Die Inschriften des Bundeslandes Tirol
Politischer Bezirk Imst
51 |
Nassereith, Fernsteinkapelle |
1. H. 16. Jh. |
Graffiti (Ensemble von mehreren Namensinschriften/Besuchervermerken und einer Spruchinschrift?), Rötelstift, an der Südwand des westlichen Joches der Kapelle im Schildbogen auf die bestehende ältere Wandmalerei von 1493 (s. Kat.-Nr. 28) besonders in den Quadern der gemalten Burgenarchitektur der Szene am rechten Rand aufgebracht. Der Bestand umfasst zuoberst Herkunftsort und Name eines Pilgers (I) samt zugehöriger Zeichnung von drei ineinander verschlungenen Fischen. Rechts neben der Inschrift ein mit einem Pilgerstab (?) gekreuzter Schlüssel. Die Anfangsbuchstaben der Worte sind bis zu zweimal größer ausgefertigt als die restliche Inschrift. Unterhalb dieses Anwesenheitsvermerks weitere zweizeilige Inschriften: II, darunter nebeneinander III und IV, zuunterst die dreizeilige, drei Quader einnehmende Spruchinschrift (?) V. Die Position der Inschriften nimmt Bedacht auf die unmittelbar links darunter dargestellten, im Gebet knienden weiblichen Figuren, die zur Stifterdarstellung der das ganze Joch ausfüllenden, durch einen barocken Fenstereinbruch jedoch massiv gestörten Wandmalerei gehören. Die im Zuge einer Restaurierung 1991 aufgedeckten Inschriften sind stellenweise schlecht erhalten, ihre Lesung ist an vielen Stellen unsicher (vgl. Kat.-Nrr. 28, 49 und 65).
Bu. 2 cm. – Schreibschriftliche spätgotische Kursive (Financière).
Textedition
I.
Cambray Jacque / Crepin le roy
II.
ca(m)bray / adrien d͜e L Ab[..]uea)
III.
Jaque la / Falque
IV.
bertranob) / carḷ[..]
V.
Iors en che p(our) aller le / braque [...] Guidy d[....]d[..]
Anmerkungen
Kommentar
Offenbar verewigte sich eine kleine Pilgergruppe aus Cambrai in der Fernsteinkapelle, wobei alle Inschriften von einer gemeinsamen, routinierten Schreiberhand stammen dürften. Tatsächlich handelte es sich bei der den 14 Nothelfern geweihten Kapelle am Fernstein um eine beliebte Wallfahrtskirche1). Die drei Fische, die der an der Wand zuoberst genannte Jacques unter seine Inschrift zeichnete oder zeichnen ließ, stehen für die Dreifaltigkeit und als Zeichen des Abendmahles. Der mit einer Art Pilgerstab gekreuzte Schlüssel könnten das eigentliche Reiseziel des Pilgers verraten: Die gekreuzten Schlüssel sind – wie die Jakobsmuschel für Santiago de Compostela – das Zeichen der Rompilger. Damit belegt auch diese Inschrift die große Bedeutung der Fernpassstraße im 16. Jahrhundert, die in unmittelbarer Nähe der Fernsteinkapelle verlief; die wichtige Handelsroute, von deren Ausbau besonders eine prominente Inschrift aus der Zeit Karls V. und Ferdinands I. zeugt (vgl. Kat.-Nr. 48), wurde offenbar auch von zahlreichen Pilgern frequentiert. An der den Gurtbogen tragenden Lisene findet sich ein Wappenschild, der ein lateinisches Kreuz mit vier weiteren, zwischen dessen Schenkeln eingeschlossenen Kreuzen aufweist; vielleicht handelt es sich dabei um das Jerusalemer Kreuz (über den Fernpass und Venedig war auch Jerusalem für Pilger aus dem Norden gut erreichbar). In diesem Fall hätten wir mit den Rötelzeichnungen der Fernsteinkapelle gleich den Nachweis für den Verlauf von zwei Pilgerwegen (Rom und Jerusalem) über den Fernpass vorliegen.
Die Platzierung der Rötelinschriften in einer bereits vorhandenen gemalten Quaderstruktur ist durchaus nicht untypisch; so finden sich etwa in einem Wohnerker über dem Seitenportal der Burg Berneck in Kauns Rötelzeichnungen auf einer ähnlichen Quadermalerei.
Literatur
Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Schlagworte
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Le Roy, Jacques Crépin •
Kauns, Burg Berneck •
Cambrai •
Fernpass, Fernpassstraße •
Jerusalem •
Santiago de Compostela •
Venedig
Abbildungen
Abb. 59: Graffiti (1. H. 16. Jh.) ©
ÖAW, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Romedio Schmitz-Esser)
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