Die Inschriften des Bundeslandes Tirol
Politische Bezirke Imst, Landeck und Reutte
3. Der Personenkreis und seine soziale Gliederung
Die soziale Position der Auftraggeber der in der vorliegenden Edition gebotenen Inschriften
unterscheidet sich je nach Inschriftengattung stark; zudem konzentrieren sich bestimmte soziale
Schichten auf einzelne Orte innerhalb des Bearbeitungsgebiets, in denen die jeweilige Personengruppe
ihre ökonomischen oder kulturellen Zentren besaß.
Einmal mehr ist das Stift Stams ein gutes Beispiel für diese Zentrenbildung mit der Entstehung
einer einigermaßen homogenen Gruppe von Auftraggebern und Errichtern epigraphischer Denkmäler.
So lassen sich die Tiroler Landesfürsten naheliegenderweise vorrangig hier an ihrer Grablege
fassen; neben ihren Grabinschriften76 selbst sind sie in Form ihrer zahlreichen dem Kloster
gestifteten Kunstwerke präsent, unter denen nur der sogenannte „Feldaltar“ Erzherzog Maximilians
III. hier hervorgehoben sei (Kat.-Nr. 82). Nur vereinzelt lassen sich auch im restlichen Oberland
landesfürstliche Inschriften belegen. An der Ehrenberger Klause ist eine Gedenktafel Erzherzog
Maximilians III. von 1609 (Kat.-Nr. 320), am Fernsteinpass war einstmals eine Inschriftentafel
Karls V. und Ferdinands I. angebracht (Kat.-Nr. 48), und eine Glocke in Barwies (Mieming)
aus dem Jahr 1617 weist eine Stifterinschrift von Karl von Burgau, dem Sohn Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol, auf (Kat.-Nr. 81). Die landesfürstliche Herrschaft lässt sich im epigraphischen
Material also vor allem an drei Typen von Orten fassen: An der landesfürstlichen Grablege in
Stams, die auch die reichsten Stiftungen der Landesfürsten auf sich vereinen konnte, an den
strategisch wichtigen Punkten des Landes, namentlich der Ehrenberger Klause als Grenzfeste, und
an der wichtigsten Verkehrsroute des Oberlands, wo eine repräsentative Inschrift der epigraphischen
Erinnerung an die landesfürstlichen Infrastrukturprojekte des 16. Jahrhunderts die größtmögliche
Öffentlichkeit sicherte.
Der Tiroler Adel lässt sich zunächst vor allem im Umfeld der landesfürstlichen Grablege nachweisen.
So gehören Inschriften der Milser, Ebener und Rubeiner zu den älteren Stamser Inskriptionen.
Später folgten jüngere Geschlechter, die vor allem um 1400 den älteren Familien
Konkurrenz machten. Zu diesen gehören etwa die Freiberger, aber auch rittermäßige bzw. niederadelige,
im Umfeld von Nordtirols Städten aufgestiegene Bürger wie Mitglieder der Familie
Steinhauser, die als Salzmaier in Hall zu einiger Bedeutung gelangten. Ohne eine Familiengrablege
im Stift zu besitzen, lassen sich auch einzelne im landesfürstlichen Dienst ausgezeichnete
Adelige durch ihr Grabmonument in Stams nachweisen, wie etwa Herzog Simon von Teck
oder Sigmund von Neydeck, der Mundschenk Maximilians I. Auch die Familien landfremder
Adeliger, die Tirol besuchten und hier (etwa im Exil) starben, traten als Stifter von Grabmonumenten
in Stams auf, wie es etwa im Falle von Johann Fugger 1633 geschah77.
Außerhalb von Stift Stams kennen wir nur relativ wenige epigraphische Denkmäler des landständischen
Adels oder des reichen Bürgertums, was wohl durch die wenig einträglichen Herrschaften
und die Absenz größerer Städte bedingt ist. Lediglich auf den Burgen des Oberlands und
vereinzelt auch im Bestand verschiedener Pfarrkirchen lässt sich diese Gruppe von Auftraggebern
(etwa in Form von beschrifteten Bildfenstern78) deutlicher fassen.
Dass der Adel im Oberland durch die Wahrnehmung des Kirchenpatronats durchaus weitgehend
präsent war, zeigen etwa die Taufsteine in zahlreichen Pfarrkirchen79. Insbesondere jene des
frühen 16. Jahrhunderts wurden von den einflussreichen adeligen Geschlechtern gestiftet, die dort
auch ihre Wappen einmeißeln ließen. Unter diesen Familien finden sich beispielsweise die Wolkensteiner,
die ansonsten in den Inschriften des Oberlands kaum greifbar werden. Allerdings
lassen sich auf den Taufsteinen auch besonders früh bereits Stifter greifen, die nicht dem Adel
angehörten, wie der Fall des in den Quellen nicht näher greifbaren, aber offenbar nicht-adeligen
Hans Waltl um 1403 in Serfaus zeigt (Kat.-Nr. 124).
Dort, wo adelige Familien auch über feste Ansitze verfügten, stoßen wir auch vermehrt auf
entsprechenden epigraphischen Niederschlag. So sind die Herren von Hoheneck in Vils mehrfach
präsent, und nicht zuletzt deren Grabplatten in der Pfarrkirche erinnern an die ehemalige Familiengrablege
in der Kirche80. Auch die Schrofensteiner Grablege in Landeck hat in der dortigen
Pfarrkirche ihre Spuren hinterlassen, und weiters ist die Familie Ifan hier als Stifter zu belegen81.
Als Auftraggeber treten die an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert bei Landeck reich begüterten
Schrofensteiner auch im Falle des ehemaligen Altars der Burgkapelle Landeck auf, der
heute im Meraner Stadtmuseum aufbewahrt wird (Kat.-Nr. 174).
Auf den Burgen selbst haben sich inschriftliche Spuren mehrerer adeliger Geschlechter erhalten,
wenngleich nur mehr wenige epigraphische Denkmäler vor Ort so eindringlich der jeweiligen
adeligen Familie gedenken wie im Falle der Mülinen eine Bauinschrift auf Burg Berneck im
Oberen Gericht (Kat.-Nr. 128). Von der Ausstattung der Oberländer Herren- und Rittersitze
haben sich auch noch museal zahlreiche Reste erhalten. So verweisen die heute im Tiroler Landesmuseum
Ferdinandeum aufbewahrten Wappenscheiben aus der Ruine Sigmundseck und der
Rieder Pfarrkirche auf das Geschlecht der Wehinger (Kat.-Nrr. 172, 176 und 188f.). Aus dem
Rieder Bestand stammen auch die vom königlichen Zeugmeister Hans Ott von Achterdingen und
seiner Frau gestifteten Bildfenster (Kat.-Nr. 178f.). Zu den zahlreichen erhaltenen Glasgemälden
adeliger Stifter gehören schließlich auch die vier Bildfenster aus dem 16. Jahrhundert in der Pfarrkirche
von Haiming, die Mitglieder der Familie Frundsberg als Pfleger der nahegelegenen Burg
Petersberg stifteten (Kat.-Nrr. 45 und 50). Aus Finstermünz haben sich Scheiben der Familie
Gräfinger von 1608 erhalten (Kat.-Nr. 234f.); die Wappengrabplatte eines Mitglieds dieser Familie
von 1598 befindet sich im nicht weit entfernten Nauders (Kat.-Nr. 222). Einzelne Grabplatten
haben auch die Familien Spaur in Ried (Franz von Spaur, gest. 1551; Kat.-Nr. 190) und Colaus
in Tarrenz (Georg von Colaus, kaiserlicher Rat und Pfleger zu Starkenberg, gest. 1556; Kat.-Nr.
53) hinterlassen.
In den Inschriften der Grabdenkmäler stößt man, wie eben bereits angedeutet, auf die Familien
der Pfleger der Oberländer Herrschaften, wie dies bei der Grabplatte der Margarethe von
Weichs in Imst von 1494 (Kat.-Nr. 29) oder den Grabdenkmälern des Leonhard Gienger von
1588 in der Landecker Pfarrkirche der Fall ist (Kat.-Nrr. 210f.). Hier wird an der Wende zum 17.
Jahrhundert der Übergang vom Niederadel zu jenen Familien des Oberlands, die durch die lukrative
Tätigkeit als Gastwirte und Salzfaktoren reich geworden sind, zunehmend fließend, wie
etwa das Grabdenkmal der Familie Zeiler von 1628 in Breitenwang zeigt (Kat.-Nr. 333).
Eine durchaus rege Stiftungstätigkeit ging auch vom Oberländer Klerus aus. Zur Überlieferung
in Stams wurde ja bereits angemerkt, dass sich im Umfeld der Zisterze nur wenige Grabdenkmäler
der Mönche erhalten haben82. Allerdings treten die Konventualen mitunter als Stifter von
Kunstwerken hervor, wie dies etwa bei den „Defensoriums“-Tafeln von einem Mitglied des
Stamser Konvents aus der Haller Bürgerfamilie Heuberger der Fall ist (Kat.-Nr. 17). Ein im Stiftsmuseum
aufbewahrtes Bergkristallkreuz von 1595 stiftete hingegen ein auswärtiger Ordensmann
unbekannter Herkunft (Kat.-Nr. 66). Der heute in der Kapelle von Windfang aufgestellte Altar
von 1608 gehörte ursprünglich vielleicht zur Ausstattung der Privatkapelle von Abt Melchior
Jäger (Kat.-Nr. 77†). Auch außerhalb des Klosters lässt sich mit der neuerlichen Blüte der Zisterze
im 17. Jahrhundert eine zunehmende Stiftertätigkeit der Stamser Äbte feststellen: So stiftete
1633 Abt Paul Gay für die Kapelle Larchet in Haiming einen neuen Altar (Kat.-Nr. 94).
Als Stifter treten auch Weltpriester wie Pfarrer vereinzelt auf, was sich etwa für einen Altar
in der Leonhardskapelle in Nauders von 1651 belegen lässt (Kat.-Nr. 258). Nur selten sind im
Oberland dagegen Grabdenkmäler von Klerikern greifbar. Im Bezirk Reutte gibt es einige wenige
Beispiele, so etwa das kopial überlieferte Grabdenkmal des Pfarrers Hans Wörz von 1519 in
Breitenwang (Kat.-Nr. 296†) oder die bei der Öffnung der barocken Gruftanlage der Vilser Pfarrkirche
zum Vorschein gekommenen zwei Grabplatten eines Vilser Pfarrers und eines Priesters aus
Vils, die beide aus demselben Jahr 1523 stammen (Kat.-Nr. 298f.).
Die nicht selten ökonomisch konsolidierte Stellung von Gastwirten, Bauern und Handwerkern
entlang des Oberen Wegs schlägt sich im epigraphischen Bestand am Ausgang des Mittelalters
und mehr noch in der Frühen Neuzeit eindrücklich nieder. Als eine Besonderheit der Tiroler
Inschriftenlandschaft können die reich bemalten Hausfassaden gelten, die seit dem letzten Drittel
des 16. Jahrhunderts an vielen Orten im Oberland entstanden83. Gerade hier wird die Bedeutung
nicht-adeliger Stiftertätigkeit für die Tiroler Epigraphik deutlich. Beispiele hierfür sind die Fassaden
des Gasthauses Stern und des Stecherhauses in Oetz (Kat.-Nrr. 60 und 75), des Platzhauses
in Wenns (Kat.-Nr. 61), des Gasthofs Rose bzw. des heutigen Gemeindehauses in Ladis (Kat.-Nr.
216f.), des Stockerhauses in Ladis (Kat.-Nr. 191 und 252) und des Hauses Niederhof Nr. 119 in
Kappl (Kat.-Nr. 250). Mit dem Richteramt der Hausbesitzer verbinden sich die Fassadenmalereien
am Haus Maisengasse 2 in Landeck (Kat.-Nr. 193) und der Wappenzyklus im Richterhaus von
Pfunds-Stuben (Kat.-Nr. 273). Auch hochspezialisierte Handwerker konnten im Oberland zu
großem Reichtum kommen, den sie durch reiche Fassadenmalereien an ihrem Haus auch weithin
sichtbar zeigen wollten, wie es das Beispiel des Grassmayrhauses in Habichen, des Stammhauses
der bekanntesten Tiroler Glockengießerfamilie, belegt (Kat.-Nrr. 91 und 95).
Zu den im späten 16. und 17. Jahrhundert etwa durch das Richteramt aufsteigenden Familien
gehören auch die Payr, die nicht nur im Personenkreis der Malereien des Richterhauses von
Pfunds-Stuben auftauchen, sondern auch ein Votivbild in der Totenkapelle von Prutz aus dem
Jahr 1586 anfertigen ließen (Kat.-Nr. 209), sowie die in Landeck tätigen Weinzirl, die sich in
mehreren Stifterinschriften für die dortige Burschlkirche um die Mitte des 17. Jahrhunderts
greifen lassen (Kat.-Nrr. 272 und 274).
Die günstige finanzielle Situation nicht-adeliger Funktionsträger und Privatpersonen belegen
zahlreiche Inschriften an deren Häusern, wie sie sich über Fenstern, an Dachbalken oder über
Türen erhalten haben oder wenigstens belegen lassen (etwa Kat.-Nrr. 76, 83, 86† und 91). Auch
auf Truhen und Türrahmen haben sich seit dem 16. Jahrhundert reiche Bauern und Wirte in der
Innenausstattung ihrer Häuser verewigt (etwa Kat.-Nrr. 67 und 69). Mitunter ist jedoch die genaue
Provenienz der heute überwiegend musealisierten Stücke nicht mehr zu eruieren84.
Im epigraphischen Bestand lassen sich immer wieder Handwerker und Künstler nicht nur in
ihren Signaturen, sondern auch als Stifter festmachen. So verewigte sich etwa der Maurer Christian
Keil aus Umhausen in der von ihm gestifteten Filialkirche Hl. Dreifaltigkeit am Kropfbühel
in Längenfeld (Kat.-Nr. 114). Ein ähnlicher Fall liegt vielleicht in der Ölbergkapelle am Kalvarienberg
in Rietz von 1660/61 vor (Kat.-Nr. 115). Als Stifter von Kirchenbauten stoßen wir im Fall
der Rochuskapelle in Biberwier auch wieder auf einen Wirt und einen Richter (Kat.-Nr. 321).
Vom ständischen Bewusstsein der Tiroler Handwerker zeugt auch eine Zunftscheibe der Zimmerleute
aus der Zeit um 1600, die wohl aus dem Gebiet von Ehrenberg stammt (Kat.-Nr. 316).
In der Beischrift zu einer gemalten Heiligenfigur in St. Vigil in Obsaurs bezeichnet sich der
Stifter des früheren 17. Jahrhunderts dezidiert als miller khnecht (Kat.-Nr. 241). Keinen Handwerker,
sondern den Bauverwalter darf man dagegen in dem zu 1437 genannten Baumeister
(buwemaister) Peter Koffel auf Burg Berneck sehen (Kat.-Nr. 129).
Nur auf den ersten Blick scheinen die Schreiber der zahlreichen in diese Edition aufgenommenen
Graffiti aus weniger privilegierten sozialen Schichten zu stammen; sie rekrutieren sich
tatsächlich aus verschiedenen Gruppen. Zwar ist das nicht nur im Tiroler Oberland (etwa Kat.-Nr.
127), sondern auch an anderen Inschriftenstandorten in Tirol mehrfach nachgewiesene Standard-
Formular eines Anwesenheitsvermerks, Hic fuit, nicht wesentlich von dem heutigen „Here was“
zu unterscheiden; doch bereits die Überlegung, dass das Schreiben in Spätmittelalter und früher
Neuzeit nur einer relativ kleinen Gruppe entsprechend gebildeter Personen möglich war, entlarvt
diese Parallelisierung als zu kurz gegriffen. Schon der einfache Umstand, dass sich praktisch
keine Frauen als Schreiberinnen spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Graffiti in Tirol greifen
lassen85, zeigt die soziale Selektion innerhalb der Inschriftenschreiber. Wenn 1515 in der
Kapelle St. Georgen ob Tösens auch ein Ioannes de Sancto gallo seinen Namenszug schreibt, so
verrät dies zudem seine wenigstens rudimentären lateinischen Sprachkenntnisse (Kat.-Nr. 157).
Allerdings kommt das Phänomen der Graffiti erst seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in
Tirol auf, was durchaus mit der Erweiterung jenes Kreises von Laien zusammenhängen muss, der
das Lesen und Schreiben beherrscht. Dabei stoßen wir jedoch auf das Problem, dass die oft sehr
kurz gehaltenen Graffiti nur selten Aussagen über die geographische Herkunft und den sozialen
Hintergrund der Schreiber ermöglichen. Wo dies gelingt, handelt es sich zumeist um Angehörige
städtischer Ober- und Mittelschichten. Der Vergleich mit den epigraphischen Befunden in
anderen Regionen Nordtirols unterstreicht diese Annahme: So findet sich in Frundsberg bei
Schwaz ein Sigis(mund) Sultzperger Jur(is) Doct(or), in Inschriften aus Hall in Tirol stoßen wir auf
zahlreiche Handwerker, Pfarrherren und Bürger, sowie auf Adelige aus durchaus namhaften Geschlechtern86.
Auch die Graffiti des Tiroler Oberlandes lassen sich in dieses Bild einreihen: So
finden sich etwa in der Kapelle am Fernstein die mit Rötelstift gezeichneten Wappen der Gräfinger
und Altspaur, deren Geschlechternamen ebenfalls mit Rötel ergänzt wurden (Kat.-Nr. 49).
In der Burg Berneck lässt sich dagegen der Serfauser Pfarrer Anton Gachter festmachen, der sich
hier 1578 verewigte (Kat.-Nr. 204), und 1625 nennt sich in der Rochus-Kapelle in Biberwier ein
Hans Leutl von Jnnsprugg, der zeiten des Ernbergischen Gerichtschreiber (Kat.-Nr. 329). Unter den
Schreibern der Graffiti dürfen wir auch die Wohltäter einzelner Kapellen und Kirchen annehmen,
wie ein Eintrag in der Leonhardskapelle von Nauders zu belegen scheint: Jch, Josef Jäger, als stiftter
dißes Gotshauß, 1609 Jars (Kat.-Nr. 221).
Immer wieder dokumentieren die Oberländer Graffiti die Herkunft der Schreiber aus der unmittelbaren
Umgebung des Inschriftenstandortes: So können wir in der Nauderer Leonhardskapelle
etwa einen Jakob Pach aus Mals sowie einen Hans Brenner aus Stams ausmachen (Kat.-Nr.
221). Doch neben den Einheimischen begegnen auch Pilger, die einen Gutteil der Graffiti anbrachten:
So scheint eine Gruppe von Pilgern aus Cambrai ihre Spuren in der Fernstein-Kapelle
hinterlassen zu haben; ihr Reiseziel stellten sie in Form eines mit einem Pilgerstab gekreuzten
Schlüssels (Rom) und eines Wappenschildes mit dem Jerusalemkreuz dar (Kat.-Nr. 51). Ähnlich
verhält es sich mit manchen Graffiti-Schreibern in St. Vigil in Obsaurs, die aufgrund der frommen
Sprüche recht eindeutig als Pilger auszumachen sind87; auch hier finden sich Kreuze und Stäbe
bei den Graffiti (Kat.-Nr. 196). Unter den explizit genannten Herkunftsorten von Graffitischreibern
finden sich beispielsweise auch Freising und St. Gallen (Kat.-Nrr. 40 und 157), doch
kann in diesen Fällen der Reisezweck des Pilgerns nur unterstellt werden. Die soziale Stellung
dieser Pilger lässt sich nur schwer abschätzen, aber wahrscheinlich handelt es sich den Namensnennungen
zufolge nicht um Adelige.
Besonders aufschlussreich werden die Namensnennungen der Graffitischreiber dagegen dann,
wenn die Person des Schreibenden besser greifbar wird. Dies gelingt im Oberland etwa in
Nauders, wo ein Joannes de Bamberga für 1515 zu fassen ist; die in der Nähe des Namens angebrachte
und auf 1515 datierte Inschrift mit dem aristotelischen Ens mobile legt eine Identifizierung mit
dem Franziskaner Johannes von Bamberg nahe (Kat.-Nr. 161). Bedenkt man die Anziehungskraft
Italiens und gerade Roms für die gebildete Elite nördlich der Alpen an der Wende vom 15. zum
16. Jahrhundert, kann es freilich nur wenig überraschen, dass wir in den Graffiti Tirols einen
weiteren Anhaltspunkt für den intellektuellen Nord-Süd-Transfer der Humanisten vorfinden.
Werner Köfler, Romedio Schmitz-Esser
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte, ges. u. bearb. v. Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser (Die Deutschen Inschriften 82. Band, Wiener Reihe 7. Band, Teil 1) Wien 2013, 3. Der Personenkreis und seine soziale Gliederung,
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