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Die Inschriften des Bundeslandes Tirol

Politischer Bezirk Imst

18 Stams, Stiftsammlungen um 1430/40

Tafelbild Kreuzigung Christi mit Beischriften, Tempera (?) auf Holz, an der Nordwand des Schauraumes. Dargestellt ist in hochrechteckigem Bildfeld der Gekreuzigte, über ihm am oberen Bildrand der Kreuzestitulus (I). Links sechs Figuren: Im Vordergrund Maria mit in Trauergestus überkreuzten Armen, hinter ihr Magdalena und Johannes, im Hintergrund der im Gegensatz zu den übrigen fünf nicht nimbierte Longinus, die Lanze emporhaltend. Rechts eine Gruppe römischer Soldaten in Rüstung. Der vorderste der Soldaten deutet, zu dem hinter ihm stehenden gewendet, auf den Gekreuzigten; über ihm ein Spruchband (II). Auf einer aus der Soldatengruppe aufragenden Fahnenlanze eine weitere Inschrift (III). Die Tafel weist im Bildhintergrund, am Rand und bei einzelnen Figuren Spuren einer Übermalung auf; ihre Farbigkeit ist bereits stark reduziert. Die Inschriften sind jedoch gut erhalten.

H. 93 cm, B. 40 cm, Bu. 1,5 cm. – Gotische Minuskel (I, II) und Gotische Majuskel (III).


Textedition
			

I. i · n · r · ia) · II. vere filius dei erat iste III. SPQRb)

Anmerkungen
a) Trennzeichen quadrangelförmig.
b) Q seitenverkehrt.

Wahrhaftig, das war Gottes Sohn! (II).

Nach Mt 27,54 (II).


Kommentar

Die Darstellung der Soldaten, die nicht zuletzt durch ihre beschriftete Standarte (SPQR) als Römer gekennzeichnet sind (III), und das Spruchband (II) beziehen sich auf die folgende Passage in den Evangelien: „Als der Hauptmann und die Männer, die mit ihm zusammen Jesus bewachten, das Erdbeben bemerkten und sahen, was geschah, erschraken sie sehr und sagten: Wahrhaftig, das war Gottes Sohn!“1). Die Lanze des Longinus auf dem Stamser Tafelbild ähnelt der Hl. Lanze der Wiener Schatzkammer, wobei deren sekundäre Flügelblätter fehlen. Die Datierung der Inschrift folgt dem in der untenstehenden Literatur nach stilistischen Kriterien der bildlichen Darstellung vorgeschlagenen Ansatz.

Dieselbe Szene zeigt eine Kreuzigung Meister Leonhards von Brixen, die um 1460 entstanden sein dürfte und im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum aufbewahrt wird2). Auch hier finden sich der Kreuzestitulus und das Spruchband (hier allerdings mit verdoppeltem vere am Anfang); die Fahne des heidnischen Heeres ist jedoch nicht mit der Buchstabenkombination SPQR beschriftet, sondern mit einem Skorpion belegt. Im Oberland hat sich eine ähnliche Darstellung in den Wandmalereien der Pfarrkirche von Stuben erhalten (Kat.-Nr. 147).

1) Mt 27,54, vgl. Mk 15,39 und Lk 23,47.
2) Vgl. Egg, Kunst in Tirol (1972) 70f. und Madersbacher, Kreuzigung. Ein zeitlich früheres Vergleichsbeispiel für eine Kreuzigung mit dem hier besprochenen „Vere filius“-Spruchband ist die so genannte Wiltener Kreuzigung aus der Zeit um 1410, die sich heute in der Sammlung des Unteren Belvedere in Wien befindet.
Literatur

Egg, Kunst in Tirol (1972) 70f. – Caramelle, Gotik 45f. – Schmitz-Esser, Inschriften (2003) 102.



Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser

Zitierregel:
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte, ges. u. bearb. v. Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser (Die Deutschen Inschriften 82. Band, Wiener Reihe 7. Band, Teil 1) Wien 2013, Kat. Nr. 18,
URL: hw.oeaw.ac.at/inschriften/tirol-1/imst/tirol-1-obj18.xml

Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol  Politischer Bezirk Imst  Stams, Stiftsammlungen   •  Tafelbild  •  Kreuzigung Christi  •  Beischriften  •  Kreuzestitulus  •  Gotische Minuskel  •  Gotische Majuskel  •  Leonhard von Brixen  •  Innsbruck, Landesmuseum  •  Wien, Schatzkammer

Abbildungen

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Abb. 36: Tafelbild Kreuzigung Christi
(um 1430/40)
©  ÖAW, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Gerhard Watzek)