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Die Inschriften des Bundeslandes Tirol

Politische Bezirke Imst, Landeck und Reutte

6. Die Inschriftenträger

An kaum einer anderen Stelle der Einleitung lässt sich anschaulicher zeigen, welche Bedeutung der Aufarbeitung der westösterreichischen und insbesondere der Tiroler Epigraphik im Rahmen der gesamtösterreichischen Inschriftenlandschaft zukommt. Schon ein erster Blick auf Tabelle 5 zeigt, dass die Verteilung der Inschriftengattungen im Tiroler Raum einen deutlichen Unterschied zur ostöster­reichischen Inschriftenlandschaft konstituiert. Stellen die Denkmäler des Totengedenkens etwa im Politischen Bezirk Krems rund 37% der Katalognummern des entsprechenden DI-Bandes110, in Wiener Neustadt gar nahezu die Hälfte111, so sind es hier im Tiroler Oberland gerade einmal knapp über 18%, was nur wenig über dem Bestand an Glocken und dem an Inschriften auf Objekten der kirchlichen Ausstattung (Altären, liturgischem Gerät etc.) liegt. Den Löwenanteil der Katalognummern machen im Oberland charakteristischerweise Inschriften an Gebäuden aus, also Wandmalereien wie Fassaden­dekorationen samt Beischriften oder inschriftlich kommentierte Wandmalereiprogramme in Kirchen; sie machen rund 31% des Bestandes aus. Kleinere Inschriftengruppen stellen die (allerdings nach Katalognummern und nicht nach Einzelinschriften gezählten) Graffiti mit rund 10%, sowie Glasmalereien und Inschriften auf profanen Einrichtungsgegenständen mit je 4,7%.

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110 DI 72, LXXVI.
111 DI 48, LIIf.
112 Zwei Inschriften wurden aufgrund ihrer doppelten Zugehörigkeit doppelt gezählt: Kat.-Nr. 182 (als Grabdenkmal und Graffito) und Kat.-Nr. 1 (als Bildfenster und Gebäudeinschrift).

6.1. Grabdenkmäler und Inschriften des Totengedenkens

Die Grabdenkmäler und Inschriften des Totengedenkens bilden im Bestand dieser Edition mit über 18% als zweitgrößte Gruppe einen durchaus beachtlichen Bestand, wenngleich ihnen, wie eben bemerkt, längst keine solch zentrale Bedeutung wie in Ostösterreich oder den meisten Inschriftenlandschaften Deutschlands zukommt113. Mit nur vier Inschriften auf Grabdenkmälern verschiedener Art vor 1400 und fünf weiteren vor 1450 setzt die Überlieferung verstärkt erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein. Dabei liegt ein auffälliger Schwerpunkt in den 1490er Jahren114. Insbesondere im späten 15. und 16. Jahrhundert dominiert unter den Typen des Grabdenkmals die Grabplatte; an ihre Seite treten im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts zunehmend andere Arten von Grabdenkmälern.

Vor einem Blick auf die hier edierten Grabdenkmäler soll noch kurz auf die spezifischen Probleme ihrer Erhaltung eingegangen werden. Offenbar blieben Grabdenkmäler nur solange bedeutsam, wie die Familie der Verstorbenen Interesse an ihrer Bewahrung zeigen konnte oder wollte; so haben sich in Stams zahlreiche Grabdenkmäler der Familie Freiberg erhalten, die auch im Barock noch lebhaftes Interesse an der alten Familiengrablege zeigte, während sich von den Grabdenkmälern der nachweislich hier beigesetzten Mitglieder der Geschlechter Liebenberg und Starkenberg auch kopial keinerlei Spuren auffinden ließen. Oft wurden Grabdenkmäler im Zuge von Baumaßnahmen zerstört; so hat sich in Stams auffälligerweise kein Grabdenkmal eines Abtes aus der Zeit vor der Barockisierung der Stiftskirche erhalten. Nicht selten wurden Grabplatten auch später sekundär verwendet, verbaut und/oder zerstört; nur selten hat man diese dann bei Restaurierungsarbeiten in jüngerer Zeit wieder aufgefunden115.

In Bezug auf die Erhaltung ist auch das Material der Grabdenkmäler von einiger Bedeutung. Der Großteil der Grabdenkmäler – so etwa alle Grabplatten, Gruftplatten und Grabkreuze – wurde aus Stein gefertigt, wobei für die meisten Grabdenkmäler mit hohem Anspruch der gut haltbare rote Marmor verwendet wurde. Nur äußerst selten fanden witterungsanfällige, schlecht haltbare Steinarten wie Kalksandstein Verwendung, was gegebenenfalls zu entsprechenden Schäden führte (vgl. etwa Kat.-Nrr. 16 und 312). Dies ist umso bedauerlicher, als die Verwendung von Kalksandstein in Tirol bereits an sich einen Hinweis auf den Willen zur Distinguierung bietet116. Bei den Epitaphien ist die Bandbreite der verwendeten Materialien etwas größer. Hier finden sich neben Steindenkmälern auch auf Holz oder Leinwand gemalte Inschriften. Die wenigen erhaltenen Totenschilde des Oberlands wurden (wie üblich) aus Holz geschnitzt. Auf die Tatsache, dass sich nur ein einziges aus Metall gefertigtes Grabdenkmal im Tiroler Oberland erhalten hat, wird im folgenden Kapitel noch hingewiesen. Ein Kuriosum stellt eine 1543 als Graffito mit Rötelstift an der Kircheninnenwand von St. Vigil in Obsaurs ausgeführte Grabinschrift dar (Kat.-Nr. 182).

113 Hier liegt – nach Stand der bisher erschienenen DI-Bände – der Anteil an Grabdenkmälern überwiegend bei über einem Drittel; vgl. ZAJIC, Inschriften 1096.
114 Ein solch eindeutiger Schwerpunkt wie im Bestand von Wiener Neustadt lässt sich (etwa für die Grabplatten) des Tiroler Oberlands nicht ausmachen; vgl. DI 48, LIII.
115 Ein Beispiel für einen solchen Fund aus dem Tiroler Oberland stellen die in der Stamser Historiographie erwähnten und 1981 anlässlich einer Restaurierung wiedergefundenen Wappensteine in der Stiftskirche der Zisterze dar, von denen der Schild des einen den Tiroler Adler, jener des zweiten einen Rautenschild zeigt; dabei könnte es sich um Teile vom Grabmal Meinhards III. handeln. Zur Diskussion um die Stamser Wappensteine vgl. SCHMITZ-ESSER, Inschriften (2003) 71; RIEDMANN, Kat.-Nr. 0.8 und 0.9; HYE, Landeswappen 25–28 und KÖFLER, Tod 55f.
116 Eine Untersuchung zur Verwendung verschiedener Steinarten liegt etwa für Hall in Tirol vor, wo sich der Sandstein überhaupt nur für ein Kirchenportal (nämlich jenes der Salvatorkirche) nachweisen lässt; vgl. dazu HOFER, Aus welchem Stein ist Hall gebaut?.

6.1.1. Typologie der Grabdenkmäler

Blicken wir zunächst auf die verschiedenen Typen an Grabdenkmälern, die im Tiroler Oberland gebräuchlich waren, und ihre zeitliche (Weiter-)Entwicklung. Dabei wird auch diskutiert werden, für welche Nutzung, welchen Zweck bzw. welchen Ort in der Kirche diese Grabdenkmäler geschaffen wurden.

Die ältesten überlieferten Grabinschriften des Bestands datieren vom Ende des 13. Jahrhunderts. Ihre metrischen Texte zierten die Gräber der landesfürstlichen Familie in Stams (Albert III. und Meinhard II.; Kat.-Nrr. 3† und 7†), wobei das Aussehen der jeweiligen Inschriftenträger aufgrund der rein abschriftlichen Überlieferung nicht oder nicht genauer rekonstruiert werden kann117. Eine weitere versifizierte Grabinschrift lässt sich auch für das ausgehende 15. Jahrhundert nachweisen (Erzherzog Sigmund; Kat.-Nr. 31†). Im literarischen Anspruch, nicht aber im Aufbau vergleichbar ist die Inschrift vom Grabdenkmal Herzog Severins von Sachsen aus dem 16. Jahrhundert, die ebenfalls nur kopial überliefert ist (Kat.-Nr. 58†). Neben diesen Beispielen sind viele weniger anspruchsvolle Grabinschriften in Prosa zu nennen, so etwa eine stark manipulierte Inschrift an der Imster Pfarrkirche, die offenbar aus dem 15. Jahrhundert stammt und auch die Berufsbezeichnung (?) und/oder den Namen des Verstorbenen als meczger nennt, also einem ganz anderen sozialen Umfeld zuzuordnen sein dürfte (Kat.-Nr. 24). Ein viel knapperes Formular benützt die Grabinschrift des Johannes Bach von 1458 in Stams: Hier werden nur der Name des Verstorbenen, der Todestag und das Todesjahr genannt (Kat.-Nr. 21). Mit Wortspielen wartet dagegen die Grabinschrift des Stiftsapothekers Lambert Statfelder von 1644 auf, die sich an der Außenwand der Stamser Pfarrkirche erhalten hat (Kat.-Nr. 108).

Das Gros der Grabdenkmäler stellen die Grabplatten dar, die zumeist mit figuralen Darstellungen der Verstorbenen oder deren Wappen verziert wurden und die zunächst stets eine umlaufende, nach innen ausgerichtete Inschrift aufweisen, was ihre ursprüngliche Funktion als Grabmarkierung und Verschluss des Grabschachtes belegt. Im Inschriftenbestand des Oberlandes lässt sich jedoch der Verlust dieser ursprünglichen Funktion bei gleichzeitiger Beibehaltung des formalen Aufbaus nahelegen; in der Frühen Neuzeit kam es dann auch zu einem schleichenden formalen Wandel in der Gestaltung der Grabplatten. Dem älteren Typus entspricht die älteste erhaltene Grabplatte des Oberlands aus dem Jahr 1348, zugleich eine der frühesten figuralen Grabplatten des gesamten Tiroler Raums118. Hierbei handelt es sich um einen Stein, der den gerüsteten Herzog Simon von Teck mit seinem Wappenschild und Schwert in den Händen als Standfigur zeigt (Kat.-Nr. 8). Nur wenige weitere Beispiel für figurale Grabplatten lassen sich im Oberland nennen; es sind dies die Grabmonumente zweier Frauen aus der Familie Freiberg ( jene der Margarethe von Gumpenberg von 1485 im Kreuzgang von Stift Stams, der ersten figuralen Grabplatte einer Frau in Nordtirol überhaupt119, und der Anna von Grienenstein von 1538 in Untermieming; Kat.-Nrr. 23 und 46), und es liegt durchaus nahe, hier Auswirkungen einer Familientradition zu sehen, die auch auf die zweite Familiengrablege der Freiberger in der St. Anna-Kapelle des Stiftes St. Mang in Füssen wirkte120. Wesentlich häufiger lassen sich jedoch bereits seit dem 14. Jahrhundert Wappengrabplatten ausmachen, die in verschiedener Ausführlichkeit von der einfachen graphisch-linearen Darstellung des Wappens bis hin zum tiefen Relief mit ausladendem Vollwappen samt prunkvoller Helmzier und -decke das Wappen ins Zentrum der bildlichen Gestaltung setzen. Zwei der ältesten Beispiele hierfür sind im vorliegenden Bestand die Grabplatten eines Mitglieds der Familie Rubein und eines Angehörigen der Familie Freiberg (Kat.-Nrr. 10 und 14†). Bereits unter den ältesten Denkmälern dieses Typs lassen sich auch die verschiedenen Ausführungen mit graphisch-linear eingehauenem Wappen (Grabplatte des Johannes Steinhauser, um 1400; Kat.-Nr. 13) und aufwändigerem Wappenrelief (Heinrich von Gachnang, 1416; Kat.-Nr. 16) vorfinden, so dass man am skulpturalen Aufwand der Wappendarstellung weniger eine zeitliche Entwicklung als vielmehr eine Aussage über die Kosten des jeweiligen Grabmonuments und daraus mittelbar über den sozialen Status des Verstorbenen ablesen kann.

Bis auf zwei Ausnahmen stammen alle erhaltenen Grabplatten des Tiroler Oberlands bis zum letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts aus dem unmittelbaren Umfeld von Stift Stams (vgl. auch Kat.-Nrr. 19†, 22†, 27 und 33†). Erst mit dem Bestand besonders repräsentativer Grabdenkmäler aus maximilianischer Zeit, die dem Bildhauer Sebald Bocksdorfer zugeschrieben werden, finden sich auch Grabplatten außerhalb des Stifts. Dabei handelt es sich um die Wappengrabplatte der Margarethe von Weichs aus Imst von 1494 und jene des Oswald von Schrofenstein in Landeck von 1497 (Kat.-Nrr. 29 und 141). In Stams hat sich die Grabplatte des Sigmund von Neydeck aus dem Jahr 1493 erhalten, die ebenfalls Bocksdorfersche Gestaltungsmerkmale aufweist. Für die Zuschreibung dieses qualitätvollen Grabdenkmals an den produktiven Meister spricht die filigrane Ausführung des Vollwappens, in dessen Spangenhelm man die Züge eines Gesichts erkennen kann (Kat.-Nr. 27).

Auch im 16. Jahrhundert lassen sich noch Wappengrabplatten des älteren Typs aus dem 15. Jahrhundert mit Umschriften nachweisen, so etwa jene des Franz von Spaur in der Rieder Pfarrkirche von 1551 oder des Georg von Colaus in Tarrenz von 1556 (Kat.-Nrr. 190 und 53), doch in beiden Fällen handelt es sich um Ausläufer eines überlebten Typus. Bereits mit der Wappengrabplatte des Ulrich von Tux aus dem Jahr 1516 in Vils und jener der Margarethe Kleinhans von 1517 in Breitenwang setzt sich neben dem Wappen eine mehrzeilige Beschriftung quer zur Längsachse durch, was die Entwicklung hin zum an der Wand aufgestellten Epitaph belegt (Kat.-Nr. 293f.). Ähnliche Beispiele lassen sich an diesen Orten auch für 1566 und 1587 nachweisen (Kat.- Nrr. 308 und 312). Aus epigraphischer Sicht ist bemerkenswert, dass sich mit der Wappengrabplatte des Hans von Hoheneck von 1544 in Vils und jener des Wilhelm Gräfinger von 1598 in Nauders (Kat.-Nrr. 304 und 222) auch zwei Beispiele für Mischformen erhalten haben. Während die Inschrift des ersteren Grabdenkmals oben zeilenweise und unten um das Wappenrelief umlaufend gestaltet wurde, legte man in Nauders ein offensichtlich zeilenweise zu füllendes Schriftfeld in einer ansonsten konservativ mit umlaufender Inschrift versehenen Grabplatte an. Diese Tendenz zur zeilenweisen Beschriftung, die nur mehr sehr selten mit einer Umschrift kombiniert wird, setzt sich im 17. Jahrhundert endgültig durch (s. Kat.-Nrr. 245, 247, 334 und 92). Es drängt sich damit der Schluss auf, die Veränderung der Anordnung der Schrift ließe auch Aussagen zu ihrer Funktion zu: Eine zeilenweise angeordnete Inschrift ist im Interesse der Lesbarkeit zweifellos besser für eine Aufstellung der Grabplatte an der Wand geeignet als die konventionelle Grabplatte des 15. Jahrhunderts mit ihrer umlaufenden Inschrift. Tatsächlich bieten die unten näher ausgeführten Befunde für Gruftplatten und Totenschilde weitere Hinweise darauf, dass dieser Funktionswandel der Grabplatten im Tiroler Oberland schon im Zusammenhang mit deren Blütezeit in den 1490er Jahren und kurz vor diesem formalen, erstmals 1516 greifbaren Übergang hin zur zeilenweisen Beschriftung einsetzte.

Unter den Typen der Grabplatten ist abschließend noch jener der durch den Kelch gekennzeichneten Priestergrabplatte zu nennen, der sich jedoch nur in drei Beispielen – einem aus Breitenwang von 1519 und zwei weiteren aus Vils von 1523 (Kat.-Nrr. 296† und 298f.) – für das Oberland belegen lässt. Zu dieser Gruppe mag man auch den im 17. Jahrhundert zu belegenden Typ der Grabplatte mit Kreuzesdarstellung zählen: Hierbei füllt ein entweder eingehauenes oder als Metallapplikation ausgeführtes Kreuz die Grabplatte, wie es sich im Fall der in Stams beigesetzten Äbte nachweisen lässt (Kat.-Nrr. 93 und 107). Auch die in der Vilser Gruft aufgefundene fragmentierte Grabplatte einer weiblichen Verstorbenen (Kat.-Nr. 301) trug ursprünglich offenbar Metalleinlagen.

Im Tiroler Oberland haben sich nur zwei Totenschilde erhalten, die sich beide in der Landecker Pfarrkirche befinden. Dabei handelt es sich zum einen um den Totenschild des Oswald von Schrofenstein, der wie die entsprechende Wappengrabplatte wohl aus der Werkstatt Sebald Bocksdorfers stammen dürfte (Kat.-Nr. 140); unter den zahlreichen Zuschreibungen an Bocksdorfer ist diese auch aufgrund des Umstands überzeugend, dass man einen heute verlorenen Totenschild von Oswalds Frau, Praxedis von Wolkenstein, aus der Innsbrucker Pfarrkirche archivalisch diesem Meister zuschreiben kann121. Das Formular des Totenschilds gleicht stark jenem der zugehörigen Wappengrabplatte (Kat.-Nr. 141). Ein ähnlicher Befund ergibt sich auch beim zweiten Totenschild aus der Landecker Pfarrkirche, jenem des Leonhard Gienger von 1588 (Kat.-Nr. 210): Der Text des Totenschilds scheint sich auch auf der Wappengrabplatte Giengers befunden zu haben, soweit deren fragmentarisch erhaltene Inschrift diesen Schluss noch zulässt (Kat.-Nr. 211).

Noch seltener als die Totenschilde lassen sich im Oberland Gruftplatten ausmachen, und erneut stammt das einzige Exemplar von 1497 aus der Landecker Pfarrkirche: Es handelt sich dabei um die Gruftplatte aus dem dreiteiligen Ensemble der Grabdenkmäler des Oswald von Schrofenstein (Kat.-Nr. 142). Wie auch das Formular des Steins andeutet, handelt es sich hierbei um den tatsächlichen Verschlussstein der eigentlichen Begräbnisstätte; das flache Relief und die einfache Inschrift lassen kaum einen Zweifel, dass diese Platte für eine Position im Boden vorgesehen war. Am Beispiel der Schrofensteiner Grablege in Landeck stellt sich zugleich die Frage, ob eine sichere formale Unterscheidung von Gruft- und Grabplatte als Verschluss des Grabes im Boden einerseits und dem Epitaph als an der Wand angebrachtem Grabdenkmal122 möglich ist. Hier liegt mit der Gruftplatte ein Stein für den Kirchenboden vor, doch ersetzte diese nicht die formal als solche anzusprechende Wappengrabplatte für denselben Verstorbenen, die vielleicht ebenso wie sein Totenschild von vornherein bereits für die Aufrichtung an der Wand vorgesehen war; doch behielt man vorerst die althergebrachte formale Ausgestaltung der Grabplatte mit umlaufender Inschrift bei, die man jedoch bereits mit den parallel zur Unterkante angeordneten Beischriften der vier Wappen der Ahnenprobe konterkarierte. Angesichts der immer tiefer unterschnittenen Wappenreliefs – man denke an die bereits genannten Wappengrabplatten aus der Bocksdorferschen Werkstatt in Stams und Imst – scheint die Aufstellung der ansonsten ein Hindernis für die gefahrlose Begehung des Fußbodens darstellenden Grabplatte sich geradezu aufgedrängt zu haben. Dass dieser Standort- und Funktionswechsel der Grabplatte kurz vor 1500 einsetzte, scheint auch der zu Beginn des 16. Jahrhunderts einsetzende Usus der zeilenweisen Inschriftengestaltung zu belegen.

Probleme anderer Art offenbart ein Blick auf die sukzessive anwachsende Zahl von einzelnen Grabmonumenten an adeligen Familiengrablegen. Der Stamser Stiftschronist Primisser berichtet, dass die Freiberger in ihrer Kapelle so viele Grabdenkmäler („sua sepulcra et lapides sepulcrales“) aufgerichtet hätten, dass der verfügbare Raum für neue Inschriftenträger geschwunden sei; deshalb hätten sich drei Brüder der Familie entschlossen, ein gemeinsames Grabdenkmal zu errichten123. Das bemerkenswerte Grabmonument von 1456, das äußerlich einer Grabplatte ähnelt, sich aber durch sein aufwändiges Relief mit einem wilden Mann als Schildhalter mit Fahnen der Familie und mehreren, auch über die engere Ahnenprobe selbst hinausgehenden Wappendarstellungen als ein stehendes Wandmonument auszeichnet, hat sich bis heute erhalten (Kat.-Nr. 20). Ein vergleichbares Denkmal etwas bescheideneren Anspruchs, das sich jedoch formal mit seiner zeilenweisen Beschriftung durchaus nicht an zeitgleichen Grabplatten orientiert, stellt das Grabmonument der Herren von Eben dar, das trotz seiner traditionsbewussten Nennung des Jahres 1289 wohl erst um 1415 entstand (Kat.-Nr. 15).

Tumben oder Hochgräber mit Inschriften ließen sich im Oberland mit einer fraglichen Ausnahme überhaupt nicht nachweisen. Der aus konservatorischer Sicht traurige Fall einer Inschrift auf Fragmenten eines mutmaßlichen Tumbendeckels wohl des ausgehenden 14. Jahrhunderts (Kat.-Nr. 12), der im Laufe der Arbeiten zu dieser Edition zuerst entdeckt, dann aber unbedacht weitgehend zerstört wurde, ist umso schmerzlicher, als es sich um die einzigen Reste eines solchen Denkmaltyps im Bearbeitungsgebiet gehandelt haben dürfte.

Im Bearbeitungsgebiet ließen sich auch nur wenige Epitaphien nachweisen. Eine Übergangsform von der Grabplatte zum an die Wand gestellten Epitaph mit Andachtsbild stellt Jörg von Freibergs Grabmonument von 1495 in Stams dar (Kat.-Nr. 30), das neben der Wappendarstellung auch den gerüsteten Verstorbenen vor dem Schmerzensmann kniend zeigt; durch Spruchbänder wird die Unterhaltung des auf Gnade hoffenden Verstorbenen mit seinem Heiland ausgedrückt. Ein ähnliches gestalterisches Motiv – die Anrufung der Gnade Gottes in Form eines Spruchbands in den Händen des Verstorbenen – lässt sich bereits auf einer Grabplatte aus Rattenberg aus dem späten 14. Jahrhundert fassen124.

Um ein Epitaph im engeren Sinne könnte es sich bei einem verlorenen Grabdenkmal für Lienhart von Helmstorff in Pfunds-Stuben von 1566 gehandelt haben (Kat.-Nr. 195†). Erhalten haben sich dagegen ein epitaphartiges Votivbild der Familie Payr mit Wappen und langer Inschrift von 1586 in der Totenkapelle von Prutz (Kat.-Nr. 209) sowie das Grabdenkmal der Familie Zeiler am Friedhof der Pfarrkirche von Breitenwang von 1628 (Kat.-Nr. 333); in beiden Fällen findet sich neben einem Andachtsbild auch die Stifter- bzw. Beterreihe der Familie des verstorbenen Paares. Für die Aufstellung an einer Wand der Stiftskirche von Stams konzipierte man auch das Grabdenkmal des Abtes Melchior Jäger von 1616 (Kat.-Nr. 80), das neben dem Inschriftenfeld das mit einem Totenschädel unter der Mitra bekrönte Wappen des Abtes zeigt. Singulär für das Oberland ist ein wohl aus der Werkstatt des Kaspar Gras stammendes Epitaph aus Metall in der Pfarrkirche von Reutte für Kaspar Bissinger aus dem Jahr 1633 (Kat.-Nr. 335; vgl. allerdings auch die indirekten Belege in Kat.-Nrr. 58† und 301). Dies ist umso bemerkenswerter, als in Innsbruck ein potentes lokales Zentrum des Bronzegusses durchaus erreichbar gewesen wäre.

Nur in zwei Beispielen aus Schattwald lässt sich ein weiterer frühneuzeitlicher Typ von Grabdenkmälern greifen. Es handelt sich dabei um zwei offenbar voneinander abhängige Grabkreuze aus Stein von 1636, die jeweils mit einer Inschrift auf den Kreuzesarmen versehen sind (Kat.-Nr. 336f.).

117 Zur Zerstörung der Stamser Inschriften in der Fürstengruft, die vor allem durch die häufigen Umbauten in der Stiftskirche bedingt wurde, vgl. Einleitung Kap. 2.1.1.
118 Vgl. dazu KÖFLER, Tod 57f.
119 KÖFLER, Tod 58.
120 Vgl. dazu SCHMITZ-ESSER, Inschriften (2003) 86–88 und Einleitung Kap. 2.1.1.
121 TRAPP, Denkmale 52; EGG, Kunst in Innsbruck 37; EGG/TRAPP, Totenschilde 39f., 62 und 136f. Wesentlich kritischer in Bezug auf die Zuschreibungen an Bocksdorfer hingegen zuletzt MILLER, Bocksdorfer, dessen Bemerkungen zur Bereinigung des Bocksdorferschen Werkkatalogs hier aus epigraphischer Sicht noch nicht befriedigend kommentiert werden konnten.
122 DI 48, LIII–LV.
123 PRIMISSER, Annales III, cap. XXIX § 58.
124 Vgl. KÖFLER, Tod 57f. Hier findet sich auch der Hinweis auf einen ähnlichen Befund auf der Grabplatte der Anna Hofer von 1493 aus Schwaz; ebda 58.

6.1.2. Die Inschriften des Totengedenkens und ihr Formular

Das langlebige Standardformular von Grabinschriften125 als Sterbevermerk mit Namen des/der Verstorbenen und vollständiger Angabe des Sterbetages findet sich im Bearbeitungsgebiet bereits auf der Grabplatte des Herzogs Simon von Teck (Kat.-Nr. 8). Um 1400 werden dann erstmals substantivische Attribute als Erweiterung greifbar, wie etwa das saltzmaier auf der Grabplatte des Johannes Steinhauser (Kat.-Nr. 13). Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts findet sich in den Grabmälern adeliger Verstorbener ein ständisch definiertes Epitheton als Zusatz beim Namen: Zunächst ist es ein strenger ritter (Kat.-Nr. 19†), 1456 taucht in einem Denkmal der Freiberger in Stams der Zusatz edl auf (Kat.-Nr. 20). 1464 folgt in einer Grabinschrift für Parzival von Annenberg die Titulatur Edl vnd gestreng Ritter Herr (Kat.-Nr. 22†); in der Variante Edel Vnd Vest begegnet er im Jahr 1493 bei einem anderen einflussreichen Niederadeligen aus Tirol, Sigmund von Neydeck (Kat.-Nr. 27). Dass sich in diesen Prädikaten die soziale Stellung der Personen ausdrückte, zeigt recht eindrücklich die Wappengrabplatte der Margarethe von Weichs, die 1494 als die edel fraw bezeichnet wird, während ihr Mann nur herr jorig puhler genannt wird; offenbar ist sie im Gegensatz zu ihm altadeliger Herkunft und ihre Familie nicht nur durch den Dienst als Pfleger sozial aufgestiegen. Neu ist hier auch die dezidierte Nennung ihres Familienstandes als fraw witibin, dessen Lesung aufgrund der Beschädigung des Steins in diesem Abschnitt jedoch unsicher bleiben muss (Kat.-Nr. 29). Variationen der Titulaturen Edel und streng bzw. edel und fest gehören dann seit Ende des 15. Jahrhunderts und im 16. Jahrhundert zum festen Formular adeliger Grabinschriften (vgl. etwa Kat.-Nrr. 140f., 30, 33†, 294, 304, 190, 210 und 335). Seit Ende des 16. Jahrhunderts verdichtet sich dieser Titel zu Erenuest oder edlvest und wird so auch mit und firnem ergänzt (vgl. etwa Kat.-Nrr. 195†, 312, 222 und 245). Bei adeligen Frauen kann sich als Zusatz die Betonung der ehelichen Tugenden in Form eines ernsam oder thugenreich dazu gesellen (Kat.-Nrr. 46 und 308). Aus dem Formular dieser Inschriften fällt die Grabinschrift des landfremden Hans Fugger von 1633 heraus (Kat.-Nr. 92), der seinem Stand als Reichsgraf entsprechend als HOCH WOLGEBORN bezeichnet wird; seine Grabinschrift endet zudem mit dem zur Sentenz gewordenen lateinischen Bibelzitat O MORS QVAM AMARA EST AEMMORIA (!) TVA, das zwar im Tiroler Oberland singulär ist, sich aber etwa im Epitaph des Göttweiger Abtes Matthias II. von Znaim bereits im 16. Jahrhundert oder dem Epitaph des Daniel Knabl, Stadtrichters von Steyr, von 1673 fassen lässt126. Im Laufe des 17. Jahrhunderts kommt es zu einer gewissen Aufweichung der früher Adeligen beigegebenen Epitheta, wenn etwa die Mitglieder der Salzfaktorenfamilie Zeiler sich 1628 als erenvest und fürnemb oder – im Falle der Gemahlin – als Eren-Thugentreich bezeichnen (Kat.-Nr. 333). Davon abgesetzt begegnet das einfachere Erber, das sich für den offensichtlich nicht-adeligen Michael Zobel 1636 in Schattwald nachweisen lässt (Kat.-Nr. 337).

Aus den wenigen Beispielen von Grabdenkmälern für Kleriker lässt sich nur schwer eine eigene Titulatur ableiten. In den drei Beispielen des frühen 16. Jahrhunderts wird Priestern das Attribut her oder wirdig her beigegeben (Kat.-Nrr. 296† und 298f.). Die knappen Initialen FSAS für Frater Sigmund, den Abt von Schönthal, scheinen ein formularmäßiger Import aus dem dortigen Kloster zu sein (Kat.-Nr. 93), wenngleich auch die Stamser Äbte kurze Inschriften auf ihren Grabplatten bevorzugt zu haben scheinen (vgl. dazu das einzige erhaltene Fragment unter Kat.-Nr. 107). Das WOLGELERT MAISTER, das sich in der Grabplatte des Ulrich von Tux von 1516 finden lässt (Kat.-Nr. 293), dürfte sich wohl nicht auf dessen Karriere als Geistlicher, sondern eher auf sein Studium beziehen, wie auch das zweite Beispiel für eine solche Titulatur von 1622 nahe legt: Hier wird Leonhard Bernhart als EDL HOCHGELERT HERR genannt und in der Inschrift zugleich als Doktor beider Rechte ausgewiesen (Kat.-Nr. 247).

Zu den Erweiterungen im Formular der Grabinschriften gehört seit dem 15. Jahrhundert ein Segenswunsch, der erstmals auf einer Grabplatte von 1485 in der Form gott genad ir sel amen vorliegt (Kat.-Nr. 23) und der danach in verschiedenen Varianten praktisch zum festen Kanon der Grabinschriften gehört127. Dabei wird diese Formel im Laufe des 16. Jahrhunderts immer länger (etwa 1566: denen baiden der almechtig gott genedig vnd barmherzig sein wel amen; Kat.-Nr. 308). Dem Trend zu immer umfangreicheren Grabinschriften im Laufe des 16. Jahrhunderts entspricht nicht nur die ausführliche Beschreibung versehener Ämter, wie sie etwa die Grabplatte des Georg von Colaus in Tarrenz von 1556 bietet (Kat.-Nr. 53), sondern auch die in zwei Grabplatten aus Vils nachweisbare Angabe der Sterbestunde (1544: zwischen 11 vnd 12 vr imdag, 1566: vm j vr jm tag; Kat.-Nrr. 304 und 308). Auch die Nennung des Sterbealters gehört zu dieser zunehmenden Ausführlichkeit des Formulars, wie es sich auf einer fragmentarisch erhaltenen Grabplatte des 15. Jahrhunderts aus Vils oder am Grabmonument des Stamser Abtes Melchior Jäger findet (Kat.-Nrr. 301 und 80).

In zwei 1598 und 1617 datierten Grabdenkmälern aus dem Tiroler Oberland verändert sich das Formular durch Aufnahme eines Setzungsvermerkes, d. h., dass eine weitere Inschrift beigefügt wird, die den Verstorbenen als Auftraggeber des Monuments nennt (HAT ... DISEN GRABSTAIN MACHEN LASSEN bzw. noch deutlicher auf den Zweck gerichtet: HAT ... DISEN GRABSTAIN MACHEN LASSEN ZVR GEDECHTNVS; Kat.-Nrr. 222 und 245). Diese Grabdenkmäler wurden also auch nach dem Zeugnis der Inschrift selbst zu Lebzeiten des Toten durch diesen in Auftrag gegeben. Ist damit der Verstorbene bereits in den Mittelpunkt der Inschrift gerückt, so denkt die Grabinschrift für Maria Magdalena von Hoheneck in Vils von 1629 (Kat.-Nr. 334) diese Entwicklung konsequent zu Ende, indem sie überhaupt in der Ich-Form formuliert; die Wahl dieser ungewöhnlichen Perspektive dürfte wohl dadurch bedingt sein, dass es sich um das Grabmonument einer Sechzehnjährigen handelt, weshalb die Inschrift auch nicht in einer konventionellen Anrufung der göttlichen Gnade, sondern in der an die hinterbliebenen Eltern gerichteten tröstlichen Feststellung Mir ist wol endet.

Andere Abweichungen vom einfachen Formular der Grabinschriften lassen sich offenbar durch die Funktion des jeweiligen Grabdenkmals erklären. So beginnt die Inschrift auf der Gruftplatte des Oswald von Schrofenstein 1497 in Landeck (Kat.-Nr. 142) mit der Grabbezeugung hie lit begrabn, was auf die direkte Nähe zur tatsächlichen Ruhestätte des Leichnams hinweisen soll128. Eine ähnliche Formulierung fand sich bereits auf der Grabplatte des Parzival von Annenberg 1464, die eine Grabbezeugung ans Ende stellt: vnd hie begraben ligt (Kat.-Nr. 22†). In dieser Formulierung zeigt sich offenbar, dass die Grabplatte von 1464 noch die Funktion einer Grababdeckung im Boden übernahm – eine Aufgabe, die im Landecker Beispiel 1497 eine Gruftplatte übernommen hat. Allerdings bringt hier auch die zugehörige Wappengrabplatte den Zusatz Der hie begraben ligt (Kat.-Nr. 141).

Auf den zwei Grabmonumenten an Familienbegräbnissen in Stams findet sich die Erläuterung, der Stein verschließe die Grablege des jeweiligen Geschlechts, sei dies wie bei den Herren von Eben auf Latein (Sepvltvra dominorum de ebn) oder im Falle der Freiberger auf Deutsch eine begrebnus, deren Bedeutung für die Memoria der Familie noch durch die Nennung nicht nur der drei das Monument stiftenden Brüder, sondern auch von ir vater mutter vnd auch ir gemachln unterstrichen wird (Kat.-Nrr. 15 und 20).

125 Zur Entwicklung des Formulars auf Nordtiroler Grabplatten vgl. v.a. KÖFLER, Tod. Der hier genannte Typ des hochmittelalterlichen Formulars ohne Angabe der Jahreszahl lässt sich aufgrund des relativ späten Einsetzens der Überlieferung im Oberland nicht greifen.
126 Vgl. dazu ZAJIC, Grabdenkmäler 307.
127 Zur Segensformel in der Tiroler Sepulkralepigraphik vgl. auch KÖFLER, Tod 58.
128 Vgl. dazu KÖFLER, Tod 58, der vor allem auf die liturgisch-memoriale Bedeutung des Hinweises auf den konkreten Ruheort des Leichnams hinweist.

6.2. Glocken

Verglichen mit anderen Gebieten sind die Verluste an historischen Glocken im Tiroler Oberland relativ gering; von den 57 beschrifteten Glocken sind lediglich 17, also etwas mehr als ein Viertel, nur mehr kopial zu erschließen129. Überraschend ist die Verteilung der Glockeninschriften auf die drei hier berücksichtigten Politischen Bezirke. Besonders fällt die hohe Zahl an Glocken im ansonsten eher inschriftenarmen Bezirk Reutte auf. Hier stellen die Glockeninschriften ein Viertel des gesamten epigraphischen Bestandes. Absolut gesehen lassen sich fast gleich viele Glocken in den Bezirken Landeck und Reutte fassen. Deutlich bleibt dagegen der Bezirk Imst zurück, der nur rund ein Fünftel der Glockeninschriften dieser Edition stellt (vgl. Tab. 6).

Dieses Ungleichgewicht dürfte sich am ehesten durch die Nähe des Bezirks Imst zur Landeshauptstadt Innsbruck erklären lassen: Die Glockenablieferungen der beiden Weltkriege betrafen insbesondere jene Glocken, die in weniger entlegenen Gebieten aufgehängt waren und somit leichter in die Gießereien abtransportiert werden konnten. Offenbar war dies in den Bezirken Landeck und Reutte nur mit so hohem Aufwand umzusetzen, dass man den Altbestand an Glocken hier erfolgreicher bewahren konnte. Besonders schwierig war es für die Tiroler Denkmalschützer, ganze Geläute zu erhalten; dies gelang jedoch insbesondere in Tannheim im Bezirk Reutte, wo durch den Einsatz des Denkmalamtes unter Oswald Trapp das gesamte Löffler-Geläute vor der Einschmelzung zu Rüstungszwecken im Zweiten Weltkrieg bewahrt werden konnte130. Gerade von dieser Glockenaktion haben sich – wie bereits weiter oben erwähnt131 – im Landeskonservatorat für Tirol zahlreiche Fotografien und Abpausungen der abgenommenen Glocken erhalten, die u. a. die Zuordnung einer bislang weitgehend unbeachteten Glocke an die Gießerei Heinrich Reinharts ermöglichten (Kat.-Nr. 70†).

Besonders erfreulich ist es, dass mit dem Erscheinen dieses Bandes nun erstmals wesentliche Neuansätze für die Reihung der ältesten Tiroler Glocken erfolgen konnten: So gelang es nicht nur, die Lesung des bislang als älteste Glocke Nordtirols geltenden Lermooser Instruments von 1411 zu stützen (Kat.-Nr. 281), sondern aufgrund inschriftenpaläographischer Überlegungen auch noch mit einer bislang für deutlich jünger gehaltenen Glocke aus Lechaschau einen noch älteren Vorläufer im Bezirk Reutte ausfindig zu machen (Kat.-Nr. 280). Beiden Glocken gebührt jedoch nicht der Titel einer ältesten Glocke in Tirol, denn eine bislang im Wesentlichen unbeachtete Glocke aus dem Dachreiter von Stams lässt ihren Ursprung Ende des 13. Jahrhunderts vermuten; damit dürfte es sich sogar noch um eine Glocke aus dem Gründungsbestand des Klosters handeln (Kat.-Nr. 5).

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Auf die spezifischen Schwierigkeiten bei der Aufnahme von Glockeninschriften im Oberland wird später noch ausführlicher einzugehen sein132; im folgenden Abschnitt werden hingegen das Formular der Glockeninschriften, die epigraphisch fassbaren Glockengießer und Fehler bei der Ausführung gegossener Inschriften genauer betrachtet.

129 Im Bezirk Krems sind nur etwas mehr als 50% der edierten Glocken erhalten geblieben; ZAJIC, Krems LXXXIV.
130 Ein entsprechender Bericht des damaligen Landeskonservators Trapp über die Glockeneinschmelzungen während des Zweiten Weltkriegs findet sich in: TRAPP, Kunstdenkmäler 53–57.
131 Vgl. dazu Einleitung Kap. 4.
132 Zu den Schwierigkeiten bei der Aufnahme von Glockeninschriften vgl. Einleitung Kap. 8.

6.2.1. Formular der Glockeninschriften

Die Glockeninschriften sollten in den meisten Fällen die apotropäische Funktion des Glockenläutens unterstreichen. Die älteren Glockeninschriften des 15. Jahrhunderts sind zunächst nur in Latein abgefasst; danach entwickelt sich gerade auf Glocken zumeist ein Nebeneinander deutschsprachiger und lateinischer Inschriften133. In der Frühen Neuzeit erhält dabei zumeist die lateinische Inschrift einen apotropäischen Charakter, während die Gießernennung deutschsprachig abgefasst wurde. Dies kann im epigraphischen Bestand entweder durch zwei getrennte Inschriften oder durch eine in zwei unterschiedlichen Sprachen abgefasste Inschrift umgesetzt werden; dabei finden zumeist unterschiedliche Schrifttypen Verwendung, also etwa eine Kapitalis für den lateinischen, dagegen eine Fraktur für den deutschsprachigen Inschriftenteil.

Die ältesten Glockeninschriften bestehen vor allem aus einfachen Aneinanderreihungen von Heiligennamen, wobei sich die Evangelisten besonderer Beliebtheit erfreuen (Kat.-Nrr. 5, 280 und 289). Unter den ebenfalls schon für das 15. Jahrhundert belegten Anrufungsformeln findet sich mit Abstand am häufigsten eine Variation der Gebetsbitte O rex glorie Christe veni cum pace, wobei Christe bisweilen auch entfällt (zu den ältesten Belegen in den drei Bezirken vgl. Kat.-Nrr. 280, 37 und 145). In der Beliebtheitsskala folgt nach diesen älteren Texten der Englische Gruß Maria gratia plena dominus tecum, der sich erstmals 1484 auf einer Glocke aus Lechaschau findet (Kat.-Nrr. 285, 151 und 231). Inhaltlich ähnlich begegnet die Anrufung Mariens auch in einer kopial überlieferten gereimten deutschen Variante des 16. Jahrhunderts aus Holzgau: Maria Gottes Zel Behüet Was Ich Gloc Ueberschel (Kat.-Nr. 315†). Mitunter wurde auch eine gemeinsame Anrufung der Gottesmutter Maria und ihres Sohnes Christus ausgedrückt (Kat.-Nrr. 291 und 173). Die Anrufung Christi kann vereinzelt mit jener des Heiligen Geistes zusammenfallen, wie 1524 auf einer Glocke aus Vils (Kat.-Nr. 291). Der Heilige Geist wird aber auch alleine apostrophiert (Kat.-Nr. 302†). Auf den Heiligen Geist spielen auch die vereinzelt überlieferten Inschriften vom Typ mentem sanctam spontaneam honorem deo et patriae liberationem an (Kat.-Nrr. 203 und 309). Daneben finden sich zahlreiche andere apotropäische Inschriften mitunter hymnischen Zuschnitts, die Gott als Weltenlenker anrufen (rector celi nos exaudi, 1494 in Lähn bei Bichlbach; Kat.-Nr. 288) oder die Funktion der Glocke etwa als Wetterwenderin und Blitzabwehrerin thematisieren (Kat.- Nrr. 255†, 307, 314† und 338†).

Eine Textsorte, die sich insbesondere im 17. Jahrhundert großer Beliebtheit als Glockeninschrift erfreut und nur mehr indirekt auf den apotropäischen Charakter der Glocke eingeht, stellt der Lobpreis Gottes dar, wie er erstmals im Oberland auf einer Löffler-Glocke aus Namlos von 1553 in Form des DEO SOLI GLORIA begegnet135. Eine verlorene Grinser Glocke von 1632 gehörte mit ihrem Psalmenzitat ebenfalls zu dieser Gruppe (Kat.-Nr. 255†). Zum häufig gebrauchten Formular erhebt einen am Rande hierher gehörigen Spruch der Innsbrucker Gießer Heinrich Reinhart am Beginn des 17. Jahrhunderts; eine an seinen Instrumenten oft angebrachte Inschrift lautet (wiederum in verschiedenen Varianten): Zu Gottes ehr und dienst geher ich, Heinrich Reinhart zu Innsbruck gus mich (Kat.-Nrr. 90, 233, 238f. und 249), was sogar die Zuschreibung einer in ihrer Inschrift nur mehr fragmentarisch greifbaren Glocke aus Wenns an seine Gießerwerkstatt ermöglicht (Kat.-Nr. 70†).

Sehr selten sind hingegen Glockeninschriften, die keinerlei Gottesbezug aufweisen. Neben der gelegentlich vorkommenden Angabe des Gussjahres oder lediglich des Gießers sei hier eine Inschrift aus Fiss von 1581 als Beispiel für eine weitverbreitete gereimte Glockenrede zitiert: Aus dem Feuer bin ich geflossen, zu Kempten bin ich gegossen (Kat.-Nr. 207). Auffällig am Formular der Glockeninschriften ist, dass sie wesentlich häufiger den Gießer als den Stifter nennen.

133 Vgl. dazu auch Einleitung Kap. 7.
134 Die Glocke stammt ursprünglich aus Weer im PB Schwaz und wurde deshalb gemäß dem Provenienzprinzip nicht in dieser Edition berücksichtigt; vgl. Einleitung Kap. 8.

6.2.2. Glockengießer

Blickt man auf die im Bearbeitungsgebiet vertretenen Glockengießer, so treten hier besonders deutlich die über die Grenzen Tirols hinausreichenden kulturellen Verbindungen des Oberlands zu Tage. Gerade die ersten namentlich bekannten Gießer des 15. Jahrhunderts stammen aus Ulm ( Johannes Frädenberger, Glocke in der Galtürer Pfarrkirche von 1441; Kat.-Nr. 132), aus Augsburg (Stefan Wiggau, Lechaschau 1484, sowie Christian Kessler samt Hans und Laux Zotman, Ladis 1499; Kat.-Nrr. 285 und 143) oder aus München (Ulrich von Rosen, Lähn bei Bichlbach 1494, Kat.-Nr. 288). Der nur einmal in einer kopial überlieferten Glockeninschrift von 1519 aus Karres genannte Hans Reiter konnte nicht genauer zugeordnet werden (Kat.-Nr. 44†).

Der Aufstieg des Glockengusses in Tirol verbindet sich dagegen mit der ersten großen Glockengießerdynastie des 16. Jahrhunderts in Innsbruck, der Familie Löffler. Deren Mitglieder wurden nun rasch zu den Hauptlieferanten der Oberländer Glocken, auch wenn die Zuschreibung einer Glocke aus Vils von 1524 an Mitglieder der Familie Löffler wohl nicht haltbar ist (Kat.-Nr. 300). In den folgenden Jahrzehnten kommt es zu zahlreichen Glockengüssen durch Gregor Löffler und seine Söhne Hans Christoph und Elias, die in wechselnden Konstellationen Glocken für die Kirchen in Weer (1553, heute in Namlos135), Berwang (1557) und Tannheim (1561) herstellen (Kat.-Nr. 306f.). Mit Tannheim verbindet sich dann auch der Name der Löffler in besonderer Weise, da sich hier das berühmte Löfflergeläute erhalten hat; es wurde 1580 von Hans Christoph Löffler gegossen, aus dessen Gießerei sich auch eine große Anzahl weiterer Glocken des Oberlands zwischen 1562 und 1590 erhalten hat (Kat.-Nrr. 192, 200, 203, 309–311, 207 und 63). Ein sehr produktives Mitglied der Familie war auch der bereits 1543 verstorbene Alexander Löffler, der sich in den 1530er Jahren als selbständiger Gießer in Südtirol niederließ; von ihm stammen zwei Glocken in der Nauderer Pfarrkirche (1533) und der Margarethen­kapelle in Pians (1539) (Kat.-Nrr. 173 und 177).

Einhergehend mit der Produktion der Löfflerschen Gießerei können wir gegen Ende des 16. Jahrhunderts dann wieder vermehrt auswärtige Gießer epigraphisch nachweisen. So goss ein Kemptner Gießer 1581 eine Glocke für Fiss (Kat.-Nr. 209†) und der Feldkircher Gießer Georg Hauser lässt sich für 1591 und 1602 im Oberland nachweisen – damit ist es übrigens gelungen, die Tätigkeit Georg Hausers bereits zwei Jahre früher als bisher nachzuweisen (Kat.-Nrr. 64† und 231). Aus Augsburg stammte auch Wolfgang Neidhart, der Gießer des Salzburger Domgeläutes, der sich mit einer Glocke in Breitenwang von 1597 und einer in Barwies 1617 als Hersteller greifen lässt (Kat.-Nrr. 314† und 81).

Die Löfflersche Gießerei in Innsbruck war mittlerweile von Heinrich Reinhart übernommen worden, der mit seinen Glocken wiederum zahlreiche Aufträge für das Tiroler Oberland ausführte: Nicht weniger als sieben Oberländer Glocken lassen sich für einen Zeitraum von 1602 bis 1626 diesem Gießer zuschreiben (Kat.-Nrr. 70†, 233, 238f., 325, 249 und 90). Unter den Innsbrucker Gießern des 17. Jahrhunderts ist auch Friedrich Reinhart zu nennen, der 1637 zwei Serfauser Glocken schuf (Kat.-Nrr. 260 und 261†). Nach ihm ist es vor allem Bartlmä (Bartholomäus) Köttelath, mit dem sich die Innsbrucker Dominanz in der Glockenzulieferung gegen Mitte des Jahrhunderts fortsetzt (Kat.-Nrr. 269, 339 und 278). Neben diesen Innsbrucker Gießern lässt sich für Grins auch ein lothringischer Wandergießer, Elias Sermosius, mit zwei Glocken von 1632 fassen (Kat.-Nrr. 255† und 256†).

Eine Konstante des Tiroler Glockengießergewerbes stellt eine weitere bedeutende Innsbrucker Glockengießerfamilie dar, deren Betrieb noch heute besteht: Es handelt sich um die Familie Grassmayr136. Zwar haben sich von dieser aus dem Ötztal stammenden Familie keine Glocken aus dem Editionszeitraum im Oberland erhalten, doch ist ihre Geschichte dennoch in zweifacher Hinsicht für die vorliegende Edition von Belang: Einmal betreibt die Familie ein Glockenmuseum in Innsbruck, in dem sich auch einige der hier aufgenommenen Oberländer Glocken erhalten haben; andererseits ist das Stammhaus der Familie in Habichen reich mit Fassadenmalereien des 17. Jahrhunderts verziert, die hier ebenfalls behandelt werden; dabei beziehen sich die Darstellungen dieser Malereien durchaus auch auf das Gewerbe der Familie (Kat.-Nr. 95).

135 Vgl. dazu Einleitung Kap. 8.
136 Zur Geschichte der Familie Grassmayr vgl. zusammenfassend etwa GRANICHSTAEDTEN-CZERVA, Beiträge 55f.

6.2.3. Fehler bei der Ausführung gegossener Inschriften

Eine Besonderheit der Glockeninschriften ist die offensichtlich besonders große Schwierigkeit ihres korrekten Gusses bzw. die geringe Aufmerksamkeit, die dieser scheinbar mitunter genoss137. So lassen sich immer wieder Defekte bei Ausführung der Inschriften feststellen; auch die Glocken im Tiroler Oberland machen hier keine Ausnahme. Dies zeigt sich etwa an einer Glockeninschrift aus der Pfarrkirche von Pettneu am Arlberg aus dem Jahr 1611: Hier wurde das IAR der Datierung zu IRA verschrieben (Kat.-Nr. 238). Die wahrscheinlich aus dem späten 13. Jahrhundert stammende Glocke im Glockenturm der Stamser Stiftskirche (Kat.-Nr. 5) trägt neben den in gewohnter Leserichtung gegossenen Evangelisten­namen auch ein SANCTA MARIA, das wohl apotropäischen Vorstellungen entsprechend rückläufig in die Hohlform geritzt wurde, wobei das retrograde C offenbar ein Versehen darstellt.

137 Zur Technik der Fertigung von Glockeninschriften vgl. zusammenfassend KLOOS, Einführung 80–83. Auf solche Verschreibungen und ihren Zusammenhang mit der Technik des Glockengusses verweist auch kurz FAVREAU, Épigraphie 51f.

6.3. Kirchliche Ausstattungsgegenstände und liturgische Geräte

Zusammen mit den Inschriften auf Grabdenkmälern und Glocken gehören die beschrifteten kirchlichen Ausstattungsgegenstände zu den drei etwa gleich großen Gruppen mit rund 15–18% des Bestandes. Es versteht sich von selbst, dass sich hinter dieser Zahl die reiche Ausstattung insbesondere der Pfarrkirchen im Tiroler Oberland verbirgt, und es verwundert wenig, dass gerade das Kloster Stams mit seinen Beständen einen erheblichen Anteil zu dieser Inschriftengruppe beiträgt. Allerdings fällt die hohe Zahl an Ausstattungsgegenständen hohen Alters auch in kleineren Filialkirchen und Kapellen auf, die den künstlerischen Reichtum der Region in der Zeit der Spätgotik und des Frühbarock spiegeln.

Die ältesten Inschriften dieser Gruppe befinden sich auf jenen Objekten, die mehr oder weniger direkt mit den Anfängen der Zisterze Stams zusammenhängen. So wurde zumindest kopial eine metrische Inschrift von 1288 überliefert, die sich auf dem Brunnen im Kreuzgang des Stiftes befand; sie unterstreicht die besondere Bedeutung, die dem Brunnen im mittelalterlichen Klostergebäude zukam (Kat.-Nr. 4†). Unmittelbar aus der Gründungsausstattung stammt vielleicht auch ein heute im Stiftsmuseum aufbewahrter „Lasterteller“, eine sogenannte Hansaschüssel, die in grober Gravur die Namen von vier darauf abgebildeten Lastern wiedergibt (Kat.-Nr. 6).

Im 14. Jahrhundert bricht die Überlieferung dieser Inschriftengattung ab, um erst wieder mit dem Bauboom der Spätgotik seit der Mitte des 15. Jahrhunderts und einer zugehörigen Welle neuer Kirchenausstattungen einzusetzen. Doch liegt der sehr frühe Beleg einer Jahreszahl in arabischen Ziffern auf einer deutlich älteren, romanischen Madonna noch vor diesem Zeithorizont. Die an der Rückseite der Statue in der Serfauser Wallfahrtskirche eingeritzte Jahresangabe (1)427 bezieht sich wahrscheinlich auf eine farbige Neufassung der Plastik (Kat.-Nr. 126).

Unter den hierher gehörenden epigraphischen Zeugnissen des 15. Jahrhunderts befinden sich dann auch wieder mehrere Stamser Objekte. Eine Kreuzigungstafel von 1430/40 im Stiftsmuseum, die ein Pendant in der etwas früheren Wiltener Kreuzigung im Unteren Belvedere in Wien besitzt, weist vor allem ein Spruchband mit dem vere filius dei erat iste auf und bezieht die Szene damit direkt auf einen bestimmten Moment in den Evangelien (Kat.-Nr. 18). Ein epigraphisch ähnlich aufbereitetes Thema findet sich auch in einer Wandmalerei in der Stubener Pfarrkirche (Kat.-Nr. 147), was die Bindung des Inschriftenformulars an die Ikonographie (und nicht deren Bindung an den Inschriftenträger) belegt. Ähnlich verhält es sich bei einem 1595 datierten Bergkristallkreuz, das neben der Stifterinschrift die Worte Christi am Kreuz ELI, ELI, LAMMAA SABTHANI aufweist (Kat.-Nr. 66). Ebenfalls im Stiftsmuseum Stams befindet sich auch ein Pedum von 1603 mit Initialen (des ausführenden Handwerkers?) und Jahreszahl an der Oberseite der Krümme (Kat.-Nr. 71). Eine Reihe von Abtportraits des frühen 17. Jahrhunderts im Klausurtrakt des Stiftes weist neben erneuerten Hauptinschriften als Originalbestand mehrere Inschriften als Texte der im Bild dargestellten aufgeschlagenen Bücher und Briefe auf (Kat.-Nr. 99–106 und 113).

An Inschriften auf liturgischen Gewändern ließ sich nur ein einziges, wenn auch aufgrund seiner Machart besonderes Beispiel fassen, eine wohl für den Vollzug der Freiberger Jahrtagverbindlichkeiten in Stams vorgesehene Kasel mit einer nach einem Vesalschen Vorbild gestalteten Skelettfigur und Stifterinschrift von 1623 (Kat.-Nr. 88). Sie ähnelt einem Stück in Kremsmünster aus der Werkstatt des Augsburger Meisters Johann Jakob Pfalzer, der wohl auch das Stamser Objekt anfertigte.

In drei Fällen haben sich knappe Inschriften auf Prozessionsstangen erhalten, die aus Galtür (1598) bzw. aus Serfaus (1617) stammen (Kat.-Nrr. 224 und 244†). Ähnlich wie die Inschriften auf den sogenannten Pestleuchtern der Pfarrkirche von Breitenwang, die ebenfalls in das 17. Jahrhundert datieren (Kat.-Nr. 322), handelt es sich dabei um bisweilen um Initialen erweiterte einfache Jahreszahlen. Die Initialen dürften dabei wohl auf die Stifter oder die ausführenden Handwerker hinweisen. Als Stifter zweier Objekte (ein Kruzifix am Triumphbogen, eine Georgsfigur) für die Kapelle St. Georgen ob Tösens wird inschriftlich ein Jörg Schwarz ausgewiesen (Kat.-Nrr. 254 und 257).

Zur Kirchenausstattung im weiteren Sinn gehören Inschriften wie jene am Eisengitter einer Kapelle in Prutz von 1615, die den ausführenden Schlosser nennt, sowie zwei Inschriften auf einem Beichtstuhl (Stifterinschrift von 1648) aus Landeck und einem Sakristeischrank ( Jesusmonogramm von 1653) aus Silz (Kat.-Nrr. 243, 272 und 111).

Bei dem einzigen Reliquiar aus dem Untersuchungszeitraum, auf dem sich eine Inschrift ausmachen ließ, handelt es sich um ein kurioses Stück: Das wohl um 1600 entstandene Stephanus- Reliquiar mit einer wahrscheinlich einer karolingerzeitlichen Schenkung entstammenden Reliquie aus Kloster Prüm fand durch die Wirren der Koalitionskriege seinen Weg in die Pfarrkirche von Ischgl. Auf dem kostbaren Armreliquiar befindet sich ein vollrundes Sichtfenster mit der Umschrift BRACHIVM S(ANCTI) STEPHANI PROTO MARTGRIS (Kat.-Nr. 230).

6.3.1. Taufsteine

Haupttypen orientierten Taufsteine dar, die trotz der Umbauten etwa des Barock oder des 19. Jahrhunderts noch häufig im Oberland erhalten blieben. Hier lassen sich formal vor allem die Objekte in Serfaus, Elbigenalp und Holzgau, die ein halbkugelförmiges Becken aufweisen, von den spätgotischen polygonal gestalteten Beispielen unterscheiden. Der Taufstein in der Serfauser Wallfahrtskirche fällt dabei sowohl durch sein höheres Alter (1403?) als auch durch die Nennung seines nicht näher zu identifizierenden Stifters (?), Hans Waltl von Serfaus, als ungewöhnlich auf (Kat.-Nr. 124). Dagegen sind die Taufsteine aus Holzgau (zwischen 1435 und 1439) und Elbigenalp (1440) von der äußeren Gestaltung her direkt voneinander abhängig (Kat.-Nr. 283f.). Der epigraphische Befund zeigt jedoch erhebliche Unterschiede: Während die Inschrift in Holzgau in deutscher Sprache abgefasst wurde und direkt auf den ausführenden Handwerker oder wohl eher den Stifter hinweist (disen stain hat gemacht), ist die Inschrift am Taufstein in Elbigenalp in Latein gehalten und bezieht sich auf die liturgische Funktion des Beckens. Damit drückt sich in den Taufsteinen sowohl die Verbundenheit als auch die Konkurrenz der beiden Pfarrkirchen aus, deren Pfarrsprengel erst 1401 vom Bischof von Augsburg getrennt worden waren138. Bemerkenswert ist, dass der ältere Taufstein offenbar in der jüngeren, abgespaltenen Pfarre Holzgau entstand, woraufhin man sich offensichtlich in Elbigenalp nicht nur genötigt sah, einen vergleichbaren Gegenstand anfertigen zu lassen, sondern sich auch gleich durch eine lateinisch abgefasste Inschrift von der jüngeren Pfarre zu distinguieren.

Die jüngere, spätgotische Gruppe mit oktogonalem Becken lässt sich im 16. Jahrhundert mit den fünf Exemplaren in Landeck (1506?), Nassereith (1507), Fließ (1523), Kappl (1575) und Rietz (1581) belegen (Kat.-Nrr. 158, 39, 167, 201 und 62); ihr oktogonaler Aufbau verweist auf die Acht als Zahl der Erlösung, an der der Täufling durch das hier gespendete Sakrament Anteil hat139. Die spätgotischen Tauf becken besitzen zumeist eine Datierung und mehrere Wappendarstellungen, die mit den Namen der jeweiligen Geschlechter und Herrschaften versehen wurden. Nur im Falle des Kappler Taufsteins findet sich auch eine Inschrift, die – wie am älteren Taufstein in Elbigenalp – direkt auf die Funktion des Gegenstandes abhebt.

138 Vgl. dazu auch Einleitung Kap. 2.
139 Zur Symbolik der Achtzahl vgl. ausführlicher NAREDI-RAINER, Architektur 51–56.

6.3.2. Altäre

Unter den kirchlichen Ausstattungsgegenständen nehmen die Altäre einen besonderen Platz ein; auf ihnen findet sich häufig eine große Anzahl von Inschriften. Wie bei den Wandmalereien140 handelt es sich dabei häufig um Tituli zu Heiligenfiguren (etwa Kat.-Nrr. 11, 327† und 263), vereinzelt umgeformt in eine Heiligenanrufung wie am linken Seitenaltar der Hüttkapelle in Pflach aus der Zeit um 1618 (Kat.-Nr. 326†). Im Gegensatz zu den Darstellungen der Wandmalereien finden sich auf den Altarblättern jedoch häufig Details, deren Darstellung durch die andere Maltechnik auf Holz bzw. Leinwand ermöglicht wird. Hierzu zählt etwa das häufig wiederkehrende Motiv der Engel mit Notenblatt in der Hand; dabei tragen diese Notenblätter neben Noten auch häufig den Text des Liedes. Insbesondere die Anfangszeilen des Gloria tauchen hier entsprechend der Verkündigung an die Hirten nach dem Lukasevangelium141 auf, so im Weihnachtsbild des „Defensoriums“ in Stams (1426), der Mitteltafel des ehemaligen Hochaltars der Landecker Pfarrkirche (1504) und auf dem um 1620 entstandenen sogenannten Feldaltar Erzherzog Maximilians III. in Stams (Kat.-Nrr. 17, 153 und 82). Auf der „Grussit-Tafel“ in Stams mit der Darstellung einer Marienkrönung von 1388 (?) findet sich hingegen der Text des Hymnus Regina celi letare in den Händen der Engel (Kat.-Nr. 11). Zu den durch die Maltechnik ermöglichten epigraphischen Details gehören zudem versteckte, oftmals nur wenige Millimeter große Inschriften wie jener aus gemalten Perlen geformte Titulus, den nur der aufmerksame Betrachter bei intensivem Studium der Stamser Grussit-Tafel im Kronreif der Hl. Agnes vorfinden kann. Auch die Gewandsauminschriften auf der Mitteltafel des Landecker Hochaltars von 1504 sind hier zu nennen (Kat.-Nr. 153).

Häufig finden sich gut sichtbar angebrachte Stifterinschriften auf den Altären, so auf dem heute im Meraner Stadtmuseum aufbewahrten Altar der Landecker Burgkapelle von 1537, am rechten Seitenaltar der Martinskapelle in Tschafein von 1624, dem vom Stamser Abt Paul Gay 1633 gestifteten Altar mit dem Amplexus des Hl. Bernhard von Clairvaux in Haiming, auf dem rechten Seitenaltar der Leonhardskapelle in Nauders von 1651 oder an zwei Altären der Landecker Burschlkirche von 1651 bzw. 1652 (Kat.-Nrr. 174, 248, 94, 258, 274f.).

Neben diesen ausführlichen Inschriften lassen sich auch einfache Datierungen der Objekte finden, wie dies etwa am Stamser Hochaltar und zwei weiteren Altären des Oberlands der Fall ist (Kat.-Nrr. 77†, 78 und 153). Die Datierung wird mitunter von einer Nennung der ausführenden Künstler oder deren Signatur begleitet; besonders ausführlich geschah dies etwa an der Rückseite des Altares in der Rochuskapelle in Biberwier von 1618 (Kat.-Nr. 324) und am ehemaligen Altarbild aus der Annakapelle in Vils von 1625 (Kat.-Nr. 330).

Unter den Altären lassen sich zwei aus epigraphischer Sicht besonders bemerkenswerte Fälle herausgreifen. Zum einen handelt es sich dabei um den bereits genannten „Feldaltar“ Erzherzog Maximilians III. aus der Zeit um 1620, der neben der hohen Qualität der Darstellung auch längere Inschriften mit ähnlich hohem Anspruch aufweist (Kat.-Nr. 82). Andererseits ist hier wiederum das „Defensorium“ aus Stams zu nennen. Als Vorlage für diesen 1426 gestifteten Altar diente ein zeitgenössischer Traktat, das „Defensorium Inviolatae Virginitatis Mariae“ des Wiener Dominikaners Franz von Retz, was ein kompliziertes Bild-Text-Programm ergab. Ziel des Traktats – und damit des hier besprochenen Altars – ist es, mit Exempla aus dem Alten Testament sowie aus der Tier- und Pflanzenwelt die Möglichkeit der Jungfräulichkeit Mariens zu belegen. Der Stamser Altar stellt zugleich die älteste Überlieferung dieses Traktats dar, da der Urtext des Franz von Retz verloren ging. Umso verwunderlicher ist es, dass die Forschung bislang nur wenig Notiz von diesem singulären Denkmal genommen hat (Kat.-Nr. 17).

140 Vgl. dazu Einleitung Kap. 6.4.
141 Lk 2,12–14.

6.4. Inschriften an Gebäuden

Mit rund 31% der Katalognummern handelt es sich bei den Inschriften an Gebäuden um die mit Abstand größte Inschriftengattung des Tiroler Oberlands; auf die Besonderheit dieses Umstands insbesondere im Gegensatz zu den ostösterreichischen Inschriftenlandschaften ist bereits weiter oben hingewiesen worden142. Gerade die reichen spätgotischen Wandmalerei-Zyklen im Innenund Außenraum der Kirchen, aber auch die Tradition der Fassadenmalereien an repräsentativen Bauern- und Wirtshäusern im Frühbarock spiegeln sich in dieser Dominanz der Gebäudeinschriften. Da es sich damit um den wichtigsten Bereich der epigraphischen Überlieferung aus den Bezirken Imst, Landeck und Reutte handelt, wird hier vor der Besprechung der Inschriften getrennt nach dem kirchlichen und profanen Bereich (Kapitel 6.4.2. und 6.4.3.) die Überlieferung insbesondere der gemalten143 Inschriften an Gebäuden problematisiert.

142 Vgl. dazu Einleitung Kap. 6.
143 Wenn im Folgenden insbesondere von den gemalten Gebäudeinschriften die Rede ist, so liegt dies an ihrer deutlichen zahlenmäßigen Überlegenheit gegenüber den nicht gemalten, sondern auf anderem Wege hergestellten (etwa in Stein gemeißelten) Inschriften.

6.4.1. Überlieferungsproblematik der (gemalten) Gebäudeinschriften

Die unterschiedliche Gewichtung der Inschriftengattungen gegenüber dem ostösterreichischen Raum bringt es mit sich, dass die Bearbeiter dieses Bandes anderen Hauptschwierigkeiten bei der Aufnahme gegenüberstanden, als dies in Ostösterreich der Fall ist. Handelt es sich bei den dort vorrangig auftretenden Grabdenkmälern naturgemäß vor allem um steinerne Zeugen der Vergangenheit, bringen die zumeist gemalten Gebäudeinschriften in viel größerem Ausmaß die Probleme fragmentarischer Erhaltung mit sich. Die die größte Gruppe unter den Gebäudeinschriften ausmachenden Beischriften zu Wandmalereien haben – fast durchwegs in Secco-Technik ausgeführt – nur in wenigen Fällen keine Beschädigungen erlitten. Elga Lanc fasste das Problem folgendermaßen zusammen: „Dass Schriftzeilen naturgemäß erst nach Fertigstellung der Wandgemälde in Spruchbändern über der Malschicht bzw. an der Wand aufgetragen wurden, hatte ihre geringere Haftung auf dem bereits trockenen Grund zur Folge, weshalb ein großer Teil von ihnen verloren ging.“144 Zu diesen Schwierigkeiten der Erhaltung im engeren Sinne treten jedoch auch gerade im ländlichen Raum oft unsachgemäß ausgeführte Restaurierungen hinzu. Hat eine mittelalterliche Wandmalerei Jahrhunderte lang etwa unter barockem Putz überdauert, so folgt der Aufdeckung nicht selten eine Restaurierung, bei der die Inschriften eine unbedarfte Behandlung im Sinne besserer Lesbarkeit der Texte erfahren; gerade das durchaus wohlwollende Nachziehen vermeintlich sicher erkennbarer Buchstabenteile hat bei Schriften wie der gotischen Minuskel deren praktisch totale Unlesbarkeit zur Folge, auch wenn der optische Gesamteindruck der Schrift oberflächlich erhalten blieb. So ist etwa eine spätgotische Grabinschrift an der Imster Pfarrkirche kaum mehr sinnvoll zu lesen, obwohl die Buchstaben deutlich erkennbar zu sein scheinen (Kat.-Nr. 24). Ein abschreckendes Beispiel stammt aus der Pfarrkirche von Umhausen: Eine Bildunterschrift aus dem 16. Jahrhundert lässt sich hier nach mehrfacher Überarbeitung nur mehr als möLeherKVPrl lesen – auch eine epigraphische Detailuntersuchung kann hier nichts mehr zur Klärung der ursprünglichen Inschrift beitragen145. Ein weniger dramatisches Beispiel dafür sind zwei der Inschriften (nämlich III und IV) auf dem Zeiler-Epitaph am Friedhof der Pfarrkirche Breitenwang (Kat.-Nr. 333). Doch selbst bei sachgemäßer Restaurierung nicht nur der bildlichen Darstellungen, sondern auch von deren Beischriften bleiben grundsätzliche Probleme der Konservierung bestehen, wie eine Wandmalerei in der Pfarrkirche von Stuben zeigt: Spruchbänder auf einem der gotischen Wandgemälde, die 1912 aufgedeckt wurden, waren nach der Restaurierung von 1970 noch ausgezeichnet zu lesen – heute belegen dies nur mehr die damals angefertigten Fotos aus dem Bildarchiv des Landeskonservatorats für Tirol in Innsbruck (Kat.-Nr. 148). Die Notwendigkeit der möglichst eingehenden Aufnahme gerade der gemalten Inschriften wird am Bestand des Tiroler Oberlandes somit überdeutlich.

144 LANC, guten fursatz 294.
145 Vgl. Einleitung Kap. 8.

6.4.2. Inschriften in und an Kirchen

Grundsätzlich lassen sich nach Elga Lanc Inschriften in bzw. bei Wandmalereien in zwei große Gruppen trennen: Die Inschriften, die weitgehend unabhängig von Wandmalereien angebracht wurden, und jene, die im unmittelbaren Kontext mit der Malerei stehen, sich direkt inhaltlich auf diese beziehen oder diese ergänzen146.

Zur ersteren Gruppe gehören etwa die Weiheinschriften bzw. Reliquienkataloge, die sich in der romanischen Mittelapsis der Stamser Stiftskirche aus dem späten 13. Jahrhundert und in St. Georgen ob Tösens aus dem späten 15. Jahrhundert erhalten haben (Kat.-Nrr. 2 und 135). Die gemalten Inschriftenfelder in St. Georgen beinhalten dabei im Gegensatz zur Stamser Weiheinschrift neben der ausführlichen Reliquienaufzählung auch den Namen des ausführenden Malers, Marx (Danauer) aus Innsbruck.

Eine große Anzahl von Inschriften an kirchlichen Bauten machen die Bauinschriften aus, die sich äußerst zahlreich insbesondere aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und aus dem 16. Jahrhundert erhalten haben. Diese bestehen zumeist aus einer einfachen Bauzahl, werden jedoch bisweilen mit der Nennung des Stifters oder der Stifterinitialen bzw. den Initialen des ausführenden Malers versehen. Die erhaltenen und kopial überlieferten Bauinschriften finden sich vor allem im Innenraum der Kirchen, wesentlich seltener an der Außenwand des Kirchenschiffs – ein Ungleichgewicht, das sich auch unter Berücksichtigung der etwas häufigeren Bauinschriften auf Türmen nicht ganz ausgleicht. Damit scheint in Tirol der Außenbau von Kirchen bei der Anbringung von Bauinschriften eine untergeordnete Rolle gegenüber dem Innenraum gespielt zu haben147. Der Großteil aller Bauinschriften wurde direkt auf den Putz gemalt; wesentlich seltener verewigte man sie in Stein oder auf Holz, wie etwa 1596 an der Holzdecke der Nauderer Leonhardskapelle (Kat.-Nr. 220). Blickt man auf die zeitliche Verteilung der insgesamt 18 Bauzahlen, so stellt man einen gewissen Einbruch um die Mitte des 16. Jahrhunderts fest. Diese Zäsur lässt sich damit erklären, dass nach dem spätgotischen Bauboom des 15. und frühen 16. Jahrhunderts in der Zeit der frühen Konfessionalisierung nur wenige Kirchenbauten in Tirol entstanden oder renoviert wurden; als dann mit dem Frühbarock und der Gegenreformation zu Ende des 16. Jahrhunderts und vor allem im 17. Jahrhundert neuer Schwung in den Tiroler Kirchenbau kam, nahmen auch die Bauinschriften wieder deutlich an Zahl zu. Worauf die Bauinschriften und vor allem die Bauzahlen konkret hinweisen, lässt sich dabei nur aus dem jeweiligen Kontext erschließen: Sie können sich sowohl auf die Erbauung des Gesamtgebäudes, eines Gebäudeteils, eine Renovierung, als auch auf eine Ausmalung beziehen. Zur Vorsicht bei der Zuordnung mahnt ein Beispiel aus der Rochuskapelle in Reutte: Die dort sichtbare Bauzahl 1526 kann sich kaum auf die Erbauung der Kapelle beziehen, da diese überhaupt erst 1619 errichtet wurde. Vielleicht handelt es sich hierbei also um eine Spolie aus einer Vorgängerkapelle (Kat.-Nr. 303).

Weit komplexer stellt sich jedoch die zweite Gruppe mit jenen Inschriften dar, die in direktem Zusammenhang mit der Anbringung von Wandmalereien stehen, diese kommentieren oder ergänzen und somit einen integralen Bestandteil von deren Ikonographie darstellen. Hierunter fallen zunächst alle Tituli, wie etwa die Nennung des Hl. Daniel in der Imster Friedhofskapelle und an der Außenwand der dortigen Pfarrkirche jeweils vom Ende des 15. Jahrhunderts (Kat.-Nrr. 26 und 36) oder bestimmte Teile der Wandmalereien in St. Georgen ob Tösens von 1482 und 1496 (etwa Kat.-Nr. 138f.).

Etwas aufwändiger sind bereits die in Spruchbändern eingeschlossenen Inschriften. Dabei kann es sich durchaus auch um eine Art Titulus handeln, etwa in den Spruchbändern der Evangelistensymbole, wie sie in mehreren Chorgewölben spätgotischer Kirchen und Kapellen im Oberland vorkommen. Beispiele hierfür sind die Wallfahrtskirche von Serfaus mit Wandmalereien aus der Zeit um 1360 (Kat.-Nr. 123), die Inschriften in der Stubener Pfarrkirche aus dem späten 15. Jahrhunderts (Kat.-Nr. 146) oder in der Fernsteinkapelle vom Ende des 15. Jahrhunderts (Kat.-Nr. 65). In Prutz findet sich hingegen ein Apostelzyklus mit Teilen des Glaubensbekenntnisses von 1637 (Kat.-Nr. 259), dem man das ältere Apostelcredo in Pians aus der Zeit um 1420 zur Seite stellen kann (Kat.-Nr. 125). Häufig sind auch Dialoge zwischen den handelnden Figuren in den Spruchbändern präsent, so etwa zwischen Maria und dem Engel bei der Verkündigung (St. Georgen ob Tösens; Kat.-Nr. 138) oder Maria und Elisabeth (Pfunds-Stuben; Kat.-Nr. 149). Zu dieser Gruppe von Inschriften gehören auch die ältesten Inschriftenfragmente dieser Edition in der Leonhardskapelle in Nauders (Kat.-Nr. 120).

Nicht immer, aber doch häufig werden auch Stifterinschriften mit Heiligenanrufungen in Spruchbändern überliefert. Der älteste Fall solcher Stifterinschriften in Wandmalereien findet sich in der Wallfahrtskirche in Serfaus aus dem 14. Jahrhundert, sowohl im Langhaus, wo der Stifter neben einer Kreuzigungsszene ein Spruchband mit dem Text MISERERE MEI in den Händen hält (Kat.-Nr. 121), als offenbar auch im Chor, wo sich die Inschriften jedoch nur mehr sehr fragmentarisch erhalten haben (Kat.-Nr. 122). Eine Bauzahl gemeinsam mit einer solchen Stifterinschrift findet sich am Westportal der Pfarrkirche von Landeck aus dem Jahr 1506; hier haben wir es allerdings nicht mit einer Heiligenanrufung, sondern nur mit den Namen des Stifterpaares zu tun (Kat.-Nr. 154). Im Formular der Stifterinschriften scheint – wie hier in Landeck – die klassische Heiligenanrufung im 16. Jahrhundert außer Mode zu kommen. Dagegen kann man durchaus den Segenswunsch für die Seelen der Stifter vorfinden (Kat.-Nr. 165†), und auch eine ausführlichere Vorstellung der Stifter über die reine Nennung ihrer Namen hinaus kommt im 17. Jahrhundert zunehmend in Gebrauch (Kat.-Nrr. 321).

Wie bereits im Kapitel über die Inschriften auf kirchlichen Gegenständen angedeutet148, finden sich auch in den Wandmalereien immer wieder Umschriften, die den Inhalt der Ikonographie genauer charakterisieren; ein Beispiel sind die Worte Christi am Ölberg in der entsprechenden Wandmalerei in der Stubener Pfarrkirche (Kat.-Nr. 148). Solche Umschriften treten jedoch nicht nur innerhalb der Wandmalereien selbst auf (und hier dann zumeist wie in Stuben in einem Spruchband), sondern können auch in einem Rahmen neben oder unter dem Bild auftauchen. Zur Illustration seien hier die Christophorus-Fresken an der Außenseite der Kirchengebäude gesondert genannt. Ein solcher monumentaler Christophorus aus dem 14. Jahrhundert findet sich an der Außenwand der Pfarrkirche in Umhausen; in einem die Wandmalerei umschließenden Bord findet sich hier auch eine Inschrift, die auf die im Mittelalter verbreitete Legende Bezug nimmt, der Anblick des Heiligen schütze vor plötzlichem Tod (Kat.-Nr. 9). Dass die Christophorus- Darstellungen im Oberland vor allem auf eine aufgrund der Gefahren des Reisens über die Alpenpässe gesteigerte Frömmigkeit zurückzuführen seien, wie jüngst behauptet worden ist149, stellt nicht zuletzt das relativ frühe Haiminger Beispiel in Frage, liegt Haiming doch nicht an der klassischen Nord-Süd-Route durchs Tiroler Oberland. Im Gegenteil, bei der Verehrung des Hl. Christophorus handelt es sich um ein geographisch weit verbreitetes Phänomen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit150, wie nicht zuletzt auch vergleichbare Stücke in der Druckgraphik belegen, die eine Verehrung des Heiligen zum Schutz vor plötzlichem Tod auch im privaten Rahmen ermöglichten151.

Häufig finden sich Kombinationen der bisher genannten Typen, also von Tituli, Spruchbändern und Umschriften, so etwa in den umfangreichen, meist spätmittelalterlichen Wandmalereizyklen wie in Pians (Kat.-Nr. 125) oder den frühbarocken Malereien von St. Vigil in Obsaurs (Kat.-Nrr. 169†, 213, 226, 241 und 251), aber auch in der schon mehrfach genannten Pfarrkirche von Stuben. Hier lässt sich im epigraphischen Bestand auch eine Besonderheit greifen, die für die ausführenden Künstler des Zyklus’ rund um den Maler Martin Enzelsberger charakteristisch erscheint: Die Tituli sind hier nicht in Spruchbändern oder Architekturelementen, sondern im Heiligenschein der Figuren versteckt (vgl. etwa Kat.-Nr. 148f.). Die Darstellung von Engeln mit Spruchbändern, wie sie auch in den Tafelbildern (etwa am „Defensorium“, Kat.-Nr. 17, oder dem Annenaltar aus dem Ferdinandeum, Kat.-Nr. 153) vorkommen, finden sich auch in den Chormalereien von Pians (Kat.-Nr. 125); dabei wird ein beliebtes Motiv spätmittelalterlicher Ikonographie aufgegriffen152.

Häufiger greifbar, leider aber nur mehr selten original (und dann zumeist fragmentarisch) erhalten sind auch Wandmalereien mit Stifter- bzw. Beterreihen, die die Namen der Personen über ihrem Kopf aufweisen. Solche Beterreihen lassen sich kopial noch für Oswald von Schrofenstein, seine Frau Praxedis von Wolkenstein und ihre Kinder an der Landecker (Kat.-Nr. 156†) sowie für Walter Hendl an der Imster Pfarrkirche (Kat.-Nr. 32) greifen. Zumindest fragmentarisch haben sich solche Beterreihen an den Wänden von St. Vigil in Obsaurs erhalten (Kat.-Nrr. 212f. und 225).

146 LANC, guten fursatz 294.
147 Dies ist umso bemerkenswerter, als es der Klassifizierung bei Kloos widerspricht, der die Bauinschriften des Spätmittelalters (im Gegensatz zu den früh- und hochmittelalterlichen Weiheinschriften) vor allem am Außenbau angebracht sieht; KLOOS, Einführung 64f. Allerdings könnte man als Gegenargument für den Tiroler Befund die unterschiedliche Erhaltungswahrscheinlichkeit von Inschriften am Außenbau (Verwitterung, häufigere Übermalung) im Vergleich zum Innenraum bemerken; erst weitere Untersuchungen der Tiroler Inschriftenlandschaft können hier nähere Aufschlüsse bringen.
148 Vgl. dazu Einleitung Kap. 6.3.
149 LOOSE, Unterwegs 28.
150 Vgl. dazu ROSENFELD, Christophorus und GRITSCH, Christophorus-Bilder.
151 Vgl. dazu etwa SCHMIDT, Handschrift.
152 Vgl. hierzu allgemein TAMMEN, Musik.

6.4.3. Fassadendekorationen und Bauinschriften an Profangebäuden

In vielerlei Hinsicht entsprechen auch die Bauinschriften an profanen, öffentlichen wie privaten Gebäuden dem Befund in Kirchen; ihr häufiges Auftreten im Bearbeitungsgebiet und auch ihre durchaus vorhandenen Eigenheiten lassen es dennoch sinnvoll erscheinen, ihnen ein eigenes Unterkapitel der Einleitung zu widmen. Gerade die Inschriften im Kontext der reichen Fassadenmalereien besonders prunkvoll gestalteter Häuser im Oberland sind hier als Spezifikum der Tiroler Epigraphik zu nennen153.

Zur großen Gruppe der kurzen Bauinschriften zählen auch im weltlichen Bereich vor allem die Bauzahlen, die manchmal mit einem Spruch oder einer Wortdevise versehen werden; im 17. Jahrhundert werden sie mitunter mit Initialen und/oder dem Jesusmonogramm kombiniert. Dabei handelt es sich zumeist um gemalte Inschriften, doch wurden sie ähnlich wie im kirchlichen Bereich vereinzelt auch eingemeißelt, um dann zumeist mit Farbe nachgezogen zu werden. Man brachte die Bauinschriften gerne an der Außenseite von Gebäuden wie etwa Wohnhäusern oder Scheunen an, wobei der Platz über einem Fenster sich offenbar der größten Beliebtheit erfreute. In geschnitzter Form treten Bauinschriften aus dem 17. Jahrhundert vor allem in Dachbalken bzw. an den Holzgiebeln von Oberländer Häusern auf, wobei zumeist eine Jahreszahl mit dem Namen der Besitzer das knappe Formular bildet (Kat.-Nrr. 76, 83 und 91). Zu den beliebtesten Orten für einfache Bauzahlen im Außenbereich gehören seit dem 16. Jahrhundert auch Hausdurchfahrten, Stadt- und Burgtore (Kat.-Nrr. 305†, 202 und 206). Eine längere Bauinschrift an einem solchen Ort weist die marmorne Inschriftentafel an der Ehrenberger Klause von Erzherzog Maximilian III. von 1609 auf (Kat.-Nr. 320). Im Inneren von Gebäuden trifft man vor allem in den von allen Hausbewohnern und -besuchern gleichermaßen genutzten Teilen des Baus auf Bauinschriften, etwa im Balken über einem Stiegenaufgang oder einer Gangwand (Kat.-Nrr. 168, 205† und 74†), aber auch wie im Falle der Burg Bideneck in Fließ im Rahmen der repräsentativen Ausstattung einer Stube (Kat.-Nr. 175†).

Bei einem Blick auf die zeitliche Verteilung dieser Bauinschriften fällt das deutlich frühere Auftreten als im kirchlichen Bereich auf: Während in letzterem Zusammenhang erst in den letzten beiden Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts vermehrt Bauzahlen auftreten, lassen sich mit den Bauinschriften von Burg Berneck (1437; Kat.-Nr. 128f.) sowie eines Hauses in Fiss (1459; Kat.-Nr. 133) frühere profane Beispiele anführen. Auch der Einbruch in der Mitte des 16. Jahrhunderts fällt hier weniger stark aus als im kirchlichen Bereich; allerdings gibt es auch hier eine sogar noch deutlichere Zunahme im 17. Jahrhundert. Deutet dieser Befund auf die hohe Kontinuität der Bautätigkeit im Oberland in den letzten hier berücksichtigten Jahrhunderten hin, die sogar jene der oft umgestalteten Kirchen übertrifft, so zeigt gerade die Arbeit an diesem Inschriftenband zugleich auch den rasanten Verfall dieses epigraphischen Erbes in den letzten, mit dem ökonomischen Aufschwung durch den Tourismus verbundenen Jahrzehnten. Wesentlich häufiger als im kirchlichen Bereich lässt sich hier eine durchaus rezente Zerstörung nachweisen, und oftmals gingen gerade kurze Bauinschriften ohne größeren künstlerischen Anspruch innerhalb der letzten dreißig Jahre bei Umbauten verloren. Die Unbekümmertheit im Umgang mit den originalen Bauzahlen vor allem des 17. Jahrhunderts steht dabei in Gegensatz zu dem Bemühen, seinem eigenen Wohnhaus gerade durch die Anbringung deutlich vordatierter Bauzahlen ein möglichst hohes Alter zu bescheinigen154.

Umfangreichere Bauinschriften begegnen uns im weltlichen Bereich bereits 1437 auf Burg Berneck in Kauns; sie nennen nicht nur den Bauherren Hans Wilhelm von Mülinen, sondern auch den (wohl die Bauabwicklung planenden) Baumeister Peter Koffel (Kat.-Nrr. 128f.). Ausführliche Inschriften finden sich ansonsten im Tiroler Oberland vor allem im Kontext der Fassadenmalereien des späten 16. und 17. Jahrhunderts, und wiederum belegt dieser Umstand die im Vergleich relativ unbedeutende Stellung des Adels für die Epigraphik des Oberlands, da es sich hierbei vor allem um Gasthöfe und reiche Bauernhöfe handelt. Üblicherweise findet sich in diesen Inschriften die Nennung des Bauherrn, von dessen Stellung, Beruf und/oder Ämtern, der Name seiner Frau, die Art der Veränderungen – etwa einer Renovierung –, sowie deren Datierung. In der Regel begleitet die Bauinschrift eine Fassadenmalerei mit Wappen und biblischen Szenen, die mit den entsprechenden Bibelzitaten ergänzt werden. Solche Fassadenmalereien finden sich am Gasthof „Zum Stern“ in Oetz (Kat.-Nr. 60), am Stecherhaus in Oetz (Kat.-Nr. 75), in Wenns am sogenannten Platzhaus (Kat.-Nr. 61), am Grassmayrhaus in Habichen (Kat.-Nr. 95), am Stockerhaus in Ladis (Kat.-Nr. 252), am ehemaligen Gasthof Rose bzw. dem heutigen Gemeindehaus in Ladis (Kat.-Nr. 216f.), am Haus Niederhof Nr. 119 in Kappl (Kat.-Nr. 250) und am Hotel Schwarzer Adler in St. Anton am Arlberg (Kat.-Nr. 197†). Auch einfachere Fassadenmalereien lassen sich mitunter greifen, so etwa die Richterwappen mit Namensnennungen und Datierung am Haus Maisengasse 2 in Landeck (Kat.-Nr. 193). Bei einem Blick auf die geographische Verteilung der Fassadenmalereien fällt auf, dass diese Beispiele allesamt aus den Bezirken Imst und Landeck stammen; im Bezirk Reutte finden sich keine aufwändigen Fassadenmalereien aus dem hier untersuchten Zeitraum, wenngleich sich spätere, barocke Beispiele anführen ließen155.

Im Innenraum sind solche aufwändigen Malereien, wie sie die Fassaden reicher Oberländer Häuser zieren, nur selten zu finden, was deren Funktion für die Kommunikation nach außen belegt. So verwunderte es auch wenig, wenn der größte Zyklus solcher Malereien für den Innenraum gerade im Gang eines Hauses zu finden ist und sich somit ebenfalls direkt an den Besucher des Hauses wendet: Es handelt sich dabei um den Wappenzyklus im Richterhaus von Stuben aus der Mitte des 17. Jahrhunderts (Kat.-Nr. 273).

153 Vergleichbar sind diese reichen Fassadengestaltungen den Sgraffito-Häusern in anderen Regionen Österreichs, die sich aber durch die Technik (gekratztes Sgraffito gegenüber den farbigen Malereien dieser Tiroler Hausfassaden) von jenen im Oberland unterscheiden; vgl. WESTERHOFF, Sgraffito, mit einigen knappen Hinweisen auf das Oberland (Nauders, Pfunds).
154 Um ein beliebiges Tiroler Beispiel zu nennen: Die rezente Erkerinschrift am Haus Kirchweg 5 in Oetz weist mit der Jz. 1606 deutlich über ihr Entstehungsjahr im 20. Jahrhundert hinaus.
155 Vgl. dazu WINKLER, Bauen, bes. 205–227.

6.4.4. Der Nexus litterarumals Künstlermonogramm in den Fassadenmalereien des Oberlands

Ein bislang unbeachtetes epigraphisches Detail ließ sich im Rahmen dieser Edition an mehreren Malereien des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts nachweisen. Es handelt sich um einen Nexus litterarum der Buchstaben A͜ F (der Sporn am unteren Schaftende von F mitunter balkenartig vergröbert, so dass der Eindruck eines A͜E-Nexus entstehen kann), der sich sowohl an Fassadenmalereien in Ladis von 1590, in den Langhausmalereien von 1598 in der Pianser Margarethenkapelle, als auch am Grassmayrhaus 1633 jeweils neben einer Jahreszahl finden ließ (Kat.- Nrr. 216, 223 und 95). Bislang wurden vor allem die Fassadenmalereien des Grassmayrhauses in Habichen dem Maler Alexander Fischer zugeschrieben, dem mehrere Kunsthistoriker auch die Ausführung der Fassadenmalereien am Gasthof „Zum Stern“ in Oetz (Kat.-Nr. 60), sowie die jüngeren Malereien am sogenannten Platzhaus in Wenns (Kat.-Nr. 61) zuschreiben. Die Restauratorin Hemma Kundratitz schreibt zudem auch die Malereien im Chor der Vigilskirche in Obsaurs diesem Maler zu (Kat.-Nr. 213). Der epigraphische Befund sichert und erweitert nun die Zuschreibung mehrerer Fassadendekorationen an Fischer, denn die Ligatur A͜ F in Habichen stützt die Autorschaft dieses Künstlers: Es handelt sich jedenfalls um seine Initialen, liest man den Nexus auch (wie bisweilen vorgeschlagen wurde) als für Alexander oder als für eine Kontraktion aus Vor- und Nachnamen. Da dieselbe Buchstabenkombination auch in Ladis vorkommt (zusammen mit der Signatur CT, also wohl den Initialen eines Malers, mit dem Alexander Fischer in diesem, seinem frühesten belegbaren Werk offenbar noch als Geselle zusammenarbeitete), ist wohl auch diese Malerei Fischer und seinem Kollegen CT zuzuschreiben. Als erstes eigenständiges Werk dürften nach dem erneuten Beleg des Nexus A͜ F (diesmal ohne weitere Initialen) die Malereien im Langhaus der Margarethenkirche von Pians aus dem Jahr 1598 gelten.

6.5. Graffiti

Eine oftmals in ihrer Aussagekraft weit unterschätzte Inschriftengruppe stellen die zumeist mit Rötelstift an die Wand geschriebenen oder einfach in den Putz oder ins Holz geritzten Graffiti dar, die sich im gesamten Tiroler Raum seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in großer Zahl nachweisen lassen, und die auch in der vorliegenden Edition rund ein Zehntel der Katalognummern ausmachen156. Trotz ihres mitunter hohen Alters und bisweilen nicht geringen Quellenwertes werden sie in der kunsthistorischen Forschung zumeist ignoriert oder gar beklagt157. Doch handelt es sich bei dieser Inschriftengattung wirklich um eine Form von möglichst heimlich zu praktizierendem Vandalismus? Daran lässt im vorliegenden Bestand etwa der Befund der Graffiti in der Glocke der Stamser Stiftskirche zweifeln: Die sich verewigenden Schreiber des 16. Jahrhunderts ließen sich hier als Angehörige des Konvents identifizieren (Kat.-Nr. 54).

Spätestens die Untersuchungen zur Altarplatte in der Stiftskirche St. Peter und Paul in Reichenau- Niederzell mit ihren zahlreichen Ritz- und Tintenzeichnungen des 10. und 11. Jahrhunderts, die von Pilgern wohl dazu angebracht wurden, „auf diese Weise ihrer auf den Augenblick beschränkten körperlichen Anwesenheit in der als bergend und schützend verstandenen Gegenwart des seliggesprochenen und hoch verehrten Stifters und Kirchengründers [gemeint ist der Selige Bischof Egno von Verona] zeitlich Dauer zu verleihen“158, haben die frömmigkeitsgeschichtliche Qualität mittelalter­licher Graffiti deutlich gemacht. Unter den in solchen epigraphischen Zeugnissen greifbaren Reisenden und Pilgern vor allem des Spätmittelalters lassen sich oftmals auch Tiroler Adelige nachweisen, wie dies etwa Detlev Kraack für die Hohenecker und Frundsberger im Heiligen Land gelungen ist159. Jüngere Studien zeigen zudem die Bedeutung der Graffiti-Forschung gerade für den Tiroler Raum, konnten doch etwa für die Stadt Hall in Tirol durch eine eingehende Untersuchung dortiger Graffiti wesentliche Aussagen zu Entstehungszeit und Übermalung eines Jüngsten Gerichts160, aber auch zur Nutzung der Empore in der Pfarrkirche gemacht werden161. Dass solche spontane Schriftäußerungen keineswegs den Ausfluss vandalistischer Betätigung darstellen, zeigt auch eine genauere Untersuchung der Graffiti auf der Ruine der Kronburg in Zams. Die ältesten Rötelinschriften wurden bereits lange vor der Zeit angefertigt, als man die Burg dem Verfall überließ; ursprünglich handelte es sich also in der Wahrnehmung der frühneuzeitlichen Schreiber zweifellos nicht um einen Akt des Vandalismus an einem ohnedies bereits verfallenden Gebäude (Kat.-Nrr. 237 und 240).

In den vorwiegend in Kirchenräumen erhaltenen Graffiti des Tiroler Oberlands lassen sich vor allem die Durchreisenden der frühen Neuzeit anhand ihrer epigraphischen Spuren greifen. Manchmal gelingt es dabei, nicht nur ihre Herkunft, sondern auch das Ziel ihrer Reise genauer zu benennen, wie dies etwa bei der französischen Pilgergruppe aus Cambrai der Fall ist, die sich auf dem Weg nach Rom in der Kapelle am Fernstein verewigte (Kat.-Nr. 51), und auch bei den Schreibern der Graffiti in der Vigilskirche in Obsaurs handelt es sich vorrangig um Pilger162. Bemerkenswert ist dabei, dass einige von ihnen offensichtlich bewusst den Umweg über die Vigilskirche machten, die gar nicht an der direkten Nord-Süd-Route über den Oberen Weg lag. Da sich hier ebenfalls Pilgersymbole finden, die eher an eine überregionale Wallfahrt denken lassen, kann man diesen Umstand nicht ohne weiteres durch eine Klassifizierung der Kapelle als lokales Pilgerziel erklären. Der im Tiroler Oberland gut nachweisbare Brauch, sich auf einer Pilgerreise nach Rom oder ins Heilige Land zu verewigen, passt auch zum Befund der Tiroler Epigraphik insgesamt, lassen sich in diesem Durchzugsland zwischen Nord und Süd doch zahlreiche Reisende fassen. So hinterließ etwa der Student Konrad von Thüngen auf seinem Heimweg von Padua epigraphische Spuren im Gasthaus „Zum Hirschen“ in Innsbruck; ähnliche Zeugnisse sollen sich noch im 17. Jahrhundert in einer Brixner Herberge befunden haben163. Am Arlberg verewigte sich der Münchner Patrizier Balthasar Pötschner mit einer Votivtafel, wie er selbst berichtet: „Item zu sand Cristof auf dem Adlperg hab ich ein tafel lassen machen, daran sandt Cristof und meine kind darbey“164. Leider ließ sich von der Tafel keine kopiale Überlieferung mehr ausmachen. Ein kurioser Beleg für die Reiselust eines vermutlich aus Tirol stammenden Schreibers stellt der Namenszug des Linhart von Mauern dar, der sich nicht nur in der Apsis der Stamser Stiftskirche erhalten hat (Kat.-Nr. 38), sondern der sich auch in der Haller Salvatorkirche findet. Zumindest im letzteren Falle lässt sich dabei sogar nachweisen, dass es Linhart von Mauern nicht nur um die Verewigung am Heiligen Ort – auch hier ist es der östlichste Punkt des Chores –, sondern nicht zuletzt auch um die möglichst gute Sichtbarkeit auf der darunterliegenden Wandmalerei ging, denn er setzte hier zweimal für seinen Namenszug an verschiedenen Stellen an und wählte schließlich gezielt den helleren Untergrund einer wesentlich besser sichtbaren Stelle165.

Die erhaltenen Graffiti des Tiroler Oberlands mit ihrer Nennung von Namen oder Namensinitialen, sowie einer Datierung lassen sich sozialgeschichtlich mit Gewinn auswerten166 und sind oftmals besonders für die Bauforschung und die Kunstgeschichte wertvolle Datierungshilfen; Beispiele hierfür sind etwa die Graffiti in der Rochuskapelle Biberwier, die eine Datierung für die Fertigstellung des Turmes liefern (Kat.-Nr. 329) oder die Inschrift auf Burg Berneck mit ihrem Bezug zur Erbauung der Kapelle (Kat.-Nr. 228).

156 Dabei folgen wir hier der Definition von Kraack und Lingens, nach der Graffiti „graphische Zeugnisse“ sind, „die vor Ort auf oder in dafür nicht vorgesehene Flächen aller Art geschrieben oder geritzt werden. Die Wahl der ‚Schreibtechnik‘ oder Werkzeuge stellt in diesem Zusammenhang keine Definitionskomponente dar“; KRAACK/LINGENS, Bibliographie 9. Allerdings wurden im Rahmen der vorliegenden Edition nur alphanumerische Zeichen ediert, während die Vielzahl anderer graphischer Inhalte der Graffiti (wie etwa Kritzeleien, Wappen, Hausmarken und Bilder), die nach der Definition von Kraack und Lingens zu den Graffiti gehören, hier im beschreibenden Teil bzw. als Nachzeichnung im Anhang Berücksichtigung fanden.
157 So bemerkte Walter Lunger zu den Fresken der Margarethenkapelle in Pians: „Auch konnten es unverständige Besucher nicht unterlassen, ihre Namen, Monogramme, Jahreszahlen und anderes an die Wände zu kritzeln.“ LUNGER, Fresken 118.
158 So KRAACK, Zeugnisse 54. Zur Altarplatte von Reichenau-Niederzell vgl. Altarplatte, hg. GEUENICH/ NEUMÜLLERS-KLAUSER/SCHMID.
159 KRAACK, Zeugnisse 128 und 143.
160 SCHMITZ-ESSER, Graffiti und SCHMITZ-ESSER, Ehre. Vgl. auch die Anmerkungen zu einem Tafelbild mit Graffiti aus dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, das ursprünglich aus der Salvatorkirche in Hall stammen könnte, bei SÖDING, Christus.
161 SCHMITZ-ESSER, Gästebuch.
162 Vgl. dazu ausführlicher Einleitung Kap. 2.1.5.
163 KRAACK, Zeugnisse 74.
164 KRAACK, Zeugnisse 74. Zur Verehrung des Hl. Christophorus vgl. auch Einleitung Kap. 6.4. Zur Bedeutung des Hl. Christophorus als Patron der Arlbergbruderschaft vgl. in dieser Edition v. a. Kat.-Nr. 267†.
165 SCHMITZ-ESSER, Graffiti 110–112 und Abb. 2a–2c.
166 Vgl. dazu eingehender Einleitung Kap. 3.

6.6. Glasmalereien

Aus dem Tiroler Oberland haben sich zahlreiche Bildfenster mit Inschriften erhalten, wenngleich ein großer Teil dieser Scheiben sich heute nicht mehr vor Ort, sondern in den Beständen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum befindet. Mag der Anteil am Katalog mit nur etwa 5% auch gering sein, so zeigt bereits der Umstand, dass es sich bei der mutmaßlich ältesten nachweisbaren Inschrift des Bezirks Imst um ein Bildfenster aus der Heilig-Blut-Kapelle in der Stamser Stiftskirche von 1279 (?) handelt (Kat.-Nr. 1†), wie bedeutend dieser Bestand im Rahmen der Tiroler Epigraphik ist. Gerade diese Scheibe, die nach den Quellen „durch die mangelnde Sorgfalt der Maurer“ zerstört wurde167, macht deutlich, dass bei den Glasfenstern nicht erst – wie bei den Glocken – die Weltkriege größere Lücken in den heutigen Bestand rissen, sondern dass Fenster stets stärker der Zerstörung im Zuge von Umbauten oder anderen Ereignissen ausgesetzt waren. Umgekehrt trugen aber auch die Weltkriege zur Dezimierung des Bestands bei; eine glückliche Ausnahme stellen dabei die qualitativ besonders hochwertigen zwei Fensterpaare in der Pfarrkirche von Haiming dar, die nur durch den Einsatz des Denkmalamtes im Krieg abgenommen wurden und so noch erhalten sind (Kat.-Nrr. 45 und 50). Bei diesen Wappenscheiben von vier Mitgliedern der Familie Frundsberg handelt es sich um die einzigen in situ erhaltenen Bildfenster des Tiroler Oberlands; der restliche Bestand befindet sich heute im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Dabei handelt es sich um zwei Wappenscheiben des Veit von Wehingen, sowie drei Rundscheiben mit alttestamentlichen Szenen aus der Ruine Sigmundsried (Kat.-Nrr. 172, 176 und 185–187), vier Wappen­scheiben von Hans Ott von Achterdingen, Hans Franz von Wehingen, sowie deren Frauen Maria von Lichtenau und Magdalena Schurf aus der Pfarrkirche St. Leonhard in Ried (Kat.-Nrr. 178f. und 188f.) und zwei Wappenscheiben des Hans Jakob Gräfinger sowie seiner Frau Ursula Kripp (Kat.-Nr. 234f.), sowie um eine rechteckige Zunftscheibe, die vermutlich aus dem Gebiet des Gerichts Ehrenberg stammt und mehrere Zunftbrüder nennt (Kat.-Nr. 316). Eine Besonderheit stellt ein im Stiftsmuseum Stams erhaltenes, bemaltes Glaskästchen von 1557 mit späteren Ergänzungen dar (Kat.-Nr. 55). Bis auf die oben genannte, kopial überlieferte Stifterscheibe aus der Heilig-Blut-Kapelle in Stams stammen alle bekannten, mit Inschriften versehenen Bildfenster des Tiroler Oberlands aus dem 16. und frühen 17. Jahrhundert.

Im grundsätzlichen Aufbau ähneln einander insbesondere die Wappenscheiben stark. So findet sich hier in der Mitte der rechteckigen oder runden Scheibe das Wappen der betreffenden Person; im Falle einer runden Scheibe wurde das Inschriftenband üblicherweise am Rand der Scheibe angebracht, während bei einer rechteckigen Form zumeist ein querrechteckiges Inschriftenfeld im unteren Teil eine zeilenweise Beschriftung aufweist. Die Inschrift nennt dabei üblicherweise den Namen des Stifters samt einer Aufzählung seiner Ämter sowie die Jahreszahl. Die Scheiben wurden zumeist paarweise angefertigt, wobei das Formular für die Inschrift auf der Scheibe einer Ehefrau die Auflistung der Ämter des Mannes durch die Nennung ihres Mädchennamens ersetzt. Bei den verwendeten Schriftarten fällt die gegenüber den in Stein gemeißelten Grabinschriften relative Modernität der auf Glas gemalten Inschriften auf168.

167 LEBERSORG, Chronik 12 (Haidacher 24f.).
168 Zur Schriftentwicklung vgl. eingehender Einleitung Kap. 5.

6.7. Nicht-liturgisches Inventar und Mobiliar

Eine kleinere Gruppe von Inschriften insbesondere des 17. Jahrhunderts findet sich auf wandfester Ausstattung wie Türen und Mobiliar wie Truhen oder Betten. Ihre Inschriften geben zumeist eine Jahreszahl sowie die Initialen oder den Namen des Besitzers an. Diese Mitteilungsinhalte sind etwa bezeichnend für die typischen Zirbenholztruhen des Oberlandes; sie stammen – soweit sich ihre Herkunft überhaupt noch klären lässt169 – größtenteils aus dem Ötztal (Kat.- Nrr. 56 und 67). Ähnlich verhält es sich mit den Inschriften auf Portalverkleidungen und Türblättern (Kat.-Nrr. 69 und 83) oder auf Bettgestellen aus dem 17. Jahrhundert (Kat.-Nr. 276). Hier tritt mit dem Jesusmonogramm auch eine apotropäische Bedeutung zur reinen Besitzernennung hinzu.

Nur durch ihre sekundären Standorte im 18. Jahrhundert sind zwei bemalte Tafeln des frühen 17. Jahrhunderts, ursprünglich wohl hölzerne Epitaphien mit Inschriften auf mehrere Angehörige der Familie Hoheneck (Kat.-Nrr. 317†f.), als Bestandteil der mobilen Ausstattung eines Vilser Wirtshauses anzusprechen.

169 Zu den Problemen bei der Aufnahme dieser Inschriftengruppe vgl. die Ausführungen in Einleitung Kap. 8.

Werner Köfler, Romedio Schmitz-Esser

Zitierregel:
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte, ges. u. bearb. v. Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser (Die Deutschen Inschriften 82. Band, Wiener Reihe 7. Band, Teil 1) Wien 2013, 6. Die Inschriftenträger,
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Die Deutschen Inschriften
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82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte

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Die Inschriften des Bundeslandes Tirol  •  Politische Bezirke Imst, Landeck und Reutte  •   Die Inschriftenträger  •   Grabdenkmäler und Inschriften des Totengedenkens  •   Typologie der Grabdenkmäler  •   Die Inschriften des Totengedenkens und ihr Formular  •   Glocken  •   Formular der Glockeninschriften  •   Glockengießer  •   Fehler bei der Ausführung gegossener Inschriften  •   Kirchliche Ausstattungsgegenstände und liturgische Geräte  •   Taufsteine  •   Altäre  •   Inschriften an Gebäuden  •   Überlieferungsproblematik der (gemalten) Gebäudeinschriften  •   Inschriften in und an Kirchen  •   Fassadendekorationen und Bauinschriften an Profangebäuden  •   Der Nexus litterarumals Künstlermonogramm in den Fassadenmalereien des Oberlands  •   Graffiti  •   Glasmalereien  •   Nicht-liturgisches Inventar und Mobiliar  •