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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich
Politischer Bezirk Krems
76 |
Grafenegg, Schloß |
1455 |
Wappenstein des Bernhard (II.) von Tachenstein und der Margarete Frauenhofer, Sandstein (rezent) polychromiert, sekundär (?) in der Einfahrtshalle des Nordtrakts über dem Eingang in den Ostflügel des Schlosses im Bogenfeld vermauert, wohl aus dem Altbestand des Gebäudes stammend. Querrechteckige Tafel mit zwei aneinandergeschobenen Eheallianzwappen in vertieftem Feld, darüber einzeilige Inschriftleiste. Stein rezent polychromiert: Hintergrund des Wappenfelds weinrot, Rahmung weiß, Schriftleiste rot, Inschrift schwarz nachgezogen.
H. ca. 80 cm, B. ca. 95 cm, Bu. ca. 11 cm. – Gotische Minuskel.
Textedition
tahe(n)stai(n) 1455 fraw(n)hofe(r)
Wappen: Tachenstein1); Frauenhofer2).
Kommentar
Bernhard (II.) von Tachenstein, geb. spätestens um 1412 als Sohn des Christian (II.) und der G(e)iselburg von Tachenstein, war Rat Kaiser Friedrichs III., Hauptmann von Triest (1445) und Portenau (seit spätestens 1451), Erbschenk in Österreich3) und ab 1452 Hofmarschall der Kaiserin Eleonore, der er im Oktober des vorangegangenen Jahrs zusammen mit Jörg von Volkersdorf und anderen als Mitglied der kaiserlichen Gesandtschaft unter der Führung Aeneas Silvius’ nach Siena entgegengereist war. Seit 1454 war er in der Nachfolge des Jörg Wolfenreuter Inhaber des landesfürstlichen Lehens der Burg Grafenegg. Im selben Jahr kaufte er das Dorf Gedersdorf mit allen Gerichtsrechten von Jörg Wolfenreuter. 1458 wechselte er als Abgesandter der NÖ Stände aus dem Ritterstand am NÖ Landtag zur Partei Albrechts VI. und ging dadurch bis zu seiner förmlichen Rückkehr zur kaiserlichen Obödienz 1468 aller Hofämter und Dienstbeziehungen verlustig. Vor 1462 war er kurzzeitig Inhaber der Herrschaft Meidling gewesen, die er im genannten Jahr an Wolfgang Missingdorfer verkaufte. 1469 gehörte er wieder zu den Räten und Regenten Friedrichs in Wien, 1470 wurde er in den St.-Georgsritterorden aufgenommen und legte 1471 einen neuerlichen Treuschwur auf Friedrich ab, starb aber bald darauf4).
1470 verkaufte Bernhard von Tachenstein das Schloß Grafenegg (damals Neu-Wolfenreith) samt Zubehör, das Dorf Engelmannsbrunn und die Angermühle am Kamp gegenüber dem Feiertag(er)hof in Haitzendorf, die dem Kloster Göttweig jährlich mit 4 lb. den. dienstbar war, an Ulrich von Grafenegg, der dem Tachensteiner im Gegenzug Schloß und Dorf Ebergassing, das Dorf Wienerherberg und umfangreiche weitere Gülten verkaufte. Im selben Jahr machte er Forderungen gegen das Kloster Göttweig vor dem NÖ Landmarschall geltend5).
Margarete Frauenhofer hatte Tachenstein wohl 1445 geheiratet. Im Juli dieses Jahres wurde ihr von König Friedrich III. für die geleisteten Dienste im Frauenzimmer seiner Schwester, Herzogin Katharina, ein Heiratsgut von 200 lb. den. bewilligt6). Die Ehe scheint kinderlos geblieben zu sein.
Der Wappenstein, älteste inschriftliche Quelle zur Grafenegger Besitzgeschichte, wurde in der
vorliegenden Literatur offenbar für eine historisierende Arbeit aus der Umbauzeit der Nordeinfahrt
des Schlosses um 1857/597) gehalten und daher ausnahmslos völlig ignoriert. An der gegenüberliegenden (West-)Seite der Tordurchfahrt befindet sich im Bogenfeld als Parallelstück ein dem älteren stilistisch angeglichener Wappenstein mit den Eheallianzwappen Breuner/Khevenhüller und den entsprechenden Namensbeischriften in neogotischer Minuskel, darunter die offenbar in Stuck geschnittene Jahreszahl 1777. Der jüngere Stein bezieht sich somit offenbar auf die Großeltern August Ferdinand Graf Breuners, Karl Borromäus Graf Breuner-Enckevoirt, und dessen Frau (seit 1762) Maria Josefa Khevenhüller-Frankenburg. Da die Neuanfertigung eines historisierenden Wappensteins mit der eher willkürlichen Datierung 1777 durch August Ferdinand Graf Breuner wenig wahrscheinlich ist, wäre zu erwägen, ob sich beide Tafeln nicht bereits seit wenigstens 1777 in situ befinden. Dies würde jedoch bedeuten, daß es sich bei der nördlichen Tordurchfahrt keinesfalls um einen völligen Neubau aus dem oben genannten Umbauabschnitt des mittleren 19. Jahrhunderts handeln kann. Klarheit könnte in dieser Frage wohl nur eine eingehende baugeschichtliche Aufnahme der Tordurchfahrt bringen.
Die mit gering bemessenem Oberlängenbereich konzipierte Inschrift wurde sehr sorgfältig ausgeführt. Bei a reicht der senkrechte Teil des gebrochenen unteren Bogens, oben flach rechtsschräg abgeschnitten, nur bis etwa zur Mittellinie, der obere Bogen wird von einem einwärts geschwungenen und am Ende umgebogenen Haarstrich gebildet. Der senkrechte Teil des gebrochenen Bogens von h wird einmal an der Basislinie steil rechtsschräg abgeschnitten und läuft spitz in den Unterlängenbereich aus, einmal bildet er im Unterlängenbereich einen stärkeren steil rechtsschrägen, tropfenförmig endenden Haarstrich aus.
Die Jahreszahl stellt das erste Beispiel für in arabischen Ziffern wiedergegebene (vollständige) Datierungen im Bearbeitungsgebiet dar. 5 erscheint dabei erwartungsgemäß linksgewendet mit extrem kurzem, am oberen Schaftende ansetzenden Bogen.
Andreas Zajic
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich Politischer Bezirk Krems Grafenegg, Schloß • Wappenstein • Sandstein • Gotische Minuskel •
Aeneas Silvius •
Albrecht VI. •
Auersperg, Wilhelm •
Breuner •
Breuner, August Ferdinand •
Breuner-Enckevoirt, Karl Borromäus •
Eitzing, Oswald •
Eleonore von Portugal •
Frauenhofer, Bernhard, Engelbrecht, Jörg, Margarete, Niklas, Reinprecht, Wilhelm, Wolfgang •
Friedrich V. •
Gokkendorfer, Andreas •
Grafenegg, Ulrich •
Katharina •
Katharina •
Khevenhüller •
Khevenhüller-Frankenburg, Maria Josefa, •
Missingdorf, Wolfgang •
Nußdorf, Apollonia •
Tachenstein •
Tachenstein, Bernhard II., Christian II., Christian III., Giselburg •
Tyem, Albrecht •
Volkersdorf, Jörg •
Wolfenreuter, Jörg •
Haitzendorf, Angermühle •
Baden, Augustiner-Eremitenkloster •
Ebergassing, Schloß •
Engelmannsbrunn •
Fronhofen •
Gedersdorf •
Göttweig, Benediktinerkloster •
Hadersdorf a. Kamp •
Haitzendorf •
Krumau a. Kamp •
Linz •
Luden, Ruine Gaberkirche •
Meidling •
Nonndorf •
Portenau •
Rom •
Siena •
Triest •
Wienerherberg
Abbildungen
Abb. 59: Wappenstein (1455) ©
ÖAW, Wien, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Michael Malina)
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Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems, ges. u. bearb. v. Andreas Zajic
(Die Deutschen Inschriften 72. Band, Wiener Reihe 3. Band, Teil 3) Wien 2008, Kat. Nr. 76,
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