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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich

Politischer Bezirk Krems

344 Göttweig, „Apothekergang“ (1598?)/E. 16. Jh.

Fragment der Grabplatte des Wilhelm Pittersdorfer und seiner Frau, roter Marmor, im sogenannten Apothekergang an der Nordwand der erste Stein von Osten, in rechtem Winkel mit Schmalseite zur Wand am Boden aufgestellt, 1898 aus der Further Pfarrkirche in den Kreuzgang des Klosters übertragen, ursprünglich wohl (bis 1620?) in der Kremser Dominikanerkirche. Querrechteckiges Fragment mit drei vollständigen und einer nur in Resten des oberen Teils des Mittelbands vorliegenden vierten Zeile. Zahlreiche kleine Ausbrüche an der Steinoberfläche. Die Rückseite der Platte wurde 1620 für die Grabinschrift des Daniel Härtl (Kat.-Nr. 430) sekundär verwendet.

H. 42 cm, B. 94 cm, Bu. 6,5 cm. – Fraktur.


Textedition
			

Hie ligt begraben der Edl Vest Herr / Wilhelbm Pitterstorffer des Jnnern / Raths Zu Khrembs, Gleichfals ligt / [hie b]eg[ra]ben die E[hren]tugent/[reicha) – – –

Anmerkungen
a) oder [haft – – –; Erg. analog zu häufigen zeitgenössischen Epitheta.

Kommentar

Wilhelm Pittersdorfer fungierte in der Mitte des 16. Jahrhunderts als Kopist bzw. Schreiber in einer Kanzlei König Ferdinands I. 1554 wurde er im Rahmen der im vorangegangenen Jahr von Ferdinand eingesetzten Reformkommission des Klosters Göttweig unter dem Administrator Bartholomäus de Cataneis (s. ausführlicher Kat.-Nr. 252) als Gegenschreiber des alten Klosterhauptmanns installiert1). Diese neue Funktion bedingte offenbar die Niederlassung Pittersdorfers in Krems, wo er 1555 den Bürgereid ablegte und von 1556 bis 1561 als Stadtschreiber fungierte. Seine erste Frau Barbara, Witwe nach Wolfgang Tenscheitl, starb etwa 1560. Durch seine zweite Ehe mit der Witwe des früheren Kremser Schlüsselamtmanns Pankraz Reiger, Maria, stieg er unter die ratsfähigen Familien auf. 1562 in den Inneren Rat gewählt, wurde er schon im Folgejahr sowie 1565 und 1567 Richter und Vertreter der Stadt auf dem NÖ Landtag, 1570 und 1572 war er Bürgermeister, im Inneren Rat verblieb er trotz Amtsmüdigkeit, vorgerückten Alters und Krankheit wenigstens nominell bis 1595. Mit Jakob Hutstocker (s. Kat.-Nr. 442) stand er durch Kollegialität in städtischen Ämtern und entfernte Verwandtschaft in enger Verbindung. Wilhelms Sohn Michael gab 1600 bei seinem Ansuchen um Aufnahme in den NÖ Ritterstand zwar an, sein Vater sei als Inhaber eines Freihofs in der Stadt bereits 1563 in den Ritterstand aufgenommen worden, doch hatte Wilhelm in jenem Jahr lediglich den einfachen Adelsstand und einen kaiserlichen Wappenbrief erhalten, ohne ein adeliges Landgut zu erwerben oder seine städtischen Funktionen aufzugeben.

Als vermögender Angehöriger der städtischen Oberschicht pflegte Wilhelm Kontakte zu Angehörigen anderer nobilitierter Ratsfamilien und des Niederadels der Umgebung und gehörte zur Stubengesell­schaft des Kremser „Gattermannhauses“ (Untere Landstr. 52). Einen der 1586 von der Ausweisung aus der Stadt bedrohten und deshalb untergetauchten evangelischen Schulmeister scheint er heimlich als Erzieher seiner Kinder beschäftigt zu haben. 1588 sagte er, wohl in der Absicht, Krems zu verlassen und in einen von gegenreformatorischen Bestrebungen weniger berührten Ort der Wachau zu übersiedeln, sein Bürgerrecht auf und wollte seine Ratsmitgliedschaft zurücklegen, was Erzherzog Ernst jedoch untersagte. 1598 wurde er zusammen mit seiner Frau trotz seiner evangelischen Konfession vom Kremser Stadtpfarrer und Dechanten, Dr. Jakob Lambert, in der als prestigeträchtiger Beisetzungsort von Adel und Ratsbürgertum stark frequentierten Kremser Dominikanerkirche beigesetzt. Lambert, ein Klient des Passauer Offizials Melchior Klesl, zog sich dadurch dessen heftige Kritik unter Androhung des Verweises aus der Diözese zu, verantwortete sich jedoch damit, daß Pitterdorfers Tochter schon Jahre zuvor von seinem Amtsvorgänger Andreas Hofmann, mittlerweile Passauer Weihbischof, bei den Dominikanern mit aller Feierlichkeit und nach Abhaltung einer Leichenpredigt bestattet worden sei2).

Sollte die vorliegende Platte tatsächlich ursprünglich am Beisetzungsort in Krems angebracht gewesen sein, ist die überraschend kurze Zeitspanne bis zur Sekundärverwendung vielleicht durch die Aufgabe der Grabstelle der Pittersdorfer im 1619 rekatholisierten Krems zu erklären. 1620 dürfte der Stein jedenfalls bereits in Sekundärverwendung in Furth gewesen sein.

Die aus sehr schmalen Einzelformen zusammengesetzte und etwas gedrängt wirkende, doch exakt ausgeführte Inschrift zeigt starke Tendenzen zur Auflösung aller runden Buchstabenbestandteile in lange, das Mittelband dominierende parallele Schäfte mit (Pseudo-)Brechungen an der Basislinie. Während jeweils nur der erste Schaft von mehrschaftigen Buchstaben (m, n) auf der Basislinie in einem Quadrangel endet, werden die übrigen Schaft- oder Bogenenden an der Basislinie minimal nach rechts umgebogen und flach rechtsschräg abgeschnitten, sodaß von einer in einem Quadrangel endenden Brechung im strengen Sinn nicht gesprochen werden kann. Lediglich die Bögen von g und h reichen, nach links um- bzw. leicht durchgebogen und spitz auslaufend, tatsächlich in den Unterlängenbereich, während die Schäfte von f und s spitz zulaufend auf der Basislinie enden, in den Unterlängenbereich setzt sich nur ein kurzer Haarzierstrich fort.

1) S. Treiber, Situation 136. Ein von Pittersdorfer angelegtes Rechnungsbuch befindet sich o. Sign. im StiA Göttweig, s. Fischer, Atlas 41.
2) S. zu Pittersdorfer und dem Streit um dessen Beisetzung Schönfellner, Krems passim, bes. 61, 240 und 256 und Zajic, Aeternae Memoriae Sacrum, Kat.-Nr. 114. Die Angaben bei Görg, Bürgermeister 126–134, weichen teilweise von denen Schönfellners ab (hier andere Daten für die Funktionen Pittersdorfers, statt Maria Anna Reiger). Den Adels- und Wappenbrief Wilhelms (1563 Februar 1, Wien) s. bei Frank, Standeserhebungen 4, 80. Die Wortdevise zum Wappen Pittersdorfers an der Stubendecke des Gattermannhauses lautete Das stindl hats pracht, s. Rally, Materialien IV, 526, Kinzl, Chronik 134, Gattermann, Geschichte 12, 25 und 27 und Schönfellner, Krems 46 und 337. Michael Pittersdorfer wurde schließlich 1600 Februar 28 oder Juni 22 unter die neuen Geschlechter des NÖ Ritterstands aufgenommen, s. NÖLA, Ritterstand Aaa I und A I, fol. 15v bzw. NÖLA, Hs. 236/1, pag. 466. Im selben Jahr verkaufte er sein Vaterhaus und zwei weitere kleinere Häuser in Krems und dürfte nach Wösendorf gezogen sein, wo er offenbar noch 1613 lebte, s. Schönfellner, Krems 164, Anm. 32 und 199. Bei Schönfellner, Krems 258, die Angabe eines Adelsbriefs für die Pittersdorfer zu 1596 (?).
Literatur

DASP, Nachlässe 5, Heft L, fol. 24r. – ÖKT 1, 481 (fälschlich „Petterstorffer“; Sekundärverwendung nicht beschrieben). – Riesenhuber, Kunstdenkmäler 89 („18 Grabsteine und Reliefs […] im sogenannten Apothekergange“). – ÖAW, NLH, 2.-4. 7. 1958. – 900 Jahre Stift Göttweig, Kat.-Nr. 1321. – Dehio Süd 572.



Andreas Zajic

Zitierregel:
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems, ges. u. bearb. v. Andreas Zajic
(Die Deutschen Inschriften 72. Band, Wiener Reihe 3. Band, Teil 3) Wien 2008, Kat. Nr. 344,
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Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
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