Deckbalken gewesen sein. Alle Bogenschwellungen sind bei Tendenz zur Ausrundung der Innenkontur recht kräftig, die nur moderat durchgebogenen Schlußstriche an C und E dagegen sehr fein. Der zweimal ausgeführte Nexus litterarum A/N ist in der ersten Jahrhunderthälfte allgemein, auch in Steininschriften, häufig zu finden.

1) Vgl. Lanc, Priester-Epitaph passim.
2) S. Lanc, Darstellungen und 800 Jahre Franz, Kat.-Nr. 8.03 (Elga Lanc) mit Abb. 71 sowie Lanc, Wandmalereien 75 und Legende zu Abb. 129 und 131. Vgl. zur Ikonographie auch ’S-Hertogenbosch, Franz, bes. 271 und 294, Egger, Geist und Egger, Bild.
3) Lanc, Wandmalereien 75 und Legende zu Abb. 129 und 131 mit Bezug auf die „welligen Saumlinien des um die Knie des Heiligen auf dem Boden ausgebreiteten Mantels sowie die weichen Falten des Ärmels“. Zu den späteren, zuletzt um 1340 datierten Wandmalereien aus dem Langhaus der Kirche, seit 1952 sekundär im Chor, s. Brucher, Geschichte, Kat.-Nr. 200 (Franz Kirchweger).
Literatur

Eppel, Wachau 75. – Kranner, Klarissinnenkloster 8 („Votivbild aus dem Jahre 1326“). – ÖAW, NLH, 28./29. 8. 1962. – Feuchtmüller, Kunstwerke 18f. – Koch, Paläographie (1968) 25 und Anhang (Nachzeichnung des Alphabets; 1305). – Koch, Paläographie (1969) 38f. und 42 (Nachzeichnung des Alphabets; 1305). – Eppel, Kunst 171 („Fresko hl. Franziskus mit schönem Schriftbild“). – Lanc, Darstellungen 508 und Kat.-Nr. 8.03 (Elga Lanc; falsche Datumsauflösung 25. Juni 1206) mit Abb. 71. – Lanc, Wandmalereien 75 (falsche Datumsauflösung 25. Juni 1206). – Dehio Nord 132 (um 1330). – Gröbl, Klarissenkloster 103f. – Zajic, Denkmäler 321–323. – http://www.imareal.oeaw.ac.at/realonline (Bild 0011189, zwischen 1325 und 1335; April 2006).



Andreas Zajic

Zitierregel:
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems, ges. u. bearb. v. Andreas Zajic
(Die Deutschen Inschriften 72. Band, Wiener Reihe 3. Band, Teil 3) Wien 2008, Kat. Nr. 13,
URL: hw.oeaw.ac.at/inschriften/noe-3/teil1/noe-3-obj13.xml

Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
Schlagworte
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Abbildungen

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Abb. 11: Epitaph des Michael
von Wiener Neustadt (1306)
©  Bundesdenkmalamt, Wien, Fotoarchiv