Willomitzer, Josef (1849–1900), Journalist und Schriftsteller

Willomitzer Josef, Journalist und Schriftsteller. Geb. Bensen, Böhmen (Benešov nad Ploučnic, CZ), 17. 4. 1849; gest. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 3. 10. 1900. Sohn des Staatsanwalt-Substituts am Bez.gericht Eger Joseph W. und der Franziska W., geb. Schröter, Vater des Präs. des Landesgerichts Salzburg Dr. Wilhelm W. (geb. Prag, 27. 1. 1886; gest. 27. 2. 1976); ab 1885 verheiratet mit Emma W., geb. Max v. Wachstein (1858–1934). – W. besuchte das Gymn. in Eger und unternahm damals bereits erste schriftsteller. Versuche. Der frühe Tod beider Eltern zwang ihn, die Schule nach der 6. Kl. abzubrechen. Er trat in die Buchhandlung Franz Gschihay ein, deren Inhaber auch Hrsg. der „Egerer Zeitung“ war, und wirkte als Mitarb. der Franzensbader Leihbibl. Seine ersten Kurzgeschichten erschienen in der „Egerer Zeitung“ und in den „Franzensbader Blättern“. Durch →Franz Klutschak, einen Freund seines Vaters, kam er Ende 1869 als Gerichtssaalberichterstatter in die Red. der „Bohemia“, deren polit. Red. ihm 1877 übertragen wurde. Die Haltung der „Bohemia“ war unter seiner Führung einerseits geprägt vom Kampf gegen die Regierung Taaffe, andererseits von dem sich verschärfenden Nationalitätenkonflikt. W. war fest in den organisator. Strukturen und im Ver.wesen des dt.sprachigen Bürgertums Prags verankert und veröff. regelmäßig Artikel, Ged. und Satiren in verschiedenen Z. wie der „Deutschen Hochschule“ und in den Publ. des Dt. Schulver. 1880 wurde sein Einakter „Kritik der reinen Vernunft“ im Prager Landestheater uraufgef., als Schriftsteller wandte er sich der humorist. Erz. und der Lyrik zu, die sich z. B. gegen →Eduard Gf. Taaffe richteten (vgl. das Lied „Schielen und Schauen“, dessen letzte Strophe ein Bekenntnis zum Dt.nationalismus enthält). In der 1889 erschienenen Versparodie „Allerneueste Königinhofer Handschrift. Tschechische Geschichten aus Tausend und Einer Nacht“ stellte er die Ansprüche der tschech. Mehrheit auf (kulturelle) Gleichberechtigung mit sprachl. Ironie in Frage. Daneben war er auch Mitarb. der „Deutschen Zeitung“, der „Deutschen Wochenschrift“, des „Heimgarten“, des „Neuen Wiener Tagblatts“ und der „Frankfurter Zeitung“. Ab 1887 red. er den „Neuen Prager Kalender“, in dem manche seiner Scherzgeschichten erschienen, und den „Haase’schen … Haus- und Wirthschafts-Kalender“. Die erste Humoresken-Smlg. „Heitere Träume“ erschien 1882, spätere Arbeiten wurden im Lauf der 1890er-Jahre in einigen Bde. gesammelt, →Heinrich Teweles nahm mehrere seiner Geschichten ins „Prager Dichterbuch“ (1894) auf. Viele Ged. verf. W. als Auftragsarbeiten für die Münchner „Jugend“, in der er unter mehreren Ps. publ., für die Münchner „Fliegenden Blätter“ und die „Wiener Caricaturen“. Ab 1884 teilte sich W. mit Josef Walter die Leitung der „Bohemia“ und nach dessen Tod 1888 war er alleiniger Hrsg. Ab 1885 begann sich die „Bohemia“ allmähl. von der verstärkten Hinwendung der dt.nationalen Studenten und Parteien zum Antisemitismus und Alldt.tum zu distanzieren, ging aber erst relativ spät auf Abstand zur radikalen alldt. Richtung. Zugleich bemühte sich W. um eine Einigung der dt. polit. Parteien und eine Abmilderung der dt.-tschech. Gegensätze, vertrat aber weiterhin mit Nachdruck die Interessen des dt. Bürgertums in Böhmen und versuchte Gehässigkeiten im polit. Tagesstreit zu vermeiden. Durch ihn kamen Teweles, →Emil Faktor und →Ludwig Winder als Mitarb. zur Ztg., deren Aufl. unter seiner Leitung stieg. W. war ab 1874 Mitgl. des Ver. dt. Schriftsteller und Künstler in Böhmen „Concordia“, 1887 Mitbegründer des Verbands der dt. Journalisten in Böhmen, der Pensionskasse für dt.sprachige Journalisten und Mitgl. des Dt. Ver. sowie des dt. Turnver. in Prag.

Weitere W.: Ein dt.-österr. Eskimo, 1895; Ins Blaue hinein!, 1897; Letzte Geschichten und Ged., 1901; Humoresken in Vers und Prosa, 1908; Eine Nacht im Mittelalter …, ed. R. Reinhard, 1911.
L.: Bohemia, 3. 10. 1900, 1. 1. 1918, 30. 1. 1927; NFP (Abendbl.), NWT, 3. (Abendbl.), 4., Prager Tagbl. (Abendausg.), 3., Ostdt. Rundschau, 4. 10. 1900; Biograph. Jb. 5, 1903, S. 59ff.; Brümmer; Nagl–Zeidler–Castle; Wurzbach; A. Klaar, in: Die Zeit 36, 1900, S. 187f.; A. Klaar, in: J. W., Letzte Geschichten und Ged., 1901, S. Iff.; R. Reinhard, in: J. W., Humoresken in Vers und Prosa, 1908, S. 5ff.; H. Teweles, Erinnerungen an J. W., 1922; E. E. Kisch, Marktplatz der Sensationen, 4. Aufl. 1979, S. 84ff.
(Th. Venus)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 229
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