Inschrift-logo

  Suche         Druck     Hilfe  

 

Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich

Politischer Bezirk Krems

227 Göttweig, Sammlungen 1547 1547

Beckenschlägerschüssel mit Jahreszahl, getriebenes („geschlagenes“) und gepunztes Messingblech, Inv.-Nr. alt Sk 110, angeblich aus der früher inkorporierten Klosterpfarre Kuffern stammend. Vollrunde Schüssel mit hochgezogenem, flach umgebörteltem Rand. Im Zentrum des Schüsselbodens in Nabelring sekundär seicht eingravierte Radnabe mit drei ankerartigen Speichen, darüber die klein eingravierte Jahreszahl, beides umschlossen von aus Fischblasenformen zusammengesetztem erhabenen Wirbelradornament. Um dieses herum durch mehrfache Wiederholung eines Stempels gestaltete Ornamentleiste mit erhaben geschlagenen buchstabenähnlichen „kufischen“ Phantasiezeichen unter teilweise freier Zugrundelegung von Formen der Gotischen Minuskel. Umlaufend schmale gepunzte Blattleiste und weiter nach außen erhabenes Kriechwerklaub als Rahmenleiste sowie abschließende Stableiste, am Schüsselrand gepunzte Blattleiste umlaufend.

D. 43,5 cm, Bu. 0,3 cm ( Jahreszahl).


Textedition
			

1547

Kommentar

Messingtischgeräte gehörten im 15. Jahrhundert, als prestigeträchtige Schaustücke auf Kamingesimsen oder Wandschränken bzw. auf der Tafel aufgestellt, zur mobilen Interieurausstattung gehobenen Anspruchs, die häufig in der Tafelmalerei der Zeit in Darstellungen sakralen und profanen Inhalts geschildert wird. Als älteste Heimat der Messingwarenherstellung gilt die Rhein/Maas/Mosel-Gegend mit einem um die Mitte des 13. Jahrhunderts bereits florierenden Zentrum in Dinant, dem gegen Ende des 15. Jahrhunderts Aachen in dieser Funktion folgte. Der Vertrieb der Messinggeräte für den süddeutschen Markt erfolgte dagegen meist über Nürnberg, wo seit der Mitte des 15. Jahrhunderts aus den importierten Erzen ebenfalls Messing im Rahmen einer regelrechten Massenherstellung getrieben bzw. mittels Formen geschlagen und in großer Zahl auch nach Österreich verhandelt wurde1).

Die vorliegende Schüssel entstammt mit größter Wahrscheinlichkeit ebenso wie Kat.-Nr. 121 und 122 der Nürnberger Messingwarenproduktion des frühen 16. Jahrhunderts, die eine unüberschaubare Zahl an museal und in Privatbesitz weltweit erhaltenen Objekten hervorgebracht hat. Kennzeichnend für die meisten bekannten Erzeugnisse ist die jeweils beliebige Kombination von Dekorelementen aus einem sehr eng begrenzten Grundstock an ornamentalen und (pseudo-)inschriftlichen Punzen und Zeichen. Die im zentralen Nabelring der vorliegenden Schüssel angebrachte Jahreszahl und das graphische Zeichen wurden wohl von einem Besitzer des Objekts erst sekundär angebracht.

Eine von Walcher-Molthein um 1500 datierte Nürnberger Schüssel mit Verkündigungsszene und eine zweite mit Wirbelrad im Zentrum weisen eine mit einem fast übereinstimmenden, aber offenbar nicht identischen Stempel wie bei der vorliegenden Schüssel geschlagene „kufische“ Umschrift, die erstge­nannte auch die identische Blattwerkleiste am äußeren Rand auf2). Eine aus denselben buchstaben­ähnlichen „kufischen“ Zeichen zusammengesetzte, mit einem ebenfalls fast völlig übereinstimmenden, aber nicht identischen Stempel geschlagene Schriftleiste und auch sonst teilweise gleiche Kriechwerk­laubornamente weisen die zweite Schüssel in den Göttweiger Sammlungen (Kat.-Nr. 121 und 122) sowie eine Schüssel mit zentraler Sündenfallszene in der Pfarrkirche Groß-Gerungs auf3). Derselbe Stempel mit den buchstabenähnlichen Zeichen wurde für eine Beckenschlägerschüssel in Kleineichstädt verwendet, in deren Zentrum eine Sündenfallszene, vom selben Stempel wie die der Groß-Gerungser Schüssel geschlagen, steht4), sowie für eine Schüssel mit zentraler Verkündigungsszene in musealer Aufbe­wahrung in der evang. Kirche Kursko5). Die größte Übereinstimmung mit dem vorliegenden Objekt weisen eine mit dem gleichen zentralen Nabelring und Wirbelrad und der übereinstimmenden Leiste mit „kufischer“ Beschriftung sowie gleichen Blattpunzen verzierte Schüssel im OÖ Landesmuseum in Linz (Inv.-Nr. Va 739) sowie eine in der gesamten Gestaltung des Schüsselbodens gleichartige Schüssel in der Sammlung Steinbüchler in Eferding auf6).

1) Vgl. zu Geschichte und Fertigungstechnik der Beckenschlägerschüsseln Walcher-Molthein, Messingbecken passim und Heinzl, Geräte 76–78. Weite Verbreitung und hohe Zahl der erhaltenen Schüsseln sorgten in der Mitte des 19. Jahrhunderts für ein Nachleben der Nürnberger Erzeugnisse im Kunsthandwerk des Historismus. Gut an den Originalen beobachtet, finden sich typische Ornamente der Nürnberger Produktion (etwa das Wirbelrad aus Fischblasen im Zentrum und am der am Rand gepunzte Lilienfries) an einer teilvergoldeten getriebenen Silberschüssel des Londoner Victoria and Albert Museum, Inv.-Nr. M 23–1973, die nach einem Entwurf des Architekten, Architekturzeichners und -schriftstellers sowie Verfassers mehrerer Vorlagenbücher für historistischen Möbelbau, Gold- und Silberschmiedearbeiten sowie Messing- und Eisenarbeiten, Augustus Welby Northmore Pugin (1815–1852) als Geschenk für Henry Benson 1848 bei John Hardman & Company in Birmingham hergestellt wurde, s. Fillitz/Telesko, Traum 2, Kat.-Nr. 4.6 (Clive Wainwright) mit Abb.
2) S. Walcher-Molthein, Messingbecken 6f. und Taf. 5, Abb. 9 bzw. Taf. 10, Abb. 20 (ehemals Sammlung Abraham bzw. Sammlung Walcher-Molthein, beide Wien) und Schmidt, Volkskunde (1959) 128, Kat.-Nr. 423 (zu frühe Datierung 15. Jh.), Ders., Volkskunde (1963) 218 (Taf. 223, Datierung korrigiert zu A. 16. Jh.) und Kuenringer, Kat.-Nr. 127 (Karl Kubes; mit Annahme maasländischer Provenienz und zu früher Datierung ins 15. Jahrhundert).
3) Zur Gerungser Schüssel s. Schmidt, Volkskunde (1959) 128, Kat.-Nr. 423 (zu frühe Datierung 15. Jh.) und Ders., Volkskunde (1963) 218 (Taf. 223; Datierung korrigiert zu A. 16. Jh.) sowie Kuenringer, Kat.-Nr. 127 (Karl Kubes; mit Annahme maasländischer Provenienz und zu früher Datierung ins 15. Jahrhundert).
4) S. DI 64, Kat.-Nr. 227 (mißverständliche Datierung 2. H. 16.-1. H. 17. Jh.). Weitere Beckenschlägerschüsseln mit den oben beschriebenen Dekorelementen des Wirbelrads, der „kufischen“ Schriftzeile und der Sündenfallszene s. in DI 10, Kat.-Nr. 234 und DI 39, Kat.-Nr. 85.
5) S. Tureczek, Inskrypcje Kat.-Nr. 19 (Abb. 5), hier wohl zu spät um 1550 angesetzt.
6) S. Heinzl, Geräte 83 (Kat.-Nr. 18) und Abb. 16. Angaben zu den Objekten der genannten Eferdinger Sammlung und entsprechende Fotos verdanke ich meinem Kollegen Roland Forster.
Literatur

ÖKT 1, 33, 516 und 518 (Fig. 413). – Riesenhuber 96 (Taf. LIII). – Schmidt, Volkskunde (1959) 128, Kat.-Nr. 425. – ÖAW, NLH, 28. 7. 1961. – Schmidt, Volkskunde (1963) 218. – 900 Jahre Stift Göttweig, Kat.-Nr. 1036a (Gregor M. Lechner). – Kronbichler/Kronbichler-Skacha, Diözesanmuseum 51f. (Kat.-Nr. 68).



Andreas Zajic

Zitierregel:
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems, ges. u. bearb. v. Andreas Zajic
(Die Deutschen Inschriften 72. Band, Wiener Reihe 3. Band, Teil 3) Wien 2008, Kat. Nr. 227,
URL: hw.oeaw.ac.at/inschriften/noe-3/teil2/noe-3-obj227.xml

Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich  Politischer Bezirk Krems  Göttweig, Sammlungen 1547   •  Beckenschlägerschüssel  •  Jahreszahl  •  Messingblech  •  Aachen  •  Dinant  •  Eferding  •  Groß-Gerungs  •  Kleineichstädt  •  Kuffern  •  Kursko  •  Linz  •  Nürnberg