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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich
Politischer Bezirk Krems
81 |
Grafenegg, Schloß |
1459 |
Ensemble von sechs beschrifteten (und vier unschrifteten) Dachziegeln mit Namensinschriften und Jahreszahlen, rötlicher bis gelbbrauner gebrannter Ton, an der Ostseite des Nordtrakts der nordwestlich des Schlosses gelegenen Mühle sekundär in vier Putzfeldern in den Fensterachsen unterhalb des Gesimses zwischen Erd- und Obergeschoß als ein Paar bzw. in drei Gruppen zu drei Ziegeln (der mittlere der nördlichsten Gruppe fehlt) eingemauert. Sämtliche Darstellungen und Inschriften an der Ziegelunterseite unterhalb der Nase in den feuchten Ton eingeritzt. Die Beschreibung erfolgt von Süden beginnend: a) über stehendem linksgewendeten Wolf (?) Initialen des Bernhard von Tachenstein, b) senkrechtes s-förmig gewundenes Spruchband mit Jahreszahl (II), begleitet von vegetabilen Ranken, nach einem Ziegel mit leerem Spruchband Ziegel c) zuoberst Initialen (I), darunter fünfstrahliger Stern, mit sechs Kugeln (im Zentrum und in den Winkeln) besetzt (Bilddevise des Bunds vom Stern?), zuunterst Spruchband mit Jz. (II), d) unter Inschrift (I) senkrechtes s-förmig gewundenes Spruchband mit Jz. (II), begleitet von vegetabilen Ranken, e) gleichartiges Spruchband mit Jz., f) unter den Initialen des Bernhard von Tachenstein (I) Wappenschild, zuunterst Spruchband mit Jz. (II), am Rand sägezahnartige Linie, g) unter Initiale (I) (heraldisch) linksgewendeter Stechhelm mit Flug, darunter Spruchband mit Jz. (II), am Rand sägezahnartige Linie, nach unbeschriftetem Ziegel mit der von Ranken begleiteten Bilddevise des aragonesischen Kannenordens (Schulterhenkelamphore mit drei Lilien) sowie Fehlstelle eines abgefallenen Ziegels letzter Ziegel h) unter (heraldisch) linksgewendetem Stechhelm mit offenem Flug (darüber die Bilddevise des aragonesischen Kannenordens) Spruchband mit Jz. Ziegel d) aus drei Bruchstücken mit schmalen Bruchlinien wieder zusammengesetzt.
H. ca. 43–45 cm, B. ca. 23 cm, Bu. ca. 3–5 cm. – Gotische Minuskel und schreibschriftliche spätgotische Kursive.
Textedition
a)
P(ernhart) v(on) t(ahenstain)
b)
1459
c)
I.
l d i
II.
1459
d)
I.
lewsser
II.
1459
e)
1459
f )
I.
P(ernhart) v(on) t(ahenstain)
II.
1459
g)
I.
v
II.
1459
h)
1459
Kommentar
Offenbar war Bernhard (II.) von Tachenstein (zu ihm s. Kat.-Nr. 76), Mitglied des Ordens der Ritter vom Heiligen Grab in Jerusalem, wohl in Zusammenhang mit der Brauteinholung Eleonores von Portugal und vielleicht durch den 1448 selbst zur Verleihung des Ordens an fünf adelige Damen berechtigten Jörg von Volkersdorf, auch in den Besitz zumindest der Bilddevise des Kannenordens gelangt, dessen Insignien in Mitteleuropa, vor allem im Reich, fast inflationäre Verbreitung erfuhren2). Die mit den vorliegenden Inschriftenträgern gleichzeitigen Wappenbriefe der Grafen Georg, Johann und Sigismund von St. Georgen und Bösing (Pösing)3) zeigen beiderseits der Helmzier ebenfalls die Bilddevise des Ordens: (heraldisch) rechts die „Kanne“, (heraldisch) links den von einer Kette abhängenden Greifen samt (leerem) Spruchband. Die Kanne isoliert als Devise zeigt dagegen die figürliche Grabplatte Christophs (d. Ä.) von Hohenfeld (gest. 1496) im Welser Stadtmuseum4). Das auf Ziegel a) wiedergegebene Wappentier Tachensteins (Wolf ) erscheint auf dem etwas älteren Wappenstein im Schloß Grafenegg in der linken Hälfte des gespaltenen Schilds (Kat.-Nr. 76). Der Name lewsser könnte sich auf einen nicht konkret zu benennenden Angehörigen der niederadeligen Familie Leisser beziehen, deren Vertreter im 16. Jahrhundert aus der Steiermark (wieder?) nach Österreich kamen (vgl. zur Familie Kat.-Nr. 293, 294. 324).
Dachziegel wurden wie schon im Hochmittelalter auch im 15. und 16. Jahrhundert nicht selten als Bild- und Inschriftenträger gestaltet5).
Alle Darstellungen und Beschriftungen sind infolge der Ritzung mit dem Griffel in den feuchten Ton völlig linear ausgeführt. Während die Initialen auf Ziegel f ) in schwungvoller schreibschriftlicher Kursive mit ausgeprägten Anschwüngen von links ausgeführt wurden, erscheinen alle anderen Buchstaben in entsprechend dünnstrichiger gotischer Minuskel, wobei das rasche Schreiben möglichst in einem Zug schwungvolle Zierformen wie die durchgebogenen Fahnen des langen s und des r in lewsser hervorbringt. Die Ziffer 5 der Jahreszahlen ist bemerkenswerterweise und abweichend zu zeitnahen anderen Beispielen (vgl. Kat.-Nr. 76) rechtsgewendet.
Literatur
Andreas Zajic
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich Politischer Bezirk Krems Grafenegg, Schloß • Dachziegeln • Namensinschriften • Jahreszahlen • Gotische Minuskel und schreibschriftliche spätgotische Kursive •
Friedrich V. •
Hohenfeld, Christoph •
Hold, Thomas •
St. Georgen und Bösing, Georg, Johann, Sigismund •
Tachenstein, Bernhard II. •
Volkersdorf, Jörg •
Budapest, Ungarisches Staatsarchiv •
Grafenegg •
Wels
Abbildungen
Abb. 60: Dachziegel (1459)
Abb. 61: Dachziegel (1459)
©
ÖAW, Wien, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Michael Malina)
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Dehio Nord 305. – Zajic, Edition 241 (Abb.). – Zajic, „Zu ewiger gedächtnis aufgericht“ 165 (Anm. 57).