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Die Inschriften des Bundeslandes Tirol

Politischer Bezirk Imst

60 Oetz, Kirchweg 6 1573, 1615

Malerische Gesamtausstattung der West- und Südfassaden des „Gasthofs zum Stern“ mit Namensinschriften, Bauinschrift und Jahreszahlen sowie Ziffernskala zu einer Sonnenuhr, Wandmalerei, mit kleineren sekundären Ergänzungen. Dreigeschossiges Mittelflurhaus mit vierseitigem Flacherker im ersten Obergeschoß über dem zentralen Spitzbogenportal an der Giebel- (West-) Seite. Sämtliche Fenster und der Erker mit reichen illusionistisch aufgemalten Rahmungen mit Renaissanceornamenten versehen. An der Westfassade zwischen Erd- und erstem Obergeschoß links der Parapetzone des Erkers eine querrechteckige Inschriftentafel mit neunzeilig schwarz auf weiß aufgemalter Inschrift (I) in ockerfarbiger Beschlagwerk- und Volutenrahmung, die Zeilenlinierung eingeritzt. Unmittelbar rechts darüber quadratisches Feld mit Vollwappen zwischen zwei einen flachen, mit Putti belebten Bogen tragenden Balustersäulen; zwischen dem Unterrand des Felds und dem Oberrand der Inschriftentafel I schwarz aufgemalte Namensinschrift (II). Unmittelbar links darüber, zwischen zweitem Fenster von links und Erker, Darstellung Hl. Christophorus in hochrechteckigem Feld, die lilafarbene Rahmung nur mehr im unteren Drittel erhalten. Auf Parapethöhe des Erkers rechts von diesem finden sich zwei Wappenschilde unter Erzherzogshut bzw. Lorbeerkranz. Zwischen beiden, unmittelbar unter dem zweiten Fenster im ersten Obergeschoß von rechts, eine schwarz aufgemalte Jahreszahl (III). Im ersten Obergeschoß ganz links außen hochrechteckiges Bildfeld mit dem Sündenfall; zwischen dem ersten und zweiten Fenster von rechts Samson, eine eisenbeschlagene Tür tragend. Unmittelbar über diesem, ins zweite Obergeschoß überleitend, ein Musikantenpaar in zeitmodischer Kleidung (Mann mit Dudelsack, Frau mit Drehleier). Im zweiten Obergeschoß links des in der Mittelachse sitzenden Fensters Szene Kain und Abel (im Hintergrund das Opfer der beiden, vorne die Erschlagung) in nur mehr unten erhaltenem lilafarbenen Rahmen; am Unterrand einzeilig schwarz auf weiß aufgemalte erklärende Beischrift (IV), rechts des Fensters David und Goliath. Unmittelbar unterhalb der Firstpfette, zwischen den Dachbodenfenstern, eine Meerkatze mit ihrem Kind sitzend. An der Südfassade im zweiten Obergeschoß zwischen den Fenstern befinden sich drei Darstellungen: Rechts der vierten Fensterachse von links König Josua mit Krone, Zepter und Reichsapfel auf einem Fisch. Rechts oberhalb der Figur Josuas befindet sich ein rechteckiges, weißes Schriftfeld mit gelbem, oben um eine kleine gemalte Öffnung erweiterten Rahmen, in dem die schwarze Inschrift gut zu lesen ist (V). Rechts neben der fünften Fensterachse der Hl. Georg auf dem Pferd, darunter ein Drache, im Hintergrund eine von einem großen Rundturm dominierte Burg, davor die kleine Figur einer Prinzessin. Links oberhalb des Hl. Georg ein weiteres Schriftfeld von selber Form und Farbe wie jenes in der Darstellung Josuas (VI). Zwischen der sechsten und der letzten Fensterachse finden sich links eine männliche Figur mit Sichel und Korngarbe unter dem Arm und rechts eine weibliche Figur mit einer Henne und einem Korb voller Eier. Auch diese beiden, mit starken Kröpfen dargestellten Figuren sind durch Schriftfelder gleich jenen in den beiden vorangegangenen Darstellungen gekennzeichnet; beide Schriftfelder finden sich oberhalb der Köpfe der Figuren (VIIa, VIIb). Im illusionistisch gemalten architektonischen Unterhang des zweiten Obergeschoss­fensters von rechts zeigt mittig ein Mann, den Kopf zwischen den Beinen nach unten gestreckt, dem Betrachter sein entblößtes Gesäß, in dem pfeilartig das Gnomon einer Sonnenuhr steckt. Die zugehörige Ziffernskala ist viertelkreisartig schwarz auf den linken Schenkel der Figur aufgemalt (VIII). An nicht näher bekannter Stelle befand sich noch 1911 in der gemalten Rahmung eines Fensters ein heute offenbar verlorenes Monogramm (IX†). Der heutige Zustand der Hausfassade und ihrer Malereien geht auf eine Restaurierung von 1968/69 zurück. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts war eine 1911 fertig gestellte Restaurierung erfolgt1). Beide Arbeitsetappen haben den originalen Schriftcharakter deutlich beeinträchtigt, mitunter auch den Bestand verändert. Im rechten Drittel von Inschrift I durchzieht ein senkrechter Riss im Putz alle Zeilen; die dadurch entstandenen älteren Verluste von jeweils etwa zwei bis vier Buchstaben wurden spätestens im Zuge der letzten Restaurierung nicht ganz sachgemäß und ohne Rücksicht auf den Schriftcharakter ergänzt. Dieselbe Beschädigung betrifft sinngemäß auch Inschrift II.

Bu. 3 cm (I), ca. 4 cm (II, IV), 10–13 cm (III) und ca. 4 cm (V–VIIb). – Fraktur.

Text von IX† nach NN., Tätigkeitsbericht 78.


Textedition
			

I. Christana) Rott gewester gerichts Anwal[dt] Auchb) Gastgeb alda · / sambt seiner Ehehausfrawen Margrehta [Hu]eberinc) Da Zu mal · / An disem Hausz Vil veranndert und gebaut [h]at · Anno · 15 · 73 · / Hernach sein Sun Cristoff Rott disz hau[sz] hattd) / Gerichts Anwaldt Gasstgeb und Khiembse[rsc]here) Camerer alda · / An disem Hausz gar vil Verneuern Las[sen] Zward) · / vnd sambt seimer Ehehausfrauwen Anna Sü[nge]rinf) damald) · / vnd als dann Widervmben aufgepaut un[d gem]acht hat · 16·15 · / Gott Verleich vns allen hie und Dort sein [G]nadt · II. Christ[a]ng) Rott III. 15 · 73h) IV. Die Erste Bluetvergiessung des Abels · GEN͜Ti) · A(M) · VI · V. der k(önig) Jossua VI. S · Jörg VIIa. der Vellj VIIb. die Elsse VIII. 5 6 7 8 9 10 IX†. G. L.

Anmerkungen
a) als Trenn- und Füllzeichen Quadrangel mit oben und unten angesetzten kurzen rechtsschrägen Strichen.
b) so vermutlich ursprünglicher Bestand in Analogie zu Z. 5; heute ergänzend restauriert zu Anwalttt (sic!); zwischen Anwal[dt] und Auch die in der Beschreibung erwähnte Beschädigung samt Ergänzungen.
c) so vermutlich original; heute durch ergänzende Restaurierung zu Whueberin entstellt.
d) folgt Freiraum bis zum Zeilenende.
e) ergänzend restauriert; zwischen c und h größerer Abstand.
f) ergänzend restauriert; zwischen g und e größerer Abstand.
g) so vermutlich der analog zu Is. I: Christan originale Bestand; aktuell wohl irrig ergänzend restauriert zu Christian.
h) Trennzeichen rosettenartig.
i) sic! für GEN(ESIS); wohl die gesamte Zitatangabe entstellend restauriert.

Wappen: Rott2), Österreich (Bindenschild), Tirol.


Kommentar

Das Haus war die Wohnung des Kämmerers, der die Güter des Klosters Frauenchiemsee im Ötztal von hier aus verwaltete; der „Gasthof zum Stern“ selbst gehörte zu dem großen Keilhof, der dem Damenstift mit Grundrechten unterworfen war3). Die Inschriften gehören zu zwei Umgestaltungen in den Jahren 1573 und 1615; die letztere war nach einem Brand im Jahre 1600 notwendig geworden, bei dem fast ganz Oetz abgebrannt war. Das Haus selbst dürfte im Kern bereits deutlich älter sein; jedenfalls kann ein Anwesen an dieser Stelle offenbar bereits im 12. Jahrhundert nachgewiesen werden4).

Das Wappen links des Erkers an der Giebelseite gehört Christian Rott, unter dem laut der Bauinschrift 1573 die erste Umgestaltung stattfand. Die Wandmalereien werden dem einzigen zu dieser Zeit in Imst nachweisbaren Maler, dem wahrscheinlich aus Hall stammenden Alexander Maisfelder, zugeschrieben, der auch weitere Wandmalereien im Oberland geschaffen hat5) (vgl. Kat.-Nr. 61).

Christians Sohn Christoph Rott, Kämmerer des Klosters Frauenchiemsee, ließ nach Ansicht der vorliegenden Literatur eine zweite Umgestaltung samt malerischer Ausstattung 1615 durchführen6). Die Bauinschrift (I) lässt manchmal deutlich rhythmische Passagen und vielleicht auch Reimelemente erkennen. Vielleicht hatte ursprünglich eine ältere Bauinschrift von 1573 in deutschen Reimversen vorgelegen, die von der jüngeren ohne Rücksicht auf die dichterische Gestaltung paraphrasiert wird. Die Malereien dieser Phase werden dem Imster Maler Alexander Fischer (oder Vischer) zugeschrieben7) (vgl. Kat. Nr. 61 und 95), doch lassen sich im erhaltenen Bestand auch angesichts der Restaurierungsmaß­nahmen die verschiedenen Phasen nicht klar trennen. Zweifellos gehört jedoch der Hl. Christophorus als Namenspatron des jüngeren Besitzers zu dessen Zeithorizont. In dem 1911 aufgedeckten, heute verlorenen Monogramm G. L. glaubte man, die Signatur des ausführenden Malers zu erkennen8). Die Darstellung des biblischen Königs Josua und des Hl. Georg an der Traufseite entspricht der Gegenüberstellung von Heiligen und alttestamentlichen Szenen auf der Hauptfassade des Gasthofs. Der Name Vellj in Inschrift VIIa ist laut Ammann mit Veit gleichzusetzen9); Deininger wollte hingegen die Inschrift mit „Der Weller“ lesen und diesen Ausdruck mit einem Tiroler Wort für „der Wälsche“ identifiziert wissen10). In der weiblichen Figur bei Inschrift VIIb möchte Deininger eine Dirne erkennen11).

Das Ende von Inschrift IV wurde bei einer der Restaurierungsphasen entstellt (verblasster Balken des A; Missverständnis mit lambdaförmiger 7?); der ursprüngliche Bestand dürfte sich wohl auf den Brudermord in Gen 4,8 bezogen haben.

1) Vgl. NN., Tätigkeitsbericht 77f. Die Restaurierung von 1968/69 wurde nach zwei Inschriften unterhalb der Figur des Samson an der Westfassade bzw. unterhalb der weiblichen Figur mit Henne und Eiern an der Südfassade von Fr. Pizzinini ausgeführt.
2) In Rot ein goldener Schrägbalken; Stechhelm mit einem wachsenden Löwen zwischen zwei Büffelhörnern als Helmzier.
3) Oetz 111.
4) So zumindest Schumacher, Ötz ehem. Nr. 159 (TKK). Für ein hohes Alter des Hauses plädiert auch der Autor des Oetzer Buches; Oetz 111.
5) Vgl. Ammann, Kunst in Imst 42 und Caramelle, Kunst 112. Ammann macht verschiedene Angaben über die Herkunft Maisfelders; nach Ammann, Oberland 406 stamme Maisfelder aus Innsbruck, nach Ammann, Kunst in Imst 42 aus Hall. Die letztgenannte Annahme stützt auch Schuschnigg, Maisfelder 581: Alexander Maisfelder habe viel mit seinem Bruder Karl zusammengearbeitet, der in Hall wirkte.
6) Oetz 111. In den Jahren 1615 (als Siegler) und 1617 ist Christoph Rott auch urkundlich greifbar; Hölzl, Gemeindearchive Imst 18/4 und 19/65.
7) Ammann, Kunst in Imst 43. Nach Caramelle hatte Fischer seine Ausbildung im Stift Stams erhalten und ist als Freskant, Fassmaler und Restaurator zwischen 1609 und 1633 greifbar; Caramelle, Kunst 112.
8) S. NN., Tätigkeitsbericht 78.
9) Ammann, Oberland 269.
10) Deininger, Denkmale 153.
11) Deininger, Denkmale 153.
Literatur

NN., Tätigkeitsbericht 77f. (Fig. 45). – Hörmann, Haussprüche 18f. – Atz, Kunstgeschichte 1005 und 1007f. – Deininger, Denkmale 152f. – Schuschnigg, Maisfelder 581. – Gstrein, Hausinschriften 172. – Egg, Hausfassaden 570–574. – Ammann, Kunst in Imst 42f. – Ammann, Oberland 268f. – Oetz 111–116. – Köfler, Oetzer Geschichte 38. – Dehio Tirol 591. – Schumacher, Ötz ehem. Nr. 159 (TKK). – Hölzl, Gemeindearchive Imst 18/4 und 19/65. – Caramelle, Kunst 112. – Schmitz-Esser, Herrschaftsrepräsentation 68f.



Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser

Zitierregel:
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte, ges. u. bearb. v. Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser (Die Deutschen Inschriften 82. Band, Wiener Reihe 7. Band, Teil 1) Wien 2013, Kat. Nr. 60,
URL: hw.oeaw.ac.at/inschriften/tirol-1/imst/tirol-1-obj60.xml

Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
Schlagworte
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Abb. 66–68: Fassadendekoration (1573, 1615) und Details

©  ÖAW, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Werner Köfler)