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Die Inschriften des Bundeslandes Tirol

Politischer Bezirk Imst

55 Stams, Stiftssammlungen 1557, 17. Jh.

Kleine Glastruhe (so genanntes „Minnekästchen“) mit Namensinschriften und Jahreszahlen, Glasmalerei, wohl im 19. Jahrhundert unter teilweiser Verwendung älterer unzusammengehöriger Teile gestaltet. Der aus zwei annähernd quadratischen Scheiben zusammengesetzte (so wohl originale) Deckel zeigt an der Innenseite links auf blauem Grund eine weibliche Figur, die mit einem roten Mantelkleid und einem schwarzen Hut mit weißem Federschmuck bekleidet ist. Sie hält in der rechten Hand einen großen Beutel an einem goldenen Band, die Linke ruht auf dem Oberrand eines neben ihr am Boden stehenden Wappenschilds. Rechts von der Figur ist eine siebenzeilige schwarze Inschrift eingefügt worden (I). Der weiblichen Figur zugewandt, findet sich in der rechten Hälfte ebenfalls auf blauem Grund eine männliche Figur in schwarzem Wams und rotweiß-goldener Landsknechtstracht mit einem schwarzen, mit weißen Federn geschmückten Hut, der mit beiden Händen eine Hellebarde hält; links neben der Figur findet sich ein am Boden stehender Wappenschild. Links und rechts des Mannes wurde eine sechszeilige schwarze Inschrift angebracht, deren rechter Rand durch die Rahmung beschnitten wird (II). Zwischen der Stangenwaffe und dem Kopf findet sich in gelbem Glas eine weitere Jahreszahl (III). Auf der linken querrechteckigen Deckelklappe eines Innenfachs des fast ausschließlich aus Neuteilen zusammen­gesetzten Kästchens findet sich als spoliiertes Fragment auf gelbem Grund ein weiteres schwarz auf weiß einzeilig beschriftetes Spruchband, das deutlich beschnitten ist (IV). Rechts oben ist das beschnittene untere Ende einer roten Kordel (?) noch erkennbar. 1974 durch den Glasmaler Karl Fertl restauriert.

H. 14,2 cm (Deckel), 4 cm (Klappe des Innenfaches), B. 19,2 cm (Deckel), 10,5 cm (Klappe des Innenfaches), Bu. 0,7 cm (I, II) und 1 cm (III). – Fraktur.


Textedition
			

I. Die · Dhugen/Riche vnd wo/llgebornne / froue · Elsbe/thaa) · von · br/eitten Land/en bur[g]b) II. der // edelc) vnd / ves//tc) · iuncke[r] / chri//stoffellc) / von // hei[d]/eckc) · / 1557d) III. 15/57 IV. Wir warten dere) // stund bis dasf) g[..//– – –

Anmerkungen
a) E in Kapitalis ausgeführt.
b) g teilweise unter der Fassung; Trennzeichen quadrangelförmig.
c) Unterbrechung durch die Figur.
d) zuvor paragraphzeichenförmiges Trennzeichen.
e) Wort unten beschnitten; Text auf die Abschnitte des Spruchbandes verteilt.
f) folgendes Wort an der Unterlinie beschnitten; nach zwei nicht eindeutig zuordenbaren Buchstaben (ih?), die an der Oberlinie von einer Falte des Spruchbandes überdeckt sind, folgt am Beginn des letzten Abschnitts noch ein zweischaftiger Buchstabe (n?).

Wappen: Breitenlandenberg1), Heideck (?)2).


Kommentar

Das Stamser Glaskästchen gibt einige Rätsel auf, da bisher Sinn und Zweck des Objekts nicht genauer eruiert werden konnten. Eine Identifizierung als Minnekästchen erscheint problematisch, da bereits das Material (Glas) zumindest ungewöhnlich anmutet3). Es liegt nahe, für das Gesamtobjekt an eine romantische Zusammenstellung des 19. Jahrhunderts unter teilweiser Verwendung älterer Glasmalereien zu denken4). Unstrittig ist jedoch, dass die Scheiben selbst aus dem 16. bzw. 17. Jahrhundert stammen.

Eine ursprüngliche Herkunft zumindest der Scheiben des Deckels (wenn nicht auch des ganzen Kästchens) aus Stift Stams ist unwahrscheinlich, da die beiden genannten Personen auf eine Herkunft zumindest der Glasmalerei mit den Inschriften I–III aus der Schweiz deuten. Elisabeth von Breitenlandenberg (gest. am 22. Juni 1600) gehörte einer Nebenlinie der Schweizer Landenberger an; sie war die Tochter Hans Gotthards II. zu Wetzikon und Alt-Landenberg, der am 11. Dezember 1526 bei einem Kuraufenthalt in Baden vom Wirt Jakob Seeholzer aufgrund seines Umgangs mit einigen „Jungfrauen“ erstochen wurde. Seine Witwe und Mutter Elisabeths, Esther von Reinach, verkaufte noch im selben Jahr den Besitz in Wetzikon5). Der Mann Elisabeths, Johann Christoph von Heideck, verstarb am 3. August 15876). Beide in den Inschriften I und II genannten Eheleute waren also 1557 bei der Herstellung der Glasmalerei am Leben, was in Betracht ihrer relativen Jugend die Möglichkeit einer Liebesgabe etwa zur Hochzeit nahe legen könnte. Inschrift IV erweist sich auch in diesem Licht als eine spätere, unabhängige Zutat, handelt es sich doch offensichtlich um einen Kommentar zur Erwartung der Auferstehung7), die man kaum sinnvoll in den Kontext der anderen Inschriften einordnen kann.

Unter den Buchstabenformen von Inschriften I und II ist das der Gotischen Minuskel entnommene c ungewöhnlich als t ausgeführt, wobei manchmal das obere Ende des Schaftes (I: DhugenRiche), manchmal der Balken (II: christoffell) als Teil des c-Bogens durch die Strichstärke betont wird. Inschrift IV, weniger starr, sondern spannungsreicher und bewegter ausgeführt, ist wohl erst in das 17. Jahrhundert zu setzen.

1) Si 1, 198, vgl. auch Württembergisches Adels- und Wappenbuch 434.
2) Si Bay 39 und Taf. 37.
3) Vgl. die ausführliche Aufstellung bei Wurst, Reliquiare. Zu den Iss. des Münchner Minnekästchens, das auch bei Wurst den Ausgangspunkt der Betrachtung darstellt, Wand-Wittkowski, Inschriften, wobei deutlich wird, dass auch die Iss. des Stamser Minnekästchens nicht ohne weiteres in eine Tradition solcher Minnekästchen einzupassen sind.
4) Für diesen Hinweis danken wir ganz herzlich Dr. Christina Wolf (Corpus Vitrearum Medii Aevi Österreich).
5) Studer, Landenberg 145–326, sowie Stammtafel VII. Zur Geschichte der Familie im Hoch- und Spätmittelalter vgl. Diener, Haus Landenberg, sowie die Hinweise bei Sablonier, Adel (vgl. dort den Index unter Landenberg).
6) Studer, Landenberg 347 und Stammtafel VII.
7) So heißt es etwa auf einer Gruftplatte der Familie Leisser aus Schiltern von 1588: Jme selbst sei[ne]m Gmahln Kindern vnd gantzem Leyss=/erischem Geschlecht so hierinen der Frölichen Auffer/steheu[ng] vom Todt Erwarten; DI 72, Kat.-Nr. 314. In diesem Sinne würde man das letzte Wort von Is. IV vielleicht am ehesten mit gericht (also der Jüngste Tag) vervollständigen können.

Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser

Zitierregel:
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte, ges. u. bearb. v. Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser (Die Deutschen Inschriften 82. Band, Wiener Reihe 7. Band, Teil 1) Wien 2013, Kat. Nr. 55,
URL: hw.oeaw.ac.at/inschriften/tirol-1/imst/tirol-1-obj55.xml

Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
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Abbildungen

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Abb. 61: Glastruhe (1557, 17. Jh.)
©  ÖAW, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Werner Köfler)