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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich
Politischer Bezirk Krems
204 |
Göttweig, Klosterkirche 1532 |
1532 |
Epitaph des Göttweiger Abtes Matthias (II.) von Znaim, roter Marmor, in der Kirchenvorhalle an der Ostwand der dritte Stein von Süden, bis 1719 an nicht näher bekanntem Standort in der Klosterkirche an der Wand, um 1777 möglicherweise schon am heutigen Standort1). Hochrechteckige Platte mit Umschrift (I) und leicht vertieftem, durch Stableiste eingefaßten Mittelfeld: zentraler Wappenschild (Allianzwappen in einem Schild) unter Mitra (Spitze von Tau-Kreuz bekrönt), diese flankierend je eine zur Mitte hin gewendete Skelettfigur mit Stab (links) bzw. Schaufel und Sanduhr (rechts), auf Konsolen aus vegetabilem Ornament (Granatäpfel?) stehend und je ein Spruchband (II und III) mit zusammengehörigem Text haltend, im Hintergrund ein aus einem Fruchtgewinde gebildeter flacher Rundbogen. Von der Ortstelle des Schildes ausgehend und dessen Unterrand umgebend Fruchtgewinde nach Art eines cornucopiae, die beiden oberen mohnkapselähnlichen Enden als Konsolen für zwei Totenschädel ausgebildet. Im unteren Drittel zehnzeilige Inschrifttafel (IV), in den Zwickeln der oberen einspringenden Ecken je ein Cherubskopf. Kleiner Teil der rechten oberen Ecke abgebrochen.
H. 196 cm, B. 95,5 cm, Bu. 6 cm (I), 2 cm (II und III) und 2,5 cm (IV). Gotische Minuskel mit Versalien (I) und Kapitalis (II–IV).
Textedition
I.
Anno domini M Dxxxij am xiij ta[g]a) / des monats Octobrisb) · ist gestorben
der erwirdick her mathias / abt vnd hie begraben ligt dem / got genedig sey
vnd allen glavbigen selen amenc)
II.
O MORS Q(VAM)d) AMARA // EST MEMO
III.
RIA TVA HOMINI // IOCVNDO
IV.
IN MATHIAM SECVNDV(M) A͜RCHI=/MANDRITAMe)
GOTVICEN/SEMf) EPITRINBIONg) /
MATHIA͜ E SI FORTE ROGAS HOC OSSA SE=/CVNDI /
CONDVNTVR TVMVLO MENS SVPERA ALTA / TENET /
CETERA NE QVERAS FVIT HAVD IGNOBILISh) / ABBAS /
VITE TESTANTVR HOC MONVME(N)TA SVAi)
Anmerkungen
Wappen: Kloster Göttweig/von Znaim3).
Kommentar
Matthias (II.) von Znaim, damals Pfarrer der Göttweiger Klosterpfarre Mautern, wurde am 27.
oder 28. August 1517 von 15 Professen zum Nachfolger des vier oder fünf Tage zuvor verstorbenen
Abtes Sebastian Dräxel (Drechsler) gewählt. Seine über 15 Jahre lang dauernde Regierung
trat er mit einem Schuldenstand von 2170 lb. den. und 280 fl. ung. und Ausgaben von 334 Dukaten
und 80 fl. für Bestätigung der Abtwahl und Installation sowie Erneuerung päpstlicher
Privilegien an. 1517 bestimmte ihn Papst Leo X. zusammen mit dem Abt von Melk als päpstlicher
delegierter Richter in der Klage der theologischen Fakultät der Universität Wien gegen den
Wiener Bischof, im selben Jahr vertrat er als Angehöriger des NÖ Prälatenstands die NÖ Stände
am Innsbrucker Ausschußlandtag. Am 6. April 1518 erhielt er einen in Innsbruck ausgestellten
Adelsbrief Kaiser Maximilians I., der ihm zugleich den Titel eines Hofkaplans verlieh. 1519 war
er im Anschluß an den Wiener Landtag vom 16. Jänner bei den Beisetzungsfeiern des Kaisers in
Wiener Neustadt anwesend. Sein neues geviertes Allianzwappen (Kloster Göttweig/Matthias von
Znaim) ließ er etwa 1522 in Deckfarbe auf dem Titelblatt eines Zehentregisters über die Weinberge
in Ravelsbach und Pfaffstetten darstellen, bereits 1520 hatte er ein neues Grundbuch der
gesamten Klosterherrschaft anlegen lassen. 1525 verkaufte er im Rahmen größerer Veräußerungen
zur Deckung der landesfürstlichen Türkensteuern den Dietmannshof (später Holler-, heute Hellerhof
in Paudorf ) um 100 lb. den. an Urban und Martha Holler. 1526 überließ er König Ferdinand
I. gegen Verzicht auf die Abgabe von jährlich 200 fl. Vogthafer die Göttweiger Zehenten
in Bruck a. d. Leitha, Höflein, Arbesthal, Göttlesbrunn, Petronell, Deutsch-Altenburg, Schattendorf
und Regelsbrunn. Zu nicht näher bekanntem Zeitpunkt hatte er das Schloß Kilb (heute
Schloß Grünbichl in Kilb) von Georg Velderndorfer angekauft, und beabsichtigte, es 1530 zur
Deckung des von Göttweig geforderten vierten Teils geistlicher Güter weiterzuveräußern. Angesichts
der drohenden Osmanengefahr, die dem Kloster immer höhere steuerliche Aufwendungen
und die Notwendigkeit weiterer Besitzveräußerungen verursachte und Ende September 1529
tatsächlich zu einem zwar folgenlosen Angriff auf das von Abt Matthias nach Flucht des Klosterhauptmanns
Zimprecht Lieber persönlich befehligte Kloster, jedoch schweren Verwüstungen der
Klosterpfarren und -herrschaften führte, ließ er die Befestigungsanlagen im Süden des Klosterareals
um die umgestaltete und spätestens um 1526 mit einer malerischen Wandausstattung (vgl.
Kat.-Nr. 195 und 196†) versehene Alte Burg verstärken, im Osten der Anlage einen Wehrgraben
ausheben und die Ausstattung der Rüstkammer verbessern. Daneben ließ er in mehreren Gebäuden
neue Kachelöfen setzen und Reparaturarbeiten am Nonnenkloster ausführen. Für die
Ausstattung der Klosterkirche und anderer Sakralgebäude im Klosterareal mit liturgischem Gerät,
einer neuen Orgel vom Passauer Bürger Michael Rytzinger nach einem Vorbild in Amstetten und
zahlreichen anderen Kunstgegenständen machte er große Ausgaben, die im von ihm angelegten
Rechnungsbuch, dem „Registrum manuale“, ausführlich verzeichnet sind. Abt Matthias, „der
einzige typische Renaissanceprälat auf dem Göttweiger Abtstuhl“, von den niederösterreichischen
Ständen für seine Tätigkeit angeblich mit einem silbernen Kreuz beschenkt, starb am 12. Oktober
1532 im Wiener Schottenkloster4). Die in älterer Literatur vermutete Errichtung eines Memoriengrabs
für den Hl. Altmann zur Zeit Abt Matthias’ ist nicht nachweisbar5).
Auch zu Abt Matthias (II.) hatte um 1600 eine Darstellung im Rahmen einer geschlossenen Serie von Äbtebildern existiert6).
Das Denkmal, nach äußerer wie innerer Gestaltung Ausdruck des synkretistischen Formenrepertoires einer Übergangszeit, ist das einzige im bearbeiteten Bestand, das eine konventionelle deutschsprachige Sterbeinschrift (in Gotischer Minuskel) mit einem modernen und vergleichsweise anspruchsvollen metrischen lateinischen Text (in Kapitalis) verbindet. Die in den Distichen der versifizierten Grabbezeugung ausgedrückte Leib/Seele-Dichotomie (ossa […] conduntur tumulo, mens supera alta tenet) gehört in unzähligen Variationen seit dem Frühmittelalter zu den Topoimetrischer Grabinschriften7). Die Junktur supera alta tenet erinnert an zwei Hexameter bei Vergil, aen. 5,853 („oculosque sub astra tenebat“) bzw. 6,787 (im Rahmen der bekannten Römerschau: „omnis caelicolas, omnis supera alta tenentis“) und liegt in zahlreichen Varianten mit spätantiken und frühmittelalterlichen Belegen vor8). Das der sentenzartigen Paraphrase O mors usw. zugrundeliegende Bibelzitat Sir 41,1 war in Grabinschriften der Frühen Neuzeit weit verbreitet9). Eine in der älteren Literatur mit Bezug auf dessen Ornamentik zu findende Zuschreibung des Steins an die Werkstatt des nachweislich erst 1537 für Abt Bartholomäus Schönleben tätigen Bildhauers Konrad Osterer ist wohl abzulehnen10). In der Darstellung der teilweise von ausgetrockneter Haut überspannten Skelettfiguren als Personifikationen des Todes und der im Detail sehr spezifischen Form der fünf blättrigen Rose des oberen Fruchtgewindes nimmt der Stein jedoch offenbar Bezug auf Motivik und Ornamentenvorrat des von Loy Hering ausgeführten Epitaphs des Jobst Truchseß von Wetzhausen (gest. 1524) in der Wiener Deutschordenskirche.
Den Gesamteindruck der Inschriften des an sich qualitätvoll gearbeiteten Denkmals beeinträchtigen nicht nur die zwei oben angeführten Fehler in Umschrift und Schrifttafel. Besonders das unglückliche Layout letzterer ließe unter Umständen in Kombination mit der für das Bearbeitungsgebiet frühen Renaissance-Kapitalis an einen späteren Nachtrag denken, würde nicht der Schriftbefund mit jenem der zweifellos ursprünglich beschrifteten Spruchbänder übereinstimmen.
An der Gotischen Minuskel der Umschrift (I) lassen sich Auflösungserscheinungen des Prinzips der strengen Brechungen von runden Buchstabenbestandteilen beobachten. Die Gestaltung des Schluß-s in monats und Octobris etwa mit nicht gebrochenem, sondern durchaus rundem unteren Bogen, einmal mittels Haarstrich leicht nach rechts umbiegend und in den Unterlängenbereich ziehend, entspricht dabei nur einer dekorativen Gestaltungsvariante, die schon im früheren 15. Jahrhundert analog zu Schreibweisen am Zeilenende im handschriftlichen Bereich in Inschriften zu beobachten war (vgl. Kat.-Nr. 55 und 59). Wesentlich freier ist dem gegenüber der im Unterlängenbereich flach nach links gezogene durchgebogene und spitz zulaufende untere Bogen des g oder der ebenso gestaltete untere Bogenabschnitt des h. Merkmale einer Spätzeit sind auch die winzigen, teils dreieckigen i-Punkte und die als diakritische Zeichen über u gesetzten kurzen Striche oder Häkchen. Im Versalienbestand sind vergleichsweise produktive Formen, die auch als Frakturversalien Verwendung finden könnten (D), neben unbeholfen wirkenden Reproduktionen älterer Muster (A, M) zu finden. Die manieriert-eigenwillige Zusammensetzung des O in Octobris aus zwei getrennten und mit flach an Ober- und Basislinie verlaufenden Haarstrichen einander überschneidenden gegenläufigen linken bzw. rechten Bogenabschnitten, diese an der Mittellinie zudem mit zwei flachen Rauten besetzt, ist wohl eher dem Bestreben entsprungen, die Korrektur der zunächst versehentlich eingehauenen Buchstabenfolge mit einem möglichst raumgreifenden Versal besser kaschieren zu können.
Die Kapitalis-Inschriften (II–IV) dagegen, die diesen Schrifttyp erstmals im Bearbeitungsgebiet überliefern, zeigen die Schrift bereits auf der Höhe ihrer Zeit als gereinigte Renaissance-Kapitalis ohne Reste älterer Entwicklungsstufen. Die Buchstaben sind überwiegend relativ schmal, der Wechsel von Haar- und Schattenstrichen ist wenig ausgeprägt, freie Schaft-, Balken- und Bogenenden tragen kräftig dreieckige Sporen. A mit kräftigem dreieeckigen Sporn an der Oberlinie, B mit gleich großen Bögen, schmales, oben spitz auslaufendes, unten mit rechtsschräg abgeschnittenem Sporn versehenes C, E mit drei gleichlangen Balken, G mit kurzer senkrechter Cauda, I mit Dreispitz als i-Punkt, konisches M mit tendenziell bis zur Basislinie reichendem Mittelteil, schmales, mitunter fast spitzovales O, R und Q mit stachelförmiger Cauda und V mit (redundantem) Häkchen als diakritisches Zeichen entsprechen durchaus dem zu Erwartenden.
Literatur
Andreas Zajic
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich Politischer Bezirk Krems Göttweig, Klosterkirche 1532 • Epitaph • roter Marmor • Gotische Minuskel mit Versalien • Kapitalis • Inschriften des Totengedenkens •
Altmann •
Bessel, Gottfried •
Dräxel, Sebastian I. •
Enenkel, Job Hartmann •
Ferdinand I. •
Hering, Loy •
Holler, Urban •
Kammerer, Dietrich •
Leo X. •
Lieber, Zimprecht •
Martha •
Matthias II. •
Maximilian I. •
Niklas von Herzogenburg •
Osterer, Konrad •
Rytzinger, Michael •
Schönleben, Bartholomäus •
Staltmayr, Gallus •
Truchseß von Wetzhausen, Jobst •
Velderndorf, Georg •
Amstetten •
Arbesthal •
Augsburg •
Bruck a. d. Leitha •
Deutsch-Altenburg •
Göttlesbrunn •
Hellerhof •
Höflein •
Innsbruck •
Kilb •
Melk, Benediktinerkloster •
Petronell •
Pfaffstetten •
Ravelsbach •
Regelsbrunn •
Schattendorf •
Unternalb •
Wien •
Wiener Neustadt
Abbildungen
Abb. 105: Epitaph des Abtes Matthias von Znaim (1532) ©
ÖAW, Wien, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Michael Malina)
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O Tod, wie bitter ist die Erinnerung an dich für einen fröhlichen Menschen (II und III).
Grabschrift auf Matthias II., Abt von Göttweig: Matthias des zweiten Gebeine birgt dieses Grab, wenn du fragst; sein Geist weilt droben in den Höhen; damit du nicht noch weiter fragst: er war ein Abt von berühmtem Lebenswandel, das bezeugt sein Denkmal (IV).
Elegische Distichen (IV, Z. 4–10).
Paraphrase nach Sir 41,1 (II und III).