Seidner, Wilhelm (1838-1902), Politiker, Kaufmann und Architekt

Seidner Wilhelm, Politiker, Kaufmann und Architekt. Geb. Vilsheim, Bayern (Dtld.), 10. 2. 1838; gest. Brixen, Tirol (Bressanone/Brixen, Italien), 15. 4. 1902; röm.-kath. Aus einer Haller Familie stammend, Sohn eines bayer. Rtm. Nach Besuch der Realschule übernahm S. ein 1860 von seinem Vater erworbenes Kaufmannsgeschäft in Brixen. Im Klima der Reaktionszeit aufgewachsen, engagierte sich S. nach 1860 im rasch aufblühenden Ver.leben der Kleinstadt Brixen und entwickelte sich v. a. zu einer dauerhaften Leitfigur des örtl. Männergesangsver., dessen Leitung er bis zu seinem Tod angehörte. Ab 1865 baute er, ein vielseitiger Instrumentalist, das Ver.- orchester auf, das er bis 1881 leitete. Daneben fungierte er als Mitgl. und Dir. der 1871 gegründeten Sparkasse, des Volksschulver. etc. Ab 1872 gehörte S. dem Bürgerausschuß, 1882–1902 auch dem Magistrat der Stadt an. Obwohl aufgrund seiner liberalen Gesinnung in der konservativen Bischofsstadt stets auf Seiten der polit. Minderheit, wurden S.s stadtpatriot. Haltung und seine vielfältigen Kompetenzen allseits anerkannt. Seine techn. und organisator. Fähigkeiten bewies er u. a. als Begründer und Kmdt. (1879–1902) der örtl. Feuerwehr; ferner war er auch Oberschützenmeister. Als ehrenamtl. Leiter und architekton. Planer des städt. Bauamts entwarf S., der als Architekt Autodidakt war, zahlreiche Umbaupläne für öff. Projekte, Hausfassaden, aber auch Innenausstattungen, etwa für die Volksschule (1879), die Gasthöfe „Zum Elephanten“, „Zur Sonne“ (1870) oder das „Waltherhaus“ (1881), wobei er historist. Stilformen wie Neorenaissance und -barock den Vorzug gab. Bei Katastrophen wie der Überschwemmung 1882 leitete er die Schadensbeseitigung und die Regulierungsarbeiten, er erwies sich aber auch bei der Ausrichtung von Festen, wie der Inthronisation von Fürstbischof Johann Leiß v. Laimburg, als unverzichtbarer Organisator; zuletzt war er 1901 im Festkomitee der 1000-Jahr-Feier von Brixen tätig. S. war wie F. Schwaighofer (s. d.) ein herausragender Vertreter des Provinzliberalismus, durchdrungen vom Glauben an den Fortschritt auf der Grundlage von Besitz und Bildung.

L.: Bozner Ztg., 19. 4. 1902; I. Mader – A. Sparber, Brixner Häusergeschichte (= Schlern-Schriften 224), 1963, passim; Brixen 1867–82. Die Aufzeichnungen des Färbermeisters F. Schwaighofer, ed. H. Heiss – H. Gummerer (= TRANSFER Kulturgeschichte 1), 1994, s. Reg. (mit Bildern); U. Königsrainer, Stadtbürgertum und Politik in Brixen zwischen 1861 und 1914, phil. DA Wien, 1995, passim; röm.-kath. Pfarramt Bressanone/Brixen, Italien; Mitt. Hubert Seidner, Bolzano/Bozen, Italien.
(H. Heiss)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 56, 2002), S. 134
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