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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich
Politischer Bezirk Krems
62 |
Albrechtsberg a. d. Gr. Krems, Pfk. Mariä Stiegen |
1442, 1446 |
Grabplatte der Margarete (geb. von Kirchstetten) und des Wolfgang (I.) von Neidegg, roter Marmor, an der Nordwand der südlichen Kapelle (Marienkapelle) der erste Stein von Westen, ursprünglich in der alten Pfk. im Boden vor dem Hochaltar, später (ab etwa 1670?)1) in Sekundärverwendung über dem Gruftabgang im Boden des Chors (wohl nahe der Südwand), von dort 1914 nach außen an die Südseite des Langhauses verbracht, dort bis 1991. In der oberen Hälfte der hochrechteckigen Platte siebenzeilige Inschrift (I), in der unteren graphisch linear eingehauener lediger Wappenschild, von Umschrift (II) umgeben, die in der Plattenmitte unmittelbar unter der siebenten Zeile der Inschrift ansetzt und nach innen weisend den Kanten des Steins folgt, sich schließlich innerhalb des von den vier Schriftbändern gebildeten Felds in zwei weiteren Zeilen (von der Orientierung der Inschrift oben aus gesehen, zwischen drittem Schriftband und Schild mit Ausrichtung zur Plattenmitte hin, die zweite Zeile links der Fersenstelle des Schilds) fortsetzt. Gesamte Platte leicht abgetreten, kleinere Oberflächenbeschädigungen besonders im unteren Teil.
H. 215 cm, B. 110 cm, Bu. 6,7 cm. – Gotische Minuskel mit Versalien.
Textedition
I.
Hie · ligt · fraw · margret / hern · Ortolf · vo(n) · Chirich/stete(n) · tacht(er)a) ·
vnd hern · Bolfgan/gsb) · vo(n) · Neydeck · hausfrav / Seligevb) · d͜ er · got ·
genad · / gestarbe(n) · d͜es · erichtag · nach / kathreie(n) · mo · cccco · xl[ii]oc)
II.
<Anno d(omi)ni md) ccccd) xlvi : / jore) gestarben ist der edl / vnd vest ·
Ritt(er) ksrf) bo·/lfga(n)g vo(n) neidegk ang) · // freitag in d(er) kottem(er)h) /
vor mitt(er)v(asten)>
Anmerkungen
Daten: 1442 November 27; 1446 März 9.
Kommentar
Die Einordnung Wolfgangs (nach Friedrich Hausmann: I.) von Neidegg zu Albrechtsberg in die komplexe Genealogie der Neidegger bereitet Probleme. Nach Hausmann sei Wolfgang ein Sohn des 1381 verstorbenen Ulrich (IV.) von Neidegg zu Gillaus-Albrechtsberg und der 1383 verstorbenen Margarete von Eitzing gewesen. Da der von Hausmann aufgrund eines Irrtums als Ulrich (IV.) gezählte Neidegger jedoch tatsächlich mit Ulrich (III.) von Neidegg identisch sein dürfte (s. ausführlicher Kat.-Nr. 31), ist das von Hausmann konstruierte Verwandtschaftsgefüge nicht mehr aufrechtzuerhalten2). Möglicherweise war Wolfgang aber ein Sohn Hans’ (I.) von Neidegg zu Meires und der Margarete von Eitzing, die jedoch nicht die Mutter von Hans (I.) übrigen Kindern Hans (IV.), Konrad (VI.). Ulrich (V.) und Peter (II.) gewesen sein kann3). Wolfgangs Bestattung in Albrechtsberg könnte sich daraus erklären, daß er den Albrechtsberger Besitz für seine Verwandten aus der Linie zu Ranna verwaltete.
Offenbar heiratete Wolfgang zunächst (vor 1397?) Margarete Harracher, nach deren Tod (bald nach 1428) Margarete von Kirchstetten. Aus erster Ehe stammten eine Tochter Margarete, die um 1427 bereits verheiratet war, und ein Sohn Hans (VIII.), verheiratet mit Dorothea von Seisenegg, verstorben vor 1458 April 17. Nach Hausmanns Ansicht hatte Wolfgang von seinem vermeintlichen Vater Ulrich (IV.) dessen Besitzungen in und um Gillaus und Albrechtsberg geerbt, die Burg Albrechtsberg sei ihm und seinem Bruder Georg (I.) von den Verwandten der Linie zu Ranna überlassen worden4). 1396 wurde er von Herzog Albrecht IV. mit dem landesfürstlichen Lehen der Burg Kornberg belehnt, 1404 verkaufte er dasselbe an seinen Halbbruder Christoph von Eitzing5). Mehrfach fungierte er als Siegelzeuge seiner Verwandten aus der Linie zu Ranna (s. auch Kat.-Nr. 31, 50† und 80) und besiegelte 1415 den Waffenstillstand Herzog Albrechts V. mit den mährischen Ständen6). 1426 besiegelte er neben anderen „frewnt und swäger“ des Ausstellers eine Urkunde Hermann (d. Ä.) Schads von Lengenfeld, mit dem zusammen er auch offenbar Angehöriger des Adelsbunds vom Stern („punt des sterns“) war, noch 1444 besiegelte er einen Lehenrevers des Jörg Prantner für das Kloster Göttweig7). Nach Wolfgangs Tod erbte sein Sohn Hans (VIII.) den väterlichen Besitz8).
Margarete von Kirchstetten war eine Tochter des Ortolf von Kirchstetten zu Klement, der 1387 einen Jahrtag für seine Mutter Traude und seine Frau (?) Agnes an der Pfk. Oberleis stiftete und 1401 das ihm und seinem Bruder Heinrich als Pfand ausgegebene Dorf und Gericht Heutal an Martin von Fallbach verkaufte9). Aus der Ehe Wolfgangs mit Margarete dürften keine Kinder mehr hervorgegangen sein, da, wie oben erwähnt, Hans (VIII.) alleine erbte. Nach dem Tod von Hans’ (VIII.) mutmaßlichem Sohn Eustach (I.) (nach 1471) fiel Albrechtsberg wieder an die Linie zu Ranna zurück10).
Die Inschrift in der oberen Hälfte der Platte zählt zu den frühen Beispielen deutschsprachiger Grabinschriften und zeilenweiser Beschriftungen im Bearbeitungsgebiet (vgl. Kat.-Nr. 45). Der lockere Gesamteindruck der sauber ausgeführten Inschrift wird durch die relativ breiten, mit weitem Abstand zueinander gesetzten Buchstaben bestimmt. Erwähnenswert sind die Einzelformen von a mit senkrechtem Teil des gebrochenen unteren Bogens nur in halber Höhe des Mittelbandes und links teils völlig offenem, teils mit Haarzierhäkchen versehenem oberen Bogen, d mit nur minimal in den Oberlängenbereich ragendem Linksschrägschaft; bei e ist der fast zum Quadrangel reduzierte abgeknickte obere Bogenabschnitt leicht vom senkrechten Teil des gebrochenen Bogens abgesetzt, noch deutlicher ist diese Manier bei Fahne und Schaft von f ausgeprägt. Bei g wird der untere Teil des gebrochenen oberen Bogens nicht bis zum Schaft geschlossen, an der Knickstelle des oberen Bogens setzt rechts ein kurzer Balken an, die Schrägschäfte von k sind zu zwei untereinander angeordneten kurzen linksschrägen Schäften umgebildet, bei Bogen-r sind Bogen und Cauda als zwei einander nicht berührende Linksschrägschäfte ausgeprägt. Aus dem relativ homogenen Schriftbild der Inschrift (das Ende von Z. 6 etwas gedrängt) fällt die Jahresangabe deutlich heraus, die in den Hunderterstellen wesentlich gedrängter, zudem leicht aufsteigend und teilweise über der Basislinie stehend eingehauen wurde. Aus dem Text der Inschrift wird allerdings klar, daß es sich kaum um eine (wenigstens wesentlich) spätere Ergänzung handeln kann, da ja der Todestag in einem Zug mit dem Rest eingemeißelt wurde. Die Endung des Seligev der fünften Zeile stellt keine Verschreibung statt Seligen, sondern eine zeitgenössisch häufig auftauchende Schreibweise der femininen Adjektivendung dar und bezieht sich also nicht auf Margaretes verstorbenen Ehemann, sondern auf die Tote selbst, zumal Wolfgang von Neidegg erst nach seiner Gemahlin starb.
Die Umschrift im unteren Teil des Steins wirft einige Fragen auf: Möglicherweise soll die Anordnungder Schriftbänder um einen zentralen Wappenschild dem zeitgenössischen Typ der Wappengrabplatte mit Umschrift entsprechen. Jedoch war die Sterbeinschrift der Margarete von Neidegg bereits eingehauen, als der auf ihren Ehemann bezogene Text auf dem Stein unterzubringen war, sodaß neben den vier Schriftbändern noch zwei weitere Zeilen innerhalb des Felds angebracht werden mußten. Ist schon die gestalterische Vermischung zweier unterschiedlicher Grabdenkmaltypen ungewöhnlich, fallen zwei weitere Tatsachen ins Auge. Erstens wurde das Wappenbild des Schilds nicht ausgeführt, was die Sinnhaftigkeit der Anfertigung einer „Wappengrabplatte“ in Frage stellt. War der Schild schon gleichzeitig mit der Inschrift auf Margarete eingehauen worden (worauf die Proportionen von Platte, Inschrift und Schild hindeuten), ohne Platz für eine Sekundärbeschriftung einzuplanen, wodurch später die zwei weiteren Zeilen der Umschrift innerhalb des Felds notwendig wurden? Weshalb aber hatte man eine unvollendete Platte (ohne das Wappenbild) überhaupt in der Kirche angebracht? Zweitens ist das Ausführungsniveau der Umschrift (besonders im zweiten und vierten Schriftband) äußerst gering, ein Wort des Texts völlig sinnlos (ksr statt des wohl korrekten her). Die Umschrift weist am Ende des zweiten Schriftbands und besonders im vierten Schriftband einen stellenweise starken Linksduktus auf, in denselben Bereichen sind die Einzelformen der Buchstaben besonders weit von den Gestaltungsprinzipien der Gotischen Minuskel (scharfe Brechungen und Knicke von Bögen, Brechungen an Schaftenden usw.) entfernt: Bei jor ist j als an der Oberlinie des Mittelbands nach links gebrochener, an der Basislinie nach links umgebogener Schaft ausgeführt, wobei eine Beschädigung links neben dem Buchstaben schaftähnlich wirkt, o ist an der Basislinie offen, unter dem zum Quadrangel reduzierten Bogen von r ist ein weiterer redundanter Schaft, der leicht zum unteren Schaftende von r umgebogen wird, eingehauen. Das d von der ist annähernd o-förmig ausgefallen, das e von edl besteht aus einem an der Oberlinie des Mittelbandes nach rechts gebrochenen, an der Basislinie in rechtem Winkel nach rechts gebrochenen Schaft, l im selben Wort reicht in einem leichten Bogen wenig in den Oberlängenbereich und endet an der Basislinie in einem Quadrangel. Das vorletzte Wort des dritten Schriftbands lautet eindeutig ksr (r als Bogen-r), sollte aber unzweifelhaft her lauten, das o des folgenden bo·/lfga(n)g ist sehr rund mit deutlicher Durchbiegung der Buchstabenmitte nach rechts ausgefallen. Im gesamten vierten Schriftband sind die typischen Brechungen der Buchstabenbestandteile wenig ausgeprägt, besonders bei g (vollständig im Mittelband) ist der untere Bogen sehr rund ausgeführt. Die Tatsache, daß die beiden (in der heutigen Aufstellung) senkrechten Schriftbänder qualitativ dem Rest nochmals nachstehen, könnte daran liegen, daß der Text auf der bereits im Kirchenboden befindlichen Platte bei behinderter Zugänglichkeit (Speisegitter o. ä.) für den Steinmetzen einzuhauen war. Die erwähnten offensichtlichen Verschreibungen dürften den Steinmetzen zudem als Analphabeten ausweisen, der wahrscheinlich eine teilweise undeutliche Vorlage falsch umsetzte.
Literatur
Andreas Zajic
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich Politischer Bezirk Krems Albrechtsberg a. d. Gr. Krems, Pfk. Mariä Stiegen • Grabplatte • roter Marmor • Gotische Minuskel mit Versalien. • Inschriften des Totengedenkens •
Albrecht IV. •
Eitzing, Christoph •
Eitzing, Margerete •
Fallbach, Martin •
Harracher, Margarete •
Hausmann, Friedrich •
Heidelberger, Ludwig •
Kirchstetten, Agnes, Georg, Heinrich, Ortolf, Traude •
Neidegg, Eustach I., Georg I., , Hans I., Hans VIII., Konrad VI., Margarete, Margarete, Peter II., Ulrich III., Ulrich IV., Wolfgang I. •
Peukham, Erasmus d. J. •
Prantner, Jörg •
Schad, Hermann d. Ä. •
Schenk, Hans •
Seisenegg, Dorothea •
Albrechtsberg a. d. Gr. Krems •
Dürnstein, Augustiner-Chorherrenkloster •
Gföhl •
Gillaus •
Göttweig, Benediktinerkloster •
Heutal •
Kornberg •
Neuruppersdorf •
Oberleis •
Wildendürnbach
Abbildungen
Abb. 44: Grabplatte der Margarete und des Wolfgang von Neidegg (1442, 1446) ©
ÖAW, Wien, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Michael Malina)
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