Siegel, Heinrich (1830-1899), Jurist und Rechtshistoriker

Siegel Heinrich, Jurist und Rechtshistoriker. Geb. Ladenburg, Baden (Dtld.), 13. 4. 1830; gest. Wien, 4. 6. 1899; röm.-kath. Sohn des großherzogl. bad. HR und Gen.- stabsarztes Josef S. Nach Absolv. des Gymn. in Bruchsal und des Lyzeums in Heidelberg stud. S. ab 1849 Jus in Bonn und Gießen; 1852 Dr. jur., 1853 Priv.Doz. für dt. Recht. Im Zuge der Bestrebungen des österr. Unterrichtsministers Gf. Leo Thun-Hohenstein, die rechtshist. Disziplinen zu fördern, wurde S. 1857 zum ao. Prof. für dt. Reichs- und Rechtsgeschichte und dt. Privatrecht an der Univ. Wien ernannt. 1862–98 o. Prof. an der Univ. Wien, wurde S. zum Begründer der Wr. Schule der österr. Rechtshistoriker. Ab 1871 hielt er regelmäßig die „Germanistische Gesellschaft“ als Seminar zur Schulung des wiss. Nachwuchses ab. Zu seinen Schülern zählten u. a. Luschin v. Ebengreuth, Heinrich Maria Schuster und E. v. Schwind (alle s. d.). Für seine Verdienste vielfach geehrt, war er u. a. ab 1862 k. M., ab 1863 w. M. der Akad. der Wiss. in Wien, 1877 Ehrenmitgl. der Royal Historical Society in London und 1878/79 Rektor der Univ. Wien. 1879 HR, 1891 Mitgl. des Herrenhauses auf Lebenszeit. S. war großdt. gesinnt. Wiss. hervorzuheben sind seine Arbeiten zur Geschichte des dt. Erbrechts nach den Rechtsquellen im Mittelalter (1853) und zur german. Verwandtschaftsberechnung mit bes. Beziehung auf die Erbenfolge (1853) sowie die Geschichte des dt. Gerichtsverfahrens (1857; Neudruck 1970). Eine Reihe von Beitrr. in den Sbb. der Akad. der Wiss. in Wien widmen sich dem Rechtsgang. Mit seinen Arbeiten über das mittelalterl. österr. Landrecht (1860 und 1867) hat S. eine intensive wiss. Diskussion ausgelöst. Sehr fruchtbar war seine Initiative im Bereich der österr. Weistümerforschung, so ed. er als 1. Bd. dieser Reihe gem. mit Karl Tomaschek 1870 „Die salzburgischen Taidinge“. 1872 regte S. eine Neuaufl. des Schwabenspiegels an. Als hist.-dogmat. Meisterwerk gilt „Das Versprechen als Verpflichtungsgrund im heutigen Recht“, 1873.

W.: Zwei Rechtshss. des Wr. Stadtarchives, 1858; Dt. Rechtsgeschichte, 1886, 3. Aufl. 1895; Das erzwungene Versprechen und seine Behandlung im dt. Rechtsleben, 1892; etc.
L.: Almanach Wien 50, 1900, S. 362ff.; Biograph. Jb. 4, 1900, S. 91ff.; Sbb. Wien, phil.-hist. Kl. 239, 2, 1962, S. 261f., 266f., 269; Wurzbach; A. Luschin v. Ebengreuth, in: ZRG, 20, Germanist. Abt., 1899, S. VIIff.; H. M. Schuster, in: Allg. österr. Gerichts-Ztg. 50, 1899, S. 391ff., 397ff.; A. v. Wretschko, H. S. Ein Bild seines Lebens und Wirkens, 1900; J. F. v. Schulte, Lebenserinnerungen 1, 1908, S. 87f.; R. Stintzing – E. Landsberg, Geschichte der Dt. Rechtswiss. 3/2, 1910, Text S. 895ff., Noten S. 377; R. Bartsch, in: Österr. Rechts- und Staatswiss. der Gegenwart in Selbstdarstellungen, ed. N. Grass (= Schlern-Schriften 97), 1952, S. 22; H. Lentze, in: Stud. zur Geschichte der Univ. Wien, 1965, S. 66ff.; N. Grass, Österreichs Kirchenrechtslehrer der Neuzeit (= Freiburger Veröff. aus dem Gebiete von Kirche und Staat 27), 1988, S. 76; H. P. Glöckner, in: Handwörterbuch zur dt. Rechtsgeschichte 4, 1990.
(G. Wesener)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 12 (Lfg. 56, 2002), S. 236
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