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Die Inschriften des Bundeslandes Kärnten
Politischer Bezirk St. Veit an der Glan
238 |
Friesach, Deutschordensk. hl. Blasius |
nach 1510 |
Flügelaltar als Hochaltar in der Deutschordenskirche, ursprünglicher Standort war die ehemalige Wallfahrtskirche von Heiligengestade am Ossiacher See. Es ist ein Marienaltar: Im Schrein stehen in der Mitte Maria mit dem Kind, links die hl. Katharina, rechts die hl. Margarethe. Darüber sind symmetrisch die Ranken der dreiteiligen Laube angebracht. Die seitlich des Schreins beigefügten rankengeschmückten Ansätze stammen aus den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts, ebenso die Predella und Teile der Schleierbretter sowie Teile des Gesprenges. Bei geöffneten Flügeln sind links oben die Geburt Christi, rechts oben die Anbetung der Könige, links unten das Pfingstfest und rechts unten der Tod Mariä dargestellt. Bei letzterem Bild ist über der Figurengruppe in einem Medaillon im Strahlenkranz Jesus Christus mit der Gottesmutter dargestellt, die Bordüre ist mit einer umlaufenden Beschriftung in Gotischer Minuskel dekoriert und beschrieben (I). Die Außenflügel zeigen links oben die Verkündigung, der Engel hält einen Stab (ursprünglich eine Lilie) in der Linken, der mit einem weißen Spruchband umwunden ist (II), rechts oben die Beschneidung, links unten die Verkündigungsallegorie des Hortus conclusus: Hier sind zahlreiche weiße, dekorativ gewundene Schriftbänder eingefügt (III). Die Beschreibung erfolgt von unten nach oben: Der Hortus conclusus ist vorne von zwei Türmen begrenzt (III/1, 2), die Mauer bezeichnet ihn (III/3), rechts ist der gerüstete Gideon dargestellt, vor ihm ausgebreitet das Vlies, mit zwei Spruchbändern (III/4, 5), links verkündet der Erzengel Gabriel als Jäger (mit Speer und Jagdhorn) Maria die Geburt des Erlösers mit einem zweizeiligen Spruchband (III/6); an der linken Mauerseite springen drei Hunde auf, ein vierter Hund wendet spürend sich im Vordergrund ab, allen ist ein Spruchband beigefügt (III/7–10); im Garten selbst ist der Brunnen bezeichnet (III/11) und das flüchtende Einhorn (III/12), weiters finden sich ein bedeckter Altartisch mit zwölf Stäben, der grünende Aronstab weist auf dessen Berufung zum Priester (III/13), hinter Maria steht ein urnenartiges Gefäß mit Manna (III/14) und auf einem Podest die Bundeslade (III/15); links beschließt ein weiterer Turm den Garten (III/16), in der Mitte ragt im Hintergrund der mit einer Brustwehr aus Wappenschilden ausgestattete Turm Davids empor, der seitlich rechts von dem Strahlenkranz der Empfängnis, mit einem Kind und der Taube des Heiligen Geistes belegt, tangiert wird, der in einem Spruchband ausläuft (III/17); der Turm rechts davon am Bildrand ist als Elfenbeinturm bezeichnet (III/18); unter dem Astrankenwerk ist Gottvater in die obere Bildmitte gestellt, über ihm beginnt ein Spruchband, das sich seitlich rechts herabwindet (III/19), zwischen Gottvater und dem Turm Davids ist ein Spruchband mit einer zweizeiligen Is. eingefügt (III/20), links davon eine weiteres Spruchband (III/21), darunter ist der Stern Jakobs gemalt (III/22), unter dem Stern befindet sich ein zweizeiliges Spruchband (III/23), rechts darunter ein weiteres zweizeiliges Spruchband (III/24); im Kirchhof links verkündet der Prophet Jesaia die Weissagung von der Geburt Christi (III/25); darunter ist auf der Mauer der sagenhafte Wundervogel Phönix auf dem Scheiterhaufen als Sinnbild der Unvergänglichkeit verewigt (III/26), das Kirchengebäude darüber ist mit einem Spruchband bezeichnet (III/27); rechts vom großen Turm ist Moses im brennenden Dornbusch gemalt, ebenfalls mit einem Spruchband (III/28). Die Predella stammt aus den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts, die Beschriftung darauf ist neugotisch1). Die Versalien sind mit roter Farbe gemalt, die restlichen Bu. sind schwarz.
Altar: H. 860 cm (ursprünglich 950 cm), Schrein: H. 245 cm, B. 160 cm, Gesprenge: 450 cm (ursprünglich ca. 540 cm), Tafelbild Tod Mariä: H. 102 cm, B. 72 cm, Medaillon: D. 23 cm, Tafelbild Maria in Hortus conclusus: H. 107 cm, B. 72 cm; Bu. I. 1,4 cm, II. 2 cm, III. 0,7 cm. – Gotische Minuskel mit Versalien.
Textedition
I.
Te assumam et regnabis super ommiaa) desideria
II.
Ave gracia . plena
III/1.
Porta · auria ·
III/2.
Porta · Ezechielis ·
III/3.
Ortus · (con)clusus ·
III/4.
Uell(us) · gedeonis ·
III/5.
Sicut · liliu(m) · inter · spinas · Sic ·/ amica · mea · inter · filias ·
III/6.
Ave ·// gracia · plena · dominus · tecum / Ne tim//eas · maria · i(n)venisti ·
eni(m) · gra(tiam) · ap(ud) · d(eu)m ·
III/7.
Veritas ·
III/8.
Pax ·
III/9.
Iusticia ·
III/10.
Misericordia
III/11.
Fons · signatus
III/12.
Unic//ornus
III/13.
Virga · Aaron ·
III/14.
Manna ·
III/15.
Archa d(omi)ni
III/16.
Porta · clausa ·
III/17.
Veni · columba · mea i(n) forami(ni)b(us) petre i(n) cau(er)na
III/18.
Turris · eberneab)
III/19.
Veni · auster · perfla · ortu(m) ·//· meum · (et) · cetera ·
III/20.
Turris · David ·// p(ro)pugnaculisc) / Mille · clipei · pendent //· Ex ·
III/21.
Vox · turturis · audita · est · musica ·//· n(ost)ra ·
III/22.
Stella · Jacob ·
III/23.
Quasi · oliva ·// speciosa · exalta/ta · sum ·// Jn · campis ·
III/24.
Fons · ortorum · puteus · aqua/rum · de libano · fluentibus
III/25.
Ecce · virgo · (con)cipiet ·//· (et) · pariet · filiu(m) ·
III/26.
Fenix ·
III/27.
Iherusalem ·
III/28.
· Rubus ·//· moysi ·
Anmerkungen
Kommentar
Bei beiden beschrifteten Tafelbildern wirken die Buchstabenformen der gotischen Minuskel wie dekorative Elemente zur Ornamentierung der Gemälde. Insbesondere die weißen Spruchbänder erhärten diesen Eindruck, das Weiß des Schriftgrundes verstärkt die Wirkung der schwarz gemalten Buchstabenformen. Zusätzlich wird jede Schriftzeile durch einen größer geschriebenen und mit roter Farbe hervorgehobenen Versal einbegleitet. Die Rundschrift im Medaillon mit der Assumptio Mariä untermauert ebenfalls diesen dekorativen Aspekt der gotischen Bu. Die großteils einer Bibelvorlage nachgeschriebenen Texte weisen zeitgemäße Abbreviaturen auf, so kommt p(ro)-, c(on)-, -u(s) und -u(m) mehrfach vor. Die gemalte Minuskel dieser spätgotischen Zeit geht sichtlich auf ältere Vorlagen aus der Mitte des 15. Jahrhunderts zurück und verweist auch in der Schreibung auf eine größere und gut funktionierende Werkstätte hin, die der zeitgemäßen Schreibkunst mächtig war (Thomas Artula von Villach). Die Beschriftung, nach 1510 entstanden, ist in ihrem Formenkanon noch ganz dem 15. Jahrhundert verbunden. Sie zeigt noch regelmäßig aneinandergereihte schmale Schäfte mit den charakteristischen Brechungen oben und unten. Die Lesung wird erleichtert durch die klaren Überlängen des l und s, r kommt in zweifacher Schreibung vor. Das Tafelbild mit der Darstellung des Todes der Gottesmutter Maria entspricht ähnlichen Vorlagen der Zeit: Das Lebensende von Maria ist in der Bibel nicht beschrieben, eine textliche Hinwendung zur „Assumptio Mariae“ wird hier in einem über der Figurengruppe zentrierten Medaillon geschaffen, wobei die Beschriftung der rahmenden Bordüre rund um das Bild von Christus und Maria durch gotische Minuskelbuchstaben wie eine dekorative Ornamentierung wirkt. Die Bildtafel mit dem „Hortus conclusus“ und der Einhornjagd2) wird gleichsam durch ornamenthaft gestaltete Schriftbänder dekoriert, wobei die Farbigkeit der Bänder und der Beschriftung, aber auch die Formen der Bu. eine bestimmende Rolle spielen.
Die Verbindung des Hortus conclusus und der Einhornjagd wird hier im thematischen Zusammenhang mit der Verkündigung an Maria zu einer Allegorie der Verkündigung selbst: die Texte sind weitgehend dem „Hohen Lied“, dem Lied der Lieder von Salomon (Liber canticum canticorum) im AT entnommen. Der Erzengel Gabriel verfolgt als Jäger, begleitet mit vier Hunden, die die Namen der vier Tugenden (Wahrheit, Friede, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit)3) tragen, das Einhorn, das sich in den „Hortus conclusus“, Symbol für die Unberührtheit, zu Maria flüchtet: als Synonym für die treue Liebe. Weitere Mariensymbole sind das Vlies Gideons, der grüne Stab Aarons, der brennende Dornbusch, die Bundeslade und die Urne mit Manna, weiters der Lebensbrunnen, der Elfenbeinturm, der mit Wappenschilden als Symbole der Tugenden Marias bewehrte Turm Davids, aber auch der Stern des Jakobus oder der aus der Christussymbolik übernommene mythische Vogel Phönix.
Der Flügelaltar wurde vom Ossiacher Abt Wolfgang Gaispacher (1510–1523)4) für die Kirche Heiligste Dreifaltigkeit in Heiligengestade am Ossiachersee in Auftrag gegeben. Er wird der älteren Villacher Werkstätte zugeschrieben. O. Demus5) vermutet als Hauptmaler den bedeutendsten Maler des späten 15. Jahrhunderts in Kärnten, nämlich Thomas Artula von Villach, den Meister der Fresken von Thörl und Gerlamoos. Nach neuesten Forschungen von W. Neumann6) wird dessen Lebensbahn bis ins erste Viertel des 16. Jahrhunderts gereicht haben. Der Flügelaltar selbst wird um/nach 1510 beauftragt und in den Folgejahren fertiggestellt worden sein. Der Altar wurde 1883 aus der bereits stark baufälligen Kirche von Heiligengestade, die dann 1892 abgebrochen wurde, entfernt und vom Komtur und Ratsgebietiger des Deutschen Ritterordens, Dr. Eduard Carl Borr. Gaston Pöttickh, Graf und Freiherr von Pettenegg (1847–1918), vom Gurker Ordinariat um 800 Gulden erworben und der Kunstsammlung, die dieser in der Ordens kommende in Friesach zusammengetragen hat, hinzugefügt7). Vgl. zur Verkündigungsallegorie des Hortus conclusus auch den Flügelaltar zu Maria Gail8).
Literatur
Friedrich Wilhelm Leitner
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
65. Band, Wiener Reihe 2. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Kärnten - Teil 2
Die Inschriften des Politischen Bezirks St. Veit an der Glan
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Kärnten Politischer Bezirk St. Veit an der Glan Friesach, Deutschordensk. hl. Blasius • Flügelaltar • Hochaltar • Gotische Minuskel mit Versalien •
Gaispacher, Wolfgang •
Pettenegg, Eduard Carl •
Villach, Thomas Artula •
Friesach, Deutschordenskirche •
Gurk •
Heiligengestade, Kirche bei Ossiach •
Villach
Abbildungen
Abb. 134: Friesach, Flügelaltar (nach 1510)
Abb. 134a ©
Landesmuseum Kärnten (Friedrich W. Leitner)
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Dich werde ich aufnehmen und du wirst über alle (deine) Wünsche herrschen (I).
Goldene Pforte (III/1).
Pforte Ezechiels (III/2).
Verschlossener Garten (III/3).
Vließ Gideons (III/4).
Wie eine Lilie unter den Dornen, so (ist) meine Freudin unter den Töchtern (III/5).
Gegrüßest seist Du, voll der Gnade, der Herr ist mit Dir. Fürchte Dich nicht, Maria, denn Du hast Gnade
gefunden bei Gott (III/6).
Wahrheit (III/7).
Friede (III/8).
Gerechtigkeit (III/9).
Barmherzigkeit (III/10)
Versiegelter Brunnen (III/11).
Einhorn (III/12).
Stab Aarons (III/13).
Arche des Herrn (III/15).
Verschlossene Pforte (III/16).
Komm, meine Taube, im Felsennest in der Steilwand (III/17).
Turm aus Elfenbein (III/18).
Komm, Südwind, wehe durch meinen Garten usw. (III/19).
Turm Davids. Von den Schanzwerken hängen tausend Schilde (III/20).
Die Stimme der Turteltaube wurde als Musik gehört in unserem (Land) (III/21).
Stern Jakobs (III/22).
Wie ein kostbarer Olivenbaum wuchs ich empor auf den Feldern (III/23).
Quelle der Gärten, Brunnen der Wässer, die vom Libanon herabfließen (III/24).
Siehe, eine Jungfrau wird (ein Kind) empfangen und einen Sohn gebären (III/25).
Phönix (III/26).
Dornbusch Moses’ (III/28).
III Rg 11, 37 (I); Lc 1, 28 (II); Ct 4, 12 (III/3, III/11); Ct 2, 2 (III/5); Lc 1, 28, 30 (III/6); Ct 2, 14 (III/17); Ct 7, 4 (III/18); Ct 4, 16 (III/19); Ct 4, 4 (III/20); nach Ct 2, 12 (III/21); Sir 24, 19 (III/23); nach Ct 4, 15 (III/24); Is 7, 14 (III/25).