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Die Inschriften des Bundeslandes Tirol

Politischer Bezirk Imst

2 Stams, Stiftskirche 1284

Weiheinschrift, Wandmalerei, in der Mittelapsis. Elf- oder zwölfzeilige Inschrift, zu beiden Seiten des Fensters in je einem Inschriftenblock braunrot auf hellbeigem Putzgrund aufgemalt, der Text über beide Blöcke zeilenweise durchlaufend. Die beiden Schriftfelder sind durch einen Kastenrahmen mit fast völlig verblassten einfachen schwarzen Linien begrenzt, die Zeilen durch ebensolche Linien getrennt. Beide Schriftfelder wurden ursprünglich von einer Leiste aus abwechselnd nach innen bzw. außen orientierten braunroten Dreipässen gerahmt. Während diese Gestaltung beim rechten Inschriftenblock noch erhalten geblieben ist, zeigt das linke Feld eine sekundäre (frühneuzeitliche) Adaptierung durch vegetabile Wellenranken, deren Ausläufer die als Kleeblätter uminterpretierten, heute aber weitgehend verblassten älteren Dreipässe gebildet hatten. Die Weiheinschrift wurde 1963 freigelegt, doch ist der Verputz jeweils an drei Stellen in der Mitte der Schriftfelder großflächig gestört und die übrige Inschrift in der oberen Hälfte mittlerweile völlig, sonst stark verblasst und kaum mehr lesbar. Ihr Text musste deshalb überwiegend nach einer Zeichnung auf Millimeterpapier im Stamser Stiftsarchiv wiedergegeben werden, die den Zustand aus der Zeit der Restaurierung festhält.


H. 177 cm (linker Schriftblock), 170 cm (rechter Schriftblock), B. 180 cm, Bu. 9–9,5 cm. – Gotische Majuskel.


Text ergänzt nach Stiftsarchiv Stams G VIa n. 1, pag. 6f.1) und Beilage von 1963 (Zeichnung auf Millimeterpapier).


Textedition
			

[A(NNO)a) · D(OMINI) · M · CC · L · XXX · IIII · XI · K(A)L(ENDAS)b) // NOVEMB(RIS) · CONSECR(ATVM) · EST · HOC / ALTA͜RE · A · VENER(ABILI) · D(OMI)NO · WERN(HARDO) // EP(ISCOP)O · PETIN(ENSI)c) · IN · HO͜N(ORE) · S(ANCTE) · TRIN(ITA)T(IS) / I(N) · Q(VO) · HE · RELIQ(VIE) · SUNTd) RECONDITE // APOSTOL(ORVM)e) · ANDREf) · WARTHOL(OMEI)g) // IACOBIh)) · I(TEM) · LVCE · EW(ANGELIS)TE · I(TEM)i) · – – – / – – – // – – – / ...... M(A)RT(YRVM) · .... DNA ..... // LAUREN(CII) · PANG(RA)CII · ERASMI / M(A)RT(YRVM) · I(TEM) · MA͜RTINI · BRICIJ · EP(ISCOP)OR(VM) // I(TEM) · CLEM(EN)TIS · P(A)P(E) · I(TEM) · B(E)N(E)D(I)C(T)I · ABB(ATIS) /] IT(EM) · S(AN)C(T)A͜RV(M) [· CO(N)STA(N)TI]NE XI MIL(LIVM) // V(IRGINVM) · BA͜RBA͜RE · KATA͜RINE · ET · MA͜RG͜ R(ETE) / [I(TEM) · D(E) · CAPIL(LIS) · S(ANC)TE · MARIE · MAG(DALENE) // I(TEM) · D(E) · VTR(O)Q(V)E · SVDARIO · / DO(MINI) · I(TEM) · D(E) · PANO · Q(VO) ·] VESTIT(VS) · FVIT · // DO(MINVS) · I(TEM) [D(E)] C(RU)CE D(E) LAPID(E) CALVA/[RIE · PAS(SIONIS) · I(TEM) · D(E) · SEPULC(RO) · D(OMI)N(I) ·] // · [I(TEM) · D(E) · LAPID(E) · ASCEND(IT) ·] / D(E) · LAP(IDE) · V(BI) ORAVIT · IT(EM) · D(E) · CI(N)G(V)LO · // S(AN)C(T)E · [MARIE] · VIRGINISj) · ·

Anmerkungen
a) Trennzeichen vollrunde Punkte; der Vergleich der Zeichnung vom Befund nach der Freilegung der Is. mit dem heutigen Bestand ergibt, dass die in der Zeichnung wiedergegebenen Trennzeichen oftmals nur sehr schwer erkennbar oder überhaupt nicht vorhanden gewesen sind; eine Abweichung des inschriftlichen Originals von den in der Folge nach der Zeichnung gesetzten Trennzeichen scheint damit wahrscheinlich; das Original dürfte ursprünglich tatsächlich weit weniger Trennzeichen aufgewiesen haben.
b) K und L waren wohl sehr eng nebeneinander geschrieben (Nexus litterarum?); L sehr schmal.
c) nach dem E in der Zeichnung offenbar fälschlich ein weiterer Buchstabe (S?) angedeutet.
d) die folgenden zwei Wörter ediert nach dem Text der Hs.
e) in der Zeichnung ist der folgende Text wohl irrig eine Z. weiter unten wiedergegeben, die Z. darüber hingegen leer; es dürfte sich jedoch um die hier wiedergegebene dritte Z. des rechten Blocks gehandelt haben, da der Text beider Felder sich nur so sinnvoll erg.; diese Rekonstruktion steht auch im Einklang mit der Überlieferung bei Primisser und in der mittelalterlichen Hs.
f) ANDR eng und undeutlich in der Zeichnung zusammengeschrieben (einige der Buchstaben mit Nexus litterarum?).
g) für BARTHOLOMEI.
h) letztes I auf der Zeichnung kaum zu erkennen.
i) die Is. der folgenden Z. schon in der Zeichnung nicht mehr überliefert; da auch aus der kopialen Überlieferung der Hs. kein Hinweis auf den Inhalt dieser Zeile entnommen werden kann (alle dort genannten Reliquien kommen an anderer Stelle unseres Textes vor), könnte diese Z. bereits im Original freigelassen worden sein.
j) es folgen Füllzeichen in Form von zwei Sternen.

Im Jahre des Herrn 1284, am elften Tag vor den Kalenden des November, ist dieser Altar vom ehrwürdigen Herrn Bernhard, Bischof von Pedena, der Heiligsten Dreifaltigkeit geweiht worden. In ihm sind diese Reliquien aufbewahrt: Der Apostel Andreas, Bartholomäus, Jacobus. Ebenso des Evangelisten Lucas. Ebenso (...) der Märtyrer Laurentius, Pankratius, Erasmus. Ebenso der Bischöfe Martin und Briktius. Ebenso des Papstes Clemens. Ebenso des Abtes Benedikt. Ebenso der Heiligen Constantina, der 11.000 Jungfrauen, der Barbara, Katharina und der Margarethe. Ebenso Haare der Heiligen Maria Magdalena. Ebenso von beiden Schweißtüchern des Herrn. Ebenso vom Tuche, mit dem der Herr bekleidet war. Ebenso vom Kreuze, vom Kalvarienberg, (wo der Herr) gestorben (ist). Ebenso vom Grab des Herren. (...) Ebenso vom Stein, von dem er (in den Himmel) auffuhr, vom Stein, wo er betete. Ebenso vom Gürtel der Heiligen Jungfrau Maria.


Datum: 1284 Oktober 22.


Kommentar

Trotz des schlechten Erhaltungszustandes handelt es sich bei der Stamser Weiheinschrift um ein hervorragendes epigraphisches Denkmal, gehört sie doch zu den ältesten erhaltenen Inschriften Tirols; im Kloster Stams ist sie überhaupt die älteste original erhaltene Inschrift. Der schlechte Erhaltungs­zustand macht es nötig, die Inschrift durch kopiale Überlieferung zu ergänzen. Dies ist in der Literatur bisher mittels eines Pergamentcodex aus der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts im Stamser Stiftsarchiv (G VIa n. 1) geschehen. Die Handschrift, die auch von Primisser abgeschrieben wurde (Additiones II cap. XVI, 97), beschreibt die Reliquien zahlreicher Stamser Altäre und überliefert auf Seite 6 und 7 die Reliquien des Trinitätsaltares. Eine nicht näher bezeichnete Zeichnung auf Millimeterpapier aus dem 20. Jahrhundert, die sich im Stamser Stiftsarchiv unter der gleichen Nummer wie der Pergamentcodex findet (G VIa n. 1), zeigt jedoch den Zustand der Inschrift, wie er ganz offensichtlich während oder kurz nach ihrer Freilegung 1963 sichtbar gewesen sein muss. Da der heutige Zustand der Inschrift bei weitem schlechter ist als in der Zeichnung sichtbar, wird hier v. a. auf die Stamser Zeichnung zurückgegriffen. Dabei ergeben sich z. T. erhebliche Abweichungen von den Aufzeichnungen der Stamser Handschrift und vom Text Primissers. Es scheint sich also bei den beiden letztgenannten Quellen nicht um kopiale Überlieferungen der Inschrift im engeren Sinne zu handeln, sondern eher um unabhängige Notizen zur Weihe bzw. zum Reliquienkatalog des Altares. Dennoch stimmt das Grundgerüst aller drei Texte und der lesbaren Reste des Originals ausreichend überein, um auch aus dem Codex und der darauf basierenden Überlieferung bei Primisser gewisse Rückschlüsse für die Edition ziehen zu können. An vielen Stellen ist der Text der Inschrift gegenüber der handschriftlichen Überlieferung knapper gefasst. So heißt es in der Inschrift etwa kurz und unverständlich: D(E) LAPID(E) ASCEND(IT). Eindeutig ist dagegen die entsprechende Stelle im Codex: „De lapide de quo ascendit dominus“.

Die Weihe der Stiftskirche in Stams fand – dem ausführlichen Bericht in Lebersorgs Chronik zufolge – am Tag des Hl. Malachias (5. November) 1284 statt2)). Die Entscheidung für diesen Tag dürfte nicht zufällig erfolgt sein; der 1190 heilig gesprochene irische Erzbischof Malachias war ein großer Förderer des Zisterzienserordens gewesen und hatte den Orden nach Irland gebracht – so wie Meinhard II. die Zisterzienser nach Tirol holte3). Das politische Programm des Stifters von Stams zeigt sich aber auch noch in anderen Details der Weihe: Wenngleich in der Inschrift nur Bischof Bernhard von Pedena genannt wird, ein Suffragan des Patriarchen von Aquilea, so nennt Lebersorg auch die Bischöfe Bruno von Brixen, Hartmann von Augsburg, Markus (bei Lebersorg irrtümlich Martin) von Ceneda, Jakob von Malta, Nikolaus von Caorle und Heinrich von Regensburg4). In dieser Auswahl der Bischöfe, etwa auch gezielt aus dem Mittelmeerraum, könnte man eine programmatische Geste Meinhards sehen: Vielleicht kann man hierin Meinhards Bemühungen um eine reichsfürstliche Stellung und eine endgültige Lösung Tirols vom Herzogtum Bayern erkennen5).

Unter den Bischöfen war es Bernhard von Pedena, der bereits vierzehn Tage vor der eigentlichen Weihe am 5. November anreiste und hier einen Großteil der Altäre weihte; darunter fiel auch der nach dem Hochaltar wichtigste Altar in der Hauptapsis, auf den sich die hier edierte Weiheinschrift bezieht, und der am 22. Oktober geweiht wurde6).

Unter den zahlreichen Reliquien, die diese Weiheinschrift aufzählt, kommt wohl insbesondere einer Nennung eine außergewöhnliche kulturhistorische Bedeutung zu:   Es handelt sich dabei um die Passage I(TEM) · D(E) · VTR(O)Q(V)E · SVDARIO · / DO(MINI). Der Hinweis auf zwei Schweißtücher des Herren ist ungewöhnlich: Dass es sich bei einem der beiden um das Schweißtuch der Veronika handelt, ist sicher; für das zweite Schweißtuch ist die Identifikation jedoch schon schwieriger. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine Anspielung auf das sogenannte Mandylion, das der Legende nach Abgar von Edessa in der Not übersandt worden sei7). Bemerkenswert ist die Erwähnung dieses zweiten Acheiropoieton Christi vor allem deshalb, weil diese Reliquie im 13. oder 14. Jahrhundert ins Abendland gelangt sein soll, wo zwei Kirchen in Genua und Rom deren Besitz für sich in Anspruch nehmen8). Bei den zwei Schweißtüchern der Stamser Weiheinschrift würde es sich demnach um einen der frühesten Belege für die Verehrung des Mandylions im Westen und die Anwesenheit einer Partikel davon in Mitteleuropa handeln. Die Erwähnung dieser Reliquie unterstreicht einmal mehr die besondere Bedeutung und den hohen Anspruch der Meinhardinischen Stiftung in Stams; ihr Auftauchen verwundert insbesondere dann nicht, wenn man bedenkt, dass Meinhards Frau Elisabeth als Witwe des letzten staufischen Königs durchaus über Kontakte verfügt haben muss, die ihr die Erlangung einer in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entsprechend „modernen“ Reliquie ermöglichte, deren Anspruch weit über die regionale Bedeutung der Tiroler Zisterze hinausging.

Die wenigen erhaltenen Buchstabenfragmente lassen eine behäbige Gotische Majuskel erkennen, die eher breit und schwer wirkt; die verwendete Schrift hat sich schon deutlich von der spätromanischen Schrift wegentwickelt9). So scheint etwa C mit Abschlussstrich und doppeltem, senkrechtem eingestelltem Zierstrich versehen. Eine eingehende inschriftenpaläographische Beurteilung der Inschrift, bei der „runde“ bzw. unziale Formen (besonders E, H, N) häufiger als die entsprechenden „eckigen“ bzw. kapitalen Formen auftreten, ist aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes nur bedingt möglich. An Einzelformen seien genannt A mit Deckbalken und diagonalem, verdoppeltem Mittelbalken, symmetrisches, unziales M, rundes T mit eingestelltem senkrechten Zierstrich und verschränktes W. Auf der rechten Seite des Apsidenfensters findet sich in der Nähe der Weiheinschrift noch ein gut lesbares Graffito aus späterer Zeit (Kat.-Nr. 38).

1) Pergamenths. (1. H. 14. Jh.), vgl. Primisser, Additiones II cap. XVI, 97.
2) Lebersorg, Chronik 17 (Haidacher 32f.).
3) Köfler, Gründung 339; Köfler, Weiheinschrift 21 und Schmitz-Esser, Inschriften (2003) 67.
4) Lebersorg, Chronik 17 (Haidacher 32f.); vgl. Primisser, Annales II, cap. XVI § 17f.
5) Köfler, Weiheinschrift 21–23.
6) Lebersorg, Chronik 17 und 21 (Haidacher 32f. und 38f.) und Primisser, Annales II, cap. XVI § 17f.; vgl. Köfler, Weiheinschrift 23 und Schmitz-Esser, Inschriften (2003) 67f.
7) Seibert, Abgar und Katzenellenbogen, Antlitz 732–734.
8) Katzenellenbogen, Antlitz 733. Bereits 1249 übersandte der spätere Papst Urban IV. dem Kloster Montreuilles-Dames in Laon ein dem Mandylion entsprechendes Bild; ebda 735f.
9) Eine genauere Analyse der Schrift findet sich bei Köfler, Weiheinschrift 23–25.
Literatur

Lebersorg, Chronik 16–19 und 21 (Haidacher 32–39). – Primisser, Annales II, cap. XVI § 17f. – Primisser, Additiones II, cap. XVI, 97. – Stiftsarchiv Stams G VIa n. 1. – Dehio Tirol 750. – Köfler, Weiheinschrift 17–26. – Köfler, Gründung 335–339. – Schmitz-Esser, Inschriften (2003) 66–68. – Schmitz-Esser, Stift Stams 211f. (hier versehentlich zu 1294 datiert) und 236 (Abb. 2).



Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser

Zitierregel:
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte, ges. u. bearb. v. Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser (Die Deutschen Inschriften 82. Band, Wiener Reihe 7. Band, Teil 1) Wien 2013, Kat. Nr. 2,
URL: hw.oeaw.ac.at/inschriften/tirol-1/imst/tirol-1-obj2.xml

Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
Schlagworte
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Abbildungen

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Abb. 3: Weiheinschrift (1284)

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Abb. 4: Weiheinschrift (1284)

©  ÖAW, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Gerhard Watzek)

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Abb. 5: Nachzeichnung
©  Stift Stams, Stiftsarchiv