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Die Inschriften des Bundeslandes Tirol

Politischer Bezirk Landeck

148 Stuben (Pfunds), Fk. Mariä Himmelfahrt um 1500

Wandmalereien mit Beischriften, an der Langhausostwand bzw. am Triumphbogen, Teil einer umfassenden malerischen Gesamtausstattung des ganzen Kircheninnenraums (s. Kat.-Nrr. 146f. und 149). Nördlich des Triumphbogens in hochrechteckigem, mit der linken oberen Ecke bereits in den Gewölbeanlauf ragendem Bildfeld mit Rahmung aus schwarzem Maßwerkfries und roter Leiste Ölbergszene: im Bildvordergrund links neben dem im Gebet knienden Christus, über dem ein senkrecht gestelltes, gefälteltes Spruchband mit einzeiliger schwarzer Inschrift auf weißem Grund (I) zum Engel mit dem Kelch in der rechten oberen Ecke aufsteigt (rote Zeilenlinierung sichtbar), sind drei schlafende Apostel dargestellt: Petrus, links neben ihm Johannes und ein weiterer Jünger ( Jakobus). Ihre rotgrundigen Nimben weisen teilweise ocker bzw. gold aufgemalte Tituli auf (II, III). Im Bildhintergrund oben mittig die Schergen unter der Führung des einen Geldbeutel haltenden Judas, dem ein gefälteltes Spruchband zugeordnet ist (IV†, rote Zeilenlinierung sichtbar). Heute sind die Inschriften der beiden Spruchbänder weitgehend verloren, doch zeigen mehrere Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Fotoarchiv im Tiroler Bundesdenkmalamt den Zustand vor der Restaurierung (vgl. zur Freilegung und Restaurierung der Stubener Wandmalereien Kat.-Nr. 146). Unmittelbar unterhalb dieses Bildfelds querrechteckiges Feld in einfacher roter Rahmung mit Szene der Marter des Hl. Sebastian. Südlich des Triumphbogens, analog zum nördlichen Bildfeld gestaltet, Szene Beweinung Christi: Vor dem bis zum oberen Bildrand reichenden Kreuzesstamm (der auf weißem, mittels langem Nagel am Stamm befestigtem Spruchband schwarz aufgemalte Kreuzestitulus V bereits auf der oberen Rahmung) im Vordergrund unten Christus mit den knienden Figuren von Johannes (dem Toten die Dornenkrone abnehmend) und Maria (nicht nimbiert!), dahinter stehend zwei weitere weibliche Heiligenfiguren; im rotgrundigen Nimbus der linken (Maria Magdalena) ocker bzw. gold aufgemalter Titulus erhalten (VI).

Bu. 5 cm (I), 6 cm (II), ca. 3–4 cm (III, IV). ca. 10 cm (V), ca. 5 cm (VI). – Gotische Minuskel mit Versal aus Gotischer Majuskel.

Inschrift I ergänzt und Inschrift IV zur Gänze nach Fotos aus dem Fotoarchiv im BDA Innsbruck, die den Zustand vor der Restaurierung (vor 1971) zeigen (Neg. Nr. 10.580, 10.569, 10.577).


Textedition
			

I. Mia) paterb) [si possi//bilec) · est // tra//nseatd) // a mee) // calixf) iste] II. · s(anctus)g) · petrus · III. s(anctus) · Johannes IV†. [quemcumqueh) oscu//]latus · // [fu]ero // [ipse est tenete eum] V. · ii) · n ·//· r · i · VI. s(ancta) maria magdalenaj)

Anmerkungen
a) Versal rot ausgeführt.
b) ab hier folgt die Ergänzung dem Foto aus dem Bundesdenkmalamt, das den Zustand vor der Restaurierung zeigt; heute sind nur noch einige wenige unspezifische Schäfte erkennbar.
c) Unterbrechung durch Falten des Spruchbandes.
d) ns bereits auf dem Foto nicht mehr erkennbar.
e) e schon am Foto nicht mehr erkennbar.
f) ca schon auf dem Foto nicht mehr erkennbar.
g) voranstehendes Zierzeichen aus sechs Punkten rosettenartig zusammengesetzt; Trennzeichen paragraphzeichenförmig.
h) die Inschrift war nach Ausweis der Fotos schon vor der Restaurierung stark fragmentiert; die eckigen Klammern bezeichnen demnach die schon damals bestehenden Beschädigungen; Unterbrechungen durch Falten im Spruchband.
i) Trennzeichen paragraphzeichenförmig; Unterbrechung durch illusionistisch gemalten Nagel.
j) Das letzte a halb vom Kopf der Heiligen überdeckt.

Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber (I).
Der, den ich küssen werde, der ist es; nehmt ihn gefangen (IV†).

Mt 26,39 (I); Mt 26,48 (IV†).


Kommentar

Zur malerischen Gesamtausstattung der Stubener Filialkirche s. Kat.-Nr. 146.

Besonders interessant sind die beiden Spruchbänder (I und IV†), von denen leider nur mehr jenes über der Figur Jesu ansatzweise lesbar ist. Das zweite Spruchband über der Szene des Verrates durch Judas erlaubt keine präzise Zuordnung der noch erkennbaren, sehr geringen Schriftreste zu dem als Bibelzitat erschließbaren Text. Von der Komposition des Bildes her erfüllen die beiden Inschriften eine wesentliche Funktion in der Dramaturgie: Das Gebet Jesu, von seinem geöffneten Mund ausgehend, zieht den Blick in die Höhe, windet sich einmal zur Szene des Verrates und endet in einer Darstellung des von Christus angesprochenen Kelches. Durch das Spruchband sind so nicht nur Christus und der Kelch im wörtlichen Sinne, sondern auch der konkrete „Kelch“ Christi, der Verrat und die darauf folgende Passion, miteinander verbunden. Zugleich hat der Kelch nach der Position der Wandmalerei an der linken Seite des Triumphbogens die Funktion, auf die Eucharistie hinzuweisen; das erhellt nicht zuletzt aus der Position der Darstellung des Kelches an der rechten, am nächsten zum Chor gelegenen Seite der Wandmalerei. Dazu passt auch die parallele Darstellung an der südlichen Seite des Triumphbogens. Hier findet sich die Beweinung Christi, die damit ebenfalls mittelbar als Hinweis auf die Eucharistie (in Gestalt des Brots) zu verstehen ist. Damit verbindet die Ölbergszene drei Bedeutungen des Kelches: das persönliche Schicksal Christi, doch auch Passion und Eucharistie. Dieser komplexen Struktur folgte wohl auch das vom Mund Judas’ ausgehende Spruchband, das seine an die hinter ihm stehenden Häscher gerichteten Worte wiedergibt (damit würde sich auch die oben vorgeschlagene Ergänzung nach dem Matthäus-Evangelium kompositorisch äußerst logisch einfügen, zumal es sich hierbei um die einzigen bei Matthäus wiedergegebenen Worte Judas’ vor dem Verrat handelt). Der Komposition stringent folgend orientiert sich das Spruchband jedoch nicht in Richtung der Häscher, sondern weist in Richtung auf den Kelch und versinnbildlicht damit die auf den Verrat folgende Passion Christi. Die Spruchbänder haben also – wie im gesamten Stubener Zyklus – einen entscheidenden Anteil an der Komposition und geben dem Bildgeschehen zusätzliche Dynamik und Dramatik. Die Figur Christi im Rahmen der Ölbergszene mit einem Spruchband und einem der Inschrift I entsprechenden Bibelzitat findet man häufig in spätmittel­alterlichen Wandmalereien vor; ein Beispiel dafür stellt etwa die Ölbergszene von der Südwand der St. Prokulus-Kirche in Naturns aus der Zeit um 1400 dar: Auch hier ist der vor dem Kelch kniende Christus mit dem Spruchband samt Bibelzitat zu erkennen1).

Analog zur eucharistischen Deutung der Wandmalerei an der Nordseite des Triumphbogens scheint auch die Beweinung an der Südseite als Hinweis auf die Eucharistie in Gestalt des Leibes bzw. Brotes gemeint zu sein. Die beiden Passionsszenen deuten so auf das in der Messe nachvollzogene Opfer Christi hin, das dem Gläubigen hier in Form der beiden Szenen links und rechts des Zugangs zum Altarraum auch in der Wandmalerei sinnfällig entgegentritt. Zugleich bilden sie aber auch eine engere kompositorische Einheit: Die eigentliche Leidensgeschichte Christi, die mit dem Ölberggebet und dem Verrat durch Judas begann, ist nun – in der Beweinung Christi – zu ihrem vorläufigen Ende gekommen.

1) Heute im Rathaussaal von Naturns; vgl. Kofler, Wandmalereien 107.
Literatur

Hochenegg, Kirchen 223. – Matscher, Am obersten Inn 222. – Ammann, Oberland 282. – Dehio Tirol 610. – Klien, Kunstschätze 82–84. – Klien, Geschichte 82. – Schmitz-Esser, Herrschaftsrepräsentation 71.



Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser

Zitierregel:
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte, ges. u. bearb. v. Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser (Die Deutschen Inschriften 82. Band, Wiener Reihe 7. Band, Teil 1) Wien 2013, Kat. Nr. 148,
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Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol  Politischer Bezirk Landeck  Stuben (Pfunds), Fk. Mariä Himmelfahrt    •  Wandmalereien  •  Beischriften  •  Gotische Minuskel  •  Gotischer Majuskel  •  Naturns, St. Prokulus  •  Stuben, Wallfahrtskirche

Abbildungen

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Abb. 122: Wandmalereien
(um 1500), Detail
©  ÖAW, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Romedio Schmitz-Esser)