Blumentritt, Ferdinand (1853–1913), Ethnograph und Lehrer

Blumentritt Ferdinand, Ethnograph und Lehrer. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 10. 9. 1853; gest. Leitmeritz, Böhmen (Litoměřice, CZ), 20. 9. 1913; röm.-kath. Neffe des Landesvizebuchhalters der böhmischen Landesbuchhaltung Johann Gregor und von Friederika Gregor, geb. Schneider (1818–1884), Großneffe der Offizierswitwe Franziska Hubatka, Sohn des k. k. Finanz-Landes-Directions-Officials Ferdinand Blumentritt (1815–1894) und der Amalia Blumentritt, geb. Schneider (1821–1881); verheiratet mit Rosa Blumentritt, geb. Müller (1855–1918). – Seine Kindheit verbrachte B. in der Obhut seines Onkels, im Haus seiner Großtante entwickelte er seine Liebe zum spanischen Kolonialreich. Nach der Absolvierung des Neustädter Gymnasiums studierte B. 1872–76 Geschichte und Geographie an der Universität Prag. Angeregt durch Fedor Jagors „Reisen in den Philippinen“ (1873), entdeckte er sein Interesse für dieses Land. Nach dem Studium unterrichtete er kurzfristig an einer Schule in Prag, ging jedoch 1876 an das Gymnasium in Leitmeritz. 1877 wurde er zum Mittelschulprofessor ernannt und wechselte an die Oberrealschule, die er 1900–11 auch als Direktor leitete. Eine Bewerbung für eine Professur in Czernowitz 1884 blieb hingegen erfolglos. 1886 kam B. in Kontakt mit dem späteren philippinischen Nationalhelden José Rizal, der ihn 1887 in Leitmeritz besuchte. Es entstand eine enge Freundschaft, die bis zu Rizals Hinrichtung Ende Dezember 1896 andauerte und sich in einer Korrespondenz von über 200 Briefen niederschlug. Auch nach Rizals Tod blieb B. mit vielen Philippinern in engem Kontakt. Er entwickelte sich zunehmend zu einem politischen Berichterstatter und Agitator. Obwohl er ein Befürworter der spanischen Kolonialherrschaft auf den Philippinen war, setzte er sich vehement für die Menschenrechte der einheimischen Bevölkerung ein. Die Kolonialmächte auf den Inseln – zuerst Spanien und später die USA – luden B. mehrfach ein, als Vermittler aufzutreten. B. machte sich auch als Autor einen Namen. Das Gesamtverzeichnis seiner Schriften und Kartenwerke umfasst mehrere 100 Titel. 1879 publizierte er mit „Die Chinesen auf den Philippinen“ (in: 13. Jahres-Bericht der Communal-Ober-Realschule in Leitmeritz) sein erstes Werk über die Philippinen. Es folgten „Holländische Angriffe auf die Philippinen im 16., 17. und 18. Jahrhundert“ (1880; spanisch: „Ataques de los holandeses en los Siglos XVI, XVII y XVIII en Filipinas“, 1882) und das zweiteilige „Vocabular einzelner Ausdrücke und Redensarten, welche dem Spanischen der philippinischen Inseln eigentümlich sind“ (in: 16. bzw. 19. Jahres-Bericht der Communal-Ober-Realschule in Leitmeritz, 1882 bzw. 1885). Zu seinen wichtigsten wissenschaftlichen Arbeiten gehört der „Versuch einer Ethnographie der Philippinen“ (1882), worin er seine Wellentheorie der philippinischen Besiedlung entwickelte. In „Der Ahnencultus und die Religionen der Malaien des Philippinen-Archipels“ (in: Mitteilungen der kaiserlich-königlichen Geographischen Gesellschaft 25, 1882) stellt er die These auf, dass der Ahnenkult die ursprüngliche Religionsform auf den Philippinen sei. Mit „Die Philippinen“ (1900, auch Englisch) publizierte er ein weiteres umfangreiches Werk. Zusätzlich zeichnete er mehrere Landkarten dieses Archipels. B. war Mitglied zahlreicher in- und ausländischer wissenschaftlicher Gesellschaften, u. a. ab 1885 der Geographischen Gesellschaft in Wien (ab 1894 Ehrenmitglied), der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, der Sociedad Geográfica in Madrid, der Sociedad Geográfica in Lima, des Koninklijk Instituut voor Taal-, Land- en Volkenkunde in Leiden, der Philippine Academy in Manila sowie korrespondierendes Mitglied der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen und ab 1901 der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte sowie Ehrenmitglied der Société académique indo-chinoise de France. Darüber hinaus war er ab 1888 Ritter des Orden de Isabel la Católica sowie Träger der Goldmedaillen der philippinischen Ausstellungen in Madrid 1887 und St. Louis 1904; 1911 Regierungsrat.

Weitere W.: s. Stockinger.
L.: Prager Tagblatt, 22., RP, 25. 9. 1913; H. Sichrovsky, Der Revolutionär von Leitmeritz. F. B. und der philippinische Freiheitskampf, 1983 (mit Bild); J. Tomas, J. Rizal, F. B. and the Philippines in the New Age, 1998 (mit Bild); W. M. Donko, Österreich-Philippinen 1521–1898, 2. Aufl. 2011, S. 252ff. (mit Bild); F. P. A. Demeterio III, F. B. and the Philippines, 2013; Der große Verteidiger der Philippinen 1: Leben und Werk von F. B. (1853–1913), ed. J. Stockinger, 2017 (mit Bild und W.).
(J. Stockinger)   
Zuletzt aktualisiert: 14.12.2018  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 7 (14.12.2018)