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Die Inschriften des Bundeslandes Tirol

Politischer Bezirk Landeck

217 Ladis Nr. 27 (Dorfstraße 8, Gemeindehaus) um 1590 (?)

Fassadendekoration mit Beischriften, Wandmalerei, an der hangseitigen Giebel- und Traufmauer des heutigen Gemeindehauses. Vom Altbestand blieb nach den Abbrucharbeiten und Umbauten der Jahre 1968–71 nur die linke Hälfte der Giebelmauer bestehen. Die von der rechten Hälfte der alten Giebelmauer und der traufseitigen Fassade durch den Restaurator Franz Walliser abgenommenen Wandmalereien wurden nach Abschluss des Neubaus 1971 an den alten Positionen auf die neuen Fassaden übertragen. Die Wandmalereien wurden erneut 2000 restauriert (Mag. Frambert Wall-Bayerfels)1). Alt sind offenbar alle zwischen den Fenstern angebrachten szenischen und anderen Darstellungen, die architektonischen Rahmungen der Fenster und die wappenbesetzte Ortsteinquaderung dürften nach dem alten Vorbild völlig neu hergestellt worden sein. Zwei- bis dreigeschossiges Mittelflurhaus mit Rundbogentor, unmittelbar an Nr. 26 anschließend. An der Giebelseite im Erdgeschoß ganz links Szene Kampf zwischen David und Goliath, zwischen den Beinen der Figuren jeweils einzeilig schwarz aufgemalte Beischriften (I und II). Zwischen linkem Fenster und Tor querrechteckiges Feld mit zwei Vollwappen, beiderseits gerahmt von zwei roten Pilastern, nach oben und unten von schlicht profilierten rotbraunen Gesimsen sowie Giebel und Unterhang abgeschlossen. Am Unterrand des Wappenfelds zweizeilige Inschrift (III: Wappenbeischriften?). Das rechts des Tors aufgemalte hochrechteckige Wappenfeld mit zweizeiliger Bauinschrift am Unterrand wurde völlig neu aufgemalt2). Im ersten Obergeschoß ganz links querrechteckiges Bildfeld Evangelist Matthäus in roter Beschlag- und Rollwerkrahmung, unmittelbar darunter schwarz aufgemalte einzeilige Beischrift (IV). Zwischen linkem und mittlerem Fenster quadratisches Bildfeld Kreuzigungsgruppe, am Oberrand der Kreuzestitulus (V). Zwischen erstem und zweitem Obergeschoß etwas links der Mitte nach (heraldisch) links gelehnter Wappenschild. Im zweiten Obergeschoß links des mittleren Fensters zwei (wohl neu aufgemalte) Stellen einer ursprünglich an dieser Stelle befindlichen Jahreszahl (VI†), die beiden ursprünglich wohl rechts des Fensters gelegenen letzten Stellen im Zuge des Abbruchs 1968 verloren und im Neubestand nicht mehr reproduziert. An der Traufseite im ersten Obergeschoß von links nach rechts zwischen den ersten beiden Fenstern hochrechteckiges Bildfeld Samson, zwischen zweitem und drittem Fenster quadratisches Bildfeld gekrönter Sänger mit Harfe (David oder Orpheus?)3), zwischen drittem und viertem Fenster querrechteckiges, rot gerahmtes Bildfeld mit einer Festbzw. Trinkszene (Gastmahl für den Verlorenen Sohn), am Oberrand mittig einzeilig schwarz auf weiß aufgemalte erklärende Beischrift (VII); die in den vier Ecken wiedergegebenen Szenen in kleinen vollrunden Medaillons sind nicht mehr eindeutig zu identifizieren (Gleichnis vom verlorenen Sohn?); ganz rechts außen zwischen Felsen am Meer Figur eines bärtigen Eremiten (?) mit Kapuze, eine Fackel in der Rechten, in der Linken eine Laterne tragend (Beifigur zu einem verlorenen Christophorus?). Im zweiten Obergeschoß von links nach rechts hochrechteckiges Bildfeld Evangelist Lukas in roter Beschlag- und Rollwerkrahmung, unmittelbar darunter schwarz aufgemalte einzeilige Beischrift (VIII), zwischen erstem und zweitem Fenster hochrechteckiges Bildfeld Öffnung der Kiste des Erichthonius durch die Schwestern der Pandrosos4), zwischen mittlerem und rechtem Fenster hochrechteckiges Bildfeld Sündenfall, ganz rechts außen hochrechteckiges Bildfeld Evangelist Markus in roter Beschlag- und Rollwerkrahmung, unmittelbar darunter schwarz aufgemalte einzeilige Beischrift (IX). An allen vom Altbestand übertragenen Wandmalereien sind mehr oder weniger starke restauratorische Eingriffe merkbar, die Wappenbeischrift(en) III waren jedoch sichtlich bereits zuvor so stark beschädigt, dass sie keine Retusche oder Nachzeichnung mehr erfahren haben.

Bu. ca. 4 cm (I–III), ca. 5–6 cm (IV und V), ca. 20 cm (VI), ca. 10 cm (VII–IX). – Fraktur (I–III) und Kapitalis (IV, V, VII–IX).


Textedition
			

I. Golliat II. Dauidta) III. Hanns [– – –]ndtinb) / [– – – IV. S(ANCTVS)c) · MATHEVS V. INRI VI†. 15//[..]d) VII. LVCAS XV VIII. S(ANCTVS)c) · LVCAS IX. S(ANCTVS)c) · MARCVS

Anmerkungen
a) über u zwei Quadrangeln als diakritische Zeichen.
b) Hanns etc. unter dem linken Wappenschild; [– – –]ndtin unter dem rechten; ursprünglich vielleicht als zwei getrennte Wappenbeischriften zu lesen.
c) Trennzeichen quadrangelförmig.
d) Unterbrechung durch das Fenster.

Wappen: Märck (?)5), unbekannt6), Österreich (Bindenschild).


Kommentar

Die Adaptierung des Gebäudes und seine unter Wiederverwendung der alten Wandmalereien neu angefertigte Fassadendekoration werfen mehrere Fragen zur Besitzgeschichte auf. Auf den ersten Blick scheint das rechts des Tors aufgemalte Wappenfeld mit Bauinschrift des Hans Märck (s. Anm. 2) einen eindeutigen Hinweis darauf zu geben, dass die beiden unmittelbar aneinander gebauten Häuser Nr. 26 (s. Kat.-Nr. 216) und 27 um 1590 einen gemeinsamen Besitzer hatten, der beide Objekte mit einer umfassenden gemalten Fassadendekoration versehen ließ. Allerdings macht stutzig, dass die auf dem Gemeindehaus angebrachte vorgeblich historische Bauinschrift ein fast wörtliches, jedoch verkürztes Zitat der Bauinschrift des Nebenhauses Nr. 26 (Kat.-Nr. 216, Inschrift IV) darstellt. Dagegen entspricht das unmittelbar darüber abgebildete Wappen (eine Hausmarke) nicht dem am Nebenhaus durch Wappenbeischrift (Kat.-Nr. 216, Inschrift III) eindeutig als das Märcksche zu identifizierenden Wappen, sondern dem dort neben dem Wappen des Bauherren wiedergegebenen Wappen von dessen Frau Christina Han (die identische Hausmarke). Allerdings hat die Tiroler Landesregierung der Gemeine Ladis 1975 ein Wappen verliehen, dessen Feld 4 die Hausmarke des „Hans Markl“ als des „Erbauer[s] des prachtvollen heutigen Gemeindehauses“ zeigt7). Dagegen ähnelt das – sichtlich von restauratorischen Eingriffen betroffene – linke Wappen mit schwer beschädigter Beischrift am Gemeindehaus (Inschrift III) tatsächlich mit gewissen, vielleicht der Manipulation des Restaurators zuzuschreibenden Abweichungen dem Märckhschen Wappen des Hauses Nr. 26; allerdings lässt sich das rechte Wappen am Gemeindehaus nicht identifizieren; die fragmentierte Beischrift erlaubt jedoch auszuschließen, dass es sich um ein Wappen von Märcks Ehefrau Christina Han handeln könnte. Ob die heute „nach altem Vorbild“8) ausgeführte Kombination von Wappenschild mit Hausmarke und Bauinschrift auf Hans Märckh dem ursprünglichen Befund entspricht, ist unklar. Ob Märck um 1590 tatsächlich Besitzer beider Häuser, heute Nr. 26 und 27, war bzw. ob ihm die Hausmarke als Wappen zuzuordnen ist, muss fraglich bleiben.

Immerhin lässt sich die Entstehungszeit der Wandmalereien am Ladiser Gemeindehaus durch die offenkundigen stilistischen Parallelen zu den datierten Wandmalereien des Hauses Nr. 26 eingrenzen. Die im Dehio-Handbuch vorgeschlagene Datierung in das späte 16. bzw. das 17. Jahrhundert9) kann angesichts der Inschrift VI† wenigstens auf vor 1600 präzisiert werden, eine annähernde Gleichzeitigkeit mit der malerischen Ausstattung des Nebenhauses darf also vermutet werden. Damit ergibt sich eine näherungsweise Datierung um 159010). Der die Vierzahl der Evangelisten der Wandmalereien vervollständigende Hl. Johannes scheint sich ursprünglich an der 1968 abgetragenen rechten Kante der Giebelmauer befunden zu haben.

1) S. Klien, Beinahe 1000 Jahre 189 und vgl. den fehlerhaften Hinweis auf einen kompletten Neubau des Gebäudes bei Dehio Tirol 452. Eine entsprechende Inschrift an der hangseitigen Giebelfassade direkt unterhalb der Firstpfette referiert die Daten: Fresken abgen. 1968 / appli. 1971/72 / rest. 2000.
2) Die Inschrift in Fraktur lautet Hanns Märckh hatt Erpaudt · / Das haus ·. Zu Text und Wappen s. ausführlich Kommentar. Während in der Abb. bei Klien, Beinahe 1000 Jahre 187, das alte Wappen als solches gut erkennbar ist, lässt die Aufnahme über den ursprünglichen Schriftbestand doch keinen Schluss zu.
3) Die den Sänger umgebenden Tiere scheinen die Deutung der Figur durch Ammann, der hier Orpheus erkennen will, zu bestätigen; Ammann, Oberland 204. Der Bearbeiter des Dehio tendiert hingegen zu einer Identifizierung mit David; Dehio Tirol 452.
4) Bei Ammann, Oberland 204, wohl irrig als Symbol des Sternbildes Wassermann gedeutet.
5) Gespalten; rechts ein Löwe, in der rechten Pranke eine ausgerissene rote Pflanze mit drei rohrkolbenartigen Blüten (?), links eine ausgerissene rote Pflanze mit drei rohrkolbenartigen Blüten (?); Stechhelm mit dem Löwen des Schildes als Helmzier. Ammann, Oberland 204, interpretiert das Wappen als jenes des Hans Märckh, doch weicht es erheblich von dem am Nebengebäude, Nr. 26, gut erhaltenen Wappen ab (s. Kat.-Nr. 216). Verunklärende restauratorische Eingriffe im Bereich der Wappen sind offensichtlich zusätzlich in Rechnung zu stellen.
6) In Silber (de facto jedoch wohl bloß vollständige Reduktion der originalen Farbschicht) ein blauer Schräglinksbalken; Spangenhelm mit drei Rohrkolben (?) als Helmzier.
7) S. Klien, Ladis 8f.
8) Klien, Beinahe 1000 Jahre 186.
9) Dehio Tirol 452.
10) Die anhand der Ähnlichkeiten zwischen der angeblichen Hausmarke Märckhs und dem Steinmetzzeichen am Fließer Taufstein vorgeschlagene Identifizierung des in der (modernen!) Inschrift am Ladiser Gemeindehaus genannten Hans Märckh mit dem anonymen Steinmetzen des 1523 datierten Fließer Taufsteins, die Klien vornimmt, erscheint nach aller Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen; Klien, Beinahe 1000 Jahre 186–207. Aus der Identifizierung des am heutigen Gemeindehaus genannten Hans Märckh mit einem 1523 tätigen Steinmetzen leitet Klien jedoch weiters kurioserweise ab, dass der am ehemaligen Gasthaus Rose zu 1590 genannte (tatsächlich mit dem vorgenannten identische) Hans Märckh ein gleichnamiger „Enkel oder Neffe“ gewesen sein; Klien, Beinahe 1000 Jahre 197.
Literatur

Ammann, Oberland 204. – Dehio Tirol 452. – Klien, Beinahe 1000 Jahre 186–207.



Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser

Zitierregel:
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte, ges. u. bearb. v. Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser (Die Deutschen Inschriften 82. Band, Wiener Reihe 7. Band, Teil 1) Wien 2013, Kat. Nr. 217,
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Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
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Schlagworte
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Abbildungen

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Abb. 148: Fassadendekoration
(um 1590?) Detail
©  ÖAW, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Werner Köfler)