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Die Inschriften des Bundeslandes Tirol
Politischer Bezirk Imst
78 |
Stams, Stiftskirche |
1611, 1612 |
Altar mit Tituli und Jahreszahlen, ursprünglich ungefasstes, sekundär polychromiertes und vergoldetes bzw. versilbertes Holz (Zirbe, Linde u. a), als Hochaltar im Chor aufgestellt, die Ostwand bis in den Gewölbescheitel füllend. Dreiachsiger, dreigeschossiger Schnitzaltar mit kompliziertem und synkretistischem ikonographischen Programm auf der Grundlage der verschränkten Darstellung der Wurzel Jesse bzw. des Arbor vitae als Baum der Erlösung sowie der Genealogie und des Lebens Marias, konzeptionell gliedernd umgesetzt als feingliedriges, den gesamten monstranzartigen Altaraufbau weitgehend auflösendes, hellrosa Rankengeflecht. Die skulpturale Baummetaphorik geht – gestört von späteren Veränderungen der Tabernakelzone – in zwei Hauptstämmen von den zu beiden Seiten des (vom ersten Stamser Hochaltar erhalten gebliebenen) Altarstipes positionierten freiplastischen Figuren von Adam (links) und Eva (rechts) aus und setzt sich bis in die Spitze des Gesamtaufbaus fort. Im Untergeschoß des Altars (Predellenzone) zwischen stark überhöhten Postamenten der Säulen des Hauptgeschosses mittig Tabernakel (von 1925) vor seichter Rundbogennische, flankiert von zwei Engeln, die beiden Seitenachsen des Altars durch zwei Volutenspangen gebildet, vor denen in Fortsetzung der Wurzel Jesse die Figuren von Joachim (links) und Anna (rechts) im Gebet knien1). Am Übergang vom Unter- zum Hauptgeschoß am Gesims mittig längsovales Medaillon mit Heiliggeisttaube vor Strahlenkranz, flankiert von den aus Blütenknospen halbfigurig aufwachsenden Figuren zweier Propheten ( Jesaja und Jeremia oder Zacharias und Simeon?). Im Hauptgeschoß zwischen zwei vergoldeten korinthischen Säulen (das untere Schaftdrittel nicht kanelliert), die ein marmoriertes verkröpftes Gebälk tragen, die jeweils vollplastischen Figuren von Maria mit dem Jesuskind (Typ der Patrona Bavariae, jedoch ohne Mondsichel), flankiert von Johannes dem Täufer (links) und Johannes dem Evangelisten (rechts), im die Zwischenräume ausfüllenden Rankenwerk mehrere Engel, zwei davon den Mantel Marias aufbreitend. Der Kreuzstab in der Rechten des Täufers ist mit einem einzeilig schwarz beschrifteten vergoldeten Spruchband umwunden, das oben von einem kleinen Engel gehalten wird (I†). In den beiden Seitenachsen, in filigrane, aus dem aufsteigenden Rankenwerk gebildete mandelförmige Nischen auf Knospenpostamenten eingestellt, vollplastische Figuren der Apostelfürsten Petrus (links) und Paulus (rechts), ganz außen kleinere Figuren Hll. Bernhard (links) und Benedikt (rechts). Über den beiden Apostelfürsten, auf Höhe der Säulenkapitelle je ein (erst 1925 hier angebrachter) Wappenschild in vergoldeter rocaillenartiger Kartusche, an der Rückseite des linken, unzugänglich, eine schwarz aufgemalte Jahreszahl (II). Nach außen hin anschließend die kleinen Figuren des Hl. Laurentius (links) und Stephanus (rechts), seitlich schräg darunter die Hll. Katharina (links) und Agnes (rechts)2). Im Auszug schmale, stark überhöhte Nische aus zwei Pilastern, die hinter dem vorgeblendeten filigranen Rankenwerk samt zwei flankierenden Engelsfiguren kaum mehr zu erkennen sind, darin vielfigurige Szene Himmelfahrt Mariens bzw. Marienkrönung: unten am Gesims die Apostel am leeren Grab, darüber Maria in Wolkenband, umgeben von musizierenden Engelschören, zuoberst, von Rundbogennische hinterfangen, Hl. Dreifaltigkeit, in Händen der Christusfigur die Krone. Beiderseits dieser Szenen jeweils auf Knospenpostamenten in mandelförmigen Nischen aus Rankenwerk mehrere Heiligenfiguren, von unten nach oben: Ambrosius (links) und Augustinus (rechts), Hieronymus (links) und Gregor (rechts), an die beiden letztgenannten Figuren nach außen und etwas nach oben versetzt anschließend die kleineren Figuren Georg (links) und Christophorus (rechts), über den beiden oberen Kirchenfürsten die kleineren Figuren zweier weiblicher Heiliger3), weiters im Rankenwerk mehrere Engelsfiguren. Als Bekrönung, über der Dreifaltigkeit, der Kruzifixus samt schwarz aufgemaltem Kreuzestitulus auf vergoldetem, gefälteltem Spruchband (III†), zu seinen Füßen zwei Engel. Der Kreuzestitulus ist zweimal übermalt worden: die erste (älteste) Schicht bestand aus schwarzen Buchstaben, die auf das ungefasste Holz gemalt wurden. Darüber brachte man später eine weiß grundierte Goldschicht mit schwarz aufgemalten Buchstaben an; als dritte Schicht folgte die heute sichtbare Inschrift. An der Rückseite des Spruchbands findet sich eine in schwarzer Farbe auf das Holz gemalte Jahreszahl (IV). Bis auf diese Jahreszahl und wohl auch die nicht zugängliche Jahreszahl (II) handelt es sich somit bei allen Inschriften um jüngere Neufassungen des dadurch überdeckten Originalbestands. Im Zuge hochbarocker Adaptierungen (1730–34) wurde der gesamte Altar 1731 erstmals vollständig gefasst ( Josef Bernhard Strebele?) und mit einer monumentalen, blau gefassten, von Engelsfiguren aufgespannten Tuchdraperie aus Stuck (Franz Xaver Feuchtmayr) hinterfangen, die über der älteren Bekrönung auch eine unmittelbar an den Gewölbescheitel anstehende, von zwei Engeln flankierte Uhr einstellte. Umgestaltungen bzw. Restaurierungen erfolgten wenigstens 1844/45 (Neuvergoldungen und Bildhauerarbeiten durch N. Wackernell und N. Kleinlärcher, Umgestaltung der Tabernakelzone durch Franz Xaver Renn), 1924/26 (Restaurierung und neuerliche Umgestaltung der Tabernakelzone durch den Stamser Laienbruder Josef Dichtl und den Maler Karl Larcher) und zuletzt 1977–1983 (umfassende Gesamtrestaurierung in den Restaurierwerkstätten des BDA, Bildhauer Klaudius Molling, Restaurator Erwin Schwenninger, Leitung Manfred Koller>4)), dabei die hochbarocke Fassung von 1732/34 erhalten bzw. wiederhergestellt.
Kapitalis.
Text von II nach Andergassen, Renaissancealtäre (2007) 451.
Textedition
I†.
ECCEa) // AGN[VS]b) // DEI
II.
1612
III†.
INRI
IV.
1611c)
Anmerkungen
Wappen: Abt Melchior Jäger/Hochstift Brixen/Stift Stams5); Erzherzog Maximilian III. von Österreich/Deutscher Orden6).
Kommentar
Bei der eingehenden Restaurierung des Stamser Hochaltars zwischen 1977 und 1983 wurde auch das Holztäfelchen mit den hier edierten Inschriften III† und IV genauer untersucht. Dabei wurden für die Vorderseite (III†) die drei bereits oben beschriebenen Malschichten festgestellt. Auch wenn unzweifelhaft ist, dass der heutige Schriftbestand einen ursprünglichen Kreuzestitulus reproduziert, erlaubt die von den Restauratoren angelegte kleine quadratische Schichttreppe doch keine genauere Edition des ursprünglichen Bestandes. Die Inschriften an den Rückseiten des Wappenschildes Erzherzog Maximilians III. und des Spruchbandes über dem Kruzifixus (II und IV) hingegen scheinen – da sie für den Betrachter des Altares nicht zu sehen sind – von einer mehrfachen Überfassung verschont geblieben zu sein. Weitere, zuletzt von Andergassen referierte Inschriften konnten am Objekt vor Ort nicht festgestellt werden7).
Der monumentale Altar, eine der bedeutendsten frühbarocken Schnitzarbeiten im gesamten süddeutschen Raum, wurde zwischen 1609 und 1612 angefertigt8). Es handelt sich um ein Werk des 1609 vertraglich mit der Ausführung der Bildhauerarbeiten des Hochaltars und der vier Seitenaltäre der Stamser Stiftskirche beauftragten Schnitzers Bartlmä (Bartholomäus) Steinle und dessen Gehilfen und Gesellen Stephan Zwink, Hans Schütz, Gregor Pölsterle und Hans Stelzer sowie des 1610 zugezogenen Tischlers Wolfgang Kirchmayer (Architekturelemente des Altars); beide Hauptmeister stammten aus Weilheim in Oberbayern, was die engen Beziehungen des Klosters Stams mit dem bayerischen und schwäbischen Raum widerspiegelt: das Mutterkloster von Stams ist Kloster Kaisheim, der auftraggebende Abt Melchior Jäger stammte aus Schöffau bei Weilheim. Ursprünglich war der Altar mit dem feingliedrigen Rankenwerk und seinen im Vertrag von 1609 vorgesehenen 80 Figuren (davon noch 78 erhalten) so konzipiert, dass er durch die Chorostfenster von hinten be- bzw. durchleuchtet wurde; die Hinzufügung der Hintergrunddraperie durch Franz Xaver Feuchtmayr zerstörte diesen Effekt für den Betrachter allerdings vollständig. Als (Mit-)Stifter des Altars, der mit seiner vielschichtigen allusiven Ikonographie im Grunde das marianische Programm des spätgotischen Stamser Hochaltars (s. Kat.-Nr. 11) aufnimmt, wird auch Erzherzog Maximilian III. von Österreich durch die Anbringung seines Wappens – jedoch erst seit 1925 an der aktuellen Position – dargestellt9).
Literatur
Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol Politischer Bezirk Imst Stams, Stiftskirche • Altar • Tituli • Jahreszahlen •
Andergassen, Leo •
Dichtl, Josef •
Elisabeth •
Feuchtmayr, Franz Xaver •
Jäger, Melchior •
Kirchmayer, Wolfgang •
Kleinlärcher •
Koller, Manfred •
Larcher, Karl •
Maximilian III. •
Meinhard II. •
Molling, Klaudius •
Pölsterle, Gregor •
Renn, Franz Xaver, Restaurator •
Schütz, Hans •
Schwenninger, Erwin •
Steinle, Bartlmä •
Stelzer, Hans •
Strebele, Josef Bernhard •
Wackernell •
Zwink, Stephan •
Kaisheim, Zisterze •
Schöffau •
Weilheim in Oberbayern
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Sieh das Lamm Gottes (I).
Io 1,29 (I†).