Inschrift-logo

  Suche         Druck     Hilfe  

 

Die Inschriften des Bundeslandes Tirol

Politischer Bezirk Imst

106 Stams, Stiftssammlung (1631–1638)

Portrait des Abtes Paul II. Gay, Öl auf Leinwand, in der Klausur im Obergeschoß. Hochrechteckiges Gemälde in modernem schlichten vergoldeten Rahmen als letzter Teil einer 25 Objekte umfassenden Reihe mit Abtbildern. In an allgemein geläufigen Bildvorwürfen des göttlich inspirierten schreibenden Heiligen orientierter Dreieckskomposition Hüftbild des stehenden tonsurierten bärtigen Abtes in Kukulle, zu dem in der rechten oberen Ecke sichtbaren Kruzifixus aufblickend und in ein auf einem Tischchen in der rechten unteren Ecke liegendes, mit der linken Hand geöffnetes Buch mit der hoch erhobenen Feder in der Rechten schreibend. Hinter dem Buch, dessen linke Seite siebenzeilig schwarz auf weiß beschriftet ist (I), unterhalb des Kruzifixus, ist die Mitra abgesetzt, das Pedum lehnt über der linken Schulter des Abtes. Über die Tischkante dem Betrachter entgegengebogen eine in das aufgeschlagene Buch eingeklemmte und über ein weiteres, zugeschlagenes Buch mit schwarzem Einband hängende zehnzeilig schwarz auf weiß beschriftete Schriftrolle (II). Im oberen Bilddrittel Ausblick durch zwei Fensteröffnungen zu beiden Seiten eines Pfeilers, auf den links ein kleiner Wappenschild unter Mitra, von Pedum schräg hinterlegt, aufgemalt ist. Unmittelbar links oberhalb des Wappenschilds befindet sich ein mit dreizeilig schwarz auf weiß aufgemalter Wortdevise beschrifteter, illusionistisch gemalter querrechteckiger Papierstreifen, der mit ebenso illusionistisch gemalten Tropfen aus rotem Siegellack auf der Leinwandoberfläche „aufgeklebt“ ist (III). Der Ausblick in der linken oberen Ecke zeigt vor gebirgigem Hintergrund eine nicht klar zu erschließende Szene: großes (Kirchen-?) Gebäude, dessen linker Teil ohne Dachwerk ist, auf dem Mauerkranz mehrere Personen sichtbar, im Vordergrund eine große Volksmenge (Brand der Stamser Pfarrkirche 1593?). Analog dazu in der rechten oberen Ecke, unmittelbar neben dem Kruzifixus, Szene der Weihe (bzw. des Aufziehens) der Glocken des neuen Geläutes der Stamser Pfarrkirche zu Jahresende 1637 (vgl. Kat.-Nrr. 97†, 98†, 112† und 116†). Die am Unterrand vierzeilig schwarz auf weißem Grund aufgemalte Inschrift des 18. Jahrhunderts überdeckt die ursprüngliche und somit verlorene erklärende Beischrift1). Die Inschriften (besonders II und III) haben wohl im 18. oder 19. Jahrhundert eine den originalen Schriftcharakter stellenweise beeinträchtigende restaurierende Überarbeitung erfahren.

Bu. 1–1,2 cm (I–III). – Kapitalis (I) und Minuskelantiqua (I–III).


Textedition
			

I. [V]ERE PRVDENS EST QVI / OMNIA TERRENA ARBITRA/TVR VT STERCORA VT CH͜RI/STVM LVCRIFACIAT. VERE / DOCTVS EST, QVI DEI VOLV(N)/TATEM FACIT, ET SVAM RE/LINQVIT, D(ivus) Thom(as) De Kemp(is) II. Iustitia est ani[mi] / libertas, tribuens / vnicuiq(ue) su[a]m pro/priam dignitatem / maiori reuerentia[m] / a͜equali concordiam, mi-/nori disciplinam, Deo / obedientiam, sibi [san]-/ctimoniam, ini[mico] / parientiama), S(anctus) An[selmus] / Cb)[– – – III. Qua͜ eritec) primum Regnum Dei (et) iusti[tiam] / ejus (et) haec omnia adjcientur vobis / Math(eus) 6

Anmerkungen
a) sic! fälschlich restauriert statt patientiam
b) Ergänzung der letzten Z. unklar; wohl einstmals analog zu Is. I die Herkunftsangabe Cantuariensis.
c) Anfangsbuchstabe vergrößert.

Wahrlich klug ist jener, der alles Irdische für nichtig ansieht, um Christus zu gewinnen. Wahrlich gelehrt ist, der Gottes Willen tut und seinen (eigenen) zurückweist. Hl. Thomas von Kempen (I). Die Gerechtigkeit ist die Freiheit des Geistes, die einem jeden seine Würde zugesteht: dem Größeren die Ehrfurcht, dem Gleichen die Eintracht, dem Geringeren die Unterweisung, Gott den Gehorsam, sich die Heiligkeit, dem Feinde die Geduld. Der Hl. Anselm (II).
Fragt zuerst nach dem Reich Gottes und der Gerechtigkeit, und alles andere wird euch dazugegeben (III).

Thomas von Kempen, De imitatione Christi, lib. 1, cap. 3/6 (I); nach Mt 6,33 (III).


Kommentar

Zu den Stamser Äbtebildern s. ausführlich Kat.-Nr. 99, zu Gay s. Kat.-Nr. 107. Inschrift II folgt in der Zuschreibung einer tatsächlich schon im Mittelalter allgemein geläufigen Sentenz an Anselm von Canterbury einer gängigen frühneuzeitlichen Usance. Meist wird die Passage explizit als Zitat aus Anselms „Cur Deus Homo“ ausgegeben, in welcher Schrift sie jedoch nicht enthalten ist2).

1) Die Is. lautet: PAULUS II. GAY, Oenipontanus, electus 9 Jun(ii) an(no) 1631. Piißimus / a͜eque ac doctißimus vir, disciplina͜e regularis, (et) jurium Monasterii restitu/tor: sed non in omnibus a͜eque felix fuit. Scripsit Chronica, Commentarium / in DANIELEM, (et) alia multa egregie. Obiit, ut vixit, piißime 25 Maji an(no) 1638.
2) Als angebliches Anselm-Zitat ist sie etwa auch in Mignes Edition der kommentierten Benediktsregel angeführt, s. Benedikt, Regula 232 und vgl. dagegen Anselm, Cur Deus Homo.
Literatur

Tinkhauser/Rapp, Beschreibung 3, 314. – 700 Jahre Stift Stams 216 (Abb.). – Ammann, Kat.-Nr. 22.40 (Abb.). – Schmitz-Esser, Inschriften (2003) 103.



Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser

Zitierregel:
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte, ges. u. bearb. v. Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser (Die Deutschen Inschriften 82. Band, Wiener Reihe 7. Band, Teil 1) Wien 2013, Kat. Nr. 106,
URL: hw.oeaw.ac.at/inschriften/tirol-1/imst/tirol-1-obj106.xml

Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
Schlagworte
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol  Politischer Bezirk Imst  Stams, Stiftssammlung   •  Portrait  •  Öl auf Leinwand  •  Kapitalis  •  Minuskelantiqua  •  Anselm von Canterbury  •  Gay, Paul  •  Canterbury  •  Innsbruck

Abbildungen

 zum Vergrößern anklicken
Abb. 85–87: Portrait des Abtes
Paul Gay (1631–1638)
und Details

 zum Vergrößern anklicken

 zum Vergrößern anklicken

©  ÖAW, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Werner Köfler)