Die Inschriften des Bundeslandes Tirol
Politischer Bezirk Imst
6 |
Stams, Stiftssammlungen |
13. Jh. |
Hansaschüssel („Lasterteller“) mit erklärenden Beischriften, Bronze, in einer Vitrine im Schauraum. Die Schale ist knapp 5 cm vertieft und hat einen ca. 1 cm hohen umgebörtelten Rand. Die Außenseite ist nicht verziert, die gesamte Innenfläche hingegen füllen rohe Gravierungen aus. In der Mitte findet sich in einem vollrunden, durch doppelte Wellenrankenleiste eingefassten Medaillon das Brustbild einer Figur mit Hut, deren Gesicht im Profil nach rechts zu erkennen ist (Personifikation der Superbia1)). Um diese Figur herum sind vier ähnlich ausgearbeitete Figuren zu erkennen, die mit eingravierten erklärenden Beischriften auf halbkreisförmigen Spruchbändern links und rechts ihrer Köpfe charakterisiert werden (im Uhrzeigersinn, beginnend über dem Kopf der Mittelfigur: I–IV, die Buchstabengröße jeweils zum Scheitel hin zunehmend). Über diesen vier Figuren, getrennt durch einfache lineare Ornamente, stehen vier weitere Felder mit lediglich ornamental verwendeten zweizeiligen Buchstabenreihen (im Uhrzeigersinn, beginnend mit jenem oberhalb und zwischen I und II: V–VIII). Die Bronzeschale wurde 1931 bei Feldarbeiten südwestlich des Speckbacherhofes in Stams entdeckt.
D. 27,7 cm, Bu. 1,1–1,6 cm. – Romanische Majuskel.
Textedition
I.
IDOL//TRIAa)
II.
INVI//DIAb)
III.
I//RAb)
IV.
LVXV//RIAb)
V.
ODDODO / CCCCCC
VI.
ODDODO / CCCCCC
VII.
ODDODO / CCCCCC
VIII.
ODDODO / CCCCCC
Anmerkungen
Kommentar
Der „Lasterteller“ gehört zu jener Gruppe mittelalterlicher Schalen, die aufgrund ihrer Herkunft und Verbreitung aus dem Gebiet der Hanse oftmals „Hansaschüsseln“ genannt werden2). Meist sind auf solchen Schalen Tugenden und Laster dargestellt, so auch auf dem Stück aus Stams: Die Inschriften über den vier Figuren weisen diese als Laster aus (I–IV). Die anderen vier Inschriftenfelder können weniger klar gedeutet werden; es könnte sich zwar um unverstandene Abkürzungen oder um Verstümmelungen eines lateinischen Worts (etwa idolatria, odium oder dolus) handeln, doch deutet ihre monotone Wiederholung von lediglich drei Buchstaben auf eine bloß ornamentale Funktion hin.
Ältere „Hansaschüsseln“ sind bereits aus dem 11. und 12. Jahrhundert bekannt, doch dürfte die Stamser Schale aufgrund ihrer eher statischen, schablonenhaften Gravur deutlich später entstanden sein, als man bereits zu einer „industriellen“ Fertigung dieses Exportgutes übergegangen war. Sie könnte, Ende des 12. Jahrhunderts oder im 13. Jahrhundert in einer unbekannten westeuropäischen Werkstatt geschaffen, in der Zeit der Gründung der Zisterze nach Stams gelangt sein und so zum ursprünglichen Inventar der Stiftung Meinhards gehört haben, wie nicht zuletzt auch die Nähe der Fundstelle zum Kloster nahelegt. Damit fügt sie sich in den Fundzusammenhang anderer „Hansaschüsseln“ ein: Diese wurden vermutlich bei Taufen oder der Eucharistie benutzt, wobei die dargestellten Sünden zusammen mit dem in der Schale enthaltenen Wasser deren Fortspülen – und damit die Reinigung von den Untugenden – symbolisierten. Die Fundorte dieser Schüsseln legen zugleich deren Gebrauch in gehobenen Hausständen nahe, wobei etwa an einen Einsatz der Schüsseln im Rahmen symbolischer Handwaschungen an der Tafel gedacht werden könnte3).
Der durch die flüchtige und grobe Ausführung erschwerte paläographische Befund der Inschriften erlaubt mit Vorsicht eine Datierung in das – wohl eher spätere – 13. Jahrhundert. Zwar sind neben einzelnen am ehesten als pseudounzial anzusprechenden A (neben breiten trapezförmigen A) nur kapitale Grundformen festzustellen, doch deuten die neben mit einfacher Linie gravierten Schäften und Balken verwendeten doppelten Konturlinien und dreistrichigen Linien, meist an Schäften und Schrägschäften, seltener an Balken, häufig aber als eingestellte senkrechte Binnenkonturen von Bogenlinien (etwa bei C, D und O) verwendet, eine bisweilen ausgeprägte Flächigkeit an. C ist durchwegs mit weit in den Binnenraum eingestellter, fast durchwegs einfacher Linie geschlossen, bei R weist nur der Schaft eine Verstärkung durch zwei- bis dreistrichige Ausführung auf, während Bogen und Cauda nur einfache Linien aufweisen.
Literatur
Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol Politischer Bezirk Imst Stams, Stiftssammlungen • Hansaschüssel • Lasterteller • Bronze • Beischrift(en), erklärende •
Meinhard II. •
Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum •
Stams, Speckbacherhof
Abbildungen
Abb. 7: „Lasterteller“ (13. Jh.)
Abb. 8: „Lasterteller“ Detail
©
ÖAW, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Gerhard Watzek)
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Götzendienst (I).
Neid (II).
Zorn (III).
Prasserei (IV).