Die Inschriften des Bundeslandes Tirol
Politische Bezirke Imst, Landeck und Reutte
7. Die sprachliche Entwicklung der Inschriften
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die sprachliche Entwicklung der in dieser Edition
berücksichtigten Inschriften. Dabei muss eine solche tabellarische Auswertung freilich schon
alleine aufgrund der unterschiedlich umfangreichen Erhaltung verschiedener Inschriftenträger
und -gattungen, die wesentlich die Wahl der Sprache bestimmen, oberflächlich bleiben. Die tabellarische
Auswertung kann somit nur einen ersten Ausgangspunkt für das folgende Kapitel
darstellen.
Trotz dieser in der summarischen Auswertung versteckten Problematik statistischer Erfassung
lassen sich doch folgende Aussagen über die Sprache der Inschriften treffen: Die Wende von der
lateinischen zur deutschsprachigen Abfassung der Inschriften lässt sich im Tiroler Oberland recht
eindeutig um das Jahr 1450 (also aus Sicht anderer Inschriftenlandschaften verhältnismäßig spät171)
festmachen. Seit dieser Zeit werden etwa die Inschriften auf Denkmälern des Totengedächtnisses
für Laien fast einheitlich in deutscher Sprache formuliert; zuerst ist diese Entwicklung in zwei
Grabplatten der Familie Freiberg in Stift Stams greifbar (Kat.-Nrr. 19†f.). Die Grabinschriften
von Klerikern bedienen sich jedoch weiterhin vorrangig der lateinischen Sprache, wie etwa jene
des Wertacher Pfarrers Johannes Bach von 1458 zeigt (Kat.-Nr. 21); in diesem Bereich bleibt die
lateinische Sprache noch bis weit ins 17. Jahrhundert dominierend. Allerdings scheinen einzelne
geistliche Würdenträger weniger Wert auf eine lateinische Inschrift gelegt zu haben, wie die
deutschsprachig beschriftete Grabplatte eines Vilser Pfarrers von 1523 zeigt (Kat.-Nr. 298). Aufgrund
der dünnen Quellenbasis im Bestand der drei hier berücksichtigten Bezirke werden jedoch
erst weitere Vergleiche mit Tiroler Beispielen aus anderen Bearbeitungsgebieten diesen Schluss
untermauern können. Der Hang zur lateinischen Sprache lässt sich auch in Grabdenkmälern feststellen,
die im Sinne hohen humanistischen Anspruchs abgefasst wurden, wie etwa am Grabdenkmal
Erzherzog Sigmunds von Tirol 1496 oder des Herzogs Severin von Sachsen, dessen Grabinschrift
nach 1556 abgefasst wurde (Kat.-Nrr. 31† und 58†).
Betrachten wir das Aufkommen der deutschen Sprache in den Inschriften genauer, so zeigt
der Bestand im Oberland, dass wir durchaus bereits im frühen 15. Jahrhundert mit deutschsprachigen
Inschriften rechnen dürfen. Mag man in der kurzen, in sprachlicher Hinsicht uneindeutigen
Inschrift am Taufstein der Serfauser Wallfahrtskirche um 1403 nur Ansätze zur Verwendung
der deutschen Sprache vorfinden (Kat.-Nr. 124), weisen spätestens die Wandmalereien in der
Margarethenkirche zu Pians aus der Zeit um 1420 neben lateinischen auch längere deutschsprachige
Inschriften auf (Kat.-Nr. 125). In den 1430er Jahren sind mit zwei Inschriften auf Burg
Berneck (Kat.-Nr. 128f.) und der Inschrift am Holzgauer Taufstein (Kat.-Nr. 283) weitere Belege
für die Verwendung des Deutschen vorhanden. Die Durchsetzung der Volkssprache gegenüber
dem Lateinischen findet jedoch erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts statt; damit entspricht der
Befund im Tiroler Oberland durchaus dem allgemeinen Trend172.
Von Anfang an dominiert die deutsche Sprache in den Fassadenmalereien des 16. und 17. Jahrhunderts,
was deutlich zeigt, dass diese wohl auf allgemeine Lesbarkeit abzielten und zugleich eine
relativ hohe Alphabetisierung der Bevölkerung voraussetzten. Auf Kunstwerken von sozial sehr
hoch gestellten Auftraggebern bleibt jedoch Latein bis ins 17. Jahrhundert die Sprache der Wahl;
dies gilt in umso höherem Maße bei Kunstwerken aus landesfürstlicher Stiftung oder im Umkreis
von Klerikern, etwa der Stamser Mönche. Hier tritt aber auch vereinzelt inschriftliche Zweisprachigkeit
auf; gezielt als Ausdrucksmittel tritt uns die Bilingualität in der bereits mehrfach
erwähnten Gedenktafel vom Fernsteinpass von 1543 entgegen (Kat.-Nr. 48). Auch in Glockeninschriften
bleibt zunächst das Lateinische dominierend, doch tritt hier immer häufiger insbesondere
seit dem 16. Jahrhundert die Zweisprachigkeit der Inschriften auf. Nun finden sich auf
Glocken zumeist zwei Inschriften: Eine lateinische mit apotropäischem Charakter und eine
deutschsprachige mit der Nennung des Gießers. Die ersten Glocken mit einer zweisprachigen
Inschrift lassen sich für 1484 und 1494 im Bezirk Reutte festmachen (Kat.-Nrr. 285 und 288).
Nach einem relativen Einbruch des Lateinischen zu Beginn des 16. Jahrhunderts kommt es
vor allem im 17. Jahrhundert wieder vermehrt zu dessen Gebrauch. Nun wurden gerade die literarisch
anspruchsvolleren landesfürstlichen Inschriften in Latein abgefasst, wie das Beispiel der
Tafel Erzherzog Maximilians III. an der Ehrenberger Klause von 1609 zeigt (Kat.-Nr. 320). Die
Mehrzahl der Inschriften ist jedoch auch in diesem Zeitraum deutschsprachig. Waren in der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch rund die Hälfte der Inschriften in Latein abgefasst
worden, so erreichte dessen Anteil trotz der geschilderten „Renaissance“ der Sprache in der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts doch nicht mehr als 36% der Inschriften, was gegenüber dem
Tiefstand der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (18%) aufs Ganze gesehen doch nur ein relatives
Wiedererstarken des Lateinischen als Inschriftensprache belegt173.
Mehrfach lassen sich auch in den Inschriften des Oberlandes die bekannten Zusammenhänge
zwischen der Sprache und der gewählten Schriftart aufzeigen; so wird für lateinische Inschriften
in der frühen Neuzeit vor allem die Kapitalis gebräuchlich, während deutschsprachige Inschriften
zumeist in Fraktur ausgeführt sind. Da dies aber bei einem Blick in die klassische Paläographie
alles andere als erstaunlich erscheint, sei hier nur einmal mehr auf den prominentesten Fall im
Bearbeitungsgebiet, die Fernsteintafel, verwiesen, in der die Wahl der Sprache auch die Wahl der
Schrift bedingte (Kat.-Nr. 48).
Kurz erwähnt sei auch das isolierte Auftreten anderer Sprachen neben Deutsch und Latein: So
lassen sich in der Kapelle am Fernstein offenbar Pilger aus Cambrai greifen, deren Inschriften aus
dem 16. Jahrhundert erwartungsgemäß auf Französisch abgefasst sind (Kat.-Nr. 51)174.
Werner Köfler, Romedio Schmitz-Esser
Die Deutschen Inschriften
Herausgegeben von den Akademien der Wissenschaften in
Düsseldorf · Göttingen · Heidelberg · Leipzig · Mainz · München
und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien
82. Band, Wiener Reihe 7. Band
Die Inschriften des Bundeslandes Tirol - Teil 1
Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Austrian Academy of Sciences Press
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Die Inschriften der Politischen Bezirke Imst, Landeck und Reutte, ges. u. bearb. v. Werner Köfler und Romedio Schmitz-Esser (Die Deutschen Inschriften 82. Band, Wiener Reihe 7. Band, Teil 1) Wien 2013, 7. Die sprachliche Entwicklung der Inschriften,
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