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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich
Politischer Bezirk Krems
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Hainburg a. d. Donau, Fabrikspl. 1 (Ehem. Minoritenkloster, Alte Tabakfabrik) |
1459 |
Wappengrabplatte des Hans (VI.) und der Anna von Neidegg (geb. von Prank), roter Marmor, im Depot des Niederösterreichischen Landesmuseums (Alte Tabakfabrik) gelagert, bis 1997 im Hof des Niederösterreichischen Landesmuseums (Wien I., Herreng. 9) an der Südwand. Ursprünglich und noch 1834 (bzw. 1873?) im Kreuzgang des ehemaligen Paulinerklosters Unterranna (wohl im Boden)1), später auf dem Gelände des Graphitwerks in den noch aufrechten ehemaligen Konventsgebäuden lose aufgestellt, um 1879 von Anton Widter2) erworben und in dessen Lapidarium (Wien III., ehemals Landstraßer Hauptstr. 19, heute 21) aufgestellt, nach dessen Auflösung (nach 1886) den Beständen des NÖ Landesmuseums einverleibt; Inv.-Nr. 7263. Zentrales leicht vertieftes Relieffeld mit zwei Eheallianz-(Voll-)wappen (das [heraldisch] rechte Wappen linksgewendet, der [heraldisch] linke Schild nach Art eines Beiwappens kleiner und leicht gelehnt), die Oberfläche der Platte an beiden Seiten als schmale rahmende Leiste. Die Oberkante des Felds greift, den Helmzierden der beiden mittleren Helme ausweichend, mit einer kleinen Stufe in das darüberliegende Schriftfeld ein. Auf diesem Inschrift (I) in vier Zeilen über die gesamte Breite der Platte reichend, fortgesetzt in weiteren zwei Zeilen links und rechts des von unten einspringenden Wappenfelds, unterhalb des Relieffelds drei Zeilen der mit I zusammengehörigen Is. II. Gesamte Platte heute äußerst stark verwittert, von Is. I nur mehr geringe Reste am rechten Rand erhalten. Die Transkription erfolgt nach dem fotografischen Befund des museal aufgestellten Steins aus dem Jahr 1970: gesamtes Denkmal damals leicht abgetreten, besonders die obere Inschrift durch teilweisen Pflanzenbewuchs beschädigt3).
H. 282 cm, B. 135 cm, Bu. 9 cm. – Gotische Minuskel mit Versalien.
Textedition
I.
Hie · ligt · b[e]graben · d͜er · edl · herr · hanns · / von · Neydegk · [Stifter]a) ·
d͜es geg͜enbvrti/g͜en · Go[tz]haws · d͜er · g͜estorb͜en · ist · de(m) · got / g͜enadig ·
sey · Anno · d(omi)ni · M · cccc · l[v]iii[i] anb) / mitichen // vorc) [s]and
Pau/lus tag der // Bekherungc)
II.
vnd · dy · Ed͜el · fraw · Anna · vo(n) · Prangk / sein · g͜emahel · dy · tod · ist ·
Anno · d(omi)ni · m · / Cccc · l[v]iid) an sand · Silvester · pabst · [t]age) ·
Anmerkungen
Daten: 1459 Jänner 24; 1457 Dezember 31.
Wappen: Neidegg4); Prank5).
Kommentar
Hans (VI.) von Neidegg war ein Sohn des Hans (III.) von Neidegg und der Kunigunde von Lasberg
(s. ausführlich Kat.-Nr. 50†).
Von den 1426 gemeinsam mit dem väterlichen Erbe belehnten und auch weiterhin häufig gemeinsam
agierenden Brüdern Hans (VI.) und Leopold (II.), letzterer ab 1442 Rat Friedrichs III., seit
1444 – zunächst wenigstens nominell gemeinsam mit Hans – Pfleger bzw. Pfandinhaber von Gars,
tritt der ältere, Hans, klar hervor6). Seit 1430 mit Anna, der Tochter Pilgrims und Annas von
Prank zu Reifenstein7), kinderlos verheiratet, vermehrte er – teils in Gemeinschaft mit seinem
Bruder Leopold – den ererbten bedeutenden Besitz neben zahlreichen Güterarrondierungen 1430
durch Ankauf der Burg Hartenstein samt Patronat über die Burgkapelle und die Pfarrkirche
Obernondorf und reichem Zubehör in ausgedehnter Streulage um 4500 lb. den. von Jörg von
Rappach (1445 um 770 lb. den. wieder an Jörg (d. Ä.) Scheck von Wald verkauft) und 1444 durch
Kauf eines Drittels der Burg Salaberg von Kaspar von Puchberg zu Wildenstein und dessen
Frau Barbara Watzmannsdorfer8). 1446 kaufte er um 2000 lb. den. von Jörg d. Ä. Scheck von
Wald die freieigene Burg Pielachhaag9). Durch geschickte Ausnutzung mitunter bedeutender
Darlehen an Kaiser Friedrich III. und andere Große sowie die dadurch erlangten Pfandschaften
und Ämter als landesfürstlicher Pfleger von Steyr (schon unter Albrecht II., unter Friedrich seit
1440, ab 1444 auch als Pfandschaft, seit 1446 auf Lebzeit) und Weitenegg (1456) und Freisinger
Pfleger von Waidhofen a. d. Ybbs (1448) stieg er schließlich zu einem der vermögendsten Adeligen
in Österreich neben dem Hauptmann ob der Enns, Reinprecht (IV.) von Wallsee-Enns,
auf. Nach Hans’ (VI.) Tod fiel der Besitz an die aus der Ehe mit Dorothea von Wildhaus stammenden
Kinder seines vor 1455 verstorbenen Bruders Leopold (II.), Hans (IX.) und Rueland
(Roland)10).
Die inschriftliche Bezeichnung Hans’ (VI.) als Stifter des Klosters Unterranna, das sein Vater Hans
(III.) ins Leben gerufen hatte, ist zunächst wohl auf die Tatsache zurückzuführen, daß der jüngere
Hans Mitaussteller des Stiftbriefs seines Vaters von 1424, der als eigentliches Stiftungsinstrument
verstanden wurde, gewesen war. Zudem hatte Hans (VI.), der die Vogtei über das Kloster
ausübte, aber auch selbst 1441 gemeinsam mit seiner Frau Anna einen Jahrtag in der Klosterkirche
eingerichtet und 1454 mit Anna eine weitere umfangreiche Seelgerätsstiftung getätigt. Die Bestattung
beider nach ihrem Tod 1457 bzw. 1459 in Unterranna als Stifter hatte demnach volle
Berechtigung. Als genauer Standort der Grabplatte im Kreuzgang kommt in Zusammenhang mit
den beiden genannten Stiftungsurkunden eine Lage im Boden vor dem von den beiden Eheleuten
1441 gestifteten Dreifaltigkeitsaltar, dem „vorderen“ Altar im Kreuzgang in Frage, der sich offenbar
in der vom Kreuzgang aus zugänglichen Kapelle mit Funktion als Kapitelsaal befunden hatte11).
Die dargestellte Helmzier des Pranker Wappens entspricht genau der des etwa aus der Mitte des
14. Jh. stammenden Turnierhelms des Albert (?) von Prank, der bis 1878 in der Klosterkirche
Seckau über dem Erbbegräbnis der Pranker hing (heute Hofjagd- und Rüstkammer des Kunsthistorischen
Museums Wien, Inv.-Nr. B 74)12).
Die Platte ist ganz offensichtlich die Arbeit einer produktiven (oberösterreichischen?) Werkstätte,
die nach Karl Friedrich Leonhardt um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Konkurrenz zu einem
stilistisch ähnlich arbeitenden Betrieb aus Hallein bzw. Adnet stand13), und als deren stilistische
Merkmale bei Wappengrabplatten die Gestaltung des gelehnten Schilds (mit moderat spitzem Ort),
des teilweise in leichter perspektivischer Aufsicht dargestellten, sehr spitzen Stechhelms, der
groblappigen, mit einer Mittelkerbe versehenen Zaddeln der Helmdecke, die fast das ganze
Mittelfeld zwischen Schild und Rahmen ausfüllen, anzusehen sind. Das außerhalb des Bearbeitungsgebiets
(s. Einleitung, vgl. jedoch Kat.-Nr. 63) der vorliegenden Platte am nächsten stehende Denkmal ist die
Wappengrabplatte des Hans Goldner von 1448 im Welser Stadtmuseum14):
neben den erwähnten Charakteristika der Reliefdarstellungen weisen beide Steine auch übereinstimmende
Schriftformen auf, besonders augenfällig die exakt gleichen Versalien A mit senkrecht
gestelltem, schmalen rechten Schrägschaft, stark keilförmig verbreitertem und in auffällig runder
Kerbe eingehauenem linken Schrägschaft sowie weit nach links überstehendem Deckbalken und
hoch angesetztem gebrochenen Mittelbalken, G aus gebrochenem und verfremdet zusammengesetzten
Bogen, wobei unterer Bogenabschnitt und Cauda zu einer dreiviertelkreisartigen, oben
offenen Bogenlinie verschmelzen, der obere Bogenabschnitt hingegen aus einem kurzen, tlw. in
den unteren Bogen eingestellten Schaft und dem zweifach gebrochenem und geknickten rechten
oberen Bogenende besteht, sowie relativ flaches S mit deutlich linksschräger Buchstabenachse und
fein ausgezogenen Sporen. An den ebenfalls weitestgehend übereinstimmenden Einzelformen
seien erwähnt: a mit senkrechtem Teil des gebrochenen unteren Bogens in weniger als halber
Höhe des Mittelbandes und völlig offenem linken Teil des gebrochenen oberen Bogens, d mit
zum kurzen Linksschrägschaft verschmolzenen rechten Teil des gebrochenen oberen Bogens und
freiem oberen Bogenabschnitt, e mit zum Quadrangel reduziertem geknickten oberen Bogen, h
mit im Unterlängenbereich rechtsschräg abgeschnittenem Ende des senkrechten Teiles des gebrochenen
Bogens, p mit nach rechts umgebrochenem Schaftende und den Schaft leicht durchschneidendem
waagrecht abgeknickten unteren Bogenabschnitt. Signifikant ist für beide Denkmäler
auch – soferne sie beim vorliegenden Stück nicht bloß abgetreten sind – das völlige Fehlen
von Haarzierstrichen bei sehr exakter Ausführung. Aufgrund mehrerer Parallelen, vor allem in
der Gestaltung der Versalien, läßt sich auch die fragmentierte Grabplatte des Hans Sulzperger
(Kat.-Nr. 63) dieser Werkstatt zuordnen. Generell ist für die Erzeugnisse der Werkstatt auch eine
Häufung von Bogenverbindungen d͜e, g͜e usw. charakteristisch sowie das in Inschrift I verwendete
auffällige Formular, bei dem der Segenswunsch nie am Ende der Inschrift, sondern – mitunter
die Syntax störend – als Einschub in anderen Formularteilen erscheint.
Literatur
Andreas Zajic
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich Politischer Bezirk Krems Hainburg a. d. Donau, Fabrikspl. 1 (Ehem. Minoritenkloster, Alte Tabakfabrik) • Wappengrabplatte • roter Marmor • Gotische Minuskel mit Versalien • Inschriften des Totengedenkens •
Albrecht II. •
Dreher, Anton •
Friedrich V. •
Goldner, Hans •
Johannes •
Lasberg, Kunigunde •
Leonhardt, Karl Friedrich •
Neidegg, Hans III., Hans IX., Hans VI., Leopold II., Rueland •
Prank, Anna, Albert, Anna, Pilgrim •
Prantner, Jörg •
Puchberg, Kaspar •
Rappach, Jörg •
Scheck von Wald, Jörg d. Ä. •
Sulzperger, Hans •
Wallsee, Reinprecht IV. •
Watzmannsdorfer, Barbara •
Widter, Anton •
Wildhaus, Dorothea •
Adnet •
Hallein •
Hartenstein •
Machland •
Niederranna, Brandhof •
Obernondorf, Pfk. •
Pielachhaag •
Salaberg, Burg und Herrschaft •
Seckau, Augustiner-Chorherrenkloster •
Steyr •
Unterranna, Paulinerkloster •
Waidhofen a. d. Ybbs •
Weitenegg •
Wels •
Wien
Abbildungen
Umschlaghinterseite ©
ÖAW, Wien, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Andreas Zajic)
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