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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich
Politischer Bezirk Krems
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Göttweig, „Apothekergang“ |
1370 |
Fragment der figürlichen Grabplatte des Abtes Ulrich (I.) Totzenbacher, rosa Marmor, im sogenannten Apothekergang an der Südwand der erste Stein von Westen, wohl ursprünglich in der Klosterkirche, vielleicht vor dem Lettner in der Nähe des Allerheiligenaltars. Die zwischen zwei begrenzenden Linien angeordnete Umschrift (I) rahmt ein Feld mit graphisch-linear eingehauener Darstellung des tonsurierten Abtes in Kukulle (?), in der Rechten das Pedum, die Linke hält ein Buch vor der Brust. Über dem Kopf ein seicht eingehauenes gewundenes Spruchband (II). Von der gesamten Platte nur die obere, annähernd quadratische Hälfte erhalten, gegen den unteren Rand zu stark abgetreten. Ein knapp rechts der Längsachse verlaufender senkrechter Sprung wurde anläßlich der Neuaufstellung im 1981/82 restaurierten Apothekergang unsachgemäß mit Füllmaterial geschlossen, Teile der Inschriften und der figürlichen Darstellung sind dadurch verloren. Oberfläche transparent lackiert (?).
H. 152 cm, B. 134 cm, Bu. 9,5 cm (I) und 6,5 cm (II). – Gotische Majuskel (I) und Gotische Minuskel (II).
Textedition
I.
+ A͜NNO · D(OMI)NIa) [·] Mb) · CCCoc) · LXXo / · XIIIo · K(A)L(ENDAS) ·
OCTOBRIS · ABBA[S – – – / – – – / – – – I]N · T(E) · SITd) · CHR(IST)Ee)
· BEATUSf)
II.
· toc[ze]npekchg) ·
Anmerkungen
Datum: 1370 September 19.
Kommentar
Ulrich (I.) Totzenbacher, als Sohn Rudolfs d. J. und der Gertrud Totzenbacher aus einer vor allem
im Viertel ober Wienerwald begüterten, 1397 ausgestorbenen Adelsfamilie stammend1), war als
Nachfolger des nur kurz regierenden Johannes (II.) von Thallern Ende Juni 1360 zum 23. Abt
von Göttweig gewählt worden. In seine elf Jahre dauernde Regierungszeit fiel die Bestätigung
des Rechts zur freien Vogtwahl durch Herzog Rudolf IV. (1361), die Entscheidung zugunsten
Göttweigs in einem Streit mit dem Kloster Zwettl um die Besitzrechte an der seit 1108 im Besitz
Göttweigs gelegenen Donauinsel Wörth (ursprünglich Mutheimerwerth) in der Göttweiger Au
bei Krems (1368/69) und rege Tätigkeit bei der Arrondierung der Güter und Gülten des Klosters,
vor allem durch den Ankauf von Hörfarth von Simon und Jans von Sachsengang um 155 lb. den.
(1370). 1361 ließ er ein Urbar („Urbar E“) über die Klostergüter in Kottes/Niederranna anlegen.
Totzenbacher starb nach den mit der Grabinschrift übereinstimmenden Angaben des Nekrologs
des Göttweiger Frauenkonvents von 1505 (heute StiB Altenburg AB 15 E 6, fol. 94r-118r) am
19. September 1370, sein Nachfolger war Ulrich (II.) Pirchfelder2).
Nach der Göttweiger Haustradition des 18. Jahrhunderts (vgl. auch Kat.-Nr. 331† und 362)
wurde unter Abt Ulrich auf Initiative bzw. sogar in Anwesenheit Herzog Rudolfs IV. der Leichnam
Bischof Altmanns in Göttweig gesucht, am Festtag des Hl. Quirin (16. Juni) 1362 (oder nach
anderer Überlieferung – jedoch in Widerspruch zum Wahldatum Totzenbachers – 1360) aufgefunden,
erhoben und am Todestag Altmanns (8. August) in einem neuen Reliquiengrab beim
Kreuzaltar, vermutlich in der damaligen älteren Krypta der Klosterkirche beigesetzt. Abt Ulrich
ließ offenbar in der Klosterkirche am Lettner über dem Heiligengrab in der Krypta einen neuen
Altar errichten, der auf den Titel Allerheiligen geweiht wurde, und stiftete auf diesem „oberen“
Altar („altari superiori super sepulcro sancti Altmanni“) mit den Einkünften aus Hörfarth eine
ewige Messe und einen Jahrtag für sich, seine Familie und alle verstorbenen und künftigen Äbte
von Göttweig. Vermutlich wurde Totzenbacher auch nahe seinem Altar unter der vorliegenden
Grabplatte bestattet. 1366 führte Totzenbacher ein eigenes, in einer Tegernseer Handschrift überliefertes
Offizium für das Stifterfest ein, das zumindest seit 1184 gefeiert wurde3). 1367 initiierte
Ulrich die Konföderation Göttweigs mit Ebersberg, im Folgejahr die mit Niederalteich4). Zu
Lebzeiten bestimmte Ulrich neben der genannten Bestiftung des Allerheiligenaltars in der Klosterkirche
zu seinem Seelenheil der Kirche in *Halpach/Hallbach (heute Kleinzell) gewisse von
Hans von Wildegg angekaufte Güter für eine ewige Messe. Die eigentlichen Stiftungen errichtete
sein Nachfolger Ulrich (II.) Pirchfelder 13715).
Im Rahmen einer geschlossenen Serie von Äbtebildern existierte um 1600 in Göttweig auch eine
Darstellung des fälschlich als Johannes (III.) Totzenbacher bezeichneten und mit einer Regierungszeit
von 1341 bis 1352 als 23. Abt gezählten Totzenbachers6).
Der die Inschrift abschließende Segenswunsch, der zumindest rhythmisch an eine Hexameterklausel
anklingt, wenn es sich nicht tatsächlich um eine durch die Beschädigung unvollständige
Verszeile handelt, nimmt vergleichbare Formeln der Mitte des 14. Jahrhunderts auf. Die Inschrift
schließende Hexameter wiesen offenbar gerade Äbtegrabplatten der Zeit nicht selten auf: Die
sekundär zu zwei Seitenaltarmensen in der ehem. Schloß- und Pfarr-, jetzt Filialkirche, Eidenberg
zerschnittene Grabplatte des Wilheringer Abtes Hermann (gest. 1350) bittet wie der vorliegende
Stein in einer Apostrophe an Christus für den Verstorbenen: „Sis pius, o Christe, sibi quem
claudit lapis iste“7).
Die Grabplatte dürfte angesichts der offensichtlichen Parallelen in der graphisch-linear eingehauenen
Figurendarstellung und der weitgehenden Übereinstimmung der Schriftformen, für die
eine fast dreieeckige Gestaltung der kräftigen Bogenschwellungen charakteristisch ist, aus jener
Werkstatt stammen, die auch die Grabplatte des Priesters Engelhard in Hofarnsdorf (Kat.-Nr. 27)
angefertigt hatte. Große Ähnlichkeit in der Figurendarstellung weist auch die in Gotischer
Minuskel beschriftete figürliche Grabplatte des Propstes Nikolaus von Würmla (gest. 1374?) in
der Kloster- und Pfarrkirche Herzogenburg auf8).
Auf dem Göttweiger Stein, der in der präzisen Ausführung und dem Variantenreichtum sowohl
der Einzelformen als auch der Zierelemente die qualitätvolle Routine der ausführenden Werkstatt
erkennen läßt, begegnet das auch auf der älteren Platte verwendete pseudounziale A (zunächst in
Nexus litterarum mit N) mit kräftig geschwelltem linken, an der Basislinie mit einem Haarstrich
nach links umgebogenen Schaft und gegabeltem Deck- sowie leicht linksschrägem Mittelbalken
neben einem dekorativen trapezförmigen A mit beidseitig überstehendem Deckbalken, bei dem
jedoch die beiden Schrägschäfte mit kräftigen Bogenschwellungen durchgebogen und von einem
gebrochenen Mittelbalken verbunden sind. Das erstgenannte pseudounziale A erhält im vierten
Schriftband einen merklich durchgebogenen Deckbalken, der mit einer Krümmung in den Sporn
des rechten oberen Schaftendes übergeht, während der linke Schaft unterhalb der Basislinie leicht
durchgebogen in eine tropfenförmige Verdickung ausläuft, und das Schaftende des rechten Schafts
an der Basislinie gegabelt ist und ebenso wie zahlreiche andere Sporen an freien Schaftenden
tropfenförmige Zierpunkte erhält. Das mit verkürztem Schaft und ausladenden (nicht bis zum
Schaft geschlossenen) Bögen versehene B wirkt fast aufgebläht, die Bögen von C und E werden
dagegen von feinen senkrechten Haarstrichen geschlossen, die wiederum knapp vor Erreichen der
Ober- und Unterlinie nach rechts umbiegen und in zwei kleinen Tropfen enden. I zeigt dagegen
auf ganzer Schaftausdehnung einheitliche Strichstärke, K weist leicht durchgebogene und zu
Ober- und Basislinie hin kräftig anschwellende Schrägschäfte auf. L entzieht sich der sonst spürbaren
Tendenz zur vollständigen Schließung der Buchstaben weitgehend, im ersten Schriftband
reicht der Balken immerhin als langgezogener Keil bis zur Mittellinie, im zweiten Schriftband
bleibt er jedoch – wohl aufgrund des aus optischen Gründen zu wahrenden Abstands zum folgenden
Worttrenner auf der Mittellinie – recht flach. M hat symmetrische offene unziale Form,
N ist ebenfalls rund. Neben kapitalem T mit kräftig keilförmigen, gegen die Mittellinie ziehenden
Sporen erscheint offenbar zweimal rundes T, bei dem der Bogen fast bis zur Oberlinie reicht
und eine vollständige Schließung des Buchstabens andeutet. Rundes U ist oben von einem durchgebogenen
Haarstrich geschlossen, von den Sporen an den Bogenenden von S gehen senkrechte,
ebenfalls eine Schließung des Buchstabens andeutende Haarstriche aus. X besteht aus fast senkrecht
gestelltem Linkschrägschaft und kräftig anschwellendem geschwungenen Rechtsschrägschaft.
Vielleicht bezeichnend für die späte Verwendung der Gotischen Majuskel in der vorliegenden
Inschrift ist die Tatsache, daß das offenbar nicht als genuin „epigraphisch“ empfundene Spruchband
mit dem Familiennamen des Abtes in gewissermaßen buchschriftlicher Gotischer Minuskel
beschriftet wurde, die hier erstmals im Bearbeitungsgebiet in einer gedrungenen und etwas
klobigen Form unter fast völliger Marginalierung des im Unterlängenbereich liegenden p-Schafts
(der Bogen an der Basislinie rechtwinkelig nach links geknickt) belegt ist. Das k besteht aus dem
Schaft und zwei an der Oberlinie des Mittelbands übereinandergestellten Quadrangeln, bei h zieht
der senkrechte Teil des gebrochenen Bogens steil rechtsschräg und spitz zulaufend in den Unterlängenbereich.
Literatur
Andreas Zajic
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich Politischer Bezirk Krems Göttweig, „Apothekergang“ • Grabplatte • rosa Marmor • Gotische Majuskel • Gotische Minuskel •
Altmann •
Enenkel, Job Hartmann •
Engelhard •
Hermann •
Hohenberg, Dietrich, Kunigunde, Stephan •
Johannes von Thallern •
Nikolaus von Würmla •
Pirchfelder, Ulrich •
Rudolf IV. •
Sachsengang, Jans •
Sachsengang, Simon •
Schenggl, Gregor •
Techler, Friedrich •
Totzenbacher, Gertrud, Johannes, Rudolf, •
Urban V. •
Urban VI. •
Wernher •
Wildegg, Hans •
Altenburg, Benediktinerkloster •
Halpach •
Herzogenburg •
Hörfarth •
Hofarnsdorf •
Kleinzell •
Kottes •
Kreisbach •
München •
Niederalteich, Benediktinerabtei •
Niederranna •
St. Florian, Augustiner-Chorherrenkloster •
St. Pölten, Augustiner-Chorherrenkloster •
Tegernsee, Benediktinerkloster •
Wilhering, Zisterzienserkloster •
Wilten, Prämonstratenser-Chorherrenkloster •
Krems, Donauinsel Wörth •
Zwettl, Zisterzienserkloster
Abbildungen
Abb. 24: Grabplattenfragment des Abtes Ulrich Totzenbacher (1370) ©
ÖAW, Wien, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Michael Malina)
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Im Jahr des Herrn 1370, am 13. Tag vor den Kalenden des Oktober (starb) Abt (...), in dir, Christus, sei er selig (I).