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Die Inschriften des Bundeslandes Tirol
Politischer Bezirk Imst
99 |
Stams, Stiftssammlungen |
(1631–1638) |
Idealportrait des Abtes Heinrich von Honstätten, Öl auf Leinwand, in der Klausur im Obergeschoß. Hochrechteckiges Gemälde in modernem schlichten vergoldeten Rahmen als erster Teil einer 25 Objekte umfassenden Reihe mit Abtbildern: Hüftbild des stehenden tonsurierten Abtes in Kukulle, den Betrachter ansehend; die Rechte umfasst ein Pedum, die Linke klemmt ein geöffnetes Buch mit sechszeilig schwarz auf weiß aufgemalter Inschrift als Text der linken Buchseite an die Brust. Die am Unterrand fünfzeilig schwarz auf weißem Grund aufgemalte Inschrift des 18. Jahrhunderts überdeckt die ursprüngliche und somit verlorene erklärende Beischrift1)
Bu. 0,6 cm. – Minuskelantiqua.
Textedition
Misererea) mei / Deus, secundum / magnam miseri/cordiam tuam / Eta) secundum /
multitudinem
Anmerkungen
Kommentar
In den Sammlungen des Stiftes existiert eine 25 Bilder umfassende Serie gleichartig gestalteter und von einer einzigen Hand ausgeführter qualitätvoller Äbtebildnisse samt erklärenden Beischriften, die offenbar der mehrfach für Stams tätige Maler Paul Honegger (gest. 1649, s. auch Kat.-Nrr. 85, 94, 96 und 100–106) im Auftrag von Abt Paul II. Gay geschaffen hat. Jedes einzelne Bild zeigt als Idealportrait das individualisierende Hüftbild eines Abtes. Die ursprünglich am unteren Bildrand angebrachten erklärenden Beischriften sollten wohl jede Figur mit wenigen Daten (Regierungszeit, herausragende Einzelereignisse, anekdotische Hinweise) knapp umreißen. Höchst wahrscheinlich waren die Texte der Beischriften von Paul Gay selbst verfasst worden, der mit der Zusammenstellung seiner „Historia Stambsensis“ als erstes historiographisches Kompendium der Stamser Zisterze nicht nur die Basis für den knappen Unterricht der Stamser Konventualen in Hausgeschichte lieferte, sondern auch bewusst für die ganz im Stil der Zeit liegende mediale Aufbereitung in Form einer seriellen Bild-Textkombination sorgte2). Den Höhepunkt der jedenfalls zwischen dem Regierungsantritt Gays im Juni 1631 (gewählt am 9. Juni) und dessen Tod am 25. Mai 1638 anzusetzenden Äbtebilder setzt in qualitativer Hinsicht das offenbar von Anfang an als Teil und vorläufiger Abschluss der Reihe konzipierte Portrait Paul Gays selbst (Kat.-Nr. 106). Da in dessen rechter oberer Ecke sehr prominent die Szene der Glockenweihe des im Oktober 1637 gegossenen Geläutes für die Stamser Pfarrkirche (s. Kat.-Nr. 97† und 98†) dargestellt ist (s. Abb. 86), dürfte wohl zumindest das Bild Gays gegen Ende des Jahres 1637 zu datieren sein. Die von Gay geschaffene Serie wurde nach seinem Tod fortgesetzt und bis in die Gegenwart jeweils durch ein Portrait des aktuellen Abtes erweitert. Gays Nachfolger, Abt Bernhard Gemelich, nahm sich mit seinem Portrait am Bild Gays ein direktes Vorbild (Kat.-Nr. 113).
Offenbar wurden im 18. Jahrhundert spätestens mit Vorliegen der neuen Kompilationen zur Stamser Klostergeschichte von Cassian Primisser3) die ursprünglichen Texte Gays für zu knapp und ungenügend – mitunter offenbar auch für zu wenig kritisch (s. Kat.-Nr. 103) – befunden. Die Originalinschriften wurden deshalb durch ausführlichere Texte ersetzt, wobei sich an mehreren Bildern der Gesamtserie noch heute einzelne ältere kapitale Buchstaben unter der jüngeren Farbschicht abzeichnen. Ein sinnvoller Text der Originalinschrift ist damit jedoch nicht mehr rekonstruierbar. Zu gleichem Zeitpunkt wie die jüngeren Inschriften wurden wohl die meist links oder rechts unten stehenden römischen Zahlzeichen für die Position des jeweils Dargestellten innerhalb des Äbtekatalogs aufgemalt. Vom Originalbestand der Inschriften haben sich jedoch in einzelnen Gemälden die Beschriftungen von im Bild dargestellten Objekten erhalten. Zwar weisen auch diese Inschriften fast durchwegs Spuren sekundärer Überarbeitung auf, doch ist hier jedenfalls der Ausgangstext stets beibehalten worden. In manchen der Bücher, die einzelne Äbte als Attribute in der Hand halten oder vor sich liegen haben, sind noch äußerst kleine, manchmal kaum zu entziffernde Inschriften aus der Entstehungszeit der Portraits erhalten. Diese Inschriften, die ohne Zweifel stets nur für einen sehr aufmerksamen Betrachter als Rezipienten vorgesehen waren, können als Subtext oder zweite didaktische Ebene neben der primären Funktion der Äbtebilder, Hausgeschichte als Herrschaftsgeschichte der Äbte zu vermitteln, verstanden werden. Sie geben verschiedene geistliche Texte wieder, die das Amt des Abtes im Allgemeinen und die einzelnen Abbatiate im Besonderen reflektieren. Darunter nehmen gerade die Psalmen eine prominente Rolle ein, so in den epigraphisch ausgeführten „Buchtexten“ zum ersten Stamser Abt, Heinrich von Honstätten, und dem zwölften Abt, Johannes II. Doch auch Passagen aus dem Neuen Testament kommen vor (bei Konrad II. von Feldkirch und Paul II. Gay). Bei der Textstelle in dem von Paul Gay aufgeschlagenen Buch handelt es sich ebenso wie bei dem Buch des Abtes Georg Berghofer (Kat.-Nr. 105) um ein Zitat aus Thomas von Kempens „De imitatione Christi“, was die Wirksamkeit dieses viel gelesenen Augustiner-Chorherren und Protagonisten der spätmittelalterlichen „Devotio moderna“ auch für das Zisterzienserstift Stams im 17. Jahrhundert eindrücklich belegt4). Auch das Zitat nach dem Hl. Anselm, das der kommentierten Benediktsregel entstammt und auf einer Schriftrolle auf dem Beistelltischchen vor Gay zu lesen ist, fügt sich in die Selbstdarstellung des Abtes: Die Betonung der Benediktsregel unterstreicht seine Rolle im Kloster.
Der Maler der gegenständlichen Äbtebilder Paul Gays, der um 1590 in Mergentheim geborene Paul Honegger, war nach einer Studienzeit in Rom unter Abt Thomas Lugga im Jahr 1617 nach Tirol gekommen. Honegger wirkte in den folgenden Jahren für das Stift Stams, aber auch im übrigen Nordtiroler Raum. Schließlich wurde er in Innsbruck sesshaft und Hofmaler der Claudia de’ Medici5). Noch im 19. Jahrhundert war eine alte Klostertradition bekannt, nach der Honegger sich im Portrait des Abtes Heinrichs III. Grussit selbst verewigt hätte6). Diese Tradition erhielt dadurch Nahrung, dass man dem Abt Heinrich Grussit nachsagte, er sei selbst ein hervorragender Maler gewesen und habe die so genannte „Grussittafel“ eigenhändig angefertigt (vgl. Kat.-Nr. 11). Tatsächlich ist Abt Heinrich Grussit hier auch vor einer Staffelei dargestellt.
Literatur
Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol Politischer Bezirk Imst Stams, Stiftssammlungen • Idealportrait • Öl auf Leinwand • Minuskelantiqua •
Anselm von Canterbury •
Berghofer, Georg •
Gay, Paul •
Gemelich, Bernhard •
Grussit, Heinrich III. •
Heinrich I. von Honstätten •
Honegger, Paul •
Konrad II. von Feldkirch •
Lugga, Thomas •
Medici, Claudia •
Meinhard II. von Görz-Tirol •
Peterer, Johannes II. •
Primisser, Cassian •
Thomas von Kempen •
Innsbruck •
Mergentheim •
Rom •
Stams, Pfarrkirche Hl. Johannes d. T.
Abbildungen
Abb. 82: Portrait des Abtes Heinrich von Honstätten (1631–1638) ©
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Gott, sei mir gnädig nach deinem reichen Erbarmen und nach (deiner) Huld.
Nach Ps 50,3.