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Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich

Politischer Bezirk Krems

228 Langenlois, Rudolfstr. 1–3/Kremserstr. 1548

Ensemble von zwei Spruchinschriften und einer Wortdevise zu einem Wappenstein, Sandstein, unmittelbar unterhalb eines Runderkers im Obergeschoß des Eckhauses (ehem. Gasthaus „Weiße Rose“). An der Ecke leicht vorkragender Konsolstein in Form eines Vollwappens, mit nach beiden Seiten ausgehendem und reich gefälteltem zweizeiligen Spruchband (I) hinterlegt. In der ostseitigen Gebäude­front (Kremserstr.) querrechteckige dreizeilige Inschrifttafel (II) in Hohlkehlenrahmung, in der nordseitigen Gebäudefront (Rudolfstr.) fünfzeilige Inschrift (III), direkt in den im Mauerverband befind­lichen Werkstein eingehauen. Die Inschriften wurden zumindest bei der letzten Fassadenrenovierung ausgespart (deutlicher Niveauunterschied der umgebenden Putzflächen), jedoch zuvor mehrmals übergangen, sodaß vor allem im Bereich der Inschrifttafel (II) durch Verputzreste und eine unbedarfte Nachzeichnung der Buchstaben mit schwarzer Farbe zahlreiche sinnstörende Fehler entstanden sind.

H. ca. 15 cm, B. ca. 70 cm (I, Spruchband), H. 20 cm, B. 60 cm (II, Inschrifttafel), H. 46 cm, B. 108 cm (III), Bu. 2,5–3 cm (I) und 4–5,5 cm (II und III). – Kapitalis.


Textedition
			

I. ALS LA͜NG // ICNa) WIL / LEOPOLT TAN//NERb) 1548 II. FREITAG PRINGTc) DE(R)d) · / TANNER LVCIFERe) GAR/AVSf) · 1548 · III. · HOP · HOP · TAVSENT · DVCATN · / VISCH · VOGL · VND FAIST · PRATN / WAS · GOT · GIBT · WERESg) · NIT · GINT / DER · MVES · SEIN · DES · TEVFELSKINDTg) / 1548h)

Anmerkungen
a) sic! für ICH; von Wappenschild unterbrochen.
b) von Wappenschild unterbrochen.
c) rechter Bogenabschnitt von P durch Verputzreste verschmiert; nachgezogen als F.
d) bzw. DE(M); freier Bogenabschnitt des vollrunden unzialen D von Putz verschmiert; nachgezogen als O.
e) mehrere Buchstabenbestandteile von Putz verschmiert bzw. mißdeutete Formen verstärkt; Befund der nachgezogenen Buchstaben IVCEER.
f) Cauda des G durch Verputzreste verschmiert; nachgezogen als C.
g) sic!
h) Trennzeichen quadrangelförmig.

Hopp, hopp, tausend Dukaten, Fisch, Vogel und fetten Braten, was Gott gibt, wer das nicht vergönnt, der muß sein des Teufels Kind (III).

Deutsche Reimverse (III).


Wappen: Tanner1).


Kommentar

Leopold Tanner (gest. 1548), Bestandinhaber des Ungelds in Langenlois, dürfte ein Sohn des Langenloiser Bürgers und Marktrichters sowie Baumeisters (Aufseher der Kirchenfabrik) des Langenloiser Franziskanerklosters, Thomas Tanner (s. Kat.-Nr. 202†), gewesen sein. 1545 besiegelte er neben dem Kremser Pfarrer Andreas Römer den Kauf brief des Hadersdorfer Nikolaus-Benefiziaten und Brudermeisters der Jakobsbruderschaft an der Langenloiser Pfarrkirche, Johannes Kandtner (Kandler), über ein baufälliges Benefiziatenhaus in Langenlois zwischen der Schule und der Brandstatt des Jörg Hafner an den Langenloiser Bürger und Binder Lorenz Kelhaimer und dessen Frau Barbara2). 1548 verpfändete ihm Julius (I.) Graf von Hardegg die Fischweide auf dem Kamp zwischen dem Fahnbach und der inneren Brücke in Hadersdorf gegen eine jährliche Pfandsumme von 16 lb. den.3). Leopolds mutmaßlicher Sohn Tiburtius fungierte 1568 und 1587 als Marktschreiber. Im erstgenannten Jahr war er neben dem Langenloiser Pfarrer Lorenz Summersperger und dem Marktrichter Gerhard Hirsch Zeuge bei der Testamentsabfassung des Bürgerspitalsbenefiziaten Bartholomäus Haidler, zum späteren Datum war er Inhaber eines nach Senftenberg dienstbaren Weingartens4).

Im offenbar von Tanner umgebauten Gebäude (alte Konskriptionsnr. 241) befand sich möglicherweise ursprünglich der Wohnsitz des Benefiziaten der seit wenigstens 1408 belegten Dorotheakapelle in der Langenloiser Pfarrkirche, die unter dem Patronat des Kremser Pfarrers stand und noch 1544 mit dem vor 1552 verstorbenen Paul Altenmarkter besetzt war. Zwischen 1623 und 1671, dem Jahr der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Wien und dem Land unter der Enns, diente das Haus möglicherweise als Synagoge der bedeutenden und wohlhabenden Langenloiser jüdischen Gemeinde, die um 1666 schätzungsweise bis zu 80 Personen in etwa 15 bis 17 Haushalten umfaßte5).

Die verunklärte Inschrift II hat in der mündlichen Langenloiser Tradition und der heimatkundlichen Literatur immer wieder zu kuriosen Fehllesungen und teils absurden Interpretationen Anlaß gegeben6). Die drei Inschriften zeigen zwei völlig unterschiedliche Schriftbilder. Die Wortdevise des Wappensteins (I) ist eine im Bearbeitungsgebiet und Vergleichszeitraum frühe und gut entwickelte, wenn auch wenig repräsentative Renaissance-Kapitalis. Die mit streng aufrechtem Duktus und einheitlicher Strichstärke insgesamt etwas klobig eingehauenen Buchstaben zeigen einen recht harmonischen Wechsel von schmalen (E, L, P) und breiten Formen (N, T, W), freie Schaft- und Balkenenden werden meist stumpf abgeschnitten, vereinzelt zeigen sich kleine dreieckige Sporen. An Einzelformen erscheinen A mit teilweise senkrecht gestelltem rechten Schrägschaft, E mit verkürztem Mittelbalken, G mit kurzer senkrechter Cauda, fast vollrundes O, R mit kleinem Bogen und tendenziell stachelförmiger Cauda sowie extrem breites verschränktes W. Demgegenüber stehen die beiden Inschriften II und III in einer im niederösterreichischen Waldviertel stark ausgeprägten Tradition betont dekorativen und archaisch wirkenden kapitalen Schreibens, das manche Gestaltungsprinzipien der Frühhumanistischen Kapitalis bis in die Jahrhundertmitte weitertradiert. Charakteristisch ist am Formenbestand zunächst des zähe Festhalten an mehreren kapital/unzialen Doppelformen sowie die Tendenz, einen sehr gezierten Eindruck vermitteln zu wollen. Im vorliegenden Beispiel beschränken sich unziale Formen lediglich auf das allerdings durchgehend verwendete unziale D mit vollrundem Bogen, dagegen wird das Schriftbild durch einen offenbar bewußt schwankenden Duktus (konsequent leicht rechtsschräg liegendes schmales S, häufig linksschräges retrogrades N) und einzelne dekorativ bereicherte Formen (Balken des H mit Siculus, konisches M mit nur einen kleinen Teil der Höhe des Schriftbands einnehmendem Mittelteil) aufgelockert.

1) Geteilt; über beide Felder Tanne auf Dreiberg; geschlossener Helm; über Helmwulst offener Flug, dazwischen eine Tanne.
2) S. NN., Beiträge 483f. und Plesser, Kirchengeschichte (1939) 616 (1545 Jänner 3). Die Nennung eines Langenloiser Richters Leopold Tanner zum Jahr 1408 dürfte auf einer Verwechslung mit dem oben Genannten beruhen, s. NN., Beiträge 472.
3) S. NÖLA, Privaturk. 5253 (1548 Jänner 13, Schmida).
4) S. NN., Beiträge 490 (1568 Juni 28) und Fux, Senftenberg 64.
5) S. NN., Beiträge 485 (1552 Jänner 4, Wien) und 525 (1655 Jänner 12), Plesser, Topographie 517f., Ders., Kirchengeschichte (1932) 407, Zotti, Kirchen 81, zur vermuteten Funktion als Synagoge zuletzt Rauscher, Langenlois 13 und Paulus/Kessler, Bauten 6. Die von NN., Beiträge 525, referierte Beschreibung der Langenloiser Benefizien spricht jedoch davon, daß die Dorotheakapelle (nicht das Benefiziatenhaus) der jüdischen Gemeinde als Synagoge überlassen worden sein, und erwähnt ein hinter der Kapelle liegendes baufälliges hölzernes Haus, vgl. auch Anm. 6.
6) S. etwa NN., Beiträge 458: „FREITAG PEINGTOE TANNER DAGER CARL VV 1148. Auf diese Inschrift, die man als ,Freitag in der Pfingstwoche die Donau bis hieher gar loff ‘ deutet, stützt sich die erwähnte Sage“, wonach Langenlois 1148 gegründet worden und das Gebäude „vor Alters ein jüdischer Tempel“ gewesen sei, von dem auch der Name für die vorbeiführende Gasse (1878 noch Judeng., heute Kremserstr.) stamme, vgl. auch Topographie 5, 653. Immerhin hatte sich so offenbar ein Kern historischer Überlieferung über die frühneuzeitliche jüdische Gemeinde in sagenhafter Form mündlich tradiert.
Literatur

NN., Beiträge 458 (Is. II stark fehlerhaft transkribiert und mißverstanden). – Topographie 5, 662. – ÖKT 1, 296 (Transkription fehlerhaft). – ÖAW, NLH, 12./13. 4. 1965. – Eppel, Waldviertel 19 und 149. – Eppel, Kunst 229. – Dehio Nord 645.



Andreas Zajic

Zitierregel:
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems, ges. u. bearb. v. Andreas Zajic
(Die Deutschen Inschriften 72. Band, Wiener Reihe 3. Band, Teil 3) Wien 2008, Kat. Nr. 228,
URL: hw.oeaw.ac.at/inschriften/noe-3/teil2/noe-3-obj228.xml

Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
72. Band, Wiener Reihe 3. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Niederösterreich - Teil 3
Die Inschriften des Politischen Bezirks Krems

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
Schlagworte
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Abbildungen

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Abb. 118: Spruchinschrift (1548)
©  ÖAW, Wien, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Michael Malina)