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Die Inschriften des Bundeslandes Tirol

Politischer Bezirk Reutte

283 Holzgau, Pfk. Mariä Himmelfahrt 1435–1439

Taufstein mit Stifterinschrift, in Resten polychromierter Kalksandstein, an die Nordwand des Vorraumes angestellt und in diese teilweise eingemauert. Früher soll der Stein in der nahe gelegenen Sebastians-Kapelle gestanden haben1); bei seiner Überführung in die Pfarrkirche scheint zunächst mehr als die Hälfte des Steines eingemauert gewesen zu sein, was die Feuchtigkeitsschäden am rechten Ende der heute lesbaren Inschrift erklärt. Die annähernd halbkugelförmige Schale trägt eine am Oberrand umlaufende, vertieft erhaben ausgeführte Inschrift zwischen zwei begrenzenden schmalen Leisten, darunter schließt ein breiter Fries aus vollrunden Medaillons mit verschiedenen Ornamenten (Zirkelschlagrosette, eine nach links stehende Ziege [oder Agnus Dei?] mit Rosette über dem Rücken, die Halbfigur eines Bischofs [?] mit Mitra und Stab, Mond, Sonnenrad sowie ein Vierpass) an, die Zwickel sind mit rautenartig stilisierten Dreiblättern gefüllt. Am Übergang von der Schale zum einfachen zylindrischen, weitgehend vermauerten Schaft ein unregelmäßiger Dreipassfries. Die noch gut erkennbare, zweifellos nicht originale Polychromierung umfasst durchwegs weiße Nullflächen und rote erhabene Flächen, nur die Buchstaben sind schwarz, die Blätter in den Zwickeln grün gefasst.

Bu. ca. 9 cm. – Gotische Minuskel.


Textedition
			

+ disena) stainb) batc) gema(cht) anno d(omi)ni m cccc xxxvd) [– – –] escunde)

Anmerkungen
a) am Beginn der Is. ein gedrungenes Tatzenkreuz.
b) Abstand von etwa einem Schaft zwischen st und ain.
c) sic! für hat.
d) v nur noch schwach zu erkennen; danach ist die Is. auf eine Länge von etwa 65 cm eingemauert.
e) nach e ein offenbar in den Oberlängenbereich ragender Schaft, dessen oberes Ende beschädigt ist, danach ein c, das nur die oberen zwei Drittel des Mittelbandes einnimmt.


Kommentar

Der Stein von Holzgau steht in Gestaltung und Dekorformen dem Taufstein von Elbigenalp (vgl. Kat.-Nr. 284) sehr nahe. So besitzen beide Steine ein umlaufendes Inschriftenband am oberen Rand und sind mit mehreren reliefierten Medaillons ähnlichen Inhalts verziert. Interessant sind die Abweichungen der nahezu gleichzeitig entstandenen Taufsteine: Während die Inschrift in Elbigenalp eingehauen und in Latein verfasst ist, zeigt der Stein von Holzgau eine erhaben ausgeführte Inschrift in deutscher Sprache. Trotz dieser Unterschiede belegen die beiden einander so ähnlichen Taufsteine die äußerst engen Beziehungen zwischen „oberer“ und „niederer Pfarre“ im Lechtal (Holzgau und Elbigenalp). Die Holzgauer Kirche war erst 1401 zum Sitz einer eigenen Pfarre erhoben worden, deren Gebiet ursprünglich zur Pfarre der Nikolaus-Kirche in Elbigenalp gehörte2).

Zur Datierung des Steines aus Holzgau kann man aufgrund des Inschriftenbefundes einen Entstehungs­zeitraum zwischen 1435 und 1439 annehmen, da die lateinische Datierung bis xxxv lesbar ist und nun nur noch i folgen können3).

Die auf den Steinen von Holzgau und Elbigenalp begegnende archaisch wirkende Ornamentik mit Tier- und Blütenmustern lässt sich auch auf älteren Taufbecken nachweisen; ein Beispiel aus dem Tiroler Raum wäre etwa das Taufbecken aus der Bozner Domkirche, das wahrscheinlich ins 13. Jahrhundert datiert4).

Die recht klobige Inschrift weist den Ausführenden als nur mäßig in der Anfertigung von Gotischer Minuskel routiniert aus. So rutscht etwa der Bogen des b (fälschlich für h) deutlich unter die Oberlinie des Mittelbandes, werden freie Schaftenden an der Grundlinie einmal nach rechts umgebogen, enden ein anderes Mal in einem Quadrangel. Ganz unterschiedlich fällt auch die Umsetzung der meist nur einfach gebrochenen Verbindungsbögen an der Oberlinie des Mittelbandes aus. Vielleicht hatte der Steinmetz auch eine von anderer Hand auf die Steinoberfläche aufgemalte Vorlage umzusetzen; so wirkt der Beginn des anno (a mit extrem weit nach oben reichendem Schaft und rechtwinkelig nach links geknicktem oberen Bogen ohne Schließung durch Haarzierstrich) eher wie die missglückte Umsetzung des fehlenden cht im vorhergehenden gema(cht).

1) Jenny, Taufsteine LX und Wallnöfer, Kunstgeschichte 184f. Doch ist die Kapelle für den auf pfarrliche Rechte verweisenden Taufstein freilich als ursprünglicher Standort auszuschließen. Vielleicht war der Taufstein im Zusammenhang mit der barocken Umgestaltung der Pfarrkirche um 1709/32 oder im Zuge des Kirchenneubaus 1860/68 in die Kapelle transferiert worden.
2) Wörle, Großpfarren 106.
3) Auch eine Datierung auf 1439 scheint damit noch möglich, da die klassisch-antike Regel, nicht mehr als drei gleiche Zahlzeichen hintereinander zu verwenden, in der Is. bereits zuvor – durchaus typisch für das 15. Jahrhundert – nicht eingehalten wurde (vier c!).
4) Vgl. Andergassen, Taufbecken 460.
Literatur

Jenny, Taufsteine LX. – Tinkhauser/Rapp, Beschreibung 5, 734. – Atz, Kunstgeschichte 620. – Wörle, Großpfarren 106. – Ammann, Oberland 159. – Dehio Tirol 343. – Wallnöfer, Kunstgeschichte 184f.



Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser

Zitierregel:
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte, ges. u. bearb. v. Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser (Die Deutschen Inschriften 82. Band, Wiener Reihe 7. Band, Teil 1) Wien 2013, Kat. Nr. 283,
URL: hw.oeaw.ac.at/inschriften/tirol-1/reutte/tirol-1-obj283.xml

Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte

Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Austrian Academy of Sciences Press

 
Schlagworte
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Abbildungen

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Abb. 175: Taufstein (1435–1439)
©  ÖAW, Institut für Mittelalterforschung, Arbeitsgruppe Inschriften (Fotograf: Werner Köfler)