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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich

Politischer Bezirk Krems

442 Gedersdorf, Fk. Hll. Philipp und Jakob 1. V. 17. Jh. (?)

Gruftplatte der Familie Hutstocker, roter Marmor, im südlichen Torvorbau an der Ostwand, früher außen an der Sakristeisüdseite, ursprünglich wohl im Boden des Chors anstelle einer heute dort eingesetzten unbeschrifteten Gruftplatte aus hellgrauem Granit mit annähernd gleichen Abmessungen. Zehnzeilige Inschrift (Z. 1, 8 und 10 zentriert) über Vollwappen in leicht vertieftem vollrunden Feld.

H. 164 cm, B. 83 cm, Bu. 4,5–5 cm. – Kapitalis.


Textedition
			

AD VIATOREM / QVID NOTET HOC MARMOR / SI QVA͜ ERIS FORTE VIATOR: / SISTE PARVMPER ET HA͜EC / PELLEGE: CERTVS ERIS. / HVC HVETSTOCKIADVM / VVLT STIRPS SVA CORPORA / CONDI, / SI TE PLVRA LIBET QVA͜ERERE / DISCE MORIa).

Anmerkungen
a) alle Zeilenanfangsbuchstaben mit Ausnahme von VVLT, CONDI und DISCE (Z. 7, 8 und 10) vergrößert.

An den Wanderer: Wenn du vielleicht fragst, Wanderer, was dieser Marmorstein verkündet, dann bleibe ein Weilchen stehen und lies dies durch: (dann) hast du Gewißheit. Hier will das Geschlecht der Hutstocker seine Leichname bestattet haben. Willst du noch mehr erfragen, dann lerne zu sterben.

Elegische Distichen (Z. 2–9).


Wappen: Hutstocker1).


Kommentar

Die im 16. Jahrhundert mit einzelnen Familienangehörigen aus dem vermögenden Wiener bzw. Kremser Ratsbürgertum in den NÖ Ritterstand aufgestiegenen Hutstocker besaßen durch die dezidiert evangelisch gesinnten Brüder Leopold (zunächst Wiener Ratsbürger, später Zeugskommissar) und Jakob (zwischen 1562 und 1595 Kremser Ratsbürger, als Bürgermeister der Jahre 1574, 1576, 1578, 1580, 1584, 1586 und 1588 und darüber hinaus einer der bedeutendsten Gestalter der Kremser Stadtpolitik in Zeiten konfessioneller Auseinandersetzung), Söhne des Wiener Ratsbürgers, Stadtrichters und Bürgermeisters Christoph Hutstocker, seit 1587 kurzzeitig die Herrschaft Velm, seit wenigstens 1595 den Adelssitz Scheibenhof, kurzzeitig die Pfandherrschaft Gföhl und seit 1599 die Herrschaft Dobra mit dem zugehörigen Dorf Tiefenbach. Infolge Überschuldung durch ausständige Landsteuern wurde die letztgenannte Herrschaft jedoch um 1622 gepfändet und von Hans Jakob von Kuefstein (s. Kat.-Nr. 386) als Gläubiger angekauft. 1625 überließ Kuefstein als Taufpate der hinterlassenen Kinder des Alexander Hutstocker und der Justina Irnfried von Rothenhof deren Gerhaben das nun von Dobra abgetrennte Gut Tiefenbach gegen Begleichung der früheren Kaufsumme2).

Apollonia Hutstocker war bereits vor 1593 mit Christoph von Lindegg verheiratet gewesen, die Wappengrabplatte zweier aus dieser Ehe stammender Kinder befindet sich in Weiten3). Ein namentlich nicht näher bekannter Hutstocker war 1565 als Hauptmann eines Regiments zu Fuß bei der Belagerung von „Erdewti“ (Erdöd?) ums Leben gekommen4).

Welche Angehörige der Familie die vorliegende Gruftplatte anfertigen ließen, ist unbekannt. Noch 1613 waren ein Sohn und eine Tochter Jakob Hutstockers auf dem (evangelischen) Friedhof vor der Stadt Krems bestattet worden5).

Die Datierung ergibt sich aus der Gestaltung des Vollwappens und dem Schriftcharakter, die beide starke Ähnlichkeiten zu den Arbeiten der Kremser Werkstatt des Kilian Fuchs im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts aufweisen (s. Einleitung S. LXXIII f.).

1) S. Si NÖ 1, 205 (Hutstocker [Huetstockler] und Taf. 97, vgl. die tingierte Darstellung in NÖLA, Hs. 236/3, pag. 766.
2) S. HKA, NÖ Herrschaftsakten P 45, fol. 73 (1608 präsentiert Jänner 26; Leopold Hutstocker beschwertsich bei der NÖ Kammer über das ihm zu Unrecht auferlegte Verbot des Wildbanns auf seiner Herrschaft Dobra; die Herrschaft Gföhl habe er auf Drängen der Kammer an die Henckel von Donnersmark verkauft) und NÖLA, Landrechtsurk. 816 (1625 Februar 14, Wien; Insert in 1625 März 13, Wien), vgl. Zajic, Aeternae Memoriae Sacrum, Reg. 220f. sowie NÖLA, Hs. 236/3, pag. 767f. Tiefenbach war in der Folge offenbar im Besitz des Karl Beer auf Eisenberg und seiner beim Verkauf von Dobra 1625 noch unvogtbaren Frau Anna Susanna Hutstocker, vgl. Zajic, Aeternae Memoriae Sacrum, Kat.-Nr. 122. Aus der Ehe stammte eine Tochter Justina, die 1652 den Pfleger von Wildberg-Messern, Wolfgang Sigmund Seeberger von Edlach heiratete, s. DASP, PA Messern 1,2,3/1 (Tauf-, Trauungs- und Sterbebuch 1651–1677), pag. 116f. Alexander Hutstocker zu Dobra, Leopolds Sohn, hatte 1608 auch die Herrschaft Eichhorn von Hartmann von Landau angekauft, s. NÖLA, Hs. 236/3, pag. 769. Alexander und Rudolf Hutstocker hatten den Horner Bundbrief unterzeichnet, Jakob Hutstocker verweigerte 1620 die Erbhuldigung, s. Schönfellner, Krems 253, Anm. 24.
3) S. Zajic, Aeternae Memoriae Sacrum, Kat.-Nr. 100 und Zajic, „Zu ewiger gedächtnis aufgericht“ 221.
4) S. Ortelius redivivus 100.
5) S. Schönfellner, Krems 272.
Literatur

DASP, Nachlässe 5, Heft K, fol. 1r. – ÖKT 1, 79. – Plesser, Kirchengeschichte (1932) 233. – ÖAW, NLH, 10. 6. 1962. – Zotti, Kunst 2, 41. – Dehio Nord 251.



Andreas Zajic

Zitierregel:
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems, ges. u. bearb. v. Andreas Zajic
(Die Deutschen Inschriften 72. Band, Wiener Reihe 3. Band, Teil 3) Wien 2008, Kat. Nr. 442,
URL: hw.oeaw.ac.at/inschriften/noe-3/teil4/noe-3-obj442.xml

Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
Schlagworte
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Abbildungen

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Abb. 187: Gruftplatte der
Hutstocker (1. V. 17. Jh.)
©  ÖAW, Wien, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Michael Malina)