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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich
Politischer Bezirk Krems
46 |
Spitz, Pfk. Hl. Mauritius |
um 1420 |
Wappengrabplatte der Anna Murstetter, roter Marmor, im südwestlichen Kapellenanbau (Antoniuskapelle) im Boden. Die zwischen zwei seicht eingehauenen Linien angeordnete Umschrift rahmt ein Feld mit graphisch-linear eingehauener Darstellung des Vollwappens (Schild gelehnt). Gesamte Platte abgetreten und an der Oberfläche tlw. leicht beschädigt.
H. 253 cm, B. 136 cm, Bu. 10 cm. – Gotische Minuskel mit Versal aus Gotischer Majuskel.
Textedition
Anno · domini · millesimo · / qvadringentesimoa) · xxo <– – –> · obiit · /
domina · anna · mvrstet/erin · fvndatrix · h(v)i(vs) · cap͜pelle · hic · sepvltab) ·
Anmerkungen
Kommentar
Anna Murstetter, um 1378 geboren, stammte aus der vermögenden Kremser Bürgerfamilie
Hülber (vgl. auch die im Spätmittelalter übliche Bezeichnung des Steiner Tors in Krems als
Hülben- oder Hülbertor, des entsprechenden Stadtteils als Hülben- oder Hülberviertel), ihr
Bruder Jans (Hans) war Mitglied des Rats, ihr Vater Jakob Schlüsselamtmann. Dessen Mutter war
eine Tochter Friedrichs (des Langen) von Spitz gewesen, mithin eine Schwester der ersten Frau
des Wolfhard von Au (s. Kat.-Nr. 32), den Anna (nach dem Gesagten etwa eine Generation
jünger als ihr Mann) später in erster Ehe heiratete. Gemeinsam mit ihm bestiftete sie die Kapelle
Mariä Himmelfahrt (heute Antoniuskapelle) am Turm der Spitzer Pfk., in der beider Grabplatten
sich vermutlich noch in situ über den Gräbern befinden. Ihr zweiter Ehemann war
Hermann Murstetter (s. Kat.-Nr. 44). Nach dessen Tod saß sie auf der von ihm hinterlassenen
Burg Artstetten und stiftete 1420 den Weingartenbesitz ihres verstorbenen Mannes für ein Seelgerät
in der Kartause Aggsbach. Anna starb nach 1424 Mai 10, unter welchem Datum sie 2 lb.
den. zur Verbesserung der älteren Wochenmeß- und Jahrtagstiftungen in der Spitzer Kapelle
stiftete. Ihr Jahrtag, von der Spitzer Pfarrbruderschaft („zecha sancti Mauritii“) mit jeweils 3 ß
den. finanziert, wurde noch im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts zu den vier Quatemberterminen
in der Spitzer Pfarrkirche begangen2).
In der Wahl ihrer Grabstelle und der Beschriftung ihrer Grabplatte verknüpfte Anna Murstetter
drei konkurrierende familiale Bezugspunkte: während die zweifache Witwe das väterliche Wappen
führte und sich nach ihrem zweiten Mann nannte, ließ sie sich an der Seite ihres ersten
Mannes beisetzen.
Bei der Gestaltung der Grabplatten der beiden Eheleute wurde offensichtlich versucht, das Vorbild
des heute unmittelbar neben dem der Anna liegenden Steins des Wolfhard von Au (Kat.-Nr. 32)
nachzuahmen. Allerdings wurde die Platte Annas wohl gleichzeitig mit der ihres zweiten Ehemanns
Murstetter (Kat.-Nr. 44), jedenfalls aber offensichtlich von derselben Werkstatt zu ihren
Lebzeiten angefertigt (vgl. Wappen und Umschrift; s. die untenstehende Schriftbeschreibung auch
für die Platte Murstetters). Daher entspricht die Ausführung im Vergleich zur Platte Wolfhards
von Au deutlich der in den ungefähr 20 zwischen den beiden Entstehungsdaten liegenden Jahren
vollzogenen Entwicklung der Sepulkralplastik. So weist etwa der Wappenschild eine modernere
Form mit ausgerundeter Ortstelle auf, ist der Stechhelm (in der älteren Platte war dessen Darstellung
noch der Form des Kübelhelms verhaftet gewesen) nicht mehr in strenger Seitenansicht,
sondern in Drei-Viertel-Profil auf den Schild gesetzt und mit einer dekorativ geschlitzten und
gezaddelten Helmdecke versehen.
Auch die Umschrift zeigt vergleichbare Entwicklungen: während die Beschränkung auf einen
Versal und größtenteils auch das Formular beibehalten wurden, zeigen die Gemeinen doch
deutlich andere Formen und die Inschrift insgesamt einen anderen Gestaltungswillen. Die Buchstaben
sind nun wesentlich schmäler und höher, zugunsten einer Betonung des Mittelbands sind
sämtliche Unterlängen (einschließlich des p) eliminiert, dafür die Oberlängen besonders im
vierten Schriftband der Platte der Anna Murstetter etwas stärker betont. Die Schaftbreite entspricht
genau dem Abstand zwischen zwei Schäften, sodaß die Quadrangeln nebeneinanderliegender
Schäfte einander berühren und einen gewissen Gittercharakter erzeugen. Bei vielen Einzelformen
der sehr sauber eingeschlagenen Umschriften finden sich Haarzierstriche (a, e, r, x). Der Annahme
Gert Adameks3), die Wappengrabplatten der Anna und des Hermann Murstetter sowie des
Seifried Ritzendorfer (Kat.-Nr. 49) entstammten einer gemeinsamen Werkstatt mit den figürlichen
Grabplatten Stephans von Haslach (Kat.-Nr. 40), der Göttweiger Äbte Petrus (II.) von St.
Pölten (Kat.-Nr. 55) und Lukas Lauchlaibl von Stockstall (Kat.-Nr. 59) sowie der Wappengrabplatte
der Afra Phorlein in Stein (gest. 1415)4), ist entschieden zu widersprechen5). Hingegen
scheint eine nicht bloß zufällige Ähnlichkeit mit der Wappengrabplatte des Konrad von Maissau
in Pöggstall (gest. 1396)6) zu bestehen. Abgesehen von der weitgehenden Übereinstimmung des
Formulars (mit fast zur Gänze ausgeschriebenen Ordinalia in der Jahresangabe) entsprechen auch
die Formen der Gemeinen der Umschrift einander relativ genau: Bei annähernd gleichem Verhältnis
von Breite zu Höhe erscheinen auf den drei Platten a mit ungefähr drei Viertel des Mittelbandes
einnehmendem senkrechten Teil des gebrochenen unteren Bogens und rundem linken Teil
des gebrochenen oberen Bogens, der als Haarstrich rechts neben dem senkrechten Teil des unteren
Bogens in der gedachten Mittellinie des Mittelbandes ausläuft. Weiters b, l, und t mit oben
rechtsschräg abgeschnittenen Schäften, die in einen kleinen Haarzierstrich auslaufen, e mit zu
einem steil rechtsschräg verlaufenden, unten nach rechts umgebogenen Haarstrich reduzierten
Balken, r mit Fahne als Quadrangel mit angesetztem Haarstrich, in einer tropfenförmigen Verdickung
endend. Übereinstimmend auch rundes s am Wortende oder die Manier, etwa bei obiit
den zweiten Schaft von i an der Basislinie rechtsschräg abzuschneiden und in einen Haarzierstrich
auslaufen zu lassen, desgleichen beim senkrechten Teil des gebrochenen Bogens von h. Vor allem
übereinstimmend die vollständige Plazierung des g im Mittelband, größtenteils gleich p, bei den
Platten in Spitz ist auch dessen Schaft zur Gänze im Mittelband, beim Pöggstaller Stein reicht
dieser minimal in die Unterlänge. Darüber hinaus aber sind der Schnitt der Helmdecken an den
beiden Standorten mit den bereits auf der Helmglocke aufliegenden lappigen Zacken, den charakteristischen
dreiendigen, lappigen Zaddeln und den links des Helms und an dessen Hinterseite
herabfallenden bzw. aufsteigenden Bahnen sowie Position und Form des Schildes und Stechhelms
so ähnlich, daß trotz der unterschiedlichen Bearbeitungstechniken (hier graphisch-linear
eingehauene Darstellung, da Relief ) und der zeitlichen Differenz an eine gemeinsame Herkunft
gedacht werden kann. Diese Annahme ist auch insofern wahrscheinlich, als beide Ehemänner der
Anna Hülber im Dienst der Maissauer standen und vermutlich auch die von ihren Herren beauftragten
Steinmetzen beschäftigten. Definitiv derselben Werkstatt wie die Murstetter-Platte entstammt
der vom Formular und Schriftbefund bis hin zu Details von Kürzungen (hvivs) und
Bogenberührungen (cappelle) übereinstimmende Stein des Seifried Ritzendorfer (Kat.-Nr. 49).
Literatur
Andreas Zajic
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich Politischer Bezirk Krems Spitz, Pfk. Hl. Mauritius • Wappengrabplatte • roter Marmor • Gotische Minuskel mit Versal aus Gotischer Majuskel • Inschriften des Totengedenkens •
Au, Wolfhard •
Friedrich von Spitz •
Hülber, Anna, Jans, Jakob, Konrad •
Lauchlaibl, Lukas •
Maissau, Konrad •
Murstetter, Hermann •
Nußdorfer, Ulrich, Petrus II. von St. Pölten •
Phorlein, Afra •
Ritzendorfer, Seifried •
Stephan von Haslach •
Wolfgang •
Aggsbach, Kartause •
Artstetten •
Göttweig, Benediktinerkloster •
Krems a. d. Donau •
Pöggstall, Fk. St. Anna i. Felde •
Schwallenbach •
Stein a. d. Donau
Abbildungen
Abb. 34: Grabplatte der Anna Murstetter (um 1420) ©
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Im Jahre des Herren 142<.> starb Frau Anna Murstetter, Stifterin dieser Kapelle, (und liegt) hier begraben.