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Die Inschriften des Bundeslandes Tirol

Politischer Bezirk Imst

97† Stams, Pfk. Hl. Johannes d. T. 1637

Glocke („Bruderschaftsglocke“) mit Gussvermerk, Stiftername und apotropäischer Inschrift, ursprüng­lich im Turm. Am Hals befand sich der Gussvermerk (I), am Mantel waren Reliefs des Kruzifixus, Marias, der Hll. Johannes Ev. und Paulus, letzteres mit Beischrift (II), ausgeführt. Vermutlich am Wolm oder Schlagring weitere Umschrift (III). 1720 von Bartlmä (Bartholomäus) d. J. Grassmayr umgegossen, dabei die Jahreszahl des Erstgusses offenbar in die neue Umschrift übernommen. 1825 von Johann Grassmayr erneut umgegossen, dabei wiederum die älteren Gussdaten in der neuen Umschrift referiert1). 1956 abermals mit neuer Umschrift umgegossen2).

Standortangabe, Beschreibung und Text nach Wernisch, Glockenkunde 889 (nach einer „Descriptio campanarum in ecclesia S. Joannis B. in Stambs“ von 1711 im Stiftsarchiv Stams).


Textedition
			

I. Johannes Reichart et Nicolaus Humbertus me fecerunt anno D(omi)ni 1637a), 3. die Octobris. II. Paulus Abbas. III. Jesus N(azarenus) Cruzifixus R(ex) J(udaeorum). Fugite partes adversae vicit leo de tribu Juda

Anmerkungen
a) es ist nicht sicher, ob es sich um eine Jahresangabe in arabischen Ziffern oder lateinischen Zahlzeichen handelte.

Johannes Reichard und Nicolas Humbert schufen mich im Jahr 1637 am 3. Oktober (I).
Abt Paul (II).
Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte, König der Juden. Flieht, feindliche Scharen! Der Löwe aus dem Stamm Juda hat gesiegt (III).


Kommentar

Die Geschichte des Geläutes der Stamser Pfarrkirche ist komplex. Am 5. Mai 1593 war es zu einem großen Turmbrand gekommen, bei dem auch drei Glocken zerstört wurden. Lebersorg erwähnt den Wiederaufbau und den Neuguss mehrerer Glocken3). Offenbar ließ Abt Paul II. Gay in seinem letzten Lebensjahr ein neues, vierstimmiges Geläute für die Stamser Pfarrkirche gießen4). Dessen monumentale Dimensionen (Gewichte umgerechnet 1568, 962, 672 und 420 kg) scheinen die aufgrund der zisterziensischen Beschränkungen für Glocken in Klosterkirchen des Ordens bescheidene entsprechende Ausstattung der Stiftskirche Stams (vgl. Kat.-Nr. 5) kompensieren zu wollen. Das Geläute wurde offenbar unter dem inschriftlich angegebenen Datum von den lothringischen Wandergießern Johannes Reichart und Nicolas Hu(m)bert5) in Stams ausgeführt, die feierliche Glockenweihe im Abtportrait Paul Gays (Kat.-Nr. 106) prominent als Hintergrundszene in der rechten oberen Ecke dargestellt (s. Abb. 86). Von den übrigen Glocken des Geläutes von 1637, für das die beiden Gießer erst am 12. November 1638 über den Empfang des Metalls und den Erhalt von 119 fl. (als Restrate?) für den Guss quittiert hatten, war nur ein Instrument noch 1711 zum Zeitpunkt der Anlage eines Glockenverzeichnisses der Pfarrkirche (als Vorbereitung auf einen geplanten Neuguss sämtlicher alter Glocken durch Bartlmä [Bartholomäus] d. J. Grassmayr) vorhanden. Zwei weitere Objekte waren schon 1657 und mutmaßlich 1663 umgegossen worden (Kat.-Nrr. 112† und 116†). In weiterer Folge wurden alle Glocken der Pfk. in bemerkenswert kurzen Abständen sukzessive umgegossen bzw. durch neue Instrumente ersetzt. Das heutige umfangreiche Geläute der Pfk. stammt als geschlossene Anschaffung aus dem Jahr 1956 (Fa. Grassmayr).

1) Umschriften nach Wernisch, Glockenkunde 890: A fulgure et tempestate libera nos ... bzw. Johann Graßmayr zu Habichen und Fusa 1637, refusa 1720, denique refusa 1825.
2) Umschrift nach Wernisch, Glockenkunde 888: VOR BLITZ UND UNGEWITTER ... und GEGOSSEN 1637 VON BARTLMÄ GRASSMAYR IN HABICHEN BEI ÖTZ (inhaltlich unrichtig; s. Kommentar).
3) Lebersorg, Chronik 307–309 (Haidacher 582–587); Wernisch, Glockenkunde 889. Für den Neuguss der Glocken 1637, vielleicht auch der hier besprochenen Bruderschaftsglocke, wurde auch das Erz der beiden oberen Schalen des 1615 abgetragenen Brunnens im Kreuzgang des Stiftes verwendet; vgl. Kat.-Nr. 4†.
4) Das Folgende nach Wernisch, Glockenkunde 889f.
5) Zu Nicolas und dessen Bruder Kaspar (Gaspard) sowie zu Reichart s. Köster, Glocken 49 und 51 und Wernisch, Glockenkunde 250. Nicolas arbeitete zwischen 1637 und 1641 in Tirol und der Schweiz, wo er schließlich 1636/38 als Gehilfe des Honorez Rozier beim Guss des Geläutes für Maria Einsiedeln beteiligt war. Der aus Wallerfangen bei Saarlouis stammende Reichart war 1631 als Gehilfe des Eloy Sermoise (Elias Sermosius) am Guss der großen Glocke für die Pfk. Kolsaß beteiligt und arbeitete schließlich in Tirol in Gemeinschaft mit Hu(m)bert.
Literatur

Lebersorg, Chronik 307–309 (Haidacher 582–587). – Tinkhauser/Rapp, Beschreibung 3, 274 und 277. – Wernisch, Glockenkunde 889f.



Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser

Zitierregel:
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte, ges. u. bearb. v. Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser (Die Deutschen Inschriften 82. Band, Wiener Reihe 7. Band, Teil 1) Wien 2013, Kat. Nr. 97,
URL: hw.oeaw.ac.at/inschriften/tirol-1/imst/tirol-1-obj97.xml

Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
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