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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich

Politischer Bezirk Krems

184 Spitz, Pfk. Hl. Mauritius 1486/1. V. 16. Jh.

Wappengrabplatte des Michael Een, roter Marmor, außen am Chorschluß an der Südseite des nördlichen Strebepfeilers. In der oberen Hälfte der Platte siebenzeilige Inschrift, darunter in vertieftem Kielbogen­feld mit Hohlkehlenrahmung sehr plastisches Relief eines ausschreitenden Wilden Mannes mit um die Stirn gewundenem Tuch, einen Wappenschild haltend.

H. 160 cm, B. 69 cm, Bu. 6,5 cm. – Gotische Minuskel mit Versalien.


Textedition
			

Anno dom(in)i 1486 / am Erichtag vor · / pfingst(e)n ist gestorben / Der Ersam Michel · / Een Burger zw Spicz / Hie begraben Dem / got genadt Amena) ·

Anmerkungen
a) Trennzeichen paragraphzeichenförmig.

Datum: 1486 Mai 9.

Wappen: Een1).


Kommentar

Der Spitzer Bürger Michael Een, der auch den Rufnamen „Kyrieleison“ trug, war Müller in der Laaben, nahe dem Erlahof in Spitz2). Seine Witwe, die „Kyrieleysoin“ bezahlte dem Spitzer Pfarrer wohl noch im Mai 1486 für drei Vigilien und drei Seelmessen für ihren verstorbenen Mann 10 ß 2 den., im Juni des Jahres – wohl zum Dreißigsten des Begräbnisses – für Vigilien 72 den. In der Spitzer Pfarrkirche hatte Een selbst zu Lebzeiten einen jeweils zu den vier Quatemberterminen abzuhaltenden Jahrtag mit gesungenem Seelamt, drei gesprochenen Messen und einer Prozession über den Friedhof mit Erteilung eines Segens gestiftet. Im Frühjahr 1487 kauften die Zechmeister der Spitzer Moritzzeche von Bartholomäus Köfringer (Keffringer) einen Weingarten in Köfering „auf dem Sattl neben dem Harrnstaindl“ und einen zugehörigen Acker als Versicherung des Een-Jahrtags an3). Ein im Sommer­semester 1487 an der Universität Wien immatrikulierter „Wolff(gangus) Een ex Spicz“ war zweifellos mit Michael verwandt (dessen Sohn?). 1522/23 bezahlte er für zwei in der Pfarrkirche Spitz abgehaltene Gottesdienste mit den Antiphonen Salve Regina und Tenebre 4 ß den.4).

Ob der zwischen 1479 und 1511 mehrfach als Wiener Ratsbürger bzw. Bürgermeister (1485/86 und 1490) fungierende Flötzer Stephan Een (gest. 1519), u. a. Besitzer eines Hauses im Wiener Taschnergässel, und sein Sohn, der 1493 an der Wiener Universität immatrikulierte und 1521 verstorbene Wiener Ratsbürger und Raitherr Hans Een, Besitzer eines Hauses im Hofgässel des Wiener Widmerviertels, ebenfalls Verwandte des Spitzer Bürgers waren, ist unklar5).

Die Platte ist wohl unzweifelhaft ein Produkt der Werkstätte des „Sigmund Rueder“ (s. Einleitung), aus der auch das Grabdenkmal des Wolfgang und der Martha Kernstock (Kat.-Nr. 169), unmittelbar am gegenüberliegenden Pfeiler angebracht, stammt6). Eine gegenüber dem inschriftlich bezeichneten Sterbedatum Eens um mehrere Jahre bzw. Jahrzehnte spätere Anfertigung der vorliegenden Grabplatte ist angesichts der exakt übereinstimmenden Versalienformen von A, B, E, M und S sowie durch den Kanon der Gemeinen mit den Arbeiten der „Rueder“-Werkstatt aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts als gesichert anzunehmen.

Die Inschrift weist bei moderat breiten Formen einen aufgelockerten Schriftcharakter auf. An Einzel­formen erscheinen a mit in zwei Drittel der Buchstabenhöhe schrägrechts abgeschnittenem senkrechten Teil des gebrochenen unteren Bogens, der obere Bogen mit stark einwärts geschwungenem Haarstrich geschlossen, c mit waagrecht gebrochenem oberen Bogenabschnitt, d mit relativ steil aufgerichtetem Linksschrägschaft, e mit am abgeknickten Balken ansetzendem geschwungenen Haarzierstrich, g mit am Brechungspunkt des oberen Bogens angesetztem kurzen Balken und nach rechts ausholendem unteren Bogen, mit dem freien Bogenende den unteren Bogenabschnitt des oberen Bogens berührend, h mit an der Basislinie rechtsschräg abgeschnittenem und in einen nach rechts umgebogenen Haarzierstrich auslaufenden senkrechten Teil des gebrochenen Bogens, i mit kleinem eingebohrten Punkt, p mit schräglinks verlaufendem unteren geknickten Bogenabschnitt, den minimal in den Unterlängenbereich ragenden Schaft links überschneidend, r mit an dem zum Quadrangel reduzierten Bogen ansetzenden, zum Schaft hin durchgebogenen und eingerollten Haarzierstrich, w mit rechtem Schaft als Schwellzug und z mit aufgerichtetem kurzen Deckbalken, zum Quadrangel reduziertem Schrägschaft und spitz auslaufendem Bogen.

Das vorliegende Denkmal zeigt auch in der Gestaltung des Wilden Mannes unübersehbare Verwandtschaft mit der entsprechenden Helmzier der Wappengrabplatte des Paul Starzhaimer (1517) an der Pfarrkirche Burghausen, ein Werk „Rueders“ mit den für seine Werkstatt typischen Versalien7).

1) Vor einem senkrecht gestellten Pfeil ein an den Enden mit je einem sechsstrahligen Stern besetzter aufwärts gerichteter Halbmond, s. Schöner, Geschichte 1, 161 und Aue, Wappenschlüssel 247 und 307.
2) Schöner, Geschichte 1, 161. In der 1486 vom Spitzer Pfarrer gelegten Abrechnung über Einnahmen und Ausgaben der Pfarre Spitz und des Erlahofs und der in Anm. 3 genannten Verkaufsurkunde erscheint Een unter diesem Namen, s. DASP, PA Spitz 7/1/1 (Kirchenrechnungen 1), Rechungen des Spitzer Pfarrvikars für 1486/87 und Plesser, Kirchengeschichte (1951) 288 und 292.
3) S. DASP, PA Spitz 7/1/1 (Kirchenrechnungen 1), Rechnungsbuch des Spitzer Pfarrvikars für 1486/87, unfol. („de tribus vigilys et tribus votivis et devotionalibus“ bzw. „pro vigiliis“), Plesser, Kirchengeschichte (1951) 292 (1487 März 22) und Adamek, Grabdenkmäler (1968) 83.
4) S. DASP, PA Spitz 7/1/1 (Kirchenrechnungen 1), Rechnungen des Spitzer Pfarrvikars Fr. Viktor Lauser für 1522/23, unfol. Matrikel 2, 194 und Schöner, Geschichte 1, 162.
5) Zu ihnen s. Perger, Amtszeiten 107f., Perger, Ratsbürger 125–129, 138–140, 143–146, 156 und 190, Opll/Perger, Kaiser, Reg. 200, 207, 213, 216 und 230 und Perger, Künstler 151 und 242. Für eine wie immer geartete Verwandtschaft spricht neben der Gleichheit des seltenen Namens vor allem eine gewisse Parallele in der Wappenführung: Hans und Stephan Een führten im Wappen einen auf einem Dreiberg stehenden Wilden Mann mit gespreizten Beinen (vgl. den Schildhalter bei Michael Een, s. o.), in beiden Händen je einen Fisch in die Höhe haltend, s. Perger, Ratsbürger 190.
6) Werkstattzusammenhang bereits richtig hergestellt bei Adamek, Grabdenkmäler (1968) 24f., bzw. Dems. Grabdenkmäler (1969) 45.
7) S. Leonhardt, Grabdenkmäler 99 (Abb. 100).
Literatur

Sacken, Kunstdenkmale (1861) 111 (fälschlich „Ern“). – Kerschbaumer, Beiträge (1890a) 261 (fälschlich „Ern“). – Lind, Aeltere Grabmale 152. – DASP, Nachlässe 5, Heft H, fol. 56r. – ÖKT 1, 25 und 390f. (Fig. 278; fälschlich „Ern“, auf 25 fälschlich „1480“). – Riesenhuber, Kunstdenkmäler 323 („Vierzehn Grabsteine: 1415 bis 1775“). – ÖAW, NLH, 23. 8. 1962. – Adamek, Grabdenkmäler (1968) 24f. und Kat.-Nr. 27 (Abb. 25). – Adamek, Grabdenkmäler (1968) 45. – Schöner, Abriß 36. – Schöner, Geschichte 1, 161 und 188f. – Zotti, Kunst 2, 367. – Dehio Nord 1105. – Zajic, Aeternae Memoriae Sacrum, Kat.-Nr. 30 (Abb. 30).



Andreas Zajic

Zitierregel:
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems, ges. u. bearb. v. Andreas Zajic
(Die Deutschen Inschriften 72. Band, Wiener Reihe 3. Band, Teil 3) Wien 2008, Kat. Nr. 184,
URL: hw.oeaw.ac.at/inschriften/noe-3/teil2/noe-3-obj184.xml

Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
Schlagworte
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Abbildungen

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Abb. 102: Grabplatte des
Michael Een (1486/1. V. 16. Jh.)
©  ÖAW, Wien, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Michael Malina)