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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich
Politischer Bezirk Krems
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Mautern a. d. Donau, Alte Friedhofstr. 6 (ehem. Margaretenkapelle) |
(1078?) |
Weiheinschrift, Wandmalerei, an der Ostwand des Chorquadrats. Zehn Zeilen, die gesamte Mauerbreite ausfüllend, rotbraun auf hellem Putzgrund aufgemalt, durch Einbau eines gotischen Maßwerkfensters in der Wandmitte stark fragmentiert. Erhalten sind ein großer Teil aller zehn Zeilen links des Fensters (Z. 10 läuft noch unterhalb des Fensters weiter bis zur Mitte der Wand) sowie geringe, stark versinterte Reste von Z. 9 und 10 rechts des Fensters. Oberhalb der Inschrift Reste einer Wandmalerei um 1300 (links Verkündigung Mariä, rechts Geburt Christi). Wandmalereien erstmals 1891 entdeckt und teilweise freigelegt, vor 1907 aber wieder übermalt, 1958/59 freigelegt und restauriert (Prof. Fritz Weninger).
H. (des Schriftfelds) ca. 100 cm, B. ca. 300 cm, Bu. ca. 7 cm. – Romanische Majuskel.
Textedition
ANNOa) · INC[ARNATIONIS – – – /VIII IIIIb) · ID(VS)c) · [– – –] / SEDISd)
· ALTMAN[NO – – –] / D(E)I · GENIT͜RICISe) [– – –] /
PAT͜RIARCHARV(M) [– – –] / [Q]VO͜R(VM) · RELIQ(V)I[Ef) – – –] / [.] ·
IOH(ANNIS) · ET · PA͜V[(LI) – – –] / · C̣ [(...)]ỊREIG(N)Og) · [– – – / – – –]S
· V(ERO) · FO͜RT͜V[– – –]IRV(M)h) / [– – – C]ECILIEi) · AGATH͜E ·
MA͜RGA͜RET[HE – – –]TO͜R(VM)j) · DE(I)k)
Anmerkungen
Kommentar
Die Inschrift bezieht sich offenbar auf die Weihe des Hauptaltars in der ehemaligen Margaretenkapelle
bzw. die damit verknüpfte Konsekration des Kirchengebäudes selbst. Da als Konsekrator
Bischof Altmann von Passau (1065–1091) in Z. 3 genannt wird, ist jedenfalls dessen Todesjahr als
Terminus ante quem des dokumentierten Ereignisses anzusehen, wahrscheinlich aber auch 1083.
Zu diesem Jahr wird die Margaretenkapelle in der vorgeblichen Dotationsurkunde Altmanns für
Göttweig (1083 September 9) genannt, die, ursprünglich um 1138 in Zusammenhang mit der
vielleicht schon 1121/25 erfolgten Anlage des Göttweiger Traditionscodex A bzw. der Vita Altmanni
angefertigt und in einer von zwei Händen nach 1164 hergestellten copie figurée vorliegend,
inhaltlich mit Ausnahme der bereits dem status quo der Entstehungszeit angepaßten Pertinenzen
vermutlich größtenteils zutreffend, als bischöfliche Siegelurkunde (formal) gefälscht wurde1).
Demnach wäre in Anbetracht der zu Beginn von Z. 2 erhaltenen letzten Stelle der Jahresangabe
(VIII oder VIIII wohl für das Inkarnations-, kaum das Indiktionsjahr, das innerhalb des durch
Altmanns Sedenz vorgegebenen Zeitraums entweder auf 1070/71 oder 1085/86 fallen würde) auf
1078 oder 1079 zu schließen. Sollte die Tagesdatierung, wie oben vorgeschlagen, zu IIII ID(VS)
[IVLII], also dem zugleich als Weihetag herangezogenen Patrozinium der Kapelle (Margarete, Juli
12) zu ergänzen sein, ergäbe sich als Jahr 1078. Seit der Besetzung des Passauer Bistums durch
den Gegenbischof Hermann von Kärnten 1077 war Altmann auf den östlichen Bereich seiner
Diözese beschränkt und residierte neben seinen Romreisen hauptsächlich in Mautern und Göttweig.
Die vermutlich am Beginn von Z. 3 endende Bezeichnung Altmanns als Legat des Heiligen
Stuhls [LEGATO APOSTOLICE] / SEDIS entspricht der für Altmann im genannten Göttweiger
Falsum zu 1083 in Anspruch genommenen Intitulatio, zu ergänzen ist wohl weiter
PATAVIENSIS ECCLESIE EPISCOPO, sofern nicht am Ende von Z. 2 alternativ eine weniger
wahrscheinliche Ergänzung zu [EPISCOPO PATAVIENSIS] / SEDIS angenommen wird. Wenn
die Datierung 1078 zutrifft und die Inschrift – wie zweifelsfrei anzunehmen ist – in unmittelbarem
zeitlichen Zusammenhang mit der Weihe aufgemalt wurde, kann sich ein Legatentitel
jedoch nicht auf die erst 1080 erfolgte Ernennung zum ständigen päpstlichen Legaten in Teutonicis
partibus beziehen, sondern dürfte auf ältere Gesandtschaften, etwa bei den Verhandlungen
der Fürstenopposition gegen König Heinrich IV. in Ulm und Trebur im September und Oktober
1076 oder zur Wahl des Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden im März 1077 in Forchheim anspielen2).
Nach den älteren Weiheinschriften von 1055 und 1058 aus der Wormser Stephanskirche bzw. der
Nikolauskapelle des Wormser Doms3), der etwa zeitgleichen Weiheinschrift von 1087 in der
Klosterkirche Müstair4) bzw. dem etwas jüngeren Formular der Weiheinschrift der Taxlberger
Nikolauskirche in der Nähe von Wels von 11085) läßt sich der erste Teil der vorliegenden Inschrift
als eigentlicher Weihevermerk mit Vorsicht wie folgt sinngemäß ergänzen: Anno incarnationis
dominice millesimo lxxviii iiii idus iulii dedicata est hec ecclesia a legato apostolice sedis Altmanno Pataviensis
ecclesie episcopo in honore domini nostri Jesu Christi et sancte dei genitricis et perpetue virginis Marie et
omnium angelorum, patriarcharum (...) et eorum quorum reliquie hic continentur oder altari imposite sunt
(...), woran sich der Reliquienkatalog (ab Johannis et Pauli) angeschlossen und mit der Klausel et
aliorum sanctorum dei geendet haben dürfte.
Die im Mittelalter auch von einem Friedhof umgebene Margaretenkapelle, 1571 in Hinblick auf
die Verwendung als Bürgerspitalskapelle mit dem älteren Mauterner Anna- (Spitals-)Benefizium
(vgl. Kat.-Nr. 113) versehen6), 1786 profaniert und bis ins mittlere 20. Jahrhundert als Magazin
der Stadtgemeinde, später als Stadtmuseum benutzt, steht mit der romanischen Chorsüdwand und
der südlichen Langhauswand auf der spätantiken, im Mittelalter weiterbestehenden Stadtmauer
auf. Eine Erweiterung um zwei Joche fand im Barock statt. Das einfache Kreuzgratgewölbe des
Chors mit malerischer Ausstattung aus der Zeit um 1300 und die zugehörigen fragmentarisch
erhaltenen Wandmalereien an den Chorwänden (Nordwand: Heiligenvita? Gesamtausstattung:
mariologisch-christologisches Programm) nahmen offenbar auf die ältere Weiheinschrift Rücksicht,
die weder von den Gewölbeanläufen, noch von den Wandmalereien überschnitten wurde.
Dagegen wurden sowohl Inschrift als auch bildliche Darstellung durch das spätere gotische Maßwerkfenster
in der Mitte der Ostwand gestört. Die im Langhaus (Nordwand: Laurentiusmarter
und Heiligenvita?) in Resten erhaltenen Wandmalereien sind in das erste Viertel des 14. bzw. die
erste Hälfte des 15. Jahrhunderts zu datieren7).
In der vorliegenden inschriftenpaläographischen Literatur wurde die Inschrift zunächst an den
Beginn des 12. Jahrhunderts gesetzt8). Legt der Mitteilungsgehalt der Inschrift, die Bezeugung
der Weihe durch Altmann, eine zeitgenössische Entstehung zum angeführten Datum nahe,
sprechen auch inschriftenpaläographische Kriterien, besonders im Vergleich zur erst in jüngerer
Zeit freigelegten Taxlberger Inschrift für eine frühere Datierung. Die insgesamt von den an sich
wenigen extrem breiten Einzelformen (H, N, tendenziell vollrundes O, T, teilweise auch E und
M) und den fetten Schattenlinien in ihrem Gesamteindruck bestimmte Inschrift weist noch ausschließlich
kapitale Formen auf, wobei ein leichtes Schwanken des Duktus und der Buchstabenproportionen,
zahlreiche unterschiedlich ausgeführte freie Schaft- und Bogenenden und ein uneinheitlich
gedrängtes oder lockereres Schreiben den vermutlich angestrebten monumentalen
Eindruck etwas beeinträchtigen. An signifikanten Einzelformen erscheinen gleichschenkeliges,
mitunter leicht nach rechts geneigtes A mit Linksschrägenverstärkung und feinem, aber breiten
Deckstrich, E mit meist gleichlangen, spachtelförmigen Balken, G mit rechtwinkeliger, bis etwa
zur Mittellinie reichender Cauda, gerades M mit nicht bis zur Basislinie herabreichendem Mittelteil,
Q mit geschwungener, relativ flach an der Basislinie verlaufender Cauda, R mit geschwungener
Cauda und leicht rechtsschräg liegendes S. Die Inschrift verwendet eine Fülle an Nexus
litterarum, wobei der Bogen von R bei T/R jeweils unterschiedlich hoch am Schaft des T ansetzt.
Freie Schaft- und Bogenenden werden entweder keil- oder spachtelförmig ausgeführt bzw. an
Ober- und Unterlinie stumpf abgeschnitten und mit breiten Deck- und Abschlußstrichen versehen.
Offenbar wurden die Buchstaben aus Layout-Rücksichten wenigstens am Beginn der
Inschrift auf die Wandfläche vorgeritzt, bevor sie farbig ausgeführt wurden. Bei I und N von
INC[ARNATIONIS] in Z. 1 sind jeweils rechts neben den mit dem Pinsel gemalten Schäften
parallele Ritzlinien erhalten geblieben.
Ganz ähnliche Formen (daneben aber auch unziales E und G mit eingerollter Cauda) und
Stilisierungsmerkmale zeigt auch die im Gesamteindruck vergleichbare Weiheinschrift in Müstair, die
die oben vorgeschlagene Datierung der Mauterner Inschrift aus inschriftenpaläographischer Sicht
durchaus unterstützt.
Literatur
Andreas Zajic
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich Politischer Bezirk Krems Mautern a. d. Donau, Alte Friedhofstr. 6 (ehem. Margaretenkapelle) • Weiheinschrift • Wandmalerei • Romanische Majuskel •
Altmann •
Heinrich IV. •
Kärnten, Hermann •
Rheinfelden, Rudolf •
Forchheim •
Gingen •
Göttweig, Benediktinerkloster •
Goslar •
Hildesheim, Bernwardkrypta •
Mainz •
Mautern a. d. Donau •
Müstair, Klosterkirche •
Passau •
Schwarzrheindorf •
Taxlberg, Nikolauskirche •
Trebur •
Ulm •
Worms, Dom (Nikolauskapelle) bzw. Stephanskirche
Abbildungen
Abb. 1: Weiheinschrift (1078?), Detail ©
Bundesdenkmalamt, Wien, Fotoarchiv
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Im Jahr der Fleischwerdung (...) am vierten Tag vor den Iden des (...) Stuhls, Altmann (...) der Gottesmutter, (...) der Patriarchen, (...) deren Reliquien (...) des Johannes und Paulus, (...) deren (...), der Cäcilia, Agathe, Margarete, (...) Gottes.