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Die Inschriften des Bundeslandes Tirol

Politischer Bezirk Landeck

125 Pians, Kapelle Hl. Margaretha um 1420

Wandmalereien mit Beischriften, im Chor und am Triumphbogen der Kapelle. Ikonographisch komplexe und raumfüllende malerische Gesamtausstattung. An der Westseite des Triumphbogens auf der Langhausostwand in der oberen Hälfte Verkündigungsszene: Links vor reicher Architekturkulisse Maria mit über der Brust verschränkten Armen in einem auf einem Lesepult liegenden Buch mit dreizeiliger Inschrift als Text der beiden aufgeschlagenen Seiten mit Kastenrahmung lesend (Ia), rechts vor reicher Architekturkulisse der Engel; das von ihm gehaltene Spruchband ist illusionistisch durch einen Rundbogen der Hintergrundarchitektur gesteckt (Ib). Im Scheitel des Triumphbogens Halbfigur Gottvater in Wolkenband, die Rechte im Segensgestus zu dem nackten Jesusknaben hin erhoben, der sich mit einem Kreuz über der Schulter nach links, in Richtung auf Maria hin, bewegt. Links des Triumphbogens an der Langhausostwand unterhalb Mariens eine stark beschädigte Szene mit einem knienden bärtigen Stifter vor der stehenden Figur Christi (oder Schlüsselübergabe an Petrus?); die Christus zugeordnete zweizeilige Inschrift auf einem Spruchband ist bis zur völligen Unlesbarkeit fragmentiert und versintert. Unten rechts gegenüberliegend Szene mit Gregorsmesse; über dem Kopf des Papstes windet sich halbkreisförmig ein zweizeilig beschriftetes Spruchband (Ic). In der Laibung des Triumphbogens die Klugen und die Törichten Jungfrauen als Halbfiguren in Vierpässen, links die fünf klugen mit brennenden Lampen in den Händen, rechts die törichten mit gestürzten leeren Lampen, die Haare raufend. Die oberste der fünf törichten Jungfrauen, im Scheitel des Triumphbogens, hält ein einzeiliges Spruchband in den Händen (IIa). Die Medaillons der Hll. Florian (links) und Georg (rechts) schließen die Reihe jeweils nach unten ab; neben dem Hl. Georg befindet sich ein einzeiliges Spruchband (IIb). Im Chor (5/8-Schluss) sechsteiliges Kreuzrippengewölbe, auf dem Schlussstein Lamm Gottes aufgemalt1). Im westlichen Gewölbefeld Christus in der Mandorla mit geöffnetem Buch (Inschrift verloren oder niemals ausgeführt), flankiert von zwei Engelscharen, die jeweils ein einzeiliges Spruchband tragen (nördlich: IIIa, südlich: IIIb). Vier der weiteren Gewölbefelder stellen jeweils in den beiden Kappen die bildliche Kontamination einer menschlichen Figur mit den Symboltieren eines Evangelisten (stehende bekleidete menschliche Figur mit tierischem Kopf und Gliedmaßen) und einen Kirchenvater einander gegenüber: Im Nordwesten Johannes (mit einem einzeiligen Spruchband: IVa) an einer Kappe, an der anderen Hieronymus2) vor einem auf einem Lesepult liegenden aufgeschlagenen Buch mit jeweils vierzeiliger schwarzer Beschriftung als Text (IVb), neben dem das Christuskind mit einem einzeiligen Spruchband in einer aus Flechtwerk bestehenden Krippe sitzend zu sehen ist (IVc); im Nordosten an einer Kappe Matthäus, ein zweizeiliges Spruchband (Va) haltend, an einem Schreibpult mit aufgeschlagenem Buch mit stark fragmentierter vier- bzw. dreizeiliger Beschriftung beider Seiten (Vb) sitzend, an der anderen Kappe der an einem Schreibpult sitzende Augustinus (Vc), ein zweizeiliges Spruchband haltend, daneben der Gekreuzigte samt Titulus und einzeiligem begleitenden Spruchband (Vd; Ve). Im Südosten an einer Kappe Ambrosius an einem Schreibpult sitzend, in den Händen Feder und Federmesser, nach links ausschwingend zweizeiliges Spruchband (VIa), links Auferstehung Christi mit einzeiliger Beischrift auf Spruchband (VIb), an der anderen Kappe Markus an einem Lesepult stehend, in den Pranken ein einzeiliges Spruchband haltend (VIc); es folgt im Südwesten an einer Kappe die nur mehr fragmentarisch erhaltene Figur Gregors des Großen an einem Schreibpult, daneben zweizeiliges Spruchband (VIIa) und Mandorla mit Maria und dem Jesusknaben (?) samt einzeiligem Spruchband (VIIb), an der anderen Kappe Lukasstier, im Huf ein zweizeiliges Spruchband (VIIc). Das dem Pantokrator gegenübergestellte sechste Gewölbefeld im Osten füllen zwei musizierende Engelschöre aus, die jeweils ein Spruchband halten (südlich: VIIIa, nördlich: VIIIb); einer der Engel der nördlichen Gruppe verweist auf ein aufgeschlagenes Buch in seiner Hand, dessen Inschrift unlesbar bzw. durch Überarbeitung völlig entstellt worden ist. In den Schildbögen des Chores ist ein Apostelcredo ausgeführt. Von den auf Wandbänken (?) sitzenden Ganzfiguren, teilweise vor reich ausgestatteten Architektur­nischen, sind jedoch nur mehr elf wenigstens teilweise erhalten; an der Ost- und der Südostwand drei Apostel, an der Nordwest-, Nordost- und Südwand zwei Apostel, die ein Fenster rahmen. Das einstige Konzept ist heute nur mehr schwer erkennbar: Die Nordwestwand zeigt deutlich, dass kein Apostel fehlt, obwohl nur zwei Apostel dargestellt sind; das belegt insbesondere der in die Fensterlaibung fortgeführte Architekturhintergrund der Aposteldarstellungen, der einstmals zwei Heilige in der Laibung umrahmte; von diesen beiden Heiligen ist auf der Seite des Apostels Bartholomäus noch die Hl. Barbara deutlich zu erkennen. An der Nordostwand wurde hingegen das Fenster später verbreitert, so dass die beiden hier dargestellten Apostel nur mehr teilweise erhalten sind und die Bemalung der Laibung verloren ging. Ähnlich auf der Südwestwand, wobei hier einer der beiden Apostel (links) gänzlich verloren ist. Alle Apostel tragen ein ein- bis zweizeiliges Spruchband in den Händen ( jeweils von links nach rechts: Nordwestwand IXa und b; Nordostwand Xa und b; Ostwand XIa–c; Südostwand XIIa–c; Südwestwand XIII). Unterhalb des Apostelcredos sind in einem weiteren Register der Wandmalereien mehrere Prophetenhalbfiguren in einem Architekturrahmen zu erkennen. Sie sind jeweils durch einen Titulus oberhalb ihrer Nische und ein einzeiliges Spruchband mit Inschrift in der Hand bezeichnet und erläutert; ursprünglich befanden sich wohl fünf Figuren auf jeder Chorwand, sowie je einer auf der Innenseite des Vorsprungs des Triumphbogens. Heute sind nicht mehr alle erhalten und oft sind nur mehr Fragmente zu erkennen: Ostseite des Triumphbogens, südliche Seite (Titulus: XIVa, Spruchband: XIVb); vier Propheten an der Südwestwand (von rechts nach links: XVa–XVIIIb; ein Prophet verloren, da hier eine Nische eingebrochen wurde); Südostwand mit fünf Propheten (XIXa–XXIIIb); Ostwand mit fünf Propheten (XXIVa–XXVII); an der Nordostwand alle Inschriften verloren, auf der Nordwestwand nur mehr von der Figur ganz rechts ein Inschriftenfragment des Spruchbandes erhalten (XXVIII). Alle Inschriften sind dunkelbraun bis schwarz auf weißem bzw. putzfarbenem Grund aufgemalt, bei fast allen Spruchbändern ist die zartgrüne Zeilenlinierung noch gut erkennbar. Die Wandmalereien wurden 1905 aufgedeckt und 1911/12 durch den Haller Maler Alfons Siber restauriert3); eine erneute Restaurierung erfolgte 1978/794). Praktisch alle Inschriften des Freskenzyklus’ weisen die Spuren bisweilen starker Über­arbeitung auf. Stellenweise sind kleinere oder größere Bereiche der Malschichten stark reduziert bis zerstört. In fast allen Bereichen der gesamten Wandmalerei wurden im späten 15. und im 16. Jahrhundert Graffiti angebracht (s. Kat.-Nr. 127).

Bu. 3–6 cm. – Gotische Minuskel und Gotische Majuskel (Vd).


Textedition
			

Ia. ecce an/cilla d(omi)ni / fiat [mi]//chia) secv(n)/dvm v(er)/bvm tv(vm) Ib. · ave gracia plena d͜ominvs // tecvmb) Ic. [g]regorivs papa rogat(vs) est iesvm chr(ist)vmc) qvod osstend͜eret / sibi misericordia // svad) d͜evs osstendit sibi miserico(rdia) IIa. d͜omi(n)e apery // nobise) IIb. · s(anctvs) · georivsf) · IIIa. [g]avd[eamvs] omne[s in do]m[in]og) IIIb. diem Fesstvmh) celebrantes [svb] IVa. [ J]ohanes in princip͜pio · // erati) IVb. in pri/ncip͜pi/o erat / et ver//bvm et / verbv(m) / erat / apvtj) IVc. nativitas chr(ist)ik) Va. s(anctvs) mathevs lib͜ er gener[aci]onis iesv // chr(rist)il) vili davit / · fili abraham Vb. – – –]ha[./– – –]/ a[– – –]/in[– – –//[..]dem)/[..]re[...../ – – –] Vc. s(anctvs) [av]gussti(n)vs lib[er] / genera͜cionis iesv Vd. IN//RI Ve. passio d(omi)ni jesv chr(ist)ik) VIa. [s(anctus)] am[b]rosivs fvit in diebvs / [he]rodis re[g]isn) · VIb. · [r]esvreccio · chr(ist)io) · VIc. marcvs fvit jn diebvs erodis regis VIIa. miss[v]s [est angel]vs ga[br]ielp) / [– – – VIIb. assensio chr(ist)ik) · VIIc. [Lucas missv]s est angelus gabri[el]p) / [– – – VIIIa. gloria in ex[c]elsis d͜e[o] VIIIb. et in t[erra] pa[x hom]inibus IXa. phillippus ich gelavb daz er dar nach chvnftig ist // zeq) chvm[en] / ze richten vber le[bendi]g vnd vber todr) · IXb. wartholome(us) jch gelavb in d͜en / heiligen geist · Xa. [pe]trvs ich gelavb in got [– – –] / allmehtigen schep͜pfer himel vnd [– – – Xb. [ jacobv]s ma//iorb) ich gelavb daz er enphan[gen ist durch den] / [h]ailige(n) // gaistb) vnd geporen von d͜er [– – – XIa. johanes ich [gel]a[vb] daz er gemartret [wa]rt vnt(er) / pontio pilato d[az e]r starb vnd pegraben wardr) · XIb. thomas ich // [gelavbq) d]az er [– – –] / dritten tag von [tod] erstantr) · XIc. [i]acobvs mi//norb) gelavb daz er ze himel fvr vnd siczt z[ur] / recht[en] // hantb) [gotte]s d͜ez al[mächti]gen vatersr) · XIIa. mathevs jch gelavb in die hailig christenhait / vnd gemainschaft d͜er hailigen XIIb. simon jch gelavb ablas d͜er sund͜en XIIc. [ j]vdas // jchb) gelavb vrstend d͜ez fleischess) · XIII. – – –] apostolvs [– – – XIVa. · abiant) · XIVb. · exessvs · XVa. · pag · XVb. · comnabilisu) · XVIa. · assesor · XVIb. · lavdabilis · XVIIa. · echyel · XVIIb. · [c]arissimvs · XVIIIa. · samvel · XVIIIb. · iocvndvs · XIXa. · pnaney · XIXb. · honorabilis · XX. · licine · XXIa. · vian · XXIb. · amicabilis · XXIIa. · benian · XXIIb. · victor · XXIIIa. · acheij · XXIIIb. · viator · XXIVa. · emiasip · XXIVb. · placabilis · XXVa. · ionachid · XXVb. · plac[i]dvs · XXVI. pacifficv[s] XXVII. · cvstos · XXVIII. · prvd͜en[s]

Anmerkungen
a) Übergang auf die rechte Buchseite.
b) Unterbrechung durch die Hintergrundarchitektur.
c) Nomen sacrum; Bestand: xpvm mit Kürzungszeichen.
d) Unterbrechung durch Kreuz der Tiara.
e) Unterbrechung durch Vierpassrahmen.
f) Trenn-, Füll- und Zierzeichen vollrund in Konturlinie.
g) indomino indistinkt.
h) sic! Fes an der Grundlinie von Engelshand verdeckt.
i) Unterbrechung durch die Hand des Evangelisten.
j) gesamte Is. weitgehend indistinkt geschrieben.
k) Nomen sacrum; Bestand: xpi mit Kürzungszeichen.
l) Nomen sacrum; Bestand: xpi mit Kürzungszeichen; Unterbrechung durch die Hand des Evangelisten.
m) Übergang auf die rechte Buchseite; offenbar handelte es sich bei der Is. nicht um den zu erwartenden Text Mt 1,16: „Iacob autem genuit Ioseph virum Mariae de qua natus est Iesus“; der Bestand ist jedenfalls so stark reduziert, dass die Buchstabenfragmente eine eindeutige Zuordnung nicht mehr zulassen.
n) indiebus indistinkt; folgt ornamentales Füllzeichen.
o) Nomen sacrum; Bestand: xpi mit Kürzungszeichen; Trennzeichen vollrunder Punkt, folgt ornamentales Füllzeichen.
p) der nur mehr schemenhaft zu erkennende folgende Buchstabenbestand lässt wenigstens noch den Schluss zu, dass das in der Is. begonnene Bibelzitat („a deo in civitatem“ etc.) nicht fortgeführt wurde.
q) Unterbrechung durch Hand des Apostels.
r) folgt ornamentales Füllzeichen.
s) Bestand verrestauriert zu fleisthes.
t) diese Is. und alle folgenden Tituli zu den Prophetenhalbfiguren stehen zwischen zwei rosettenartigen Zierzeichen bzw. zwischen einem rosettenartigen Zierzeichen und einem ornamentalen Füllzeichen.
u) sic! vielleicht für commutabilis?

Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach Deinem Wort (Ia).
Gegrüßet seist Du (Maria), voll der Gnade, der Herr ist mit Dir (Ib).
Papst Gregor bat Jesus Christus, dass er (sich ihm) in seiner Barmherzigkeit zeigen möge, (und) Gott zeigte (sich ihm) in seiner Barmherzigkeit (Ic).
Herr, mach uns auf! (IIa).
Wir wollen uns alle im Herrn freuen (IIIa).
Und diesen Festtag feiern (IIIb).
Johannes. Am Anfang war (IVa).
Hieronymus. Am Anfang war das Wort und das Wort war bei (IVb).
Geburt Christi (IVc).
Hl. Matthäus. Stammbaum Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams (Va).
Hl. Augustinus. Stammbaum Jesu (Vc).
Passion des Herrn Jesus Christus (Ve).
Ambrosius. Es geschah in den Tagen des Königs Herodes (VIa).
Auferstehung Christi (VIb).
Markus. Es geschah in den Tagen des Königs Herodes (VIc).
Gesandt wurde der Engel Gabriel (VIIa).
Himmelfahrt Christi (VIIb).
Lukas. Gesandt wurde der Engel Gabriel (VIIc).
Ehre sei Gott in der Höhe (VIIIa).
Und Friede den Menschen auf Erden (VIIIb).
Der Ausgewanderte (XIVb).
Denkwürdig (XVb).
Der Gehilfe (XVIa).
Der Lobenswerte (XVIb).
Der Zweite (XVIIIb).
Ehrwürdig (XIXb).
Freundschaftlich (XXIb).
Der Sieger (XXIIb).
Der Wanderer (XXIIIb).
Versöhnlich (XXIVb).
Sanft (XXVb).
Frieden stiftend (XXVI).
Der Wächter (XXVII).
Klug (XXVIII).

Lc 1,38 (Ia), Lc 1,28 (Ib), Mt 25,11 bzw. Lc 13,25 (IIa), Introitus zum Allerheiligenfest (IIIa und b), Io 1,1 (IVa und b), Mt 1,1 (Va und c), Lc 1,5 (VIa und c), Lc 1,26 (VIIa und c), Gloria (VIII a und b), Credo (IXa–XIIc).


Kommentar

Die komplexe Ikonographie des Pianser Wandmalereizyklus’ wird auch im epigraphischen Befund sichtbar, der zu seiner Entschlüsselung entscheidend beitragen kann. So wird etwa deutlich, dass nicht nur die vier Kirchenväter mit den vier Evangelisten kombiniert werden, was sich in der Beifügung jeweils desselben Evangelientextes zu beiden Figuren (des jeweiligen Evangelisten und Kirchenvaters) ausdrückt, sondern diesen Paaren jeweils auch eine christologische Interpretation beigestellt wird: Die Geburt, Passion, Auferstehung und die Himmelfahrt Christi. Somit wird Christus, der in Gestalt des Lammes im Schlussstein und als Pantokrator im prominenten westlichen Gewölbefeld vorkommt, als Siegel des Alten Bundes dargestellt. Er kommt im selben Register wie die Evangelisten und Kirchenväter vor, das seinerseits auf den Aposteln, diese wiederum auf den Vertretern des Alten Bundes ruhen.

Mit dieser typologischen Parallelisierung von Neuem und Altem Bund verweist das Bildprogramm auf die Kirche, deren vermittelnde Bedeutung nochmals durch die den Aposteln beigegebenen Credo-Texte unterstrichen wird. Die geläufige Kombination der Apostel mit dem Credo kommt im Oberland nochmals etwas später in einem Zyklus der Prutzer Pfarrkirche vor (vgl. Kat.-Nr. 259). Merkwürdigerweise war die Leserichtung der Apostelinschriften in Pians ganz offensichtlich nicht entlang eines bestimmten Systems der Wände ausgerichtet (also im oder gegen den Uhrzeigersinn); nur innerhalb der einzelnen Wände ist eine Präferenz für eine Lesrichtung von links nach rechts erkennbar: So liest man sinnvollerweise zunächst die Nordost-, darauf die Ost, die Nordwest- und schließlich die Südost-Wand. Aufgrund des Erhaltungszustandes der Inschriften lässt sich die Südwestwand nicht mehr sicher in diese Reihenfolge einfügen, doch fehlt nach Abzug aller zitierten Zeilen von den Worten des Glaubens­bekenntnisses nur mehr die letzte Zeile „und das ewige Leben, Amen“, so dass man diese Zeile wohl dem verlorenen der beiden Apostel an der Südwestwand zuschreiben wird dürfen. Der rechte (und also abschließende Apostel, XIII) scheint einen erklärenden Beitext getragen zu haben (vielleicht die Bezeichnung des Textes als Glaubensbekenntnis der Apostel); eine Zeile des Glaubensbekenntnisses blieb für ihn jedenfalls nicht übrig.

Eine Schwierigkeit in der Deutung des Zyklus’ stellt die Anzahl der „Propheten“ an der Unterseite dar; stimmt die Berechnung mit jeder Chorwand zu je fünf Figuren samt zwei Figuren an der Innenwand des Triumphbogens, so ergeben sich für die ursprüngliche Ausmalung insgesamt 27 Propheten, also eine ungewöhnlich hohe Zahl. Allerdings lässt sich die Identifizierung der Propheten anhand der bisweilen wohl stark überrestaurierten Tituli nur bedingt vornehmen, sodass bis auf Ezechiel und Samuel (XVIIa und XVIIIa) eine eindeutige Zuweisung an die Gruppe alttestamentlicher Propheten für den Großteil der Figuren unterbleiben muss.

Der Pianser Zyklus gehört zu den durchaus seltenen in dieser Ausführlichkeit erhaltenen Wandmalereizyklen; ein etwas späteres Beispiel für solch umfangreiche Malereien stellt die Kirche St. Martin in Garmisch dar, deren Malereien zum großen Teil aus dem Jahr 1462 stammen. Auch hier finden sich die törichten und klugen Jungfrauen am Triumphbogen dargestellt.

Die Zuschreibung der Wandmalereien an einen „italienischen oder italienisch geschulten Wandermaler“, die Ammann vornimmt5), scheint angesichts der Figurenzeichnung wie der routinierten perspektiv­ischen Wiedergabe der Hintergrundarchitekturen durchaus plausibel. Der inschriften­paläographische Befund kann diese Annahme freilich nicht stützen: Eine italienische Färbung der Schreibweise der lateinischen Inschriftentexte (etwa von Lunger postuliert anhand der nicht aspirierten Namensform „Erodes“ für Herodes in Inschrift VIc, die als verbreitete Erscheinung des Mittellateinischen insignifikant ist) lässt sich nicht feststellen, zumal auch die deutschsprachigen Texte keine sprachlichen Auffälligkeiten oder Fehler aufweisen. Auch lässt sich die durchaus dem Entwicklungsstand nordalpiner Gotischer Minuskel im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts entsprechende Schriftart als Umsetzung der in Italien wenig populären doppelt gebrochenen buchschriftlichen Textualis formata (Textura) schwer mit einem italienischen Künstler als Maler der Inschriften verbinden6).

Erfreulicherweise hat die Restaurierung des frühen 20. Jahrhunderts die zahlreichen Ritz- und Rötelinschriften nicht zerstört, die der Zyklus aufweist (vgl. Kat.-Nr. 127).

1) Laut Dehio Tirol 612 und Lunger, Fresken 124 Wappen des Bistums Brixen; da der Wappenschild fehlt, scheint diese Interpretation jedoch nicht zwingend.
2) Dass es sich hier um „eine ganz ungewöhnliche Darstellung der Geburt Christi“ handle, in der man Maria vor einem Beichtstuhl erkennen könne, deren edle Abstammung vom Stamme Davids sich im Löwen zu ihren Füßen ausdrücke (so Lunger, Fresken 122), ist gänzlich abwegig; roter Kardinalsornat, die Vierzahl mit den anderen drei Kirchenvätern, deren typische Gegenüberstellung mit den Evangelisten und die Handbewegung der Figur, die dem Löwen einen Dorn aus dem Fuß zieht (Legende des Hl. Hieronymus), macht die Deutung des Kirchenvaters trotz fehlender Namensnennung in Is. IVb eindeutig.
3) Ammann, Oberland 285; Dehio Tirol 612 und Lunger, Fresken 117. Der gute Erhaltungszustand mancher Secco-Höhungen und der Rötelstift-Graffiti (s. Kat.-Nr. 127) lässt jedoch vermuten, dass nicht der Gesamtbestand unter jüngeren Putz- und Farbschichten gelegen hat.
4) Lunger, Fresken 117.
5) Ammann, Oberland 285.
6) Lunger, Fresken 125.
Literatur

Atz, Kunstgeschichte 678. – Ammann, Oberland 285. – Dehio Tirol 612. – Lunger, Fresken.



Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser

Zitierregel:
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte, ges. u. bearb. v. Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser (Die Deutschen Inschriften 82. Band, Wiener Reihe 7. Band, Teil 1) Wien 2013, Kat. Nr. 125,
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Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol  Politischer Bezirk Landeck  Pians, Kapelle Hl. Margaretha    •  Wandmalereien  •  Beischriften  •  Gotische Minuskel  •  Gotische Majuskel  •  Ammann, Gert  •  Lunger, Walter  •  Siber, Alfons  •  Brixen  •  Garmisch-Partenkirchen, Pfarrkirche St. Martin  •  Prutz, Pfarrkirche

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Abb. 101: Wandmalereien (um 1420)

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©  ÖAW, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Romedio Schmitz-Esser)