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Die Inschriften des Bundeslandes Tirol

Politischer Bezirk Landeck

120 Nauders, Leonhardskapelle bei Burg Naudersberg 1. V. 12. Jh.

Wandmalerei mit Tituli und Bibelzitat, in der Apsis der Kapelle. Dargestellt ist im Rahmen einer durch spätere Fenstereinbrüche gestörten malerischen Gesamtausstattung der Apsis (Majestas Domini bzw. Traditio Legis) zentral Christus in der Mandorla,   flankiert von zwei   Heiligenfiguren (Petrus und Paulus?1)), sowie den beiden Evangelistensymbolen von Markus und Lukas (Löwe und Stier), die schwarz auf weiß beschriftete Spruchbänder mit Tituli halten (I und II). Reste der Flügel der beiden anderen kleineren Evangelistensymbole sind über dem Scheitel der Mandorla vorhanden. Ein leeres Spruchband2) wird von Christus, die Rechte segnend erhoben, an die rechts stehende Figur übergeben. Im unteren Teil der Malerei haben sich die Darstellungen von zehn Apostelfiguren in kleinen Säulenarkaden erhalten. Die Wandmalereien wurden 1914 entdeckt, wobei man die jüngere, spätgotische Schicht erst 1943/44 und 1951–53 zugunsten der älteren, romanischen Schicht abnahm3). Zuletzt 1971 restauriert (Dr. Franz Walliser). Zahlreiche, durch farbig angetönte Putzplomben verschlossene Aufspitzungsspuren. Inschrift I stark verblasst.

Bu. 4–6 cm. – Kapitalis.


Textedition
			

I. MA[R]CV//Sa) II. [LV]CASb) // FVIT IN DEBV//Sc)

Anmerkungen
a) Wort durch die Kralle des Markuslöwen unterbrochen; von M schwach der Mittelteil und der rechte Schaft, von A die obere Hälfte, das C fast vollständig, jedoch sehr blass erkennbar; der Rest des erhaltenen Spruchbandes im Ausmaß von drei bis vier Zeichen weist keine Schriftreste auf; der ursprünglich vorhandene Platz dürfte für das analog zu Is. II zu erwartende Zitat Mc 1,2 nicht ausgereicht haben.
b) nach S möglicherweise geringer Rest eines Worttrenners auf Mittelinie sichtbar; folgt Unterbrechung durch die Hufe des Lukasstiers.
c) sic! möglicherweise war das fehlende I ursprünglich in D eingestellt gewesen, doch sind keine Reste eines Schaftes an der entsprechenden Stelle erkennbar; Unterbrechung durch den Huf des Lukasstiers.

Lukas: Es war in den Tagen (II).

Lc 1,5.


Kommentar

Die Datierung der Wandmalerei nach stilistischen Kriterien ist in der Literatur nach wie vor umstritten; die ältere Datierung auf die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts, später von Elga Lanc auf das erste Viertel des 12. Jahrhunderts präzisiert, wurde zuletzt abgelehnt und dagegen eine Entstehung um 1210 vorgeschlagen4). Wenig Beachtung fand im kunsthistorischen Diskurs bisher die erhaltene Inschrift. Zwar ist Inschrift II im Unterschied zur stark verblassten Inschrift I auffallend gut lesbar, was auf restauratorische Überarbeitung schließen lässt. Doch sind die Aufspitzungsspuren im Bereich dieses Spuchbandes nicht sehr dicht gesetzt, sodass gut erkennbar bleibt, dass keine Verfälschung des originalen Bestandes stattgefunden hat. Die routiniert ausgeführte Inschrift weist ausschließlich kapitale, moderat breite Formen auf, bei nur gering ausgeprägter Unterscheidung von Haar- und Schattenstrichen werden freie Schaft-, Balken- und Bogenenden mit haarfeinen, bisweilen breit ausgezogenen Serifen versehen, die auch am Schnittpunkt von (Schräg-) Schäften (etwa bei A oder N) an Ober- und Grundlinie auftreten. Einzelne Balken (etwa der untere Balken des F und der Balken des T) zeigen leicht spachtelförmige Verbreiterungen. Die genannten Merkmale legen mit Vorsicht wegen fehlender regional nahe liegender Vergleichsbeispiele eine Datierung in das erste Viertel des 12. Jahrhunderts nahe5). Die Wandmalerei der Apsis gehört demnach zur Erstausstattung der Kapelle, deren Errichtung nach den Ergebnissen einer dendrochronologischen Befundung jedenfalls in das erste Drittel des 12. Jahrhunderts anzusetzen ist. Eine spätgotische malerische Ausstattungsphase betraf das Langhaus der Kapelle, in der 1596 auch eine neue Decke eingezogen wurde (s. Kat.-Nr. 258).

Das Bibelzitat in Inschrift II bezieht sich auf den Beginn des Lukas-Evangeliums, das nach einem kurzen Vorwort (Lk 1,1–4) mit eben diesen Worten beginnt. Dem FVIT ein Zitat aus Lk 1,4 voranzustellen ist aufgrund des erhaltenen Buchstabenbestandes nicht vertretbar.

1) So die in neuerer Literatur vertretene Interpretation, für deren Richtigkeit etwa das von Christus den beiden Figuren überreichte Schriftband spricht (Traditio legis), sowie die dadurch ermöglichte Ergänzung der zehn Apostel durch die Figuren Petrus und Paulus zur Zwölfzahl. Trapp ging hingegen davon aus, man müsse in den beiden Standfiguren die Evangelisten Matthäus und Johannes erkennen, die sich mit den beiden Symbolen der Evangelisten Lukas und Markus zur Vierheit ergänzten; Trapp, Freskenfunde 121. Gegen Trapps Theorie sprechen jedoch die Reste von Flügeln der beiden Evangelistensymbole des Matthäus und Johannes über dem Scheitel der Mandorla, also unabhängig von den beiden Figuren.
2) Lanc möchte über der Figur des Paulus den Schriftzug [PAVL]VS erkennen; Lanc, Kat.-Nr. 162. Vgl. Steppan, Wandmalerei 132.
3) Steppan, Wandmalerei 131; Bacher, Katalog 61f.; Lanc, Kat.-Nr. 162; Trapp, Freskenfunde 121; Trapp, Kunstdenkmäler 111; Trapp, Wandmalereien 33 und Matscher, Am obersten Inn 218.
4) Ging schon die ältere Forschung von einer Datierung in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts aus, so hat unlängst Stampfer für eine Datierung der Fresken um 1210 plädiert; Stampfer, Vinschgau 114; Bacher, Katalog 104; Dehio Tirol 553; Ammann, Oberland 258 und Trapp, Freskenfunde 122, der aufgrund der von ihm vertretenen frühen Datierung schließt, es handle sich um „die älteste Wandmalerei auf dem Boden des heutigen Österreich“ (an anderer Stelle hatte Trapp bereits die jetzt wieder ins Spiel gekommene spätere Datierung für die Fresken vertreten; vgl. Trapp, Kunstdenkmäler 114). Zuletzt vertrat Lanc, Kat.- Nr. 162 eine frühere Datierung (auf das erste Viertel des 12. Jahrhunderts), für die auch der inschriftenpaläographische Befund spricht. Demus gibt zwar keine genauere Datierung, sieht aber Zusammenhänge mit der romanischen Kunst Bayerns bzw. Hinweise „auf westliche (hirsauisch-cluniazensische?) Vorbilder“; Demus, Wandmalerei 95 (vgl. Bacher, Katalog 104, der auf dieser Basis die frühe Datierung vertritt). Eine Datierung auf das späte 12. bzw. frühe 13. Jahrhundert schlägt zuletzt Steppan, Wandmalerei 131f. vor.
5) Vgl. etwa das der vorliegenden Inschrift sehr ähnliche Bild der freilich räumlich weit entfernten Weiheinschrift der Mauterner Margarethenkapelle (NÖ, VB Krems, s. DI 72, Kat.-Nr. 1) von 1078 (?); die Weiheinschrift der Kapelle von Taxlberg bei Wels (OÖ) von 1108 zeigt dagegen bereits eine größere Zahl an unzialen E.
Literatur

Trapp, Kunstdenkmäler 111–115. – Trapp, Freskenfunde 121f. – Trapp, Wandmalereien 33–38. – Matscher, Am obersten Inn 218. – Demus, Wandmalerei 16 und 95. – Bacher, Katalog 61f. und 104f. – Ammann, Oberland 258. – Dehio Tirol 553. – Klien, Kunstschätze 36–39. – Lanc, Kat.-Nr. 162. – Stampfer, Vinschgau 114–117. – Steppan, Wandmalerei 131f.



Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser

Zitierregel:
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte, ges. u. bearb. v. Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser (Die Deutschen Inschriften 82. Band, Wiener Reihe 7. Band, Teil 1) Wien 2013, Kat. Nr. 120,
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Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol  Politischer Bezirk Landeck  Nauders, Leonhardskapelle bei Burg Naudersberg   •  Wandmalerei  •  Tituli  •  Bibelzitat  •  Kapitalis  •  Lanc, Elga  •  Walliser, Franz  •  Mautern

Abbildungen

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Abb. 92: Wandmalerei (1. V. 12. Jh.), Detail
©  ÖAW, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Werner Köfler)